보고서
23. Januar 2002
Der 23. Januar war 40 Jahre lang der demokratische Gedenktag Venezuelas: 1958 musste der Diktator Pérez Jiménez das Land verlassen und nach Spanien ins Exil gehen. Er hatte sich 1952 an die Macht geputscht und regierte das Land mit eiserner Hand. Erst als Jiménez außer Landes war, konnte Venezuela mit dem Inkrafttreten einer neuen Verfassung 1958 zur Demokratie finden.
Der 23. Januar war und ist Präsident Chavez ein Dorn im Auge. Schon im vergangenen Jahr hatte er versucht, seinen Putschversuch vom 04. Februar 1992 mit dem Aufstand für Demokratie und Freiheit zu vermischen. Dank massiver Proteste von Abgeordneten und Vertretern der Zivilgesellschaft blieb aber bisher eine parlamentarische Gedenkstunde für den 23.Januar erhalten. Allerdings gelang es der Regierung Chavez, Demokratie, "Bolivarianische Revolution" und Putsch miteinander zu vermengen. Die Kräfte der Opposition, die diese Verunglimpfung des 23. Januar zu Chavez Zwecken nicht länger hinnehmen wollten, setzten eigene Veranstaltungen entgegen, auch in diesem Jahr.
Anlässlich des 44. Jahrestages des Endes der Diktatur und Einführung der Demokratie in Venezuela hatten Zivilgesellschaft und Parteien zu einem nationalen Demonstrationszug für Demokratie und Freiheit aufgerufen. Als Gegenantwort auf diese Herausforderung der Opposition musste die Regierung Chavez einen Gegenmarsch für die Bolivarianische Revolution organisieren. In Caracas füllten Menschenmassen die Strassen und der Tag wurde zu einem Triumph der Opposition, die zum ersten Mal seit der Amtsübernahme von Präsident Chavez ihre Animositäten überwand und mit vereinten Kräften in der Öffentlichkeit auftrat. Chavez verhöhnte das Vorhaben der Opposition zwar, aber motiviert durch den Erfolg des landesweiten Protests vom 10. Dezember 2001 und durch die Mitwirkung der Gouverneure von Miranda (Enrique Mendoza) und Carabobo (Salas Feo) sowie des Oberbürgermeisters von Caracas (Alfredo Peña) erwies sich der Marsch als großer Erfolg.
Im Vergleich zu den 200.000 Demonstranten der Opposition mobilisierte der Marsch des "Oficialismo" nur ca. 80.000 Teilnehmer. Dem Präsidenten muss an diesem Tag schmerzlich bewusst geworden sein, wie groß der Widerstand in der Bevölkerung gegen ihn ist. Er versicherte zwar, dass "sein Marsch" mindestens dreimal so groß gewesen sei, aber die Luftaufnahmen der politischen Polizei (DISIP), die auf noch ungeklärte Art und Weise einem Fernsehsender zugespielt wurden, bewiesen das Gegenteil. Der Hubschrauber der DISIP war an diesem Tag übrigens der einzige, der über das Stadtgebiet fliegen durfte. Die Regierung hatte noch am Morgen des 23. Januar" aus Sicherheitsgründen" ein Überflugverbot für Caracas verhängt, nachdem bekannt geworden war, dass Medienvertreter mit drei Hubschraubern aus der Luft über die Märsche berichten wollten. Ein klarer Eingriff der Regierung Chavez in das Recht auf freie Informationsbeschaffung seitens.
Auffallend war auch die Unterschiedlichkeit der beiden Märsche von einander. Die gesellschaftliche Spaltung des Landes wurde durch sie besonders verdeutlicht. Unterschiede, z. B. in Bezug auf Struktur der Teilnehmer (Opposition = Vertreter aller Bevölkerungsschichten, insbesondere Angehörige der Mittelschicht; Chavistas = überwiegend Angehörige der unteren Bevölkerungsschichten) und auch im Stimmungsbild ließen sich feststellen. So wirkte der Marsch der oppositionellen Gruppierungen im Verlauf des ganzen Tages ausgelassen und fröhlich und durch Spruchbänder und Schlachtrufe ("Chavez raus", "Chavez, hau ab", "Es reicht mit der Tyrannei!"; "Es reicht mit dem Bla, Bla, Bla"), wurde eine Art Aufbruchstimmung vermittelt, die den großen Wunsch nach einem politischen Wandel erkennen ließ. Die Stimmung der Chavez-Anhänger war besonders in Anwesenheit des Präsidenten richtig enthusiastisch.
Die Oppositionskräfte haben mit dem Erfolg des 23. Januars natürlich Erwartungen hervorgerufen, die nur sehr schwer zu erfüllen sind, denn Chavez wird sich mit seiner Bolivarianische Revolution nicht einfach geschlagen geben, sondern diese im Gegenteil noch weiter "aufrüsten". Er hat mehrfach den Bruch mit dem repräsentativen, freiheitlichen System und eine "Bewaffnung der Revolution" verkündet sowie seine Absicht bekräftigt, dass er niemals die Macht freiwillig abgegeben wird.
Diese und andere Drohungen des Präsidenten haben bewirkt, dass sich Oppositionskräfte für diesen Marsch einten. Allerdings kann diese Opposition immer noch sehr leicht von Chavez verhöhnt werden, denn sie hat es bisher noch nicht geschafft, Führungspersönlichkeiten auf ihrer Seite herauszubilden. So konnte z. B. keine Einigkeit auf Seiten der Opposition darüber erzielt werden, wer als Redner auftritt. Parteienvertreter verletzten die Abmachung der Organisatoren des Oppositionszuges keine Parteifahnen mit sich zu tragen. Dies zeigt nur sehr deutlich, wie zerbrechlich diese Einigkeit der Opposition in Wirklichkeit ist und wo sie Chavez auch noch weiterhin Angriffsfläche bietet.
Wenn es in Zukunft zu einem nationalen Aussöhnungsprozess kommen sollte, dann müssen natürlich auch die Chavez-Anhänger in der Zivilgesellschaft und im Militär in diesen Prozess eingebunden werden. Eine Aufgabe, die für jede zukünftige Regierung sehr schwer sein wird und bei der die katholische Kirche eine tragende Rolle übernehmen kann.
04. Februar - Festtag für Chavez
Das zweite Datum, dass die Venezolaner in zwei Lager spaltet, ist der 04. Februar. An diesem Tag vor 10 Jahren gab Hugo Chavez als Oberstleutnant der Armee den Angriffsbefehl zum Putsch gegen den damaligen Präsidenten Carlos Andrés Perez. Er übernahm die volle Verantwortung für diesen Hochverrat, bei dem in Venezuela hunderte Menschen getötet wurden und der schließlich zur Niederlage für die Putschisten wurde. Chavez, unehrenhaft aus der Armee entlassen, war zwei Jahre im Gefängnis bis Präsident Caldera das Verfahren wegen Hochverrats niederschlug. Nur dies ermöglichte Chavez und seinen Mitputschisten eine politische Kandidatur, da die Verfassung von Venezuela ausschließt, dass Vorbestrafte zum Präsidenten oder Gouverneur gewählt werden können.
Dieser Tag nun wurde von Präsident Chavez per Dekret zum nationalen Feiertag erklärt. ("Der vierte Februar ist ein Tag des Vaterlandes (...). Es ist ein Datum, dass den Anfang eines neuen Weges markiert, einer neuen Geschichte, eines neuen Vaterlandes und einer neuen Hoffnung.") Chavez unterstrich, dass von diesem 04. Februar 1992 für ganz Venezuela eine moralische, politische und revolutionäre Wirkung ausgehe. In diesem Sinne gab sich die Regierung alle Mühe, diesen Tag als historischen Neubeginn für das Land zu zelebrieren.
Bereits ab dem 01. Februar wurde ein Lastwagenkonvoi des Präsidenten vom Bundesstaat Táchira in den Anden bis hin nach Caracas als riesiges Medienspektakel organisiert. Es folgten am 04. Februar national gleichgeschaltete Fernseh- und Radiosendungen (Cadenas), in denen der Präsident und einige seiner ehemaligen Mitputschisten den Tag als Feiertag deklarierten. Außerdem gab es feierliche Kranzniederlegungen und Reden an Orten, wo sonst nur der Helden der venezolanischen Geschichte gedacht wird (Pantheon, Parque de los Próceres) . Das alles mit einem immensen Kostenaufwand, den der venezolanische Steuerzahler mitzutragen hat, was natürlich von der Opposition heftigst kritisiert wird.
In Caracas waren, wie auch schon am 23. Januar zwei völlig unterschiedliche Bewegungen zu sehen. Die zahlreichen Chavez-Anhänger in rot gekleidet und häufig mit dem für Chavez typischen roten Barett, während bei den Oppositionszügen die Farbe schwarz dominierte. Der Präsident hatte es geschafft, seinen ganz persönlichen Feiertag mit Pomp zu inszenieren, so wie man es eigentlich nur aus autoritär regierten Staaten kennt, wo das Staatsoberhaupt selbst die Geschichte bestimmen möchte.
Die Ermahnungen an die Medien, die katholische Kirche und den Unternehmerverband, sich nicht gegen seine Regierung zu stellen, überließ er an diesem "Feiertag" dem Gouverneur von Táchira, der als Festredner auftrat. Um seinem drohenden Popularitätsverlust entgegenzuwirken, unterschrieb Chavez am Ort der Hauptfeierlichkeit (Historisches Militärmuseum) in Anwesenheit seines Kabinetts, das Dekret zur Übergabe von Grundstückstiteln an Bewohner von Armutsvierteln. Dieses Dekret wurde noch am gleichen Tag von Opposition und unabhängigen Juristen als nicht verfassungsgemäß bezeichnet.
04. Februar - ein Trauertag für die Opposition
Die Opposition hatte dazu aufgerufen, den 04. Februar als nationalen Trauertag zu begehen und nicht als Festtag für das Land. Schon am Abend vor dem 04.02. hatten sich Gegner der Regierung landesweit versammelt, um der Opfer des Putsches zu gedenken und um gegen die Instrumentalisierung des Tages als Festtag zu demonstrieren. Organisationen der Zivilgesellschaft (Ciudadania Activa, Queremos Elegir, Nulidad 1011) forderten seit Wochen die Bevölkerung auf, sich in Schwarz zu kleiden, Trauerflore an die Autos zu binden, in der Zeit von 20.40 Uhr bis 21.00 Uhr alle Lichter auszuschalten und mit Topfschlagen den Unmut gegen diese Regierung zu bekunden.
Dieser Aufruf fand sehr großen Anklang bei der Bevölkerung, nicht nur in Caracas, sondern auch in vielen anderen Städten des Landes. Viele zentrale Plätze der Hauptstadt waren in Schwarz eingetaucht. Autokorsos, die von viel Topfgeklapper, Hupen und Chavez-raus-Rufen begleitet wurden, machten bis weit nach Mitternacht auf sich aufmerksam.
Eines haben diese beiden Ereignisse zu Beginn des Jahres 2002 gezeigt. Der Stern von Hugo Chavez sinkt dramatisch. Eine sehr wichtige Säule seiner Macht war der Rückhalt bei der Bevölkerung. Doch die Popularität des Präsidenten schwindet zusehends. Erste Anzeichen dafür boten die Gewerkschaftswahlen im Oktober 2001, bei denen sich nicht der von Chavez gewünschte Kandidat als Präsident des Gewerkschaftsdachverbandes durchsetzte.
Dann folgte im Dezember der nationale Protest des Unternehmerverbandes, dem sich Arbeitnehmer und Zivilbevölkerung anschlossen und schließlich die Tage 23. Januar und 04. Februar, die gezeigt haben, wie groß der Widerstand gegen den Präsidenten inzwischen geworden ist. Es bleibt die Frage, wie lange es noch dauern wird, bis das System Chavez implodiert, denn der Druck von innen wird mit jedem Tag größer.
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