보고서
Nach türkischen Presseberichten hat Murat Karayalçin, vormaliger türkischer Ministerpräsident, am 24. Mai 2002 den Antrag auf Zulassung seiner neu gegründeten sozialdemokratischen Volkspartei (SHP) beim Innenministerium eingereicht. Dies alleine wäre sicherlich noch kein außergewöhnlicher Vorfall, wenn damit nicht die 45. Partei in der Türkei gegründet worden wäre. Die türkische Parteienlandschaft ist in Bewegung geraten, und es vergeht kaum eine Woche, in der nicht über eine Parteineugründung in den türkischen Medien spekuliert wird.
Die Zersplitterung der türkischen Parteienlandschaft
Die Koalitionsregierung aus Demokratischer Linkspartei (DSP), Nationalistischer Bewegungspartei (MHP) und Mutterlandspartei (ANAP) steht zwar unter öffentlicher Dauerkritik und die schlechte Gesundheitsverfassung Ministerpräsident Ecevits führt zu offenen Spekulationen über seinen Rücktritt und mögliche vorgezogene Neuwahlen, aber alle drei Regierungsparteien erklären, dass sie vorgezogene Wahlen ablehnen bzw. frühestens im Herbst 2003 für möglich halten. Sollte allerdings Ecevit als Ministerpräsident ausfallen, ist alles möglich, auch Neuwahlen schon im Herbst dieses Jahres.
Wie sehr die türkische Parteienlandschaft in Bewegung geraten ist, zeigt alleine schon ein Blick auf das Wahlergebnis und die Sitzverteilung der letzten Wahlen vom 18. April 1999. Damals erlangte die Demokratische Links Partei (DSP) von Ministerpräsident Ecevit 136, die Nationalistische Bewegungspartei (MHP) 129, die Tugendpartei (FP) 111, die Mutterlandspartei (ANAP) 86 und die Partei des Rechten Wegen (DYP) 85 Sitze im Parlament. Die aktuelle Sitzverteilung der 550 Parlamentarier im türkischen Parlament sieht dagegen folgendermaßen aus (Stand: 29. Mai): DSP: 128 Sitze, MHP: 126 Sitze, DYP: 85 Sitze, ANAP: 79 Sitze, AKP: 53 Sitze, SP: 48 Sitze, TDP: 3 Sitze, BBP: 1 Sitz, Unabhängige: 14 Sitze und nicht besetzte Mandate: 13. Nach den letzten Wahlen waren fünf Parteien im Parlament vertreten, durch Abspaltung und Neugründungen nach dem Verbot der Tugendpartei sind es jetzt 8 Parteien. Die meisten Abgeordneten haben die DSP und die ANAP im Laufe der Legislaturperiode verloren.
Gründe für die Parteienzersplitterung
Es gibt natürlich mehrere Gründe für die dargestellte Zersplitterung türkischer Parteien. Grundlegend ist, dass die türkische Parteienlandschaft keine historisch gewachsenen starken Volksparteien kennt. Dies liegt nicht zuletzt auch an den drei Militärputschen, die die Parteienlandschaft umpflügten. Der Wahlerfolg türkischer Parteien war schon immer in der 80-jährigen Geschichte der Republik weit abhängiger von starken Politikerpersönlichkeiten als von überzeugenden Parteiprogrammen. Da der Zusammenhalt der Parteien von Politiker-Persönlichkeiten abhängig ist, ist eine Partei natürlich dann besonders gefährdet, wenn das Charisma ihres Parteivorsitzenden nachlässt oder Schaden nimmt. Trotzdem bleibt der Parteivorsitzende bis zu seinem Rücktritt oder Sturz (sehr selten) unumschränkter Herrscher.
Diejenigen in der Partei, die sich vom omnipotenten Parteivorsitzenden übergangen oder verfolgt fühlen, treten aus der Partei aus oder wechseln zu einer anderen Partei. Fraktionswechsel von Abgeordneten sind in der Türkei an der Tagesordnung und es gibt nicht wenige Parlamentarier, die schon beinahe in allen Parteien Mitglied waren.
Weil im Augenblick die parlamentarische Zukunft der Regierungsparteien höchst unsicher ist (10%-Klausel), verlassen natürlich Abgeordnete auch ihre Partei, weil sie um ihre Wiederwahl fürchten und sich bei einer anderen Partei bessere Chancen erhoffen.
Eine solche Struktur und Praxis verhindert nicht nur eine nachhaltige Politik, sondern macht Parlamentarier-Transfers zu einem Machtspiel. Denn wenn z. B. die MHP noch drei Abgeordnete von anderen Parteien gewinnen würde, wäre sie anstelle der DSP die stärkste Fraktion und könnte das Amt des Ministerpräsidenten für sich fordern.
Da in der Türkei vom Instrument des Parteienverbots recht häufig Gebrauch gemacht wird, wobei die Gründe für Verbote rechtlich oft fragwürdig sind, bleibt den betroffenen Abgeordneten natürlich keine andere Möglichkeit, als einer anderen Partei beizutreten oder eine neue Partei zu gründen. So hat z.B. das Verbot der islamischen Tugendpartei (FP), die immerhin mit 111 Abgeordneten bei der letzten Wahl ins Parlament gewählt wurde, dazu geführt, dass sich als Nachfolger zwei Parteien gründeten, nämlich die Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) Recep Tayyip Erdogans und die Glückseligkeitspartei (SP).
Die z.Zt. 14 unabhängigen Abgeordneten im türkischen Parlament sind natürlich nicht als unabhängige Abgeordnete gewählt worden, sondern haben aufgrund von Streitigkeiten mit ihren Parteioberen ihren Austritt erklärt. Diese Abgeordneten sind natürlich auch besonders von den anderen Parteien umworben. In einer Parteienlandschaft dagegen, in der Parteien programmatisch ausgerichtet sind, führen persönlicher Zwist oder Meinungsverschiedenheiten mit dem Parteivorsitzenden und anderen Repräsentanten der Partei nicht automatisch zu einem Austritt, weil man sich weiterhin mit den Grundidee seiner Partei identifiziert.
Das türkische Parteiengesetz
Nach dem Parteiengesetz müssen sich bei der Neugründung einer Partei 30 Personen, die die Voraussetzungen des passiven Wahlrechts erfüllen, zusammenfinden. Die Parteizentrale muss in Ankara sein und der Antrag auf Genehmigung der Partei muss beim Innenministerium eingereicht werden. Dazu bedarf es dann natürlich auch einer Satzung. Darüber hinaus ist nicht besonders viel für eine Parteineugründung erforderlich. Zur Erzielung eines Wahlerfolgs benötigen die Parteien jedoch funktionierende Parteiorganisationen in den 82 Gouverneursbezirken und Unterbezirken. Diese landesweite Parteistruktur existiert allerdings nur bei den türkischen Parteien, die bisher schon im Parlament vertreten sind und bei der CHP, die bei der letzten Wahl knapp an der 10%-Klausel scheiterte.
Die aktuellen Umfrageergebnisse
Nach den Umfrageergebnissen der letzten Zeit würde bei einer vorgezogenen Neuwahl lediglich die neu gegründete Partei des ehemaligen Oberbürgermeisters von Istanbul Recep Tayyip Erdogan, die Fortschritts- und Entwicklungspartei (AKP), sowie die Partei des Rechten Weges (DYP) und die Republikanische Volkspartei (CHP) in das Parlament gewählt werden. Alle anderen Parteien, insbesondere die Regierungsparteien DSP, MHP und ANAP würden nach diesen Umfragen unter der 10% Hürde liegen und nicht mehr ins Parlament gewählt werden. Ob bei einer Neuwahl ein solches Ergebnis wirklich realistisch wäre, muss bezweifelt werden, da ein großer Prozentsatz der Befragten unentschlossen ist und diese letztlich ihrer bisher gewählten Partei doch wieder ihre Stimme geben könnten.
Trotzdem lassen sich aus diesen Ergebnissen gewisse Tendenzen erkennen. Zum einen wird mit Recep Tayyip Erdogan anscheinend ein Politiker bevorzugt, der in seiner Zeit als Istanbuler Oberbürgermeister auf eine erfolgreiche Politik verweisen kann. Seine Partei liegt in den Unfragen bei ca. 20%. Da er aber in der nationalen Politik neu ist, kann man ihn z.B. nicht für die schwere Wirtschaftskrise verantwortlich machen. Zum anderen scheint sich bei einer Neuwahl eine ausgeprägte Protestwahl anzubahnen, in der die Wähler alle Politiker und Parteien der letzten 20 Jahre abstrafen. Gegen Erdogan laufen allerdings verschiedene staatsanwaltliche Verfahren mit dem Ziel, ihm die Kandidatur für das Parlament und/oder die Tätigkeit als Parteivorsitzender zu verbieten. Der Grund für diese rechtsstaatlich fragwürdigen Verfahren liegt in der Gefahr seiner Partei für alle übrigen Parteien. Seine Partei ist moderat islamisch, konservativ, mitte-rechts, spricht also auch wichtige Wählerschichten der ANAP und der DYP an.
Eine weitere Partei, die seit kurzem für Furore sorgt, ist die Demokratische Türkeipartei (DTP) - eine Abspaltung von der DYP -, die mit ihrem neuen Parteivorsitzenden Mehmet Bayar einen jungen, eloquenten Politiker vorweisen kann. In diese Partei ist nun auch der Oberbürgermeister von Ankara, Melih Gökçek (früher ANAP), eingetreten, und insbesondere Gökçek ist in den letzten Wochen sehr oft in den türkischen Medien präsent und stellt das Programm der Partei sehr überzeugend dar.
Fazit
Sicher ist, je länger die Regierungskoalition hält, und je schneller die Wirtschafts- und Finanzkrise in der Türkei überwunden werden kann - in den letzten Monaten sind hoffnungsvolle Entwicklungen feststellbar -, um so mehr wird dies den etablierten Parteien zugute kommen. Eine kurzfristige Neuwahl wird sicherlich neuen Parteien eher eine politische Chance eröffnen, v.a. dann, wenn die 10%-Klausel gesenkt werden sollte, worüber auch spekuliert wird.
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