보고서
Als am 19. Mai - nach mehrmaliger Verlängerung um insgesamt fünf Stunden - die Wahllokale im Iran geschlossen wurden, da zeichnete sich bereits nach ersten Umfragen ein deutlicher Vorsprung des Amtsinhabers Hassan Rohani ab. Die Wahlbeteiligung war mit gut 73 Prozent ausgesprochen hoch: Von den 56,41 Millionen Wahlberechtigten hatten somit 41,22 Millionen Wähler ihre Stimme abgegeben. Allein in der iranischen Hauptstadt Teheran votierten 5,7 Millionen Iraner, nachdem sich bei den letzten Präsidentschaftswahlen dort nur 2,3 Millionen Wähler beteiligt hatten.
Mit 23.549.616 Stimmen erreichte Präsident Rohani einen Stimmenanteil von 57,13 Prozent. Sein wichtigster Konkurrent, der konservative Kleriker Ebrahim Raisi, lag mit 15.786.449 Stimmen und einem Stimmenanteil von 38,30 Prozent weit abgeschlagen zurück. Damit hat sich Rohani nochmals erheblich zu seinem Wahlerfolg von 2013 gesteigert, wo er 50,71 Prozent und 18.613.329 Stimmen erreicht hatte.
Die beiden weiteren im Rennen um das Präsidentenamt verbliebenen Kandidaten, Mostafa Mir-Salim und Mostafa Hashemitaba spielten mit 1,16 und 0,52% Stimmenanteil praktisch keine Rolle mehr.
Dieser „Zweikampf“ zwischen Rohani und Raisi war dadurch zustande gekommen, dass zwei weitere, der insgesamt nur sechs vom Wächterrat zugelassenen Kandidaten, zugunsten von Rohani bzw. Raisi ihre Kandidatur kurzfristig niedergelegt hatten. So beendete der Bürgermeister von Teheran, Mohammad Bagher Ghalibaf, am 15. Mai seine eigene Kandidatur und unterstützte fortan aktiv die Wahlkampagne von Herausforderer Raisi, während Rohanis Vize-Präsident Eshagh Jahangiri am 16. Mai zugunsten von Präsident Rohani aus dem Rennen schied. Auch der dritte, dem Reformerlager zugerechnete Kandidat, Mostafa Hashemitaba, rief am 15. Mai zur Wiederwahl Rohanis auf, verzichtete aber dennoch nicht auf die Fortsetzung seiner eigenen Kandidatur. Schon im Jahr 2001 war der ehemalige Vizepräsident und Industrieminister Hashemtiaba als Gegenkandidat von Chatami angetreten und damals auf den zehnten Platz gekommen.
Da im Iran ein Präsident nur zwei Amtszeiten in Folge ableisten kann, ist die Kandidatur von eigentlich aussichtslosen Kandidaten immer auch Gesichtspflege. Im Falle von Ghalibaf, der bereits zum dritten Mal kandidierte, zeigt sich, welch langer Atem und wieviel Frustrationstoleranz hierfür erforderlich sind.
Wahlkampf: historische Aufarbeitung ohne Tabus
Schon im hitzig geführten Wahlkampf, der auch medial durch drei große Fernsehdebatten mit allen sechs Kandidaten inszeniert worden war, hatte sich die Zuspitzung auf die beiden Hauptkandidaten herauskristallisiert und der Lagerwahlkampf war auf beinahe unvorstellbare Weise eskaliert.
Ein Grund hierfür war die auch öffentlich äußerst kontrovers diskutierte Rolle von Raisi bei den Massenhinrichtungen von politischen Gefangenen nach dem Ende des Krieges gegen den Irak im Jahre 1988. Raisi war als einer von vier Richtern, eines später als „Todeskommittee“ bekannten Gremiums, für die Hinrichtung Tausender Oppositioneller zuständig gewesen. Amnesty International bezifferte die Zahl der Opfer der über fünf Monate andauernden Hinrichtungswelle auf über 4.000 Personen.
Dieses düstere Kapitel gilt bis heute als die schwärzeste Episode der Islamischen Republik und hat die Geschicke des Landes bis heute nachhaltig negativ beeinflusst. Schon der von Revolutionsführer Ruholla Chomeini zu seinem Nachfolger im Amt des Obersten religiösen Führers ausersehene Hossein Ali Montazeri wurde aufgrund seiner Kritik an den Massenhinrichtungen kaltgestellt. Erst sieben Jahre nach dem Tode Montazeris, bis heute eine Ikone der Menschenrechts- und Reformbewegung im Iran, hatte sein Sohn Ahmad 2016 die 40-minütige Protestrede seines Vaters aus dem Jahr 1988 online gestellt und war hierfür im August 2016 zu 21 Jahren Haft verurteilt worden.
Das vor bald 30 Jahren begangene Unrecht und die aktuellen Hinrichtungen und Repressionen – sie gerieten im Wahlkampf zu einer starken Herausforderung für die Hardliner und bildeten ein überraschend wichtiges Fundament für die Kooperation zwischen moderaten und reformorientierten Kräften. Zwar hatte sich Präsident Rohani schon vor vier Jahren im Wahlkampf für eine politische Liberalisierung ausgesprochen, den Widerstand des Hardlinerlagers aus oberstem Führer, Justiz und Sicherheitsorganen gegen eine Öffnungspolitik aber nicht brechen können. Die Zahl der Hinrichtungen hatte sogar in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Die wichtigen Führer der grünen Bewegung und Präsidentschaftskandidaten von 2009 – Mir Hossein Moussawi und Mehdi Karoubi – stehen zudem seit Jahren weiterhin unter Hausarrest. Der bis heute als „Reformpräsident“ hoch angesehene Mohammad Chatami darf in den Medien nicht einmal mehr namentlich genannt werden.
Dabei war es Chatamis überraschende Wahl im Jahr 1997, die vor 20 Jahren im In- und Ausland überaus große Hoffnungen auf liberale Reformen im Iran geweckt hatte.
Die Wiederwahl Rohanis war – wie auch schon seine erste Wahl im Jahr 2013 - sowohl von Chatami als auch von Moussawi und Karoubi öffentlichkeitswirksam unterstützt worden und ihre Stimmabgabe zugunsten des Konsens-Kandidaten von Reformern und Moderaten Kräften wurde am 19. Mai 2017 in den Medien prominent berichtet.
Wenngleich der Wahlkampf und die hiermit verbundenen überschwänglichen Versprechungen und Erwartungen nicht überbewertet werden sollten, so macht die neue Rhetorik doch deutlich, welch ein tiefgreifender Prozess im Iran bereits in Gang gekommen ist: Die ehrliche Aufarbeitung der Revolution bereitet den Boden für eine Änderung der politischen Kultur, die notwendig erscheint, um langfristig auch die heute bereits rund 70 Prozent der jungen Menschen im Iran zu erreichen, die erst nach der Revolution von 1979 geboren wurden.
Reaktoren, Reformen und Raketen
Wenngleich der Wahlkampf sich sehr stark auf die innenpolitischen Reformen fokussierte und die Auftritte von Rohani gerade von vielen jungen Frauen mit viel Sympathie begleitet wurden, so war dieses Thema jedoch nicht dominierend.
Viel stärker im Vordergrund stand der Atomdeal, in dem Iran sich zum deutlichen Rückbau seines Nuklearprogramms verpflichtet hatte. Dieser große diplomatische Erfolg der Regierung von Präsident Rohani war sein besonderer „Amtsbonus“ und wie schon im Jahre 2013 verband er dieses äußerst sensible Thema auch im Wahlkampf 2017 mit zwei weiteren - für die Zukunft des Landes existentiellen - Fragestellungen:
Das umstrittene Nuklearprogramm hatte insbesondere unter Rohanis radikalem Vorgänger im Präsidentenamt, Mahmud Ahmadinedschad, zu einer zunehmenden Isolation des Landes geführt. Den Iran in die Völkergemeinschaft zurück zu führen und durch eine glaubhaft auf Vertrauensbildung setzende Verhandlungsstrategie die Gefahr eines militärischen Schlages gegen das Atomprogramm zu reduzieren, war für viele Iraner ein echter Durchbruch in den diplomatischen Beziehungen ihres Landes. Das Präsident Rohani die Glaubwürdigkeit seines Landes als hohes Gut sieht, machte er auch im Wahlkampf deutlich, als er scharf kritisierte, dass im Jahr 2016 bei zwei Raketentests im Iran die Raketen die Aufschrift „Israel muss ausradiert werden“ erhielten. Auch diese Kritik an dem militärischen Apparat war ein weiterer Tabubruch der Rohani-Kampagne, der gerade im Westen aufmerksam beobachtet wurde.
Die Atomdeal-Dividende – die Aufhebung der harten wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Iran hatte zudem zu wirtschaftlichem Wachstum von 6,4 Prozent, einem deutlichen Rückgang der Inflation von 35 auf 8,6 Prozent und zu einer Wiederbelebung der Handelsbeziehungen geführt und den iranischen Markt für internationale Handelspartner geöffnet. Zwar wurde von Raisi und Ghalibaf kritisiert, dass nur ein kleiner Teil der Gesellschaft von der Politik Rohanis profitiert habe – Ghalibaf sprach von einer Politik für nur „vier Prozent“ der Bevölkerung, aber tatsächlich profitierte gerade das wirtschaftlich sehr bedeutsame Hardlinerlager: von rund 110 Wirtschaftsabkommen, die Iran nach dem Atom-Deal geschlossen hat, sollen etwa 90 dem Wirtschaftsimperium der Revolutionsgarden und des Religiösen Führers nutzen – ein Volumen von immerhin rund 80 Mrd. US-Dollar.
Zugleich stieg aber die Arbeitslosigkeit auf über 12 Prozent an und insbesondere die Jugend und Hochschulabgänger sind in hohem Maße hiervor betroffen. Dass Rohani dennoch gerade bei den jungen Wählern erheblich beliebter als sein konservativer Herausforderer war, machte deutlich, dass die Wähler in wirtschaftlicher Hinsicht keine Wunder erwarteten und die diesbezüglichen populistischen Versprechungen Raisis diesem daher wenig nutzten.
Keine Abstimmung über die Nachfolge Chameneis
Erhebliche Auswirkungen dürfte die Wahl auf die Suche nach einem Nachfolger für den 77jährigen obersten religiösen Führer Chamenei haben. Raisi war schon im Wahlkampf als ein möglicher Nachfolger genannt worden und ein Wahlerfolg hätte die öffentliche Wahrnehmung und Positionierung von Raisi in dieser Hinsicht sicherlich sehr befördert.
Auch wenn seine krachende Wahlniederlage keinesfalls ein Aus für die Perspektive auf den Posten des Religionsführers bedeutet - selbstverständlich ist diese Perspektive auch nicht mehr.
Raisi ist Mitglied im 88-köpfigen Expertenrat, der den Nachfolger Ali Chameneis bestimmen wird und auch nach den letzten Expertenratswahlen im Februar 2016 weiterhin von konservativen Kräften dominiert wird. Zudem ist der hochrangige Kleriker, der als Nachfolger Mohammeds den schwarzen Turban trägt, im Jahr 2016 von Chamenei zum Leiter der mächtigen Astane-Ghods-Rasawi-Stiftung in der iranischen Pilgerstadt Mashhad im Nordostiran ernannt worden. Der Einfluss des 56jährigen darf mithin nicht unterschätzt werden.
Doch das von Ruholla Chomeini nach der Revolution für die Islamische Republik installierte System der Religiösen Herrschaft – Welayat-e Faghih – stand schon nach dem Tode Ruhollah Chomeinis vor der Herausforderung einer notwendigen Reform, da die religiöse Autorität von Ali Chamenei für seine Kritiker nicht ausreichend schien, um dieses Amt, das die wichtigste Säule des Staatswesens bildet, auszufüllen. Alternative Konzepte, die ein mehrköpfiges Gremium vorsahen, setzten sich im Jahre 1989 jedoch nicht durch.
Ali Chamenei, dem die Legitimierung und Stabilisierung des Systems durch eine möglichst breite Partizipation der Bevölkerung wichtig erscheint, hat dies auch in seiner Botschaft nach der Wiederwahl von Präsident Rohani deutlich zum Ausdruck gebracht:
„Der Sieger der gestrigen Wahlen seid Ihr, das iranische Volk, sowie das islamische Establishment, das das wachsende Vertrauen dieser großen Nation, trotz der gegnerischen Anstrengungen, gewonnen hat.“
Die Legitimität des Systems verlangt aber von diesem „islamischen Establishment“ einen Kurs des Kompromisses und der breiten Teilhabe der Bevölkerung an der politischen Macht. Der Wahlerfolg von Präsident Rohani stärkt daher den langsamen, aber seit 1997 – trotz aller Rückschläge – unaufhaltsamen Prozess hin zu demokratischen Reformen im Iran.
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