보고서
Nach dem überragenden Wahlsieg vom November 2002 formulierte die AKP (Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei) in ihrem Regierungsprogramm und ihrem kurzfristigen Aktionsplan folgende wirtschaftspolitische Hauptzielsetzungen: Makroökonomische Stabilität, Mikroökonomische Liberalisierung und Öffnung nach außen. Obwohl der Wahlausgang insbesondere von den türkischen Finanzmärkten durchweg positiv bewertet wurde, macht sich nach acht Monaten AKP-Regierung zumindest bei einigen Wirtschaftsakteuren langsam Ernüchterung, wenn nicht sogar Enttäuschung breit. Bisher konnten die anvisierten grundlegendsten wirtschaftlichen Reformen nicht umgesetzt werden, doch spricht einiges für eine deutliche Verbesserung des Wirtschaftsklimas.
Dies beweist auch eine Umfrage der türkischen Zentralbank unter ca. 500 türkischen Firmen. Die Firmen haben eine merkliche Verbesserung der Inlands- und Auslandsnachfrage nach Gütern zu verzeichnen. Zudem konnten sie ihre Produktionskapazitäten in den letzten Monaten soweit auslasten, dass man schon wieder an Neueinstellungen in der Nahen Zukunft denkt. Die Unzufriedenheit ist sicherlich mit der Ungeduld vieler zu erklären, die sich auch kurzfristig merkliche Verbesserungen erwartet hatten und mit der prinzipiellen Neigung der türkischen Medien, Entscheidungen der neuen Regierung überwiegend negativ zu kommentieren.
Die aktuelle Wirtschaftsituation in der Türkei
Durch den Zusammenbruch des türkischen Bankensystems im Frühjahr 2001 geriet die türkische Wirtschaft in ihre schwerste Krise der letzten Jahrzehnte. Viele Privatbanken, aber auch staatliche Banken hatten über Jahrzehnte hinweg unökonomisch gewirtschaftet. Einige Privatbankiers hatten ihre Banken sogar zum eigenen Vorteil geplündert oder zumindest fragwürdige und verbotene Kredite an eigene Firmen vergeben. Dadurch kam es zu einem geschätzten Verlust von ca. 15 Milliarden USD. Der türkische Staat ist seither mit der Neuordnung des Bankensystems beschäftigt und die Bankenkontrollbehörde hat sehr strenge Auflagen geschaffen, nach denen die Banken kontrolliert werden. Trotzdem sind die Auswirkungen der Krise immer noch zu spüren und dem Bankensektor geht es nach wie vor sehr schlecht.
Nach Ausbruch der Wirtschaftskrise wurde der Kurs der türkische Lira frei gegeben und das bis dato praktizierte System der festen Wechselkurse wurde aufgegeben. Seither hat die türkische Lira gegenüber Euro und Dollar erheblich an Wert verloren, was zumindest dem türkischen Exportaufkommen zugute kam. Dadurch konnte auch das chronische Außenhandelsdefizit der Türkei abgeschwächt werden.
In den letzten Monaten jedoch gewann die türkische Lira ungewöhnlich an Wert und der Wechselkurs von TL zu Euro und Dollar ist so stark wie zuletzt vor 14 Monaten. Obwohl die türkische Zentralbank insgesamt Stützungsverkäufe von Devisen im Wert von ca. 1 Milliarde Dollar getätigt hat, konnte diese Entwicklung bisher noch nicht aufgehalten werden. Die politisch Verantwortlichen werten diese Entwicklung als positives Zeichen, doch einige Wirtschaftsakteure schlagen Alarm, da man Spekulanten hinter dieser Entwicklung vermutet. Unter anderem stünden Ende Juni 2003 die Jahresabschlüsse türkischer Banken an und mit einer starken Türkischen Lira könnten die Bilanzen natürlich positiver dargestellt werden. Des weiteren komme dem türkischen Schatzamt eine starke Lira gelegen, da für sie die anstehenden Kreditrückzahlungen im Inland auf Devisenbasis billiger würden.
Die türkische Zentralbank
Die türkische Zentralbank, die erst im Jahre 2001 ihre Unabhängigkeit erreichte, wird von allen Seiten kritisiert. Der Vorwurf lautet, dass sie sich trotzt andauernder Wertsteigerung der türkischen Lira erst vor kurzem zur Senkung der Leitzinsen um 3% durchringen konnte. Dabei werfen sich Industrie und Politik gegenseitig vor, dass sie Druck auf die Zentralbank ausüben würden. Industrieminister Ali Çoşkun merkte an, dass „die Zentralbank mit der Leitzinsensenkung zu spät reagiert hat“. Er merkte des weiteren an, dass die Politik nicht daran denke, die Unabhängigkeit der Zentralbank zu beschneiden, da eine unabhängige Zentralbank große Vorteile besäße. Jedoch verwies er auch darauf, dass die Entscheidung zur Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank wohl zu früh gefallen sei. Zentralbankchef Serdengeçti hingegen wies alle Vorwürfe zurück und stellte klar, dass für die türkische Zentralbank die Preiswertstabilität Vorrang vor allen anderen makroökonomischen Zielen habe. Es bleibt fraglich, ob die türkische Zentralbank schon den Grad der Unabhängigkeit erreicht hat wie europäische Zentralbanken.
Die wichtigsten Strukturprobleme der türkischen Wirtschaft
Neben dem Außenhandelsdefizit leidet die türkische Wirtschaft insbesondere an einer chronischen Inflation, wobei diese nach jährlichen Raten zwischen 90 - 100% in den 90-er Jahren im letzten Jahr nur noch 35% betrug und in diesem Jahr auf 20% gedrückt werden soll. Daneben stellt insbesondere die Schuldenlast der öffentlichen Hand das Hauptproblem dar. In den letzten Jahrzehnten betrieb die türkische Politik des öfteren anstelle langfristiger, auf Budgetausgleich basierender Wirtschaftpolitiken eine stellenweise unverantwortliche Schuldenpolitik. Die Verschuldungstendenz war dann noch begleitet von Verschwendungssucht der öffentlichen Hand, Missmanagement und Ausgaben für unrentable Prestigeobjekte. Zudem ist der türkische Staat noch immer der größte Arbeitgeber, und viele unrentable Staatsbetriebe verschlingen Unsummen an Subventionen. Mit dem rigiden Sparhaushalt der neuen Regierung wird nun versucht, all dieser Probleme Herr zu werden. Und trotzdem wird über 60% des diesjährigen Staatshaushaltes für die Schulden- und Zinstilgung verwendet.
Wirtschaftspolitische Absichten der neuen Regierung
In der neusten Absichterklärung der türkischen Regierung an den IWF werden folgende Hauptziele definiert:
- Inflationsrückgang im Jahr 2003 auf 20% und Wirtschaftswachstum von 6,5 %.
#Reform der öffentlichen Finanzen und Reform des öffentlichen Sektors.
#Reduzierung der Schuldenlast, wobei die türkische Zentralbank sich weiterhin dazu verpflichtet, ausreichende Devisenreserven zu halten und die Transparenz der staatlichen Politik dadurch hergestellt werden soll, dass dem Parlament alle drei Monate ein Bericht über die Schuldenpolitik vorgelegt wird.
#Zur Einhaltung des Inflationsziels rigide Geld- und Devisenpolitiken.
#Stärkung der Rolle des Privatsektors.
Des weiteren gab es in der Türkei bisher einen Fuhrpark von ca. 250.000 Dienstwagen. Ein großer Teil dieser Fahrzeuge soll nach und nach ebenfalls veräußert werden.
Daneben hat die Regierung ein umstrittenes Steuerfriedensgesetz beschlossen, wonach sich Steuerflüchtige durch Selbstanzeige ohne juristische Folgen zur Nachzahlung von Steuern verpflichten. Dies wurde von vielen Firmen und Einzelpersonen mittlerweile wahrgenommen und hat zu zusätzlichen Steuereinnahmen geführt. Da ca. 50% der türkischen Wirtschaft in die Schattenwirtschaft abgewandert ist, war dies eine erste erfolgreiche Maßnahme, der noch weitere folgen sollen. So soll z. B. zukünftig die Besteuerung einfacher und durch weniger Steuerarten geregelt werden; dadurch verspricht man sich auch eine Zunahme von Firmenneugründungen und Investitionen. Folgen soll ebenso ein umfangreiches Kreditprogramm für KMUs, ein vernachlässigter Sektor, der trotzdem sehr erfolgreich wirtschaftet.
Zudem wurde nach langen Verhandlungen ein neues Arbeitsgesetz verabschiedet, welches nicht nur die Vertragspartnerschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern auch die Kündigungsmodalitäten neu regelt. Diese Reform des Arbeitsgesetzes ist auch im Rahmen der EU-Harmonisierung der Türkei zu sehen. Neben der o.g. verstärkten Privatisierung soll ein weiterer Subventionsabbau insbesondere im Agrarsektor folgen. Dies sind nur einige Beispiele, die aber deutlich machen, dass die neue Regierung und auch die Opposition gewillt sind, wirtschaftliche Strukturprobleme mittelfristig zu lösen.
Als weiteres Beispiel sei die parlamentarische Veruntreuungskommission genannt, deren Vorsitzender ankündigte, dass in den nächsten Wochen und Monaten mindestens fünf unterschiedliche parlamentarische Untersuchungskommissionen eingerichtet werden sollen, um Veruntreuungen, Bestechungen, fragliche Ausschreibungen etc. der vergangenen Jahre ans Tageslicht zu bringen. Die türkische Öffentlichkeit werde sich sehr wundern, wer sich dort alles zu verantworten habe, so die Aussage des Vorsitzenden. Dies ist eine geeignete Maßnahme, um neben den strukturellen Veränderungen in der Wirtschaftspolitik auch verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
Zukunftsaussichten der türkischen Wirtschaft
Die türkische Regierung hat sich gemeinsam mit der Opposition für eine grundlegende Verbesserung der Wirtschaftsbedingungen in der Türkei ausgesprochen. Natürlich sind Verbesserungen nicht kurzfristig, sondern eher mittel- und langfristig durchzusetzen. Und dies ist wohl das Hauptproblem in der Türkei, da man vieler Orts ungeduldig ist und sich kurzfristig Verbesserungen wünscht. Zudem besitzt die neue Regierung noch lange nicht das Vertrauen in den türkischen Medien, das die Vorgängerregierung besaß, da sie eine durchgehend negative Presse hinsichtlich ihrer politischen Entscheidungen zu beklagen hat. Auch in der Wirtschaftspolitik scheint die neue Regierung aber eine neue Phase eingeläutet zu haben und es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich die wirtschaftliche Situation in der Türkei grundlegend bessert.
Wenn es zu keiner unvorhersehbaren Wirtschaftskrise kommt, ist ein Erfolg der neuen Regierung in der Wirtschaftspolitik absehbar. Sie ist als Einparteiregierung mit fast zwei Drittel Mehrheit im Parlament in der glücklichen Lage, ohne faule Kompromisse gegenüber Koalitionspartnern ihr Wirtschaftsprogramm durchziehen zu können. Vorgängerregierungen bestanden immer aus zwei oder drei Koalitionspartnern mit oftmals sehr unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung, weshalb sie sich bei wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen gegenseitig blockierten. Auch in der Wirtschaftspolitik spricht vieles dafür, das die AKP entgegen den Befürchtungen vieler zum treibenden Motor grundlegender positiver Strukturveränderungen in der Türkei wird.
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