Keine Frage, „es ist einfach, in ruhigen Zeiten demokratisch zu regieren“, aber die Lage sei komplizierter geworden. Die Demokratie werde auf die Probe gestellt, analysiert Bolaffi. Wie wehrhaft und stabil die bundesdeutsche Demokratie ist, davon hänge vieles ab, warnt der italienische Professor für politische Philosophie. Denn „viele behaupten: Das ganze Europäische basiert auf einem stabilen Deutschland, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kultur.“
Doch auch in Deutschland müsse sich die Demokratie heute beweisen: Parteipolitisches Engagement beispielsweise gehe stark zurück, bemerkt der ehemalige Bundestagspräsident Lammert: In Deutschland sei die Anzahl von Parteimitgliedern „überschaubar“ geworden, von 2,5 Millionen Wahlberechtigten mit Parteibuch in den 80er Jahren seien gerade einmal 1,2 Millionen übrig, so Lammert. Und trotzdem „funktionieren die politischen Parteien irgendwie immer noch“ in der Bundesrepublik, findet Bolaffi und fügt hinzu: „Wie die demokratischen Parteien aufgebaut sind, könnte ein Modell für Europa werden.“
„Krise des Westens“…
Doch eines wird hoffentlich kein Vorbild für den gesamten Kontinent: die „italienische Innovation“, wie Lammert die Regierungskoalition zwischen der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtspopulistischen Lega nennt. Was diese beiden Lager eine, sei die Ablehnung des europäischen Integrationsprozesses, so Lammert.
Als ein grundlegendes Problem machten sowohl Lammert als auch Bolaffi die Wahrnehmung der Menschen aus. In Italien fühlen sich die Menschen allein gelassen, sie haben „keinen Glauben an die Zukunft, es wird alles genommen als sei es das Schicksal, dass wir nicht beherrschen“ können, so Bolaffi.
Für Bolaffi ist die ungewöhnliche italienische Regierungskonstellation auch Symptom einer größeren Entwicklung, die in einer Reihe mit Donald Trump und dem Brexit stehe: Er sieht eine „Krise des Westens“.
... und trotzdem „kontinuierlicher Anstieg in der Zustimmung zu Europa“
Das geeinte Europa sei Bolaffi zufolge unter der sowjetischen Bedrohung und der US-amerikanischen Hegemonie entstanden. Doch diese beiden Bedingungen seien weggefallen und „jetzt stellen die Amerikaner sogar die transatlantische Allianz in Frage“. Ein Grund mehr für Deutschland, eine tragende Rolle zu übernehmen, aber nicht als neuer Hegemon, so Bolaffi: Die Bundesrepublik kann „Beispiele geben, zeigen, beraten.“
Für den europäischen Integrationsprozess ist das nach der Brexit-Entscheidung umso wichtiger. Zunächst habe es „heiliges Entsetzen gegeben“, so Lammert, doch der befürchtete Dominoeffekt ist nicht eingetreten. Ganz im Gegenteil: Seit Juni 2016 gibt es einen „kontinuierlichen Anstieg in der Zustimmung zu Europa quer durch die EU-Mitgliedstaaten“, so Lammert. Auch deswegen seien die Wahlen zum nächsten Europäischen Parlament richtungsweisend: „Die nächste Wahl ist eine Entscheidungswahl“, so Bolaffi.
Vor der Diskussion von Bolaffi und Lammert hat sich Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel für eine veränderte Debattenkultur in Deutschland ausgesprochen. Anlässlich des Tages der Konrad-Adenauer-Stiftung warb sie für einen anderen, einen respektvolleren Umgang miteinander - insbesondere in den sozialen Medien. Sie beobachte etwa bei Twitter aber auch in anderen Kanälen einen „weit verbreiteten Drang“ nur die eigene Meinung und extreme Standpunkte ins Schaufenster zu stellen. Lesen Sie hier die Zusammenfassung.
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