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KAS/Marie-Lisa Noltenius

행사 보고서

Eine Schule der Demokratie

Dr. Judith Michel, Dr. Kathrin Zehender

Veranstaltungsbericht „30 Jahre erste freie Volkskammerwahl - Die CDU/DA-Fraktion und ihre Bedeutung für den deutschen Einigungsprozess"

Am 18. März 1990 trat die einzige frei gewählte Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik zusammen. Sie leistete einen außerordentlichen Beitrag zur deutschen Einigung und zur Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Im Demokratisierungsprozess kam der CDU/DA-Fraktion als stärkster Kraft in der damaligen Volkskammer eine besondere Rolle zu. In Kooperation mit dem Verein von Mitgliedern der ehemaligen CDU/DA-Fraktion der Volkskammer erinnerte die Konrad-Adenauer-Stiftung an dieses Ereignis.

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Aufzeichnung der Veranstaltung vom 16.06.2021

Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Professor Dr. Norbert Lammert, würdigte in seiner Einführung die erste freie Volkskammerwahl als deutlichen demokratischen Neubeginn mit der höchsten Wahlbeteiligung in der Geschichte freier Wahlen in Deutschland. Die „Art der Überwindung des autoritären DDR-Staatssystems“ sei dabei „ebenso beispiellos wie beispielhaft“ gewesen. „Einen vergleichbaren Vorgang hat es in der europäischen Geschichte nie gegeben – und es hätte ihn auch nicht gegeben, wenn es die Volkskammer nicht gegeben hätte.“

In ihrem Festvortrag dankte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel der Konrad-Adenauer-Stiftung dafür, auf der Veranstaltung bestanden zu haben, die ursprünglich im März 2020 hätte stattfinden sollen und aufgrund der COVID-19-Pandemie abgesagt werden musste, denn „sie ist unbedingt notwendig“. Die Bundeskanzlerin hob hervor, dass die 10. Volkskammer ohne den 17. Juni 1953 nicht denkbar sei, als der Arbeitskampf zum politischen Aufstand in der DDR geworden sei. Anders als 1953 wurde der Freiheitsimpuls 1989/90 nicht niedergeschlagen. Die Bürgerinnen und Bürger konnten sich nun in einer friedlichen Revolution die Freiheit erkämpfen. Die Volkskammerwahl stellte schließlich ein klares Plebiszit für die Einheit und Freiheit dar.

Mit ihren Gesetzen und Beschlüssen habe die Volkskammer quantitativ und qualitativ eine unglaubliche Leistung gebracht. Die drei Staatsverträge, die Grundlage für die deutsche Einheit wurden, hätten das denkbar Beste dargestellt, was in der Kürze der Zeit zu erarbeiten gewesen sei. Merkel, die damals stellvertretende Sprecherin der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière war, erinnerte sich: „Wir alle damals haben die gut sechs Monate seit der Volkskammerwahl wie eine Art Ausnahmezustand erlebt.“ Am 2. Oktober 1990 war das Ziel dann erreicht. „Sich selbst innerhalb von sechs Monaten gleichsam neu zu erfinden, um sich wieder abzuschaffen, ohne genau zu wissen, wie es für den Einzelnen weitergehen sollte – das war etwas, das vermutlich niemanden von uns kalt ließ (…). Mich jedenfalls berührte dieser Moment sehr.“ Mit der deutschen Einheit war der Demokratisierungsprozess keinesfalls abgeschlossen, generell sei die Demokratie „nie ein abgeschlossener Prozess“. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger weiter bereit seien, Verantwortung zu übernehmen und kompromissbereit zu sein, bleibe die Demokratie lebendig.

Im Anschluss gab Dr. Bettina Tüffers von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Einblicke in die Zusammensetzung und Arbeitsweise der CDU/DA-Fraktion der 10. Volkskammer. Die CDU/DA-Fraktion sei „die Fraktion der knapp vierzigjährigen evangelischen Diplom-Ingenieure“ gewesen. Viele hätten bereits politische Vorerfahrung in der CDU der DDR gesammelt, als Parlamentarier waren sie jedoch Neulinge, die sich gegenseitig noch nicht kannten. Schnell setzte jedoch eine Professionalisierung ein, nicht zuletzt, indem man sich organisatorische Anregungen bei der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag holte. Als im August 1990 die Liberalen und die SPD die Regierungskoalition verließen, wurde die Fraktionsdisziplin, auf die man bislang bewusst verzichtet hatte, zunehmend wichtiger.

Der Münchner Historiker Professor Dr. Horst Möller stellte die Bedeutung der 10. Volkskammer in den Kontext der deutschen Parlamentsgeschichte. Sie sei neben der Paulskirchenversammlung von 1848 das einzige Beispiel in der deutschen Geschichte, bei dem sich das Volk sein Wahlrecht erkämpft habe.

Beispiellos war auch die Aufgabenstellung an das letzte Parlament der DDR. So war nicht die Ausarbeitung einer neuen Verfassung die Hauptaufgabe, sondern die Gestaltung des Einigungsprozesses. Dazu habe die Volkskammer einen unverzichtbaren Beitrag geleistet, indem sie unter großem Zeitdruck die zentralen Verträge mitgestaltete. Dabei hatte das Plenum der Volkskammer größere Bedeutung als dies heute im Bundestag der Fall sei. Schließlich sei die Volkskammer für die parlamentarisch unerfahrenen Abgeordneten eine „Schule der Demokratie“ gewesen. Von diesem Training des Parlamentarismus hätten nicht zuletzt die späteren Landtage in den neuen Ländern profitiert. Einmalig und vorbildlich für andere Transformationsprozesse war auch der Umgang der Volkskammer mit der Stasi-Vergangenheit, für deren umfangreiche Aufarbeitung sich die Volkskammer einsetzte.

Dr. Helge Heidemeyer, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, diskutierte anschließend mit den Zeitzeuginnen Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Präsidentin der 10. Volkskammer, Brigitta Kögler, Mitbegründerin des Demokratischen Aufbruchs (DA) und stv. Vorsitzende der CDU/DA-Fraktion, sowie Hildigund Neubert, die ebenfalls zu den Mitbegründerinnen der DA zählte. Auch die Vorsitzende des Vereins der ehemaligen Mitglieder der CDU/DA-Fraktion Katharina Landgraf MdB erinnerte sich an die Arbeit in der Volkskammer.

Von den enormen Anforderungen seien die meisten Abgeordneten der Volkskammer überrascht gewesen, berichtete Bergmann-Pohl. Die unzureichenden Arbeitsbedingungen seien eine Belastung gewesen, sodass sie damals damit gerechnet hatte, dass der Einigungsprozess mehrere Jahre andauern würde. „Ich fühlte mich wie in einem Hamsterrad – jeden Tag neue Probleme.“ Das Tempo, mit dem die Volkskammer dennoch arbeitete, habe sie dann selbst erstaunt. Dabei hätten die Mitglieder mit ihrem Enthusiasmus, ihrem Elan und ihrer Lebenserfahrung den Einigungsprozess mitgestaltet. Bergmann-Pohl bedauerte jedoch, dass es in Westdeutschland teilweise zu wenig Begeisterung für die Einheit gegeben habe.

Neubert erinnerte sich an das besondere Gefühl, frei wählen zu können und zum ersten Mal Einfluss auf die Entwicklung des Landes zu haben: „Das waren die ganz großen Erfahrungen der Revolution 1989/90.“ Dass sich selbst die Volkskammer so schnell wie möglich überflüssig machen wollte, zeuge von einer demokratischen Selbstlosigkeit, wie es sie heute nicht mehr gebe. Auf der anderen Seite seien aber insbesondere von der PDS auch Halbwahrheiten und Lügen verbreitet worden, die bis heute nachwirken.

Kögler betonte, das oft geäußerte Vorurteil, die Volkskammer sei aus dem Westen gesteuert worden, sei „Unsinn“. So hätte sie sich nie als Sprachrohr instrumentalisieren lassen, was auch auf ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter zutreffe: „Meine Intention, 1989 auf die Straße zu gehen, waren das Ziel der Deutschen Einheit und das Grundgesetz – davon hätte mich niemand überzeugen müssen.“ Dass Bundeskanzler Helmut Kohl sich gegen viele Widerstände auch aus dem Ausland für die Einheit eingesetzt habe, sei eine große Hilfe gewesen. 

Landgraf hob hervor, dass es in der Fraktion keine scharfen Konfrontationen zwischen verschiedenen Flügeln gegeben habe. Vielmehr hätten alle das gleiche Ziel gehabt. „Bis heute sei das Zusammengehörigkeitsgefühl sehr stark.“ Zu den umstrittenen Fragen, erklärte Bergmann-Pohl, habe allerdings die Frage des Umgangs mit den Stasi-Akten gehört. Dass mit dem Stasi-Unterlagengesetz die Akten zugänglich gemacht wurden, gehört zu den großen Leistungen der Volkskammer, betonte die frühere Parlamentspräsidentin. Neubert ergänzte, dass gerade in dieser Frage auch die Unterstützung der Menschen, die für die Offenlegung der Akten 1990 wieder auf die Straße gingen, enorm war. Dass die Akten nun in das Bundesarchiv überführt und die Behörde aufgelöst wird, hält Neubert indessen für einen schweren politischen Fehler und ein falsches Signal, da die Sensibilität dafür zwangläufig nachlassen werde.

In ihrem Schlusswort dankte Landgraf den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und betonte, dass aus den Tagen der Revolution für die Menschen viel Gutes entstanden sei, das auch heute noch bewahrt und weitergetragen werden müsse. „Dass die Revolution 1989 friedlich blieb und alles gut ausgegangen ist, ist ein großes Wunder und Gottes Werk.“

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