Im Rahmen von zwei Abendveranstaltungen in Oldenburg und Delmenhorst lud das Hermann-Ehlers-Bildungsforum Weser-Ems in Kooperation mit den Sektionen Oldenburg und Delmenhorst der Gesellschaft für Sicherheitspolitik zu Diskussionen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ein. Referentin war jeweils die ehemalige Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Charkiw und jetzige Leiterin des Büros in Moldau Dr. Brigitta Triebel. Frau Dr. Brigitta Triebel lebte bis kurz vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine mit ihrer Familie in Charkiw. Sie persönlich wurde kurz vor Kriegsbeginn evakuiert, hält aber weiterhin kontakt zu den Partnern in Charkiw und konnte so aus eigenem Erleben und in den letzten Monaten durch den regen Austausch mit Menschen vor Ort von der Situation, aber auch von den Hoffnungen und Erwartungen der Menschen berichten.
Sie beschrieb in ihren Vorträgen die unmittelbaren Folgen des russischen Überfalls: 20% besetztes Territorium, ca. 10.000 zivile Opfer, 100.000 tote oder verletzte ukrainische Soldaten, 15 Millionen Flüchtlinge. Die Ostukraine sei besonders stark besiedelt, nach dem Zweiten Weltkrieg von vielen Menschen aus den verschiedenen sowjetischen Teilrepubliken und Regionen. Die russische Sprache dominiert, viele Einwohner haben familiäre Beziehungen nach Russland. Die Region bot durch die Schwerindustrie Lohn und Brot. Auch aufgrund dieser Geschichte wünschten sich v.a. vor 2014 viele Menschen in der Region gute und enge Beziehungen zu Russland. Mit der russischen Besetzung der Ostukraine und der Ausrufung der autonomen Gebiete 2014/ 2015 kippte die Stimmung der Menschen, weil vielfach ihre Lebensgrundlagen zerstört wurden. Hoffnungen, dass Russland in die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk investieren würde, erfüllten sich nicht. Sie entschieden sich deshalb bewusst für die Ukraine. Der Empfang der russischen Befreier mit Blumen hat somit nicht stattgefunden. Im Gegenteil: Die Ukrainer wären zuversichtlich, mit westlicher Hilfe ihr Territorium befreien und wieder aufbauen zu können. Aus dieser Erwartung heraus würden sie nicht aufgeben und auf keine Gebiete verzichten.
Frau Triebel beschrieb dann fünf mögliche Szenarien für den Ausgang des Konflikts und deren Wahrscheinlichkeiten:
- Die Ukraine siegt und erhält die besetzten Gebiete einschließlich der Krim zurück – nur bei weiteren umfangreichen westlichen Waffenlieferungen wahrscheinlich,
- Russland siegt, vereinnahmt alle besetzten Gebiete und setzt weiter auf Expansion – unvorstellbar und unwahrscheinlich aufgrund des anhaltenden ukrainischen Widerstands
- Sofortiger Waffenstillstand – alles bliebe offen, keiner Seite wäre zufrieden und würde nur auf eine Gelegenheit der Schwäche des Gegners setzen, um die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen – wenig wahrscheinlich,
- Abkommen „Minsk 3“- Verhandlungen; wenn keine Seite zu Zugeständnissen bereit – unwahrscheinlich,
- Fortsetzung des Krieges mit gegenwärtiger Intensität – würde Russland Vorteile verschaffen, weil Bevölkerung sich neutral verhält und Personalreserven groß.
Fazit: Die Szenarien 3 – 5 bieten keine langfristigen Lösungen, weil der Konflikt nicht dauerhaft gelöst wird, Szenar 2 ist nicht gewollt. Es bleibt nur, die Ukraine langfristig zu unterstützen. Dies kann nur gelingen, wenn die Einheit Europas und die Resilienz der europäischen Volkswirtschaften gestärkt werden. Insbesondere für die Politik der Bundesregierung bedeutet dies, die Bevölkerung bei allen Entscheidungen mitzunehmen und immer wieder auf die langfristig negativen Folgen für die Sicherheit Europas im Falle eines Sieges Russlands hinzuweisen. Die Unterwanderungen von Moldau, Georgien und einiger zentralasiatischer Republiken zeigen deutlich, dass das Russland Putins in seinen Großmachtbestrebungen nicht nachlassen wird.
Abschließend wies die Referentin darauf hin, dass die Jugend der Ukraine viel westlicher orientiert ist, als wir glauben und dass sie von Frieden, Freiheit und Demokratie träumt.
Eine Vielzahl von Fragen (Rolle und Bedeutung der Krim in der Auseinandersetzung, Chancen für mögliches Erlahmen russischer Angriffslust, Ursachen für das Scheitern der Waffenstillstandsverhandlungen und Minsk II, Potenzial des Westens im Falle eines Wegfalls US-amerikanischer Unterstützung, Folgen eines russischen Siegs für die politische Neuordnung Europas, Möglichkeiten der militärischen Bedrohung Russlands durch den Westen, u.ä.) wurden beantwortet, wobei stets betont wurde, dass eine Beibehaltung westlicher Unterstützung alternativlos ist.
Im Nachgang zu den Veranstaltungen gab es jeweils rege Diskussionen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltungen.
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