Trägt KI tatsächlich dazu bei, die Qualität von Bildung zu erhöhen? Verändert sich das Verhältnis von Lehrenden und Lernenden, wenn ein vermeintlich intelligentes System den Unterricht im digitalen Klassenzimmer mitgestaltet? Im gemeinsamen Webinar mit der Konrad-Adenauer-Stiftung sind wir am 2. Oktober 2020 in zwei aufeinanderfolgenden Gesprächsrunden diesen Fragen nachgegangen und haben erörtert, wo und wie KI-basierte Systeme in der Schule zum Einsatz kommen könnten.
Es gibt in Deutschland wohl wenige Schulen, die in digitaler Hinsicht eine Vorreiterrolle genießen wie die Universitätsschule Dresden. Lehrende, Lernende und Eltern haben sich hier ganz bewusst auf den Versuch eingelassen, Schule neu zu denken. Dazu gehört auch, dass im Schulalltag eine spezielle Software eingesetzt wird, die die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler anhand von Lernpfaden nachvollzieht und ihren nach jedem Lernbaustein inhaltliche Rückmeldung gibt. „Es ist wichtig, dass Schüler lernen, mit digitalen Geräten umzugehen, ihre Lernprozesse selbst zu steuern und zu dokumentieren“, so die Projektleiterin Anke Langner. Die Software sei dabei als Unterstützung für die Lehrenden gedacht, nicht als Ersatz für deren Unterricht. Was man derzeit anwende, sei aber nur ein erster und versuchsweiser Schritt auf einem langen Weg: „Wir brauchen zunächst eine bestimmte Menge an Daten, um überhaupt Wirkungsmechanismen zu verstehen und daraus KI-Modelle zu entwickeln.“ Derzeit sei man noch dabei, wissenschaftlich zu erforschen, wie die vorliegenden Daten sinnvoll genutzt werden können - und ob sie sich für KI-basierte Systeme eignen. „Sicher lassen sich langfristig aus den Daten, die wir jetzt sammeln, weit mehr Instrumente entwickeln als wir jetzt überhaupt ahnen“.
In den Niederlanden ist man in Bezug auf die standardmäßige Nutzung von Lernsoftware schon weiter als in Deutschland. So berichtet Inge Molenaar, Mitbegründerin der niederländischen E-Learning Plattform Ontdeknet: „Unsere Grundschulen und Sekundarschulen sind weitgehend digitalisiert. Etwa 60 Prozent der Grundschüler arbeiten mit adaptiver Lernsoftware, die mit ihnen Rechnen, Schreiben und Grammatik übt“. Diese Software schlage den Lernenden jeweils die Aufgaben vor, die zu ihrem aktuellen Lernstand passen. Über ein Dashboard können Lehrende den Lernfortschritt der Lernenden nachvollziehen. „Diese Systeme entwickeln sich immer weiter in Richtung intelligente Systeme“ so Molenaar.
Eine Software, die auch in Deutschland bereits von 260.000 Schülerinnen und Schülern genutzt wird, ist die Mathematik-Lernsoftware von Bettermarks. Auch sie funktioniere adaptiv, so Mitentwickler und Geschäftsführer Arndt Kwiatkowski:
„Das System unterstützt Lehrerinnen und Lehrer bei der Personalisierung des Unterrichts, indem es gezielte Übungsserien vorschlägt, mit denen Schülerinnen und Schüler ihre persönlichen Wissenslücken schließen können.“ Dabei gebe die Software auch didaktisch sinnvolle Rückmeldung, wie etwa „Pass auf, dass du nicht Zähler und Nenner addierst, so dass Schüler*innen aus ihren Fehlern lernen könnten!“
Für Martin Arndt vom Landesamt für Schule und Bildung in Sachsen sind die Lernsoftware und die Versuche an der Universitätsschule Dresden zukunftsweisende Modelle, bei denen der Datenschutz an oberster Stelle stehe. Alles, was im Freistaat bereits mit Lernsoftware im Unterricht stattfinde, unterliege strengen Datenschutzregeln und Löschfristen und müsse über die Server des Landes laufen, so Arndt. In Sachsen habe man außerdem ein Identitätsmanagementsystem entwickelt, dass beispielsweise Entscheidungen darüber erleichtern soll, ob die Lernenden eine bestimmte Anwendung mit ihrem richtigen Namen oder anonym nutzen sollten. „Es ist wichtig, dass wir uns diese Gedanken machen, bevor wir tatsächlich den Schritt in Richtung KI gehen“, so Arndt.
Alle Diskutantinnen und Diskutanten waren sich einig, dass wir uns beim Einsatz von KI-Systemen im Unterricht noch im Anfangsstadium befinden. Zwar könnten die derzeitigen Instrumente schon gewisse kognitive Entwicklungen abbilden, vieles andere, was auch zum Lernprozess gehöre, aber nicht. Deshalb müsse man sehr vorsichtig sein, wenn man die die Leistungen der Lernenden auf Basis der digital gesammelten Daten beurteilen wollen. „Was unsere Algorithmen noch fast gar nicht abbilden können, sind soziale und emotionale Aspekte“ so Inge Molenaar. “Wie reagieren die Lernenden auf das, was ihnen angeboten wird? Wie regulieren sie ihren Lernprozess? Sind sie in der Lage, sich und ihre Fortschritte zu beobachten?”. Man sei noch weit entfernt davon, dies nachvollziehbar machen zu können und forsche derzeit an der Entwicklung sinnvoller Algorithmen.
Was KI-basierte Systeme schon heute in der Bildung leisten: Videomitschnitt des ersten Panels
In der zweiten Gesprächsrunde ging es darum, wie der Rahmen für einen verantwortungsvollen Einsatz in der Schule aussehen könnte. In seinem Impulsvortrag beleuchtete OECD-Experte Stéphan Vincent-Lacrin den Einsatz von KI an Schulen weltweit und attestierte Europa ein Defizit an Bildungsinvestitionen. Auch stehe man vor dem Problem, dass der Zugang zu verfügbaren Angeboten nicht geordnet verlaufe und nicht jeder auch das finde, was er brauche. Fairness spiele eine ganz große Rolle: „Wir brauchen Lösungen, die gleichberechtigt verteilt und genutzt werden“, so Vincent-Lacrin.
Aus Sicht von Stephan Bayer steht man sich in Deutschland bei der Nutzung digitaler Instrumente im Unterricht noch zu häufig selbst im Weg. Seine Firma “Sofatutor” bietet Lernvideos, interaktive Übungen und Chats mit Lehrpersonen für Kinder bis zur elften Klasse an. Das Konzept sei für viele Schulen interessant, so Bayer, aber: „Mein Eindruck ist, dass viele das Angebot gerne nutzen möchten und dann feststellen, dass die Budgets aus dem Digitalpakt nicht dafür geeignet sind“. Oft höre er, dass zwar Gelder für Endgeräte vorhanden seien, „nicht aber für den Content“. Auch beim Thema Datenschutz werde häufig unnötig stark gebremst. Die digitale Datennutzung muss seiner Meinung nach Regeln unterliegen und stetig kontrolliert werden, man müsse aber handlungsfähig bleiben. „Der Datenschutz wird häufig von Leuten als Argument ins Spiel gebracht, die Angst vor der digitalen Entwicklung haben“.
Romy Stühmeier vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit forderte, dass Lehrkräften mehr Raum gegeben wird, um im Umgang mit KI „ein Mindset zu entwickeln“. Für das Selbstverständnis der Lehrkraft sei die Nutzung von digitalen Mitteln und KI eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. „Lehrkräfte müssen sich darüber klar werden, welche persönliche und pädagogische Rolle sie in diesem Rahmen haben“ und man müsse ihnen die Möglihckeit geben, sich darüber auszutauschen und angeleitet zu werden. Erst dann könne KI im Unterricht tatsächlich klug genutzt werden.
Aus Sicht von Gesa Ramm vom Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein hat die Covid-19-Pandemie dazu beigetragen, dass diese Räume ausgebaut werden. „Wir unterstützen unsere Lehrkräfte massiv dabei, für sich selbst Settings zu erarbeiten, wie sie digitale Medien nutzen sollen und dürfen“. Wichtig sei dabei, den Bezug von der digitalen zur analogen Umwelt aufrechtzuerhalten und den sozialen Aspekt der Schulerziehung nicht zu vernachlässigen.
Der geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation Kai Maaz betonte, dass Individualisierung die Gefahr berge, soziale Ungleichheiten zu verstärken. Seiner Einschätzung nach ist es eine falsche Hoffnung, dass mit dem individualisierten Lernen auch Bildungsgerechtigkeit entsteht. Vielmehr könnte sich „die soziale Spreizung verstärken“. Um dem entgegenzuwirken, so einige Meinungen, müsse mehr Geld an die Schulen delegiert werden. Diese sollten dazu ermutigt werden, neue Wege zu gehen, aber die neuen Erfahrungen im Anschluss in einem übergeordneten Austausch evaluieren, um Qualitätssicherung zu garantieren.
KI in der Schule – wie könnte der Rahmen für einen verantwortungsvollen Einsatz aussehen? Videomitschnitt des zweiten Panels
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