Dr. Michael Borchard, Leiter Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik, führte in die Tagung ein. Dass die Weimarer Republik 1923 nicht scheiterte, sei dem entschlossenen Handeln der Männer zu verdanken, die die Demokratie mit allen Mitteln verteidigten, so Borchard.
Prof. Dr. Ewald Grothe, Leiter des Archivs des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, betonte die Bedeutung der Tagung und des Jubiläums, das Öffentlichkeit wie Forschung seit geraumer Zeit beschäftigten.
Prof Dr. Gerd Krumeich sprach im ersten Panel über die Bürden für die Weimarer Republik: „Die Republik hat das Trauma des Krieges nicht stillen können. Das war ihre entscheidende Schwäche von Anfang an. Das ist der Grund, weshalb sie nicht überlebt hat.“
Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Möller vom Institut für Zeitgeschichte wies in seinem Beitrag auf die Strukturprobleme in den internationalen Beziehungen nach dem Ersten Weltkrieg hin. So sei es nicht gelungen, eine neue stabile Friedensordnung herzustellen, auch weil wesentliche Großmächte wie Sowjetrussland oder Deutschland nicht eingebunden wurden.
Prof. Dr. Michael Dreyer von der Universität Jena befasste sich mit der Verfassung und der Verfassungswirklichkeit. Er betonte, dass Weimar eine „gute Verfassung in einer schlechten Zeit“ hatte, denn die „konkreten Krisen sind nur Ausdruck der Strukturkrisen, die sich in der Zeit aufzeigten.“
Im ersten Panel beteiligten sich an der Diskussion (v.l.n.r.) Prof Dr. Gerd Krumeich, Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Möller, Prof. Dr. Hans Walter Hütter (Moderation, Stiftung Haus der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen/Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung) und Prof. Dr. Michael Dreyer.
Dr. Karl-Peter Ellerbrock vom Westfälischen Wirtschaftsarchiv Dortmund erläuterte die Motive und Ziele von sowie die Reaktionen auf die Ruhrbesetzung: Sie war Teil der „mehrfach gebrochenen historischen Identität“ des Ruhrgebiets und führte 1923 zu einer „Eruption politischer Gewalt“ in ganz Deutschland, die letztlich auch zum Hitlerputsch am 8. und 9. November geführt hatte.
Dr. Holger Löttel von der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus referierte über separatistische Bestrebungen im Rheinland und in der Pfalz. Die dortigen Autonomie- und Unabhängigkeitsbewegungen waren „ein regionales innerdeutsches Phänomen. Ein Symptom der Unsicherheit der Zeit.“
Über Regierungsbildung und Parteiensystem in 1923 sowie die Aspekte der Stabilisierung und Destabilisierung unter den Kabinetten Cuno und Stresemann sprach Prof. Dr. Walter Mühlhausen von der Technischen Universität Darmstadt.
An der Diskussion des zweiten Panels beteiligten sich (v.l.n.r.) Dr. Karl-Peter Ellerbrock, Prof. Dr. Walter Mühlhausen, Dr. Holger Löttel und Dr. Christin Pschichholz (Moderation, Universität Potsdam).
Den Folgen des Ersten Weltkriegs, den Bürden für die junge Republik, widmete sich das erste Konferenzpanel. Für Michael Dreyer, der in seinem Input auf die Verfassungswirklichkeit einging, waren „die konkreten Krisen […] ein Ausdruck der Strukturkrisen“. Die Republik habe das Trauma des Krieges nicht heilen können, denn „Weimar war ein Kind des Krieges“, wie es Gerd Krumeich in seiner Analyse der Nachkriegsbürden treffend formulierte. Auch die Entwicklung der internationalen Beziehungen, auf die Horst Möller umfassend einging, wirkte destabilisierend, schließlich konnten die Siegerstaaten keine stabile Nachkriegsordnung herstellen.
Die Ruhrbesetzung, die Karl-Peter Ellerbrock im zweiten Panel genauer beleuchtete, hinterließ einen immensen finanziellen und politischen Schaden. Separatisten im Rheinland und in der Pfalz, die versucht haben, autonome Republiken einzurichten, hatten erst durch die Folgen der Ruhrkrise Auftrieb erhalten, so Holger Löttel in seinen Ausführungen über deren Bestrebungen. Entsprechend schwierig war es für die Kabinette der Reichskanzler Cuno, Stresemann und Marx, wie Walther Mühlhausen herausstellte, die Krisen dieses Jahres zu bewältigen. Rein parlamentarisch ging es nicht, sie brauchten Ermächtigungsgesetze, Notverordnungen und Reichsexekutionen.
Über die Gefahren für die Republik von links referierte Prof. Dr. Eckhard Jesse von der Technischen Universität Chemnitz, u.a. über die KPD, „eine durch und durch extremistische Kraft“. Sein Fazit: „Der linke Extremismus in seinen verschiedenen Facetten wollte die Republik nicht stützen, konnte sie aber auch nicht stürzen.“
Dr. Volker Stalmann von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien widmete sich den Gefahren von rechts. Rechtsextremisten profitierten u.a. von den wirtschaftlichen Verwerfungen und dem verletzten nationalen Selbstwertgefühl, denn „Radikale sind immer Kinder der Krise“, so sein Resümee.
Und schließlich befasste sich Dr. Desiderius Meier von der Universität Passau mit liberalen Konzeptionen demokratischer Ordnung. Aus seiner Sicht war die Bilanz für den Liberalismus zwiespältig: „Die krisenhafte Nachkriegszeit blieben nicht folgenlos, sondern belasteten die Republik, politisch, wirtschaftlich, sozial.“
Im dritten Panel diskutierten (v.l.n.r.) Prof. Dr. Eckhard Jesse, Dr. Volker Stalmann, Dr. Desiderius Meier und Dr. Christiane Scheidemann (Moderation, Berlin).
Mit den Transformationsproblemen der Wirtschaft befasste sich das letzte Panel. Prof. Dr. Johannes Bähr von der Universität Frankfurt am Main sprach zu Finanzkrise und Geldentwertung: Die Hyperinflation von 1923 war der „Kulminationspunkt einer Entwicklung, die mit dem Ersten Weltkrieg begann“ und „Folge des desaströsen Kriegsausgangs“ war.
Über die Ordnungsvorstellungen der Wirtschaft referierte schließlich Prof. Dr. Heike Knortz von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Staat und Unternehmen unterminierten den Wettbewerb, was - neben anderen Maßnahmen - die Weimarer Republik zu einer „Marktwirtschaft ohne Marktwirtschaftler“ machte, so ihre These.
Im letzten Panel beteiligten sich (v.l.n.r.) Prof. Dr. Johannes Bähr, Prof. Dr. Heike Knortz und Prof. Dr. Anne Chr. Nagel (Moderation, Universität Gießen) an der Diskussion.
Desiderius Meier, der im dritten Panel über liberale Konzeptionen in der Weimarer Republik sprach, betonte, wie sehr die wirtschaftliche und soziale Misere der Nachkriegszeit den Rückhalt der Bevölkerung für die liberale Demokratie erschütterte, sie „belastete die Republik, politisch, wirtschaftlich, sozial.“ Von diesen Verwerfungen profitierten Republikfeinde, darunter auch Hitler und die NSDAP, denn „Radikale sind immer Kinder der Krise“, resümierte Volker Stalmann, der über die Gefahr durch völkisch-nationalistische Extremisten referierte. Eine besondere Bedrohung für die Republik stellte zudem die Kommunistische Partei dar. Eckhard Jesse beschrieb sie in seinen Ausführungen zum Linksextremismus als „eine durch und durch extremistische Kraft.“ Aus seiner Sicht hat nicht nur die Gewalt von beiden Seiten, sondern auch der „Verbalradikalismus […] keines Wegs zur Stabilität der Demokratie beigetragen.“
Schließlich befasste sich das vierte und letzte Panel der Tagung mit den Transformationsproblemen der Wirtschaft. Einen „tiefgreifenden Wandel der Ordnungsstrukturen“ gab es Heike Knortz zufolge im Vergleich mit der bereits relativ liberalen Wirtschaftsordnung des Kaiserreichs nicht. Stattdessen unterminierten der Staat und die Unternehmen, die Kartelle aufbauten und untereinander Preise absprachen, den freien Wettbewerb. Die Weimarer Republik besaß eine „Marktwirtschaft ohne Marktwirtschaftler“, so Knortz. Auch die Hyperinflation, mit der sich Johannes Bär befasste, war 1923 der „Kulminationspunkt einer Entwicklung“, die bereits mit Kriegsbeginn 1914 begonnen und schon 1922 das Geld massiv entwertet hatte. Die Ruhrkrise verschärfte die Inflation dann noch zusätzlich.
Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, führte in die Abendveranstaltung ein und hob die Leistungen der Demokraten hervor, die 1923 die Krise der Republik überwanden.
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine sei die Gewalt in die internationalen Beziehungen zurückgekehrt, so Professor Udo Di Fabio, Bundesverfassungsrichter a.D. Durch die militärische Hilfe und das geschlossene Auftreten des Westens könne die Ukraine dem Angriff bislang standhalten – dennoch sei die Situation offen. Neben den äußeren Bedrohungen ging Di Fabio in seiner Keynote auch auf die inneren Bedrohungen der Demokratie ein. Statt eines staatlich verordneten Demokratieförderungsgesetzes bedürfe es laut Di Fabio einer lebendigen Zivilgesellschaft, die die Demokratie als ihre Angelegenheit betrachte.
Rund 220 Gäste nahmen an der Abendveranstaltung im Forum der Akademie der Stiftung in Berlin teil.
Mit welchen inneren und äußeren Bedrohungen ist die liberale Demokratie im 21. Jahrhundert konfrontiert? Und wie können wir ihnen begegnen? Das war das Thema der Abendveranstaltung, die im Rahmen der Tagung mit Bundesverfassungsrichter a.D. Udo Di Fabio stattfand.
In seiner Einführung erinnerte Karl-Heinz Paqué, Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung, an das Jahr 1923: „Der Bestand der Weimarer Republik stand angesichts kumulierter Krisen auf der Kippe. Dass das ‚Krisenjahr‘ zum ‚Krisenbewältigungsjahr‘ wurde, war in erster Linie den Leistungen politischer Persönlichkeiten wie Gustav Stresemann zu verdanken.“
Di Fabio skizzierte in seiner Keynote das Modell der liberalen Demokratie anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und ging dabei auf neue geopolitische Bedrohungslagen – in erster Linie durch den russischen Angriff auf die Ukraine – in einer sich abzeichnenden multipolaren Machtkonkurrenz ein. Dabei stellte er die Frage, ob das wirtschaftliche, technologische und ideelle Gewicht des Westens ausreiche, um sich gegen diese äußeren Bedrohungen behaupten zu können. Mit Blick auf innere Bedrohungslagen der Demokratie beleuchtete Di Fabio die Fragmentierung öffentlicher Meinungsräume, den Verlust institutioneller und lebensweltlicher Bindungskräfte und die Spaltung der Gesellschaft. Für die Erneuerung der pluralen und liberalen Demokratie und ihre künftige Selbstbehauptung sei eine neue, lebendige Zivilgesellschaft zentral. „Die Zukunft der liberalen Demokratie im 21. Jahrhundert wird gut sein, wenn wir das wollen. Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert, in dem sich das Schicksal der Freiheit entscheidet.“
In der Diskussion betonte Di Fabio, dass für die Selbstbehauptung der liberalen Demokratie ein republikanisches Selbstbewusstsein notwendig sei. An der Diskussion beteiligten sich (v.l.n.r.) Prof. Dr. Dominik Geppert, Linda Teuteberg MdB, Dr. Katja Leikert MdB, Sven Felix Kellerhoff (Moderation, Die WELT), Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio und Prof. Dr. Karen Horn.
Der Historiker Professor Dominik Geppert (Universität Potsdam) betonte, dass historische Vergleiche auch aktuelle Debatten prägen. Wichtig sei bei Vergleichen jedoch eine differenzierte Betrachtung. Der Titel der Veranstaltung „Die Selbstbehauptung der liberalen Demokratie“ zeige die positive Deutung des Krisenjahres 1923.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Katja Leikert appellierte mit Blick auf die globale Systemkonkurrenz, an die Demokratie zu glauben: „Wir sind das überlegenere System!“ Als große Gefahr für die Demokratie sieht Leikert die immer größer werdende Gruppe der Nichtwähler. Hier sei es Aufgabe der Parteien, die Bürgerinnen und Bürger für die Demokratie zu begeistern und die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden.
Mit Blick auf die aktuelle weltwirtschaftliche Entwicklung sah die Ökonomin und Publizistin Karen Horn die zunehmende Deglobalisierung einerseits kritisch, andererseits müsse sich die europäische Wirtschaft aber auch unabhängiger machen. Eine Herausforderung sei zudem die mitunter zu stark gelenkte Wirtschaft.
„Freiheit ist der zentrale Wert unserer Verfassung – doch sie wird von innen immer mehr ausgehöhlt, umgedeutet und diskreditiert“, erklärte die FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg. Wichtig sei zudem, dass die Demokratie ihre Leistungsfähigkeit beweise. Anstatt immerzu neue Aufgaben zu übernehmen, müsse sich der Staat auf seine zentralen Aufgaben konzentrieren.
Prof. Dr. Norbert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, blickte auf den Abend zurück und betonte mit Blick auf das Krisenjahr 1923 und die Selbstauflösung der ersten deutschen Demokratie zehn Jahre später, dass existenzielle Herausforderungen ökonomisch, politisch und sozial immer wieder neu begriffen und überwunden werden müssen.
Im Anschluss diskutierte Di Fabio mit Katja Leikert, MdB und Linda Teuteberg, MdB sowie dem Historiker Dominik Geppert und der Ökonomin und Publizistin Karen Horn über die Möglichkeiten und Grenzen historischer Vergleiche, aktuelle wirtschaftliche Herausforderungen sowie die Freiheit als zentralen Wert unserer Verfassung.
Nobert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, resümierte zum Abschluss des Abends: „Eine wichtige politische Lektion der letzten Monate ist, wie schnell und deutlich sich Verhaltensmuster und Orientierungen verändern, sobald ein nicht erwartetes, von vielen auch nicht für möglich gehaltenes Ereignis tatsächlich eingetreten ist. Die Beschäftigung mit der Geschichte – wie heute im Rahmen dieser Tagung zum ‚Krisenjahr 1923‘ – führt deutlich vor Augen, dass es sich dabei keineswegs um einen einmaligen Vorgang handelt. Der Blick auf ‚1923‘ und die Selbstauflösung der ersten deutschen Demokratie zehn Jahre später führen aber auch vor Augen, dass existenzielle Herausforderungen ökonomisch, politisch und sozial immer wieder neu begriffen und überwunden werden müssen.“