Публикација
Die Geisteswissenschaften sind in unserer Gesellschaft präsent, das Interesse an ihnen ist groß. Dennoch
werden sie im Alltag in ihrem wirklichen Wert und ihren besonderen Leistungen oft verkannt. Dabei sind allein die Theater und Museen, ja die gesamte Kulturwirtschaft ohne die Geisteswissenschaften nicht denkbar. Denkt man an
die klassischen Kompetenzen, die Geisteswissenschaftler während ihres Studiums erlernen, also Kommunikation, Analyse und Prognose, so gewinnt deren Beherrschung in Zeiten der Globalisierung an zusätzlicher Bedeutung.
Denn allein diese Kompetenzen ermöglichen die bessere Verständigung zwischen Regionen und Ländern, zwischen Kontinenten, zwischen Kulturen und Religionen. Die Globalisierung eröffnet uns aber auch einen neuen Blick auf
die Geisteswissenschaften. Ob es sich hier um Sinologie oder Indologie handelt, um die Islamwissenschaften oder um Afrikanistik: Diese Fächer sind wichtig im und für den internationalen Dialog, wichtig für eine Verständigung der Völker und Kulturen. Ohne diese Dialogkompetenzen wird es keine Geschäfte und keine politische Verständigung geben. Es ist also geradezu absurd, die Frage nach der Nützlichkeit der Geisteswissenschaften zu stellen, es sei denn, man legt einen völlig falschen Begriff von Nützlichkeit an.
Abc der Menschheit
Im Jahr der Geisteswissenschaften rücken Vielfalt und Bedeutung der
Geisteswissenschaften mit ihrer breiten Palette an Fächern, Themen und
Methoden in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Im Mittelpunkt
stehen dabei die Sprachen. Sprache ist die Ausgangsbasis für jede Art von
Denken und Mitteilen. Deswegen steht sie im Mittelpunkt des Jahres der
Geisteswissenschaften. Sprache ist Reden, aber auch Mimik und Gestik, Musik
und Tanz. Sprache macht die konstitutionelle Verbindung von Tradition,
Kontinuität, Aktualität und Zukunftsfähigkeit in den Geisteswissenschaften
erfahrbar.
17 Studienbereiche und 96 Fächer zählt der Wissenschaftsrat zu den
Geisteswissenschaften. Auf den ersten Blick mag ein gemeinsames
Wissenschaftsjahr für diese Vielfalt der geisteswissenschaftlichen Fächer
deshalb als ungerecht erscheinen. Weil die Geisteswissenschaften aber von
der interdisziplinären Zusammenarbeit leben und auf sie angewiesen sind,
bietet ein solches gemeinsames Jahr die Chance, der Öffentlichkeit die
Pluralität und die vielfältigen Kooperationen der Wissenschaften
untereinander vor Augen zu führen.
Die Öffentlichkeit braucht die Geisteswissenschaften, und die
Geisteswissenschaften brauchen Öffentlichkeit. Deshalb begleiten vielfältige
öffentlichkeitswirksame Aktionen dieses Wissenschaftsjahr. Sie stehen alle
unter dem Motto „Die Geisteswissenschaften. Das Abc der Menschheit". Mit den
26 Buchstaben des Alphabets sind Begriffe verbunden, die für alle
geisteswissenschaftlichen Fächer zentral sind - von A wie Aufklärung über C
wie Courage bis Z wie Zukunft.
Damit das „Abc der Menschheit" kein abstrakter Begriff bleibt, wurden
basierend auf einer Idee des Schweizer Künstlers Feiice Varini an
bedeutenden öffentlichen Gebäuden über ganz Deutschland verteilt
Buchstaben-Installationen angebracht. Diese Installationen sollen die
Neugier der Bürgerinnen und Bürger auf die Geisteswissenschaften wecken und
das Interesse auf die vielfältigen Veranstaltungen von rund 300 Partnern aus
Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft in ganz Deutschland richten. Die
Vielfalt der Veranstaltungen macht deutlich, dass die Geisteswissenschaften
schon längst aus ihren Lesestuben und Elfenbeintürmen herausgekommen sind.
Das Jahr der Geisteswissenschaften bietet ihnen eine Plattform, ihre
Aktivitäten vorzustellen und so die öffentliche Sichtbarkeit der
Geisteswissenschaften deutlich zu erhöhen. Mit großem Erfolg übrigens, wie
sich schon zur Halbzeit sagen ließ.
Darüber hinaus hat das Jahr der Geisteswissenschaften eine Debatte in den
Geisteswissenschaften und in der Öffentlichkeit angeregt. Auf öffentlichen
Podien und in den Medien diskutieren Vertreter aus Politik, Wissenschaft und
auch aus der Wirtschaft die Bedeutung der Geisteswissenschaften für unsere
Gesellschaft. Gerade diese Debatten, so kontrovers sie auch geführt werden
mögen, sind wichtig und halten die Geisteswissenschaften lebendig. Anders
als die Naturwissenschaften, deren Nutzen für die Gesellschaft im täglichen
Gebrauch neuer Erfindungen unmittelbar zutage tritt, leben die
Geisteswissenschaften davon, neue Denkhorizonte aufzuzeigen. Die
Geisteswissenschaften reflektieren Kriterien und Maßstäbe zur Bewertung von
Modernisierungsprozessen.
Selbstbewnsst statt verzagt
Geisteswissenschaften sind immer diskursiv. Diesen Diskurs in die
Öffentlichkeit zu tragen ist ein wichtiges Anliegen des Jahres der
Geisteswissenschaften.
Öffentliche Sichtbarkeit der Geisteswissenschaften kann aber nicht nur durch
öffentlichkeitswirksame Aktionen und Mediendebatten hergestellt werden - sie
braucht ebenso das Engagement der Geisteswissenschaften selbst. Sie müssen
mobilisiert werden, sie müssen motiviert werden, um die Bedeutung und
Relevanz ihrer.Arbeit in der Mitte der Gesellschaft sichtbar zu machen.
Gleichzeitig müssen sie sich in Profildiskussionen an den Hochschulen
selbstbewusst positionieren und nach neuen und innovativen Formen
wissenschaftlicher Zusammenarbeit sowie neuen Kooperationsformen mit
Wirtschaft und Kultur suchen.
Ein wichtiger Impuls ging von dem Wettbewerb „Geist begeistert" aus, der vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgeschrieben und von der
Universität Bremen durchgeführt wurde. Fast 170 Hochschulinstitute nahmen
daran teil und stellten ihre zum Teil sehr originellen Ideen zum
öffentlichkeitswirksamen Engagement der Geisteswissenschaften vor. 15
Projekte wurden mit je 15 000 Euro prämiert, weitere 24 erhielten aufgrund
der Qualität ihrer Vorhaben einen Anerkennungspreis von jeweils 7500 Euro.
Aktionen wie „Zugßildung", ein Hörprogramm für die Bahn, „Philosophie mit
Musik", eine multimediale Erschließung von Wittgensteins Werk, oder „Die
Sprache einer Ausstellung", eine Dialogreihe auf der Documenta 12 in Kassel,
zeigen, dass Geisteswissenschaftler sehr wohl |n der Lage sind, ihre Themen
und Anliegen allgemein verständlich und anschaulich zu vermitteln und dass
die oft beschworene Erlebnisqualität kein Privileg der Naturwissenschaften
sein muss.
Der Ausweis des eigenen Profils der
Geisteswissenschaften spielt auch für die Mobilisierung der
Geisteswissenschaften eine wichtige Rolle, um konstruktive Selbstreflexion
zu betreiben, sich zu vernetzen und neue Arbeitsformen zu entwickeln. Auf
Veranstaltungen wird selbstbewusst die internationale Exzellenz der
deutschen Geisteswissenschaften vorgestellt, offensiv mit der Wirtschaft
über den Geist des Managements diskutiert und die Debatte um Standards für
und durch die Geisteswissenschaften angestoßen. Hier wird deutlich, dass die
Geisteswissenschaften in der immer wichtiger werdenden Profilbildung von
Hochschulen national wie international eine bedeutende Rolle spielen.
Innovative Kraft.
Die Geisteswissenschaften sind in der modernen Gesellschaft von größter
Relevanz: Das zeigt sich an den vielfältigen neuen Kooperationen und
Vernetzungen; die das Jahr der Geisteswissenschaften angestoßen hat. Wenn
sich beispielsweise erstmals die Union der Deutschen Akademien der
Wissenschaften und die Staatlichen Museen zu Berlin zu einem gemeinsamen
Projekt zusammentun und daraus eine große Ausstellung über die kulturund
politikgeschichtliche Bedeutung des Alten Orients entsteht; wenn das
deutsche Literaturarchiv Marbach und die Gerda-Henkel-Stiftung gemeinsam die
Gerda-Henkel-Stipendien für Ideengeschichte begründen; wenn sich über den
Deutschen Städtetag rund 30 Städte in Partnerschaften zur Erschließung
geistesgeschichtlicher Großthemen zusammenfinden, zeigt sich, welch
innovative Kraft die Geisteswissenschaften tatsächlich haben und wie sie
sich in die Gesellschaft einbringen. Schon im ersten Halbjahr 2007 ist es
gelungen, einen Mobilisierungseffekt zu erzielen, der den
Geisteswissenschaften eine neue und starke Positionierung unter den
Wissenschaften ermöglichen wird. Dies ist der Beginn einer strukturellen
Stärkung, die sich fortsetzt in den förderpolitischen Maßnahmen, die das
Bundesministerium für Bildung und Forschung in diesem Jahr der
Geisteswissenschaften auf den Weg bringt.
Die Geisteswissenschaften leisten einen unersetzbaren Beitrag zum
kulturellen Gedächtnis, sie vermitteln zwischen den Kulturen, sie
reflektieren und bieten Orientierung über Werte und Entwicklungen in den
Teilbereichen der Gesellschaft und gestalten die Zukunft. Darüber hinaus
tragen die Geisteswissenschaften wesentlich zur Internationalisierung von
Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft bei und sind mit ihrer
spezifischen Expertise bei diesem Prozess unerlässlich. Die
Geisteswissenschaften reflektieren aber auch Kriterien und Maßstäbe zur
Bewertung von Modernisierungsprozessen. Sie sind nicht schlichte
Kommentatoren der Naturwissenschaften oder der Technik Sie sind zwingend
notwendige Partner im Dialog mit den Naturwissenschaften.
Geisteswissenschaften betreiben kulturelle Grundlagenforschung, die zwar
offen ist für die akademische Anwendung, deren Bedeutung sich aber
keinesfalls in konkreten Nutzanforderungen erschöpft. Ziel der Förderung der
Geisteswissenschaften ist es, den akademischen und gesellschaftlichen
Gedankenaustausch zu präzisieren, die Internationalisierung
geisteswissenschaftlicher Forschung zu intensivieren und zum Verständnis und
zur Nutzbarmachung der Globalisierung notwendiges Hintergrundwissen über
fremde Kulturen zu erarbeiten, vom Ausland zu lernen sowie die Entwicklung
entsprechender geisteswissenschaftlicher Methoden voranzutreiben.
Hier wird in Deutschland gute Arbeit geleistet. Dennoch muss sich die
deutsche geisteswissenschaftliche Forschung weiter öffnen. Kern der vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung zur strukturellen Stärkung
initiierten Förderinitiative „Freiraum für die Geisteswissenschaften" sind
Internationale Kollegs für geisteswissenschaftliche Forschung. Sie geben
herausragenden Geisteswissenschaftlern Zeit, einer selbst gewählten
Fragestellung mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt nachzugehen.
Wichtig dabei sind die systematische Konfrontation mit anderen
Wissenskulturen und die interdisziplinäre Bearbeitung der
Forschungsfragestellung. Diese Initiative soll über das Jahr der
Geisteswissenschaften hinaus verstetigt werden. Konkret bedeutet das nicht
nur eine Steigerung der finanziellen Mittel, sondern auch einen
langfristigen Diskussionsprozess. Ein Forum Geisteswissenschaften soll Bund,
Ländern, Hochschulen, der Hochschulrektorenkonferenz, dem Wissenschaftsrat
und anderen als Diskussionsplattform dienen.
Sowohl die Resonanz, auf die das Jahr der Geisteswissenschaften bei den
Wissenschaftlern selbst, aber auch innerhalb der Bevölkerung gestoßen ist,
als auch die eingeleiteten neuen Fördermaßnahmen machen eines sehr deutlich:
Deutschland ist auch in Zukunft ein Zentrum geisteswissenschaftlicher
Spitzenforschung.