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ICUnet.AG

Interviews

„Es geht nicht nur um das Finden, sondern auch um das Binden internationaler Talente“

Dr. Fritz Audebert über die administrativen und interkulturellen Hürden bei der Gewinnung und Bindung internationaler Fachkräfte

Dr. Fritz Audebert, CEO und Gründer der ICUnet.Group gibt praxisnahe Einblicke in die unterschiedlichen Etappen, die internationale Fachkräfte und ihre Familien bei einer Entsendung nach Deutschland durchlaufen und zeigt auf, wie Talente langfristig gehalten werden können.

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1. Sie begleiten jährlich mehrere tausend Fach- und Führungskräfte auf ihrem Weg ins Ausland, darunter auch viele internationale Talente, die für eine Erwerbstätigkeit nach Deutschland kommen. Was sind die wichtigsten Themen, mit denen sogenannte Expatriates sich vor ihrer Ausreise auseinandersetzen?

Am Anfang einer jeden Entsendung stehen eine Menge organisatorischer, aber auch emotionaler Fragen. Zu den organisatorischen Themen gehören Umzug, Wohnungssuche sowie Visum. Die emotionalen Themen treiben die Expatriates jedoch besonders um. Dabei muss man verstehen, dass hinter den meisten Fachkräften auch eine Familie steht und Familien langfristig denken. Das wird von Unternehmen oft ausgeblendet. Wie kompatibel sind die Schulsysteme und wie schwierig ist es, als Familie auch privat Fuß zu fassen? Diese Fragen beeinflussen die Entscheidung, ob eine Fachkraft überhaupt nach Deutschland kommt.

 

2. Welche administrativen Etappen und Hürden müssen internationale Fachkräfte und Arbeitgeber nach Vertragsunterzeichnung bewältigen?

Um es in Zahlen auszudrücken: Es sind insgesamt 80 Prozessschritte und 110 Schnittstellen, die zu einem Entsendungsprozess dazugehören. Im Bereich Immigration sind es im Wesentlichen drei Etappen: Zunächst muss ein Visum in der jeweiligen Auslandsvertretung beantragt werden. Von der Bundesregierung wurden zuletzt Maßnahmen ergriffen, um diesen Prozess zu beschleunigen, mit ersten Positiveffekten wie beispielsweise in Indien. Im Visumprozess muss die Bundesagentur für Arbeit ihre Zustimmung erteilen, was inzwischen auch gut digital abgewickelt werden kann. Richtig kompliziert wird es hingegen erst nach der Einreise. Die Ausstellung der Aufenthaltsgenehmigung geschieht durch die kommunal organisierten Ausländerbehörden. Wir haben es hier teilweise mit Vorlaufzeiten von bis zu einem Jahr für einen Termin zur persönlichen Vorsprache zu tun. Um Fristen einzuhalten, werden sogenannte Fiktionsbescheinigungen ausgestellt. Die Erfahrungen in deutschen Ausländerbehörden sind somit häufig das genaue Gegenteil einer Willkommenskultur. Das hängt auch damit zusammen, dass in den meisten Ausländerbehörden die Anliegen aller Einwanderungsarten von denselben Stellen und Verwaltungskräften bearbeitet werden, worunter der Servicegedanke leidet. Das läuft in Ländern wie Kanada oder den Niederlanden ganz anders.

 

3. Gibt es auch Best Practices? Wie könnten die Verwaltungsstrukturen in Deutschland Ihrer Meinung nach modernisiert und dynamisiert werden?

Definitiv gibt es auch Best Practices. Tendenziell lässt sich sagen, dass es in Kommunen mit zuwanderungsfreundlicheren Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und stark engagierten Führungskräften der Ausländerbehörden auch schneller, einfacher und positiver zugeht. Bonn punktet mit digitalen Verfahren und sehr guter Erreichbarkeit – dort fühlt man sich als Expatriate willkommen! Langfristig braucht es aber eine bundesweite Digitalisierungsstrategie. Man kann vom Personal in den Ausländerbehörden nicht erwarten, dass sie alle möglichen Sprachen sprechen und mit einer sich permanent ändernden Gesetzgebung Schritt halten. Es bringt nichts, auf Bundesebene das modernste Einwanderungsgesetz weltweit zu haben, wenn auf kommunaler Ebene Wildwuchs herrscht. Hier brauchen wir dringend mehr Zentralisierung und Digitalisierung. Der Bund müsste den Kommunen Mittel zur Verfügung stellen, die mit einheitlichen Vorgaben und Verfahren verbunden sind, wie beispielsweise eine bundesweit genutzte Software, die dann in allen Kommunen implementiert werden muss.

 

4. Sie haben bereits erwähnt, dass internationale Fachkräfte oft mit ihren Familien ausreisen. In Deutschland treffen sie vielerorts auf ein sehr knappes Angebot an Wohnraum und Betreuungsplätzen. Welche Art der Unterstützung ist hier gefragt?

Unterm Strich stehen die Familien aber vor denselben Herausforderungen wie deutsche Familien – dies aber, ohne das Land gut zu kennen! Daher ist eine intensive Unterstützung gefragt. Stellen Sie sich vor, in einer fremden Stadt ein funktionierendes Geflecht aus Wohnung, Arbeitsplatz und Betreuungsplatz aufzubauen. Das ist für viele Leute vor Ort schon eine große Herausforderung. Besonders schwierig wird es, wenn aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nur internationale Einrichtungen infrage kommen. Die heutige internationale Erwerbszuwanderung unterscheidet sich von der der Gastarbeiter in den 60er Jahren. Während damals noch mehrheitlich das traditionelle Modell gelebt wurde und die Mutter mit den Kindern zu Hause geblieben ist, sind mitausreisende Partnerinnen und Partner heutzutage meistens selbst berufstätig. Wir arbeiten deshalb mit lokalen Consultants zusammen, die Expatriates vor Ort intensiv bei der Suche nach Wohnraum und Betreuungsplätzen unterstützen. Hier arbeiten wir auch sehr kulturspezifisch, denn manchmal sind räumliche Nähe zur eigenen Community oder gewisse Ansprüche an Standards besonders wichtig.

 

5. Welche Rolle spielen sprachliche und kulturelle Aspekte beim Ankommen und Einleben?

Sprachliche und kulturelle Aspekte spielen eine große Rolle für eine langfristig erfolgreiche Integration. Hier müssen wir aber unterscheiden zwischen unterschiedlichen Realitäten in Deutschland. Auf der einen Seite gibt es sehr internationale Städte wie München, Köln oder Berlin, in denen viele internationale Fachkräfte mit hohen Einkommen in großen Firmen oder Start-ups arbeiten und problemlos auf Englisch zurechtkommen. Auf der anderen Seite haben wir zahlreiche kleine und mittelständische Firmen, darunter auch viele Hidden Champions, im ländlicheren Raum oder in kleinen Städten wie hier in Passau der Technologiekonzern ZF, wo Deutschkenntnisse unerlässlich sind, gerade auch für die Familienangehörigen. Am sinnvollsten wäre es meines Erachtens, Sprachkurse gezielt mit interkulturellen und praktischen Alltagsthemen zu verknüpfen, wie zum Beispiel den Eigenheiten des deutschen Bildungssystems, damit den Familien hier in Deutschland auch echte Bildungs- und Aufstiegschancen eröffnet werden und die langfristige Integration erfolgreich sein kann.

 

6. Gibt es weitere Herausforderungen, vor denen kleine und mittelständische Unternehmen bei der Gewinnung internationaler Talente im Gegensatz zu Global Player stehen?

Hidden Champions haben die Herausforderung, dass sie keine großen Personalabteilungen mit intensiven Erfahrungen im internationalen Recruiting haben, die wissen, woher die besten Talente wie angeworben werden können und wie eine langfristige Bindung möglich ist. Darüber hinaus sind die Firmen häufig über Ländergrenzen nicht bekannt. Daher unterstützen wir kleine und mittelständische Unternehmen, um eine Global Talent Strategy aufzubauen, die es ermöglicht, die besten Talente weltweit zu finden, zu gewinnen und langfristig zu binden. Diese Beratung ist uns wichtig, da wir eine positive Erfahrung für Unternehmen sowie auch für globale Talente sicherstellen wollen. Kleinere Unternehmen bieten aber auch große Vorteile für internationale Talente. Sie sind familiärer, agiler und häufig eng mit lokalen Gemeinden verbunden.

 

7. Mit Blick in die Zukunft – was sind Ihre Erwartungen an Politik und Gesellschaft? Wie kann es im Einwanderungsland Deutschland gelingen, dass langfristig mehr internationale Fachkräfte nach Deutschland kommen und auch bleiben?

Im Zentrum einer modernen Einwanderungspolitik sollte die Frage stehen, welche Fachkräfte aus welchen Ländern und mit welchen Qualifikationen tatsächlich gebraucht werden. Die Menschen müssen zur Arbeit gebracht werden und nicht die Arbeit zu den Menschen. So kann sichergestellt werden, dass Unternehmen dringend benötigtes hochspezialisiertes Personal bekommen. Beispielsweise stellt sich für einen Landmaschinenkonzern zunächst die Frage, aus welchen Ländern oder von welchen Hochschulen die besten Landmaschinentechniker kommen. Die Anwerbeabkommen, die die Bundesregierung mit Drittstaaten schließt, halte ich vor diesem Hintergrund vor allem für Symbolpolitik, es fehlt die Weitsicht. Es geht aber nicht nur um das Finden, sondern auch um die Integration und das langfristige Binden internationaler Talente. Wir brauchen in Deutschland eine gelebte Willkommenskultur. Achtzig Prozent der Fach- und Führungskräfte, die in den letzten Jahren aus afrikanischen Ländern in die DACH-Region gekommen sind, sind nach spätestens zwei Jahren wieder gegangen. Das ist für Unternehmen ein Verlustgeschäft, wenn man bedenkt, dass der Einwanderungsprozess und das Onboarding ein Unternehmen etwa 15.000 bis 20.000 Euro kosten. Um gegenzusteuern, braucht es einen Mentalitätswechsel in Gesellschaft und Unternehmen. Unternehmen sollten sich Gedanken machen, wie Mitarbeitende gehalten werden können, hierzu zählen beispielsweise gezielte Diversitätsmaßnahmen am Arbeitsplatz.

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Caroline Schmidt

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