Die Präsidentschaft Donald Trumps ist für viele Palästinenser vor allem mit einem endgültigen Ende des Nahostfriedensprozesses verbunden, zumindest unter Vermittlung der USA. Die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, die Einstellung von Hilfszahlungen und die juristische Anerkennung von israelischen Siedlungen im Westjordanland haben deutlich gemacht, auf welcher Konfliktseite die USA sich verorten.
Die mit der neuen US-Administration verbundene Rückkehr zu einer Diplomatie, die auch die Palästinenser wieder anspricht, ist mit Hoffnungen im wirtschaftlichen Sektor verbunden, obgleich die Erwartungen an einen tatsächlichen Fortschritt im Friedensprozess gering sind. Die palästinensische Bevölkerung ist in der Einschätzung der neuen US-Administration daher gespalten. Laut einer im März 2021 landesweit durchgeführten Umfrage erhoffen sich 41 % der Befragten eine differenzierte US-Politik gegenüber Israel und den Palästinensern im Vergleich zur Trump-Administration. 51 % teilen diese Hoffnung jedoch nicht.
Politisch schien die Ablehnung der Trump-Administration hingegen die palästinensischen Fraktionen, insbesondere Fatah und Hamas, zu einer neuen Einheit zu führen. Der Umgang mit dem Wechsel im Weißen Haus stellt daher gleichermaßen auch einen Belastungstest für die neu etablierten Kommunikationskanäle zwischen Fatah und Hamas dar.
Wirtschaftshilfen als dringend benötigte Stütze
Die größten Hoffnungen mit Bezug auf die Biden-Administration liegen in der Wiederaufnahme von wirtschaftlichen Hilfen für die Palästinenser. Unter Präsident Barack Obama erhielten die Palästinenser jährlich zwischen 500 Mio. und 1 Mrd. US-Dollar. Präsident Trump hat diese Zahlungen, die hauptsächlich über die Behörde USAID (United States Agency for International Development) liefen oder direkt an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) gingen, nahezu vollständig gestoppt.
Die Einstellung der Zahlungen an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) steht in Zusammenhang mit dem 2018 vom US-Kongress verabschiedeten Taylor Force Act. Dieser untersagt der US-Regierung Zahlungen an die PA, solange diese Geldtransfers an Palästinenser oder deren Familien vornimmt, die an Angriffen gegen Israelis beteiligt waren und daraufhin verletzt, getötet oder verhaftet wurden. Die Biden-Administration hat bereits verkündet, den Taylor Force Act und den übergreifenden Anti-Terrorism Clarification Act (ACTA) zu respektieren. Auf palästinensischer Seite gab es daher Bestrebungen, die sogenannten „Märtyrer-Zahlungen“ auf einen international unabhängigen Bankkreislauf umzustellen, was bislang stets scheiterte. Derzeit läuft ein Versuch, Empfänger von Transfers auf die Gehaltslisten der palästinensischen Sicherheitskräfte zu setzen. Ob diese offensichtliche Umgehung der Beschränkungen jedoch ausreicht, ist fraglich. Letztlich ist es eher wahrscheinlich, dass die PA auf direkte Hilfszahlungen verzichten würde, sollten die USA (aber auch andere Staaten) den neuen Mechanismus nicht akzeptieren, denn die Aufrechterhaltung der „Märtyrer-Zahlungen“ ist unbestrittener nationaler Konsens in den Palästinensischen Gebieten.
Dennoch wurden bereits im März 2021 von der US-Regierung 15 Mio. US-Dollar an Hilfen für Palästinenser zugesagt. Diese Zahlungen sollen hauptsächlich über katholische Hilfsorganisationen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie abgewickelt werden. Weitere Hilfsgelder wurden in Aussicht gestellt. Zudem verkündete die Biden-Administration Anfang April, die Zahlungen an UNRWA, die sich unter Obama auf mehrere hundert Millionen US-Dollar pro Jahr beliefen, wiederaufzunehmen. Veranschlagt wurden dafür 150 Mio. US-Dollar für UNRWA sowie 75 Mio. US-Dollar indirekte Wirtschaftshilfen und 10 Mio. US-Dollar für Palästina-bezogene Maßnahmen von USAID. Insgesamt bedeutet jede finanzielle Hilfe eine Besserung der Bedingung für die Palästinenser und entlastet weitere Geldgeber wie Deutschland.
Allein die indirekten Hilfen für die Palästinenser würden den Druck auf den PA-Haushalt mindern, der sich auch in Folge der Corona-Pandemie weiter der Zahlungsunfähigkeit näherte. Das Haushaltsdefizit für 2021 beläuft sich auf ein Rekordhoch von 1 Mrd. US-Dollar. Mit der teilweisen Rückkehr von US-Hilfen scheint der finanzielle Kollaps der PA zumindest abwendbar.
Sicherheitskooperation als Machtfaktor
Selbst in den schwersten Stunden der amerikanisch-palästinensischen Beziehungen unter US-Präsident Trump gab es fortlaufende Kontakte zwischen dem palästinensischen Sicherheitsapparat der PA und den amerikanischen Geheimdiensten. Obgleich nicht offiziell, so war der Dialog auf Arbeitsebene weiterhin vertrauensvoll und von gegenseitigem Informationsaustausch geprägt. Als stets übergeordnetes Ziel beider Seiten galt die Wahrung von Stabilität, insbesondere in Form der Verhinderung von terroristischen Angriffen auf israelische Ziele. Die USA bedienten damit israelische Sicherheitsinteressen, die von der Fatah-geführte PA konnte sich im Gegenzug politischer Gegner der Hamas oder linker Gruppierungen entledigen. Die Fatah konnte dadurch ihre sicherheitspolitische Machtbasis im Westjordanland stärken. Die breite palästinensische Öffentlichkeit stand dieser Sicherheitskooperation zwar skeptisch gegenüber, akzeptierte sie jedoch auch in einem gewissen Maße, da sie den einzig belastbaren Kommunikationskanal zu den USA darstellte.
Der Austausch mit der neuen US-Führung fand sodann auch zunächst ausschließlich über die Sicherheitskanäle statt. Erst stückweise wurden direkte diplomatische Verbindungen wiederaufgebaut. Dennoch wird die Sicherheitskooperation ein Pfeiler der Zusammenarbeit bleiben, auch wenn eine finanzielle Unterstützung durch den Taylor Force Act nicht in größerem Umfang generiert werden kann. Selbst bei einer neuen Zusammensetzung der PA-Regierung im Zuge von möglichen Wahlen bzw. der Hinzunahme von Hamas-Vertretern und einem daraus folgenden erneuten Abbruch der wirtschaftlichen und diplomatischen Gespräche, bliebe der Sicherheitsdialog wohl in begrenztem Umfang stabil.
Die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen
Die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem unter Donald Trump und die damit einhergehende Fusion mit dem US-Generalkonsulat für die Palästinensischen Gebiete sowie die Schließung des PLO-Büros in Washington, D.C., führte zu einem vollständigen Abbruch der offiziellen diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und den palästinensischen Vertretern von PA und PLO (Palestine Liberation Organization als offizieller völkerrechtlicher Vertreter der Palästinenser). Dennoch existierte innerhalb der US-Botschaft eine Abteilung für palästinensische Angelegenheiten, die weiterhin politische Kontakte pflegte und konsularische Dienste erfüllte. Dies allerdings in personell nur sehr begrenztem Umfang und unter hierarchischen Schwierigkeiten innerhalb der Botschaftsstrukturen.
Noch während des US-Wahlkampfes versprachen Biden und sein Team die Wiederaufnahme der Beziehungen mit den Palästinensern, einschließlich der Eröffnung eines neuen Generalkonsulats und der Wiederzulassung eines PLO-Büros in den USA. Die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem soll davon unberührt bleiben. Obgleich die Ankündigungen nach der Amtsübernahme bestätigt wurden, erfordern die Wiedereinrichtungen der Strukturen langwierige bürokratische Hürden, an deren Beginn jedoch politische Verhandlungen zwischen PA/PLO und den USA stehen. Diese Verhandlungen genießen jedoch auf beiden Seiten derzeit keine hohe Priorität. Die USA sind mit innenpolitischen Themen, wie vor allem der Bekämpfung der Corona-Pandemie, und anderen außenpolitischen Akteuren (China, Iran) beschäftigt, die Palästinenser blicken am 22. Mai ihren ersten Parlamentswahlen nach 15 Jahren entgegen.
Ein Austausch über die Qualität möglicher Beziehungen wird daher erst mit der neuen Zusammensetzung der palästinensischen Regierung möglich sein. Die angestrebten palästinensischen Präsidentschaftswahlen am 31. Juli sowie die Neuzusammensetzung des Nationalrats der PLO am 31. August könnten den Prozess weiter verzögern.
Doch selbst wenn politische Gespräche zu einer Wiederaufnahme der Strukturen führen würden, wäre eine Neueröffnung eines von der US-Botschaft unabhängigen Generalkonsulats für die Palästinenser keineswegs konfliktentscheidend. Der symbolische Charakter eines solchen Schritts hätte noch keinen Effekt auf den Friedensprozess. Mit Blick auf die administrative Lage in Jerusalem und einer nötigen Zustimmung der israelischen Behörden scheint eine Wiedereröffnung gar Konfliktbestandteil zu werden, wobei fraglich ist, ob die Biden-Administration für dieses Vorgehen Zeit und Mühen aufwenden möchte.
Der Umgang mit der Hamas
Die ersten 100 Tage von Joe Biden als US-Präsident haben bislang bis auf symbolische Annäherungen keine grundlegenden Veränderungen im Verhältnis der USA zu den Palästinensern gezeigt. Entscheidender werden jedoch die nächsten 100 Tage sein.
Mit den Wahlen in den Palästinensischen Gebieten könnten sich die Machtverhältnisse oder zumindest die Zusammensetzung von PA-Regierung und PLO verändern. Die bereits im Gaza-Streifen regierende Hamas könnte auch im Westjordanland wieder an einer Regierung beteiligt werden. Durch die von den USA und der EU vorgenommene Einstufung der Hamas als Terrororganisation müssten bei Beibehaltung dieses Status offizielle direkte Gespräche und Hilfszahlungen eingestellt werden.
Nach den letzten Parlamentswahlen 2006 führte eine solche Situation zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Gaza-Streifen und einer politischen Spaltung von Westjordanland und Gaza-Streifen, die bis heute die Palästinensischen Gebiete politisch lähmt. Aktuelle Umfragen sehen Fatah und Hamas landesweit annähernd gleichauf. Eine dritte Kraft, angeführt von den ehemaligen Fatah-Führungspersönlichkeiten Nasser al-Qudwa und Marwan Barghouti, könnte der Fatah allerdings die entscheidenden Stimmen zum Wahlsieg kosten. Doch unabhängig vom Ausgang der Wahl haben sich Fatah und Hamas bereits im Vorfeld auf die Bildung einer Einheitsregierung geeinigt. Nur dadurch war es überhaupt möglich, die gegenseitige jahrelange Blockade zu überwinden.
Die Durchführung der Wahlen ist allerdings keinesfalls gesichert. Doch die Formierung einer Einheitsregierung soll auch im Falle einer Verschiebung oder Absage der Wahl auf der Agenda stehen. Die vorsichtigen Annäherungsversuche zwischen der PA und den USA stünden beim Zustandekommen einer Hamas-Beteiligung an den PA-Strukturen vor einer ernsthaften Belastungsprobe. Die im Westjordanland regierende Fatah wird sich angesichts dessen vor die Frage gestellt sehen, wie viel nationale Einheit ihr das Verhältnis zu den USA wert ist. Aufgrund des Drucks von den USA sowie weiterer Staaten erscheint in dem Zusammenhang auch eine von beiden Seiten getragene (offiziell unabhängige) Expertenregierung möglich.
Die Zukunft des Nahost-Friedensprozesses
Obgleich viele Israelis eine Neuauflage des Nahost-Friedensprozesses unter Präsident Biden befürchten, hat die palästinensische Bevölkerung bei diesem Thema keine allzu hohen Erwartungen an die neue US-Regierung. Lediglich 44 % unterstützten im März 2021 eine neue Verhandlungsinitiative unter der Moderation der USA, 48 % lehnen dies komplett ab. Größte Euphorie auf palästinensischer Seite entfachte daher lediglich das endgültige Aus für den sogenannten Trump-Plan.
Mit dessen Ende ist auch die vorerst letzte, von Palästinensern sowieso abgelehnte Diskussionsgrundlage obsolet.
Zwar betont die palästinensische Führung im Westjordanland ihre Gesprächsbereitschaft für neue Friedensverhandlungen, allerdings eben nicht mehr unter alleiniger Vermittlung der USA. Vielmehr setzt man auf das Nahost-Quartett (EU, Russland, VN, USA) plus weiterer Staaten wie China, die Türkei, Jordanien und Ägypten. Eine derartige internationale Konferenz scheint derzeit jedoch aufgrund mangelnder Bereitschaft sowie konkurrierender Interessen und Prioritäten aussichtslos. Größere Zugeständnisse oder gar Initiativen zur Lösung des Konflikts sind zudem sowohl von der israelischen wie auch der palästinensischen Führung nicht zu erwarten. Befördert wird der Stillstand von einem zunehmenden Desinteresse der US-Politik am Nahen Osten.
All dies trifft sich mit den mittlerweile geringen Erwartungen, die die Palästinenser an eine konstruktive Unterstützung durch die internationale Staatengemeinschaft haben. Zwar besteht eine hochgradige Abhängigkeit von internationalen Hilfsleistungen, die Aussichten auf eine international getragene Friedenslösung sind jedoch gering. Es bleiben somit allein Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Die Zukunft der Palästinenser liegt dabei jedoch längst nicht mehr in den Händen des US-Präsidenten.
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