Seit März 2020 erschüttert die Corona-Pandemie Europa. Für den Präsidenten des Europäischen Parlaments, David Sassoli, ist sie die „tiefste Krise der Geschichte der Europäischen Union“, denn sie habe besonders die Schwächsten getroffen. Das gelte einerseits für die vielen menschlichen Schicksale. Aber die Pandemie habe auch zu einer „tiefgreifenden Zunahme der Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten“ geführt. Sassoli zufolge sei der EU durch die Krise „klar geworden, dass, wenn ein Land zusammenbricht oder es nicht schafft, die Krise zu bewältigen, alle anderen schwerwiegende Folgen haben werden.“ Deswegen habe es massive Finanzhilfen gegeben, die EU lockerte die Regeln für staatliche Beihilfen und setzte den Stabilitäts- und Wachstumspakt aus. Denn „der Mangel an Solidarität ist eine tödliche Gefahr für Europa“, zitierte Sassoli den ehemaligen französischen Wirtschafts- und Finanzminister Jacques Delors.
„Die Zusammenarbeit in Europa muss viel enger werden“
Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Prof. Dr. Norbert Lammert, sieht sogar eine gewisse Zwangsläufigkeit einer viel stärkeren europäischen Integration: „Mit Blick auf die globale Kräfteverteilung kann gar kein Zweifel bestehen, dass die Zusammenarbeit in Europa viel enger werden muss.“ Und die Corona-Pandemie „zeigt unzweideutig, dass die europäischen Staaten angesichts globaler Herausforderungen nur dann ihre politische Gestaltungsfähigkeit bewahren können, wenn sie ihre Souveränität teilen und gemeinsamen wahrnehmen.“ Politikfelder, in denen sich das erreichen ließe, gäbe es genug: Ob in der Klimapolitik, in der Entwicklungshilfe oder in einer gemeinsamen Außen und Sicherheitspolitik, betonte Daniel Caspary, der nach Sassolis Rede mit jungen Studierenden aus Europa diskutierte: „Lasst uns Europa darin stärken, worin ein Land zu schwach ist“, forderte das Mitglied des Europäischen Parlaments. Caspary wünschte sich Europa als die „ernstzunehmende dritte Stimme“ neben China und den USA.
„Wir brauchen mehr europäisches Regieren“
Die derzeitige Krise zeige nur umso mehr, wie schnell sich die Welt ändern könne, so Sassoli, und das bedeute, dass die europäische Demokratie gestärkt werden müsse: „Wir brauchen mehr europäisches Regieren, und wir alle müssen in diese Richtung arbeiten.“ Denn die Corona-Krise ist nicht die einzige Herausforderung, vor der Europa steht. Ökologische Nachhaltigkeit steht ganz oben auf der Tagesordnung, wie der europäische Green Deal, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der zehnten Europa-Rede 2019 ankündigte, zeigt. Warum auch nicht sollte die EU mit ihrer Klimapolitik Vorbild für den Rest der Welt werden, wie sie es beim Hochhalten von Freiheit, Demokratie und Grundwerten bereits ist? Für unsere gemeinsame Vision „werden wir bewundert und beneidet“, findet Sassoli.
Mit der Konferenz zur Zukunft Europas „die Seele des Europaprojekts neu entdecken“
Eine funktionierende europäische Demokratie, die mit angemessenen Mitteln arbeiten und die wirksam handeln kann: Diese zu definieren, das soll Sassoli zufolge die Konferenz über die Zukunft Europas erreichen. Gerade der Diskurs darüber sei durch die Corona-bedingten Einschränkungen in den letzten Monaten zu kurz gekommen und die Kommunikation zwischen EU-Ebene und EU-Bürgerschaft könne durchaus verbessert werden, beklagten Studierende in der Diskussion nach Sassolis Rede. Sie wünschten sich, dass die Mitgliedstaaten die EU-Erfolge besser kommunizierten, Europa eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einnehme - und die Vision Europas zu den Menschen durchdringe. Genau hier scheint die EU die jüngere Generation bereits erhört zu haben, denn eben das erhofft sich auch der Präsident des Europäischen Parlaments von der Zukunftskonferenz. Diese habe nämlich das Ziel, gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern „die Seele des Europaprojekts neu zu entdecken.“
Die Europa-Rede ist eine Kooperationsveranstaltung von Konrad-Adenauer-Stiftung, Stiftung Mercator und Stiftung Zukunft Berlin.
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