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Landesweite Arbeitsniederlegung - ein schwerwiegender Vorgang in der innenpolitisch schwierigen Situation Guatemalas

Am 1. August wurde durch Aufruf des Unternehmerverbandes sowie der Gewerkschaften und Studentenverbände landesweit die Arbeit niedergelegt. Die Folgen sind bis heute nicht absehbar.

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Am 1. August - zum Tag der Nationalen Würde erklärt - haben große Teile der guatemaltekischen Gesellschaft nachdrücklich demonstriert, dass sie in einer Demokratie zu leben wünschen und bereit sind, ihre verfassungsmässigen Rechte ins Spiel zu bringen gegen Korruption, Bevormundung und undemokratisches Verhalten der Regierenden.

Das Land durchlebt eine tiefe Krise, die sich insbesondere auf drei Ebenen manifestiert:

Wirtschaftliche Krise

Das Wirtschaftsmodell der "Agroexporte", das mit wenigen traditionellen Erzeugnissen lange Jahre bestimmend war, ist erschöpft. Die aktuelle Kaffeekrise ist keineswegs zufällig und die ökonomischen Ermüdungserscheinungen, die man in anderen Bereichen heute überall verspürt, werden nicht nur von den Unternehmern und der Regierung wahrgenommen, sondern lasten schwer auf der gesamten Gesellschaft.

Ausgehend von einer allumfassenden Stärken-Schwächen-Analyse der guatemaltekischen Wirtschaft, müssen weitgehende Einschnitte in die bisherigen wirtschaftlichen Strukturen vorgenommen werden, die der Bevölkerung transparent zu machen sind, um eine allgemeine Unterstützung für deren Durchführung zu erhalten. Schuldzuweisungen an die derzeitige und an frühere Regierungen helfen da nicht mehr weiter.

Politische Krise

Sie ist allgegenwärtig. Die heutige Regierung hat mit einem sehr guten Wahlergebnis die Verantwortung für das Land übernommen, inzwischen aber sowohl die Mehrheit der Gruppen der Gesellschaft in der Hauptstadt wie auch im Hinterland enttäuscht.

Die Umfragen zeigen, dass nicht nur die grosse Mehrheit der Nicht-Portillo-Wähler enttäuscht ist, sondern in hohem Masse auch die Portillo-Wähler es zunehmend bereuen, für ihn gestimmt zu haben. Seine zwischenzeitliche Unpopularität ist nicht notwendigerweise auf Schwäche oder Ideenlosigkeit zurückzuführen, sondern vielmehr auf das komplizierte Verhältnis zwischen Legislative, Exekutive und Regierungspartei, das in vielen Fällen zu einer Handlungsunfähigkeit führt. Der Regierungschef kann seiner Aufgabe, die richtigen und machbaren (auch unpopulären) Programme durchzuführen, nicht nachkommen.

Die bestehende politische Krise hat natürlich auch mit dem aktuellen Zustand der Demokratie insgesamt, mit der verlorengegangenen Glaubwürdigkeit der politischen Parteien und ihrer Führungspersonen, mit der nicht vorhandenen innerparteilichen Demokratie und der Besetzung der wichtigsten Regierungsämter mit qualifizierten Fachleuten, die nicht unbedingt Parteigänger der Regierungspartei sein müssen, zu tun.

Moralische Krise

Sie ist tiefverwurzelt und äussert sich nicht nur in einer schwindelerregenden Zunahme der Kriminalität, des Drogenhandels, der Mafia- und Bandenbildung und der Schmugglerringe, sondern auch in der geringen Fähigkeit des Staates, diesen Mißständen zu begegnen, weil er selbst darin verwickelt ist.

Die Auswirkungen auf die Bevölkerung sind nachhaltig, denn die festzustellenden Mängel und Defizite sind das beherrschende Tagesgesthema, die positiven Dinge treten in den Hintergrund. Lynchjustiz, Schlägertruppen, Gewaltakte hinterlassen dagegen in allen Schichten der Gesellschaft ein Gefühl der Ohnmacht, der Entwürdigung und der Ausweglosigkeit.

Die landesweite Arbeitsniederlegung, die als Motor so ungleiche Partner wie den Unternehmerverband CACIF, die Gewerkschaften, darunter führend die CGTG, (Partner der Stiftung) und die Studentenverbände AEU zusammengeführt hatte, begann zunächst in der Hauptstadt relativ ruhig und weitete sich dann - zunehmend auch gewaltsam - in einigen Departamentos aus, was zur Verhängung des Ausnahmezustandes in Totonicapán und Petén und zum Einsatz von Militärs führte.

Die Zuspitzung der Situation ist vielfältigen Ursachen zuzuschreiben, insbesondere aber dem von der Regierung zu verantwortenden Scheitern des Finanz-und Steuerpaktes (Pacto Fiscal) noch aus dem vergangenen Jahr und die aktuelle Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. August von 10% auf 12% (neben einigen anderen Steuern). Verantwortlich dafür sind das enorme Haushaltsdefizit, die erhebliche Binnenverschuldung und der Druck internationaler Geberinstitutionen, die die niedrige Steuerquote in Guatemala nicht mehr akzeptieren konnten und wollten.

Dabei hatten Unternehmer, Gewerkschaften und Studenten, unterstützt von einigen Fraktionen der Opposition, durchweg unterschiedliche Ziele.

Der Unternehmerverband CACIF, der insbesondere die Arbeitsniederlegung betrieben hatte, stand gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer, gegen die Besteuerung von nichtalkoholischen und alkoholischen Getränken und gegen die Erhöhung der Gewerbesteuer im Bereich des Handels und der Landwirtschaft. Insbesondere aber kritisierte den Spitzenverband der Privatwirtschaft die Absicht der Regierung, die Straf- und Steuergesetze durch drastisch erhöhte Strafen in Fällen von Steuerhinterziehung zu verschärfen (bis hin zu Gefängnisstrafen).

Verbunden wurde damit auch die Forderung nach mehr Transparenz und effizienterem Umgang mit den öffentlichen Ausgaben seitens der Regierung sowie ein grösseres Engagement bei der Bekämpfung der Korruption.

Die Gewerkschaften und Studenten - wie auch andere gesellschaftliche Interessengruppen - sprachen sich vorrangig gegen die Mehrwertsteuererhöhung aus und schlossen sich der Forderung nach einem verbesserten Instrumentarium der Verfolgung von Steuerhinterziehung an. Im Hinblick auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer wurde Klage über den Anstieg der Lebenshaltungskosten und über die Korruption in den Reihen der Regierung laut.

Bemerkenswert war, dass die politischen Parteien in der Opposition, wie z.B. die URNG (Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca), der PAN (Partido Avanzada Nacional, die Partei der letzten Regierung) und ihr nahestehende Gruppen, der Partido Unionista, die Unidad Nacional de la Esperanza sich eindeutig dem Widerstand gegen die Mehrwertsteuer und dagegen weniger deutlich der Kritik an den anderen Steuererhöhungen angeschlossen haben.

URNG und die PAN laufen damit in eine selbstgestellte Falle, denn sie wenden sich mit ihrer Haltung gegen Verpflichtungen, die sie selbst mit der Unterzeichnung der Friedensabkommen unterstützt haben, was der Präsident in seinen Reden hervorhebt. Die politische Opposition wandte sich auch gegen von der Regierung abgelehnte der Offenlegung der Verwendung öffentlicher Gelder, gegen die Korruption in den Regierungsämtern und gegen die autoritäre Praxis bei der Entscheidungsfindung und Gesetzgebung.

Die Vorgänge am Tag der Nationalen Würde sind ein beredtes und unverrückbares Zeichen dafür, dass die guatemaltekische Bevölkerung in hohem Masse das neue Steuerpaket ablehnt, das als Gesetzesentwurf von Präsident Portillo im Kongress eingebracht, von der Mehrheitsfraktion der Regierungspartei ohne Diskussion in drei Lesungen verabschiedet und zum Stichtag 1. August als Gesetz in Kraft gesetzt wurde.

Die landesweite Arbeitsniederlegung hatte als Demonstration einen gewissen Erfolg, möglicherweise hätte sie - mit mehr Durchsetzungskraft - vor der Gesetzesverabschiedung stattfinden sollen.

Will man den Erfolg in der öffentlichen Meinung nicht verspielen, so muss alles getan werden, damit die Demonstration der berechtigten Forderungen der Menschen in Guatemala nicht umschlagen in gewaltsame und somit nicht mehr kontrollierbare Aktionen.

Andererseits müsste die Regierung ihrerseits Bereitschaft erkennen lassen, dem berechtigten Verlangen der Bevölkerung nach Beseitigung von Mißständen in Politik, Wirtschaft, Erziehung und Bildung und im Sozialwesen nach Überwindung der Intransparenz des staatlichen Handelns, hochgradiger öffentlicher Unsicherheit und fortschreitender Verarmung Rechnung zu tragen.

Eine Umfrage von "Latinobarómetro", die seit 1995 regelmäßig in 17 Ländern Lateinamerikas durchgeführt wird, kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen den Jahren 2000 und 2001 die Zustimmung der Lateinamerikaner zur Demokratie von 60% auf 48% fiel und ihre Zufriedenheit mit der Demokratie von 37% auf 25% absank. 51% der Befragten sagen, dass die wirtschaftliche Entwicklung wichtiger ist als die Demokratie und nur 25% nennen das politische System als wichtiger. Die Lateinamerikaner, so ein weiteres Ergebnis, müssen den Institutionen, dem Parteiensystem, der Achtung der Meinung der Minderheiten und der Regierung der Mehrheit wenig Bedeutung zu. Sie haben mehr Vertrauen in die Katholische Kirche (72%), in das Fernsehen (49%) und, an dritter Stelle, in die Streitkräfte (38%).

Wenn diese Daten stimmen, ist höchste Wachsamkeit angesagt - nicht zuletzt auch für Guatemala.

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Prof. Dr. Stefan Jost

Prof. Dr

Leiter der Auslandsbüros Guatemala und Honduras

stefan.jost@kas.de +63 2 8539 38-41, -42, -43, -44 ,-45 +63 2 8893 6199

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