Арга хэмжээний мэдээ
In langen weißen Gewändern steigen fröhlich singende und betende Menschen in ein schmales, schlammiges Flüsschen. Selfie-Sticks ragen in die Höhe. Lachende Menschengruppen hier, singende und betende gleich nebenan. Die Taufstelle am Jordan, keine zehn Kilometer nördlich vom Toten Meer, ist in diesen Tagen Magnet für unbeschwerten Religions-Tourismus, für Pilger und Neugierige. Die Zufahrt ins ansonsten abgeriegelte Grenzgebiet ist unproblematisch. Mit dem Zauberwort „Germany“ winkt uns der Militärposten durch. Uns erwarten Parkplätze, Andenkenläden, beinahe ein Idyll. Beinahe. Denn auf den zweiten Blick nehmen wir die Zeichen der latenten Anspannung wahr. Soldaten mit Uzis und Fernmeldegeräten über der Schulter. Ein umgekippter Wachturm. Ein Warnschild vor dem Minenfeld, das gleich hinter dem Zaun beginnt. Bojenketten längs durch den Jordan. So ganz nah weht die jordanische Fahne auf dem anderen Ufer im sanften Wind – und ist doch so weit weg…
Ins Spannungsfeld zwischen Religion und Politik haben sich gut 40 „politische Pilger“ begeben. Sie sind unter der Überschrift „Israel: Gelobtes Land, heiliges Land – für wen?“ der gemeinsamen Einladung von Katholischer Kirche Stuttgart und dem KAS Landesbüro gefolgt. Die organisatorischen Fäden liefen in der Diözesanpilgerstelle der Caritas in den Händen von Ursula Binder zusammen, die ebenfalls Teil der Delegation ist. Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer stammen aus der Region Stuttgart, aber auch Niedersachsen, Bayern und NRW sind vertreten. „Uns hat der Mix aus Pilgerfahrt und Politik gereizt“, so oder so ähnlich formulieren viele ihre Erwartungen. Und gleich beim Start mit El Al ab München haben wir gemerkt, dass bei einer Pilgerreise nach Israel die Politik immer mitfährt. Es sind nicht nur die akribischen Sicherheitsinterviews im etwas versteckt gelegenen El-Al-Terminal. Nicht nur der Polizeiwagen, der die Zufahrt abriegelt, und nicht nur das Maschinengewehr, das die Polizeibeamtin am Eingang zum Terminal trägt. Auf dem Rollfeld begleitet uns bis kurz vor dem Abheben ein Panzerwagen der Polizei. Der Ausnahmezustand des so undurchdringlich scheinenden Konflikts wirft seine Schatten weit über die Region hinaus.
Nicht nur nett!: Komplexes aus der Bibel
Dennoch empfängt uns Israel in erster Linie als Idyll. Sonne, Wärme, karge Weiten und Olivenhaine. Eine laue Brise wiegt die Palmblätter am Ufer des Sees Genezareth, wo wir im Pilgerhaus Tabgha unsere erste Station einlegen. Gegenüber schimmern die Lichter am jordanischen Ufer des Sees, an dessen Ostseite sich die Golan-Höhen erheben.
Werner Laub, Stellvertretender Stadtdekan und Pfarrer von Sankt Elisabeth im Stuttgarter Westen, ist Mit-Initiator und geistlicher Leiter der Gruppe. Als erste Etappe unserer biblischen Spurensuche hat er die Ruinen von Chorazin ausgesucht. „Wehe dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida!“, zitiert Laub aus der Bibel und greift ganz gezielt auch immer wieder komplizierte und komplexe Botschaften der Heiligen Schrift auf, die zu einer intensiven Auseinandersetzung aufrufen. „Jesus konnte auch ganz schön die Krallen ausfahren“, merkt Laub an. An der Brotvermehrungskirche am See Genezareth spüren wir, dass der Glaube längst nicht nur Historie ist und biblische Botschaften bis heute Widerspruch erfahren. Im Juni 2015 war die Kirche Ziel eines Brandanschlags, dessen Urheber jüdische Siedler gewesen sein sollen. Auch mit Geldern des Staates Israel wurden die Schäden wieder beseitigt. Und während wir am See Genezareth unterwegs sind, wird die Kirche unter anderem vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wiedereröffnet.
Geradezu besänftigend wirkt nach einem zugig frischen Tag der abendliche Gottesdienst am Seeufer, an dem sich die Sonne wieder zeigt und uns nicht nur die Herzen wärmt.
Demokratie-Insel Israel: Fünf-Sterne-Gefängnis für Ex-Regierungschef
„Das rechts ist die Mauer, die die palästinensischen Gebiete abtrennt!“ Uns begleitet Dr. Salah Adameh, Dozent für Philosophie an der AlQuds-Universität in Ost-Jerusalem. Er ist nicht nur profunder Kenner der historischen Orte, die wir mit ihm besuchen. Er führt uns ein in die verschiedenen Realitäten von Arabern und Juden in Israel. Immer morgens ein Mini-Kurs für „Guten Morgen“ auf Hebräisch und Arabisch: „Boker tov“ und „sabah elkheir“. Und so lernen wir, auf das Land, das wir durchqueren, immer aus verschiedenen Perspektiven zu blicken: Ein Land, das für Juden, Muslime und Christen gleichermaßen Ort der Verheißung ist. „Das ist ein Fünf-Sterne-Gefängnis, in dem unter anderem Ex-Regierungschef Ehud Olmert einsitzt“, so Adameh. Israel ist die einzige Demokratie in der Region. Doch die wirtschaftliche und militärische Überlegenheit des Staates, der sich offenbar vorgenommen hat, nie wieder Opfer zu werden, hat auch ihre Schattenseiten:
Für den zweiten Teil der Reise haben wir uns in Jericho einquartiert, das auf der Westbank in den Palästinensischen Gebieten liegt. „Es gibt die A-, die B- und die C-Zone, je nachdem, wie groß der Anteil der Selbstverwaltung durch die Palästinenser ist“, erläutert Adameh. Doch während wir von Jericho nach Jerusalem fahren, erhebt sich links der Autobahn, mitten im palästinensischen A-Gebiet, eine große jüdische Siedlung: hohe Mauern, Stacheldraht. Dahinter moderne Wohnhäuser, die einen gehobenen Standard vermuten lassen. Gleich gegenüber: karge Beduinen-Weiler, bestehend aus armseligen Hütten, von denen wir nur ahnen können, wie die feuchte Kälte des späten Winters kriecht. Hier geht es um die Würde aller, die hier zusammen leben. Wie die menschliche Hypothek, die durch den Bau der Siedlungen aufgebaut wird, friedlich aufgelöst werden soll, ist mir schleierhaft. Natürlich berichtet Dr. Adameh von den Widrigkeiten des Alltags als muslimisch geprägter Araber in Ost-Jerusalem. Doch sieht er auch Handlungsbedarf auf der „eigenen Seite“: Den Koran und die Sunna könne man nicht antasten. Aber die Interpretationen der Gelehrten aus den vergangenen Jahrhunderten sollten einer Neu-Interpretation unterzogen werden, findet Adameh.
Siedlungspolitik: Hypothek für eine friedliche Zukunft?
Unsere Tage in Israel sind voller Eindrücke, Gottesdienste, historischer und politischer Erklärungen. Grabeskirche, Geburtskirche, Hochzeitskirche, Berg Tabor, der Suk von Jerusalem, Garten Getsemaneh, Felsendom und Al-Aksa-Moschee, Davidszitadelle. Wir besuchen auch das Kinder-Hospital von Bethlehem, das die Caritas unterhält und das gerade auch arabische Familien und deren Kinder medizinisch und nicht zuletzt mit Hygieneberatung unterstützt. Yad Vashem, die Gedenkstätte für die Holocaust-Opfer in Jerusalem, dringt tief in uns ein.
Das Programm könnte dichter nicht sein, und doch wüsste ich nicht, was man weglassen sollte. Getränkt, auch von den politischen Eindrücken, treffen wir in Jerusalem auf den Nahost-Korrespondenten der „Welt“, Gil Yaron. Er führt uns ein in die geopolitische Lage Israels, die Interessen der Anrainerstaaten, die komplexe Geschichte. Es ist gut, dass unsere politischen Gespräche eher am Ende unserer Reise stehen. Am letzten Nachmittag vor der Heimreise am nächsten Morgen folgt noch ein Besuch im KAS-Büro in Jerusalem, wo uns Dr. Michael Borchard und sein Team herzlich in Empfang nehmen: Die Arbeit der KAS in Israel und die Zusammenarbeit mit unserem Büro in Ramallah. Die innenpolitische Lage und die Rolle von Ultra-Orthodoxen und Nationalreligiösen in der Politik.
In meinem Kopf ist aus dem abstrakten Gebilde Israel, einer bislang sterilen Landkarte, ein Ort voller komplexer Eindrücke geworden: Die Schönheit des Wadi Quelt, die Harmonie des See Genezareth, die Gerüche im Souk Jerusalems, die latente Spannung zwischen Israel und Arabern, die mitunter prekäre Lage der Christen. Genau das hat uns der frühere Landesbeauftragte für Israel, Dr. h.c. Johannes Gerster, vorausgesagt: „Sie fahren mit vielen Fragen nach Israel – und kommen mit noch mehr Fragen zurück.“
сэдвүүд
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