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Konrad Adenauer, die Religion und die Kirchen

z Dr. Hans-Gert Pöttering

Zum 50. Todestag des allerersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland.

Konrad Adenauer war Katholik. Nicht nur auf dem Papier. Die christliche Sozialisation prägte ihn von frühen Kindheitstagen bis buchstäblich zum letzten Atemzug, als er im Bett unter dem Kruzifix seiner weinenden Tochter Libet erklärte: „Do jitt et nix zo kriesche“ (Da gibt es nichts zu weinen).

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Der spätere Bundeskanzler wurde am 5. Januar 1876 in eine religiöse rheinische Familie geboren. Die Taufe war ebenso selbstverständlich wie die Heiligung der Feiertage und die alljährliche Teilnahme an der Fronleichnamsprozession. Zeit seines Lebens sollte Adenauer Halt finden in der Liturgie. Auch unter schwierigen Bedingungen, selbst auf Dienstreisen, die ihn dispensiert hätten, versäumte der Spitzenpolitiker nicht den wöchentlichen Kirchgang. Dass sein Sohn Paul den Weg ins Priesteramt fand, zeigt, dass er den Katholizismus über die Generationen weitergab.

Zahlreiche Äußerungen, gerade in schwerer Zeit, zeugen davon, dass Adenauer im Glauben Halt fand. So schrieb er 1933 aus dem Kloster Maria Laach, in das er sich zum Schutz gegen Verfolgung zurückgezogen hatte, nachdem die Nationalsozialisten ihn aus dem Amt des Kölner Oberbürgermeisters verjagt hatten, an seine Vertraute Dora Pferdmenges: „Man muss sich im wahrsten Sinne des Wortes Gott ganz in die Hand geben, und das erfordert starken Glauben und starkes Vertrauen.“ Allerdings wissen wir kaum etwas über die Inhalte von Adenauers Religiosität. Seine persönlichen Glaubensvorstellungen haben sich kaum in den erhaltenen Quellen niedergeschlagen. Glaubt er eins zu eins an die kirchliche Lehre? Sein Sohn Paul meldet in seinem Tagebuch wenige Monate vor dem Tod des Vaters Zweifel an: „Wie mag er zu seinem Tod stehen? Das Thema wird gelegentlich gestreift. Aber ich habe das Gefühl, als ob es eine seltsame Art von Glauben ist, den er mühsam hochhält. (…) Es ist sehr schwer, hier etwas vom Glauben der Bibel zu landen.“ Gleichzeitig ist er jedoch überzeugt: „Er betet sicher still in den frühen Morgenstunden, wenn er nicht schlafen kann (…).“

Wie dem auch sei, eines lässt sich über Adenauer sicher sagen: Klerikal war er nicht. „Der Glaube das ist eine Sache. Und die Kirche ist eine ganz andere Sache“, legt er seinem Pressechef dar. Und die Kirchen, insbesondere seine eigene, die katholische, kritisiert er bei Bedarf häufig. Seine Kritik folgt dabei politischem, nicht theologischem Impetus. Energisch fährt er dem Münchener Kardinal Michael von Faulhaber in die Parade, als dieser auf dem Katholikentag 1922 die Weimarer Republik schmäht und ihre Gründung mit Meineid gleichsetzt. Adenauer, der Präsident des Kirchentages ist, scheut nicht den öffentlichen Eklat und bezieht für die republikanische Staatsform Position.

Schon damals war Adenauer kein Vernunftsrepublikaner, sondern ein im Herzen überzeugter Demokrat. Die persönliche Freiheit des Individuums stand für ihn an vorderster Stelle. Ob er diese Position, wie es naheliegend wäre, aus dem Evangelium abgeleitet hat, bleibt der Spekulation überlassen. Auf jeden Fall ist er bereit, für sie zu kämpfen. Und in den Kirchen erkennt er einen Bundesgenossen. In ihrem Eintreten gegen die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts – Nationalsozialismus und Kommunismus – weiß sich Adenauer an ihrer Seite. Auch deshalb fühlt er sich Pius XII. so verbunden. Der Papst, der ihn den Großteil seiner Zeit als Bundeskanzler begleitete, war nicht nur – nach den Jahren des Zweiten Weltkriegs von besonderer Wichtigkeit – deutschfreundlich, sondern auch ein fester Verbündeter im Kampf gegen den Kommunismus. Deutlich schwerer tat er sich mit Pius' Nachfolger im Pontifikat, dem Reformpapst Johannes XXIII. Dessen Annäherungsgesten gegenüber dem kommunistischen Ostblock hielt der Kanzler für politisch naiv. Aber auch die innerkirchlichen Reformen gingen ihm zu weit. Völlig frustriert kehrte er 1960 von einer päpstlichen Audienz zurück. Im Zwiegespräch äußerte er sich drei Jahre später drastisch: „Wissen Sie, ich kannte Pius XII. und schätzte ihn sehr. Er war ein bedeutender Mann. Johannes aber war doch eine Katastrophe.“

Nicht nur in diesem Satz erkennt man die Distanz, die Adenauer gegenüber dem Klerus hatte. Unerschütterlich in seinem Katholizismus, scheint er in den Vertretern der Kirche zu allererst die Menschen und ihre politische Haltung und nicht die geistlichen Amtsträger gesehen zu haben. In seinem bekannten Brief an Pastor Custodis vom Februar 1946 setzt er sich kritisch mit der Rolle der Kirche im Dritten Reich auseinander: „Nach meiner Meinung trägt das deutsche Volk und tragen auch die Bischöfe und der Klerus eine große Schuld an den Vorgängen in den Konzentrationslagern. Richtig ist, dass nachher vielleicht nicht viel mehr zu machen war. Die Schuld liegt früher. Das deutsche Volk, auch Bischöfe und Klerus zum großen Teil, sind auf die nationalsozialistische Agitation eingegangen.“ Und eine andere Äußerung macht seine augenzwinkernde Unterscheidung zwischen seinem Glauben und der Amtskirche deutlich. Auf die erstaunte Frage eines Bekannten, ob er tatsächlich noch nie im Vatikan gewesen sei (wir schreiben das Jahr 1949), antwortet er: „Nein. Meinen Sie, ich würde meinen katholischen Glauben aufs Spiel setzen?“

Vor allem aber betont Adenauer das Einigende des Christentums. Bereits in den 1920er Jahren ist er ein Fürsprecher der Ökumene. Der Protestant Robert Pferdmenges ist sein guter Freund und mit dessen Frau Dora pflegt er engen Briefkontakt, in dem es auch immer wieder um Fragen des Glaubens und der Religion geht. Seine zweite Frau Gussie war evangelisch. Wie damals üblich konvertierte sie für die Eheschließung zur Konfession ihres Mannes, die engen sozialen Kontakte zur evangelischen Verwandtschaft blieben jedoch ungetrübt weiterhin bestehen.

Das Christentum als gemeinsame Plattform statt einer Spaltung durch die Konfessionen – dieser Gedanke liegt auch der Gründung der Christlich-Demokratischen Union nach dem Zweiten Weltkrieg zugrunde. Auch Adenauer ist überzeugt davon, dass eine rein katholische Partei keine Zukunft hat. Statt auf eine Wiedergründung des Zentrums setzt er auf eine überkonfessionelle Volkspartei auf Grundlage des christlichen Menschenbilds. Das war gewagt, denn es war alles andere als ausgemacht, dass eine überkonfessionelle Partei die Zustimmung der Katholiken und der katholischen Kirche erringen würde. Es gab im Episkopat durchaus Vertreter, die offen mit der Zentrumspartei sympathisierten, wie der Münsteraner Bischof Michael Keller. Andere unterstützten Adenauer und die Vordenker der CDU. Ausschlaggebend war wohl die Unterstützung des populären Kölner Kardinals Joseph Frings. Er setzte sich über Artikel 32 des Reichskonkordats hinweg, der katholischen Priestern parteipolitische Tätigkeit verbot, und erklärte in einem Brief an Adenauer vom 2. Dezember 1948 seinen Beitritt zur CDU. Damit war der Untergang des Zentrums besiegelt. Im Vatikan war man aufgrund der Verletzung der Konkordatsbestimmungen höchst verärgert; Frings bezog nach eigenem Bekunden einen heftigen „Rüffel“ und ließ im Mai 1949 seinen Austritt aus der CDU erklären. Der erwünschte Effekt wurde aber erreicht, die CDU setzte sich als quasi kirchenamtlich anerkannte Vertretung der deutschen Katholiken in der Westzone durch. So unverzichtbar diese geistliche Unterstützung war, so sehr konnte sie auch zur Hypothek werden. Denn die neugegründete CDU sollte ausdrücklich keine katholische, sondern eine christliche Partei werden. Die Sympathien zahlreicher Katholiken für eine Wiedergründung des Zentrums zu zerstreuen war das Eine. Das Andere war, auch die Protestanten zu gewinnen. Tatsächlich war das katholische Übergewicht nicht zu bestreiten. Das betraf sowohl die CDU selbst als auch ihre Wählerschaft. Denn wenn sie auch eine Neugründung war, so baute sie doch auf den Fundamenten des Zentrums auf. Gerade in dessen ehemaligen Hochburgen konnte sie auf die alten Mitgliederstrukturen und Netzwerke setzen. Und insbesondere dort errang sie in den ersten Jahren ihre größten Erfolge. Dagegen fielen die Ergebnisse in überwiegend evangelischen Gebieten lange Zeit deutlich magerer aus. Damit die Partei tatsächlich ihrem Selbstverständnis einer überkonfessionellen Volkspartei entsprechen konnte, musste sie das Vertrauen der Protestanten gewinnen, ohne gleichzeitig das der Katholiken zu verlieren. Und wohl niemand wäre prädestinierter hierfür gewesen als der erste Bundesvorsitzende der CDU, Konrad Adenauer. Fest verwurzelt im katholischen Milieu und Glauben war er aus Sicht der katholischen CDU-Mitglieder über jeden Zweifel erhaben. Das erlaubte ihm weitgehende Zugeständnisse an den protestantischen Flügel, die man anderen Parteivorsitzenden von katholischer Seite nicht verziehen hätte. Dies betraf zunächst Punkte, die nur indirekt mit konfessionellen Aspekten zu tun hatten, wie sein klares Eintreten für die Soziale Marktwirtschaft oder Koalitionen mit der FDP statt den Sozialdemokraten. Damit vertrat er jedoch Positionen, die eher unter den Protestanten in der Union zu Hause waren. Der katholische Flügel sah sich weit häufiger in weltanschaulicher Opposition zum Liberalismus, trat deshalb für Große Koalitionen ein und setzte auf eine marktskeptische, sehr sozial orientierte Politik, nicht selten sogar unter dem Schlagwort des „christlichen Sozialismus“. Selbst in der zentralen Frage nach dem Verhältnis zu Religion und Kirche gab es deutlich Unterschiede zwischen den Konfessionen: Für die Katholiken war das „C“ unverhandelbar, genauso wie eine enge Anlehnung an kirchliche Positionen. Viele evangelische Christliche Demokraten fürchteten dahinter einen Klerikalismus, der die Partei zum verlängerten Arm der (katholischen) Kirche degradieren würde. Eine strenge Trennung von Staat und Partei sollte ihre Entsprechung in der Partei haben. Auch die Selbstbezeichnung „christlich“ stieß in diesen Kreisen auf vehementen Widerstand.

An dieser Selbstbezeichnung ließ Adenauer nicht rütteln. Das „C“ war für ihn zentral. Im Abfall vom Christentum sah er eine der Hauptursachen für den Nationalsozialismus. Bereits 1946 fasst er das in die prägnanten Worte: „Der grundlegende Satz unseres Programms ist: An die Stelle der materialistischen Weltanschauung muss wieder die christliche treten, an die Stelle der sich aus dem Materialismus ergebenden Grundsätze diejenigen der christlichen Ethik.“ Die wichtigste Folgerung daraus ist für Adenauer die Würde und Freiheit des Einzelnen. Und das verhindert eine zu starke Einmischung der Politik in das Leben der Bürger. Hier trifft er sich mit vielen evangelischen Christlichen Demokraten.

Als sein (katholischer) Bundesfamilienminister Franz-Josef Wuermeling versuchte, christliche Moralvorstellungen zum allgemeinen Maßstab des öffentlichen Lebens zu machen, versagte ihm Adenauer die Unterstützung, obwohl sich seine persönlichen Ansichten in vielen Punkten mit denen seines Kabinettskollegen gedeckt haben dürften. In anderen Fällen vermied er es absichtlich, sich offensiv für katholische Forderungen einzusetzen, um die Protestanten in der Union nicht zu verschrecken. Seine zurückhaltende Unterstützung für die Bekenntnisschulen beispielsweise erklärt sich aus diesem Umstand.

Durch diese abwägende Haltung bewahrte Konrad Adenauer seine Partei, die CDU, von Anfang an davor, eine christlich-, vielleicht sogar katholisch-klerikale Partei zu werden. Gleichzeitig sorgte er jedoch dafür, dass sie immer eine Partei blieb, für die der Dialog mit den Kirchen von besonderer Bedeutung war. So ist es bis heute geblieben – ein wichtiges Verdienst Konrad Adenauers! Apropos heute: Adenauer hätte sich gefreut über eine Bemerkung Benedikts XVI., der sich in seinem Buch „Letzte Gespräche“ als „Adenauerianer“ bezeichnet. Das hat folgenden Grund: Für Adenauer hatte im Hinblick auf die Einheit Deutschlands die Freiheit immer Vorrang. Dies entsprach der Meinung Joseph Ratzingers. Dass die Einheit Deutschlands in Freiheit 1990 möglich wurde – durch die kluge Politik Helmut Kohls gefördert – war in der Politik Adenauers angelegt. Dass ein Papst – wenn auch eher in der Person von Joseph Ratzinger – seine Politik unterstützte, hätte er mit Genugtuung zur Kenntnis genommen und nicht als „klerikalen Einfluss“ auf seine Politik verstanden.

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Berlin Deutschland