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„Europa muss sich nicht belehren lassen”

z Marie Schönitz LL.M.

Eindrücke vom G20-Gipfel in Los Cabos

Nur sieben Monate nach dem Gipfel der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Cannes, einen Tag nach den Wahlen in Griechenland, direkt vor dem Rio+20 Gipfel in Brasilien und mitten im mexikanischen Wahlkampf fand am 18. und 19. Juni der G20-Gipfel unter mexikanischer Präsidentschaft in Los Cabos, Baja California, statt. Anlass, nicht nur für die mexikanische Opposition, den im Dezember scheidenden Präsidenten Felipe Calderón für die Wahl des Zeitpunktes zu kritisieren sowie für die geringe Erwartungshaltung an diesen Gipfel.

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Neben den zu erwartenden Absichtserklärungen konnte man allerdings ein selbstbewusstes und geeintes Europa beobachten, das sich gegen jegliche Kritik an seiner Krisenbewältigung verwahrte.

Es war das erste Mal, dass der G20-Gipfel auf dem lateinamerikanischen Kontinent stattfand, und Mexiko bekam als zweites Schwellenland nach Südkorea und noch vor Argentinien und Brasilien die Möglichkeit, Akzente dafür zu setzen. Das Land konnte schon mehrfach Erfahrungen in der Organisation internationaler Foren sammeln und erwies sich zuletzt 2010 als guter Gastgeber der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Cancun. Wegen der prekären Sicherheitslage in Mexiko ist es umso wichtiger geworden, sich international auch von anderer Seite zeigen zu können.

Seit Dezember letzten Jahres hat Mexiko den Vorsitz der G20 inne und richtete bereits im Vorfeld mehrere Gipfelveranstaltungen aus. Aufgrund des informellen Charakters der G20 ist es den ausrichtenden Ländern gestattet, eine Agenda mit eigenen Schwerpunkten festzulegen. Eine Gelegenheit, Themen auf die Agenda zu bringen, die vor allem für Schwellenländer eine Bedeutung haben. Mexiko hatte sich für folgende Agenda entschieden:

  1. Ökonomische Stabilität und strukturelle Reformen für Wachstum und Beschäftigung
  2. Stärkung des Finanzsystems und Förderung von finanzieller Teilhabe für wirtschaftliches Wachstum
  3. Verbesserung der internationalen Finanzarchitektur in einer globalisierten Welt
  4. Steigerung der Nahrungsmittelsicherheit und Verringerung der Volatilität von Rohstoffpreisen
  5. Förderung von nachhaltiger Entwicklung, grünem Wachstum und der Bekämpfung des Klimawandels.
Bei dem letzten Punkt handelte es sich um einen von Mexiko gesetzten Schwerpunkt, der so vorher nicht auf der Agenda der G20 auftauchte. Die restlichen Punkte knüpften an vorangegangene Gipfel an. Regionale Themen waren für Los Cabos nicht angedacht; eine vorherige Koordinierung mit den anderen lateinamerikanischen Ländern fand nicht statt. Neben der thematischen Erweiterung hatte sich Mexiko jedoch ernsthaft bemüht, schon im Vorfeld des Gipfels in den Dialog mit unterschiedlichen Akteuren sowie der Zivilgesellschaft zu treten. So gab es den Austausch mit der Jugend (Youth20), der Privatwirtschaft (Business20), den Gewerkschaften (Labour20) und der Wissenschaft (ThinkTank20). Man wollte der G20 dadurch mehr Legitimität verschaffen und frühzeitig sowie transparent über die Agenda diskutieren. Russlands Botschafter in Mexiko, Valery I. Morozov, begrüßte diese Initiative in der mexikanischen Presse und kündigte an, dass man diesen Ansatz unter russischer Präsidentschaft weiterverfolgen würde.

Grüne Agenda

Es lag in Mexikos Interesse, neben der Behandlung unmittelbarer Probleme, wie der Überwindung der weltweiten Wirtschaftskrise, nicht die langfristigen Herausforderungen wie den Klimawandel aus dem Blick zu verlieren – so die Auskünfte auf der offiziellen Website der mexikanischen Regierung. Unter der Präsidentschaft Mexikos sollte daher versucht werden, sich sowohl der Wiederherstellung von wirtschaftlicher Stabilität und Wachstum als auch der Bekämpfung des Klimawandels zu widmen. Den Schlüssel für letzteres sieht man im sogenannten „green growth“, welches die Umstellung von Produktions- und Konsumgewohnheiten auf Modelle beinhaltet, die Wirtschaftswachstum bei gleichzeitigem Schutz der natürlichen Ressourcen ermöglichen.

Zudem war es für das Schwellenland von Bedeutung, die starke Ungleichheit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu diskutieren. Für die Nahrungsmittelsicherheit der Weltbevölkerung müsse die Nahrungsmittelproduktion stark ansteigen, wobei der Großteil in den Entwicklungsländern hergestellt werden müsste. Auch die Preise für fossile Brennstoffe und ihr Beitrag zur Umweltverschmutzung und globaler Erwärmung wurden in Los Cabos diskutiert. So wurde ein Bericht über die Auswirkungen weltweit steigender und volatiler Rohstoffpreise entgegen genommen und das Ziel bekräftigt, die Subventionierung fossiler Energieträger weiter abzubauen. Damit könne dem Umweltschutz und der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen gleichermaßen Rechnung getragen werden, ohne arme Bevölkerungsschichten zu benachteiligen. In Mexiko stellt dies allerdings ein heikles Thema dar, da die Preise für Benzin und Diesel großzügig subventioniert sind und sich eine Abkehr von dieser Politik schwierig gestalten dürfte.

Andere Länder hatten im Vorfeld kritisiert, dass man mit einer grünen Agenda die Abgrenzung zum UN-Klimagipfel Río+20 erschweren würde, der direkt im Anschluss an den Gipfel vom 20. - 22. Juni in Río de Janeiro stattfand. Auch wurde dieser Punkt in den mexikanischen Medien zuvor als paradox und „kosmetisch“ bezeichnet, da in Mexiko weder die politischen noch die strukturellen Voraussetzungen für grünes Wachstum vorliegen würden. Viel Zeit für die Besprechung der grünen Themen, sowie der anderen „Randthemen“ wie Handel, Entwicklung und Beschäftigung blieb in Los Cabos wie erwartet nicht, da der Gipfel ganz im Zeichen der Eurokrise stand und es sich bei den G20 zuvorderst um ein Gremium handelt, das sich mit Fragen der internationalen Finanz- und Wirtschaftspolitik befasst. So mündete dieser Punkt der Agenda in acht Deklarationen, in denen die Wichtigkeit des „green growth“ und des Kampfes gegen den Klimawandel bestätigt wurden. Viele G20-Staaten, darunter auch Deutschland, unterstützten das Thema ausdrücklich und setzten sich dafür ein, dass die Wachstumsdynamik von Innovationen bei „grünen“ Technologien genutzt werde. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Vereinten Nationen und die Weltbank stellten darüber hinaus einen Bericht über Strategien zur Einbettung von „green growth“ in nationale Strukturreformen vor.

Selbstbewusstes Europa

Im Rahmen des Gipfels gaben auch der Präsident des Europäischen Rates Herman van Rompuy und Kommissionspräsident Manuel Barroso Erklärungen zur aktuellen Situation in Europa ab und standen für Fragen der Journalisten zur Verfügung. Barroso platzte bei dieser Presseerklärung angesichts der vielen Kritik an Europas Krisenmanagement von Seiten der USA, China, Indien und Südkorea sichtlich der Kragen: "Wir sind nicht hierher gekommen, um uns belehren zu lassen“, sagte er. Die Krise sei nicht von Europa ausgelöst worden, sondern habe in den USA "durch die unorthodoxe Praxis in Bereichen des Finanzmarktes" ihren Ausgang genommen. Europa sei daher nicht für alle finanziellen Probleme in der Welt verantwortlich. Zudem handele es sich bei den europäischen Staaten um 27 Demokratien, die offen mit ihren Problemen umgingen und Entscheidungsprozesse durchlaufen müssten. "Das braucht Zeit." Bei anderen G20 Staaten würde es sich noch nicht einmal um Demokratien handeln. Europa habe deswegen keinen Nachhilfeunterricht in Demokratie nötig. Er begrüßte ausdrücklich den Ausgang der Wahlen in Griechenland, bezeichnete sie als Bekräftigung des europäischen Projekts und versicherte, dass die Europäer ihre Probleme in den Griff bekommen würden. Das Modell Europa sei eines, auf das man sehr stolz sei könne, und man habe die Geduld, diese Krise zu überwinden. Gelobt wurden auch Spaniens Ankündigung zur Rekapitalisierung seines Bankensystems und die Bereitschaft der Eurozone, den spanischen Staat dabei zu unterstützen.

Barroso wie auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderten, die EU müsse ihre Integration stärker vorantreiben und die Schritte gehen, die für eine Einheitswährung nötig seien. Barroso sagte, er wolle die finanziellen Strukturen der politischen Union anpassen. Dazu zählte er auch die sogenannten „Eurobonds“, allerdings würde dies erst Sinn machen, wenn auch die Bedingungen dafür erfüllt seien. Erregt reagierte Barroso auch auf die Frage eines kanadischen Journalisten, warum Nordamerikaner nun über den Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Probleme reicher Europäer geradestehen sollten. Der EU-Kommissionspräsident betonte darauf hin, dass die Europäische Union als größte Volkswirtschaft der Welt auch die größten Beiträge in den Währungsfonds einzahle.

Die Bundeskanzlerin wehrte sich in Los Cabos ebenfalls gegen die Kritik am Umgang mit der europäischen Krise. Auch die anderen großen Wirtschaftsmächte stünden in der Pflicht: "Hier wird jeder Kontinent seinen Beitrag leisten müssen", sagte sie. Während des Gipfels sprach sie eine Dreiviertelstunde mit US-Präsident Barack Obama, der danach publik werden ließ, dass er „ermutigt“ sei über die Richtung, in die Europa ginge. Man milderte die Kritik ab und äußerte nun, dass man Vertrauen in die konsequente Umsetzung der Maßnahmen zur Krisenbewältigung habe.

Die Bundeskanzlerin verwies des Weiteren auf die bisher nicht umgesetzten Zusagen bei der Neuordnung der Machtverhältnisse innerhalb des IWF zugunsten der Schwellenländer sowie auf die weitere Finanzmarktregulierung und hierbei insbesondere auf die Bankenregulierung. Sie warnte erneut vor zu viel Protektionismus in den G20-Ländern und äußerte, dass protektionistische Maßnahmen "absolut schlecht für die Entwicklung des weltweiten Wachstums" seien.

Ergebnisse des Gipfels

Zentrales Ergebnis des Gipfels war die Verabschiedung des „Aktionsplans von Los Cabos für Wachstum und Beschäftigung“, der den Aktionsplan von Cannes, der unter der französischen Präsidentschaft im November letzten Jahres verabschiedet worden war, ersetzt. Man wollte an den in Toronto formulierten Zielen der Fiskalkonsolidierung festhalten und verpflichtete sich, zu einem starken, nachhaltigen und ausgeglichenen Wachstum beizutragen. Die Staats- und Regierungschefs bekannten sich dazu, dass die Finanzmarktregulierung ein zentrales Element ihrer Bemühungen bliebe. Die Euro-Länder formulierten eine Garantie für die Stabilität der gemeinsamen Währung. Während des Gipfels wurde zudem beschlossen, dass sich Mexiko der transpazifischen strategischen wirtschaftlichen Partnerschaft (kurz TPP) anschließen werde und somit einem Freihandelsabkommen für den Asien-Pazifik-Raum beitrete.

Als großen Erfolg der mexikanischen G20-Präsidentschaft kann man den Beschluss der Ressourcenaufstockung des IWF bezeichnen, die eine Ansteckung anderer Länder durch die Eurokrise abfangen soll. Durch die Zusagen der Schwellenländer in Los Cabos hat man zudem eine faire und international ausgeglichene Lastenteilung erreicht. Insgesamt stünden dem IWF nunmehr rund 456 Mrd. USD mehr zur Verfügung, wie IWF-Chefin Christine Lagarde mitteilte. Deutschland wird über die Bundesbank etwa 41,5 Milliarden Euro beitragen. China versprach 43 Milliarden Dollar. Indien und Russland kündigten an, jeweils zehn Milliarden Dollar zur Verfügung stellen zu wollen – dies, obwohl sie eine finanzielle Beteiligung bisher offen gelassen und noch kurz vor Gipfel Bedingungen daran geknüpft hatten. Vor allem verlangten sie IWF-Reformen zu ihren Gunsten, um mehr Mitspracherechte im Währungsfond zu haben. Die USA und Kanada würden an der Erhöhung nicht teilnehmen, da Europa wohlhabend genug sei, um seine Krise finanziell zu bewältigen.

Die G20 zeigten sich letztlich besorgt über die zu beobachtende weltweite Zunahme protektionistischer Tendenzen. Die entsprechende „Stillhalteklausel“ wurde in Los Cabos daher bis 2014 verlängert, verbunden mit der Aufforderung, bereits erfolgte protektionistische Maßnahmen rückgängig zu machen. Das Thema Beschäftigung wurde unter dem Aspekt des Kampfes gegen die Jugendarbeitslosigkeit behandelt. In diesem Zusammenhang wurde eine Liste mit konkreten Empfehlungen und Maßnahmen zur Verbesserung des Übergangs von der Schulausbildung zur Berufstätigkeit und zur Reform der Berufsausbildung (mit dem Leitbild des deutschen dualen Systems) erarbeitet.

Das nächste G20-Treffen wird 2013 unter russischer Präsidentschaft in St. Petersburg stattfinden.

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