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KAS / Carmen Ramírez

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Paraguays Machtmaschine läuft weiter

z Sebastian Grundberger, Zoe von Blücher López

Die „Colorados“ behaupten bei den Wahlen ihre politische Vorherrschaft im südamerikanischen Binnenstaat

Paraguays Wähler verschaffen der klientelistisch-konservativen Colorado-Partei einen Erfolg auf ganzer Linie. Der neugewählte Präsident Santiago Peña wurde nicht nur mit deutlicher Mehrheit ins Präsidentenamt gewählt, sondern kann künftig auch auf eine absolute Mehrheit in beiden Parlamentskammern bauen. Während ein rechter Anti-System-Kandidat überraschend stark abschnitt, sind die politische Linke und auch die Mitte die großen Verlierer dieser Wahlen. Wichtigste Herausforderung des jungen neuen Staatschefs wird es sein, sein Versprechen einer politischen Erneuerung anzugehen. Größte Hypothek ist dabei seine Nähe zum der Korruption angeklagten Ex-Staatschef Horacio Cartés.

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Letztlich wurde es deutlicher als von vielen erwartet. Mit 42,47 Prozent der abgegebenen Stimmen konnte sich Santiago Peña von der  Asociación Nacional Republicana – Partido Colorado (ANR-PC)  am 30. April an den Urnen durchsetzen. Der 44jährige Wirtschaftswissenschaftler verwies Efraín Alegre von der Liberalen Partei (Partido Liberal Radical Auténtico) mit 27,48 Prozent abgeschlagen auf den zweiten Platz. Während Alegre dem Wahlsieger am Wahlabend gratulierte, versprach Peña, die „Einheit“ zu suchen um „das Land zu bauen, welches wir brauchen“. In unmittelbarer Nähe zum neu gewählten paraguayischen Präsidenten stand sein Mentor, der von den USA der Korruption bezichtigte ehemalige Präsident Horacio Cartés. Dieser erklärte, er sei „überwältigt vor Emotion“ und kündigte an, ein „Werkzeug“ für den Erfolg Peñas im höchsten Staatsamt sein zu wollen.

Bei einer Wahlbeteiligung von rund 63 Prozent der insgesamt rund 4,8 Millionen Wahlberechtigten konnte die „Nationale Republikanische Allianz“, wie die „Colorado-Partei“ mit vollem Namen heißt, einen Erfolg auf ganzer Linie verbuchen. Neben dem Präsidentenamt gewann sie mit 23 von 45 Mandaten auch die absolute Mehrheit im Senat. Damit legte sie im Vergleich zur letzten Legislaturperiode um sechs Sitze zu. Im neuen Abgeordnetenhaus verfügt sie mit 49 (bisher 42) von 80 Mandaten ebenfalls deutlich über die absolute Mehrheit. Zudem konnten die Colorados 15 von 17 Gouverneursposten besetzen und damit vier hinzugewinnen.  Großer Verlierer der Wahl war die „Concertación Nacional para un Nuevo Paraguay“, eine von der Liberalen Partei angeführte Vielparteienkoalition von Mitte-Rechts bis Links, deren wichtigstes verbindendes Element die Gegnerschaft zur Colorado-Partei ist und die ihren gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten in einer internen Vorwahl am 18. Dezember 2022 bestimmt hatte. Am Tag des Finales der Fußball-WM war es Alegre dabei gelungen, dank der Mobilisierungsfähigkeit seiner Traditionspartei die meisten Stimmen für sich zu mobilisieren. Auch die Colorado-Partei hatte am selben Tag Vorwahlen abgehalten, bei denen sich Santiago Peña gegen dessen internen Gegenkandidaten Arnold Wiens durchsetzen konnten.

 

Wenig ideologische Unterschiede

Bei dieser Wahl ging es weniger um Inhalte als um die Frage, ob es gelingen würde, die Colorado-Partei von der Macht zu verdrängen. Die Frage war somit, was stärker wiegen würde: die gut geölte Machtmaschine ANR-PC oder der Wunsch der Paraguayer nach politischem Wandel. Was die inhaltlichen Versprechungen betrifft, wich das Angebot Efraín Alegres bei seinem dritten Versuch, die Präsidentschaft zu erringen, nur recht marginal von dem der „Colorados“ ab. In einigen Bereichen, insbesondere in der Gesundheitspolitik, versuchte er vorsichtig, eigene Akzente zu setzen. Die Colorados setzten hingegen inhaltlich vor allem auf die Themen Innere Sicherheit und traditionelle Familienwerte. Teilweise glich die Kampagne dabei einem Kulturkampf, wenn etwa die Concertación vorgehalten bekam, von internationalen progressiven Gruppen gesteuert zu werden.

Die Wahl fand zum ersten Mal im nationalen Kontext mit einem neuen Wahlrecht statt. Statt der traditionell üblichen geschlossenen Parlamentslisten konnten die Wahlberechtigten jetzt innerhalb der Listen für die eine oder andere Kandidatur direkt stimmen. Somit wurden nicht die Kandidatinnen und Kandidaten gewählt, die jeweils die Parteilisten anführten, sondern diejenigen, die innerhalb der Listen die meisten Stimmen erhielten, was in der Praxis zu einer Konkurrenzsituation innerhalb der Listen führte. Zudem war dies der erste nationale Urnengang, in dem neue elektronische Wahlmaschinen benutzt wurden. Das System hatte den Vorteil, dass am Wahlabend die Ergebnisse recht schnell bekannt wurden. Auch wenn die Wahlmaschinen nach Meinung vieler Experten Wahlmanipulation erschwerten, hatten viele und besonders ältere Wähler ihre Schwierigkeiten mit der elektronischen Stimmabgabe. Bei hohen Temperaturen führte dies zu vielen Verzögerungen und langen Schlangen in den Wahllokalen. Zudem werden in Paraguay die Wahlhelfer von den politischen Parteien bestimmt, was der weitaus bestorganisierten Colorado-Partei einen entscheidenden Vorteil verschafft. Berichte über Stimmenkauf in beachtlichem Ausmaß gehören fast schon traditionell zu paraguayischen Wahlen. Letztlich fiel der Vorsprung der Colorados jedoch so groß aus, dass all dies die Glaubwürdigkeit des Wahlausgangs kaum beeinflussen konnte.

 

Zerstrittene Machtmaschine

Auch wenn Paraguay bereits 1991 mit den ersten Lokalwahlen nach der durch die Colorado-Partei getragenen Diktatur von Alfredo Stroessner (1954-1989) zur Demokratie zurückkehrte, ist das Land bislang nicht an Regierungswechsel gewöhnt. Das einzige Mal, dass in rund 70 Jahren ein Nicht-Colorado regierte, war während der Regierungszeit des linken ehemaligen katholischen Bischofs Fernando Lugo zwischen 2008 und 2012, der allerdings vor Ablauf seiner Regierungszeit vom Parlament abgesetzt wurde. Ansonsten hat durchgehend die Colorado-Partei die Geschicke Paraguays praktisch ununterbrochen dominiert und dabei ein klientelistisches System aufgebaut, welches Partei und Staat in einer kaum zu entwirrenden Art und Weise verknüpft. Auch wenn sich die Partei in den letzten Jahren ein dezidiert konservatives Image gibt, ist sie vor allem eine aus vielen Elementen zusammengesetzte Seilschaft und eine mit viel Geld geölte Wahlmaschine. Nach dem Wahlsieg Fernando Lugos kaufte sich der Unternehmer Horacio Cartés in diese Strukturen ein und gewann die Präsidentschaftswahl 2013. Cartés gilt manchen traditionellen Parteieliten daher als Eindringling. Seit seinem Eintritt in die Politik wurden auch die Verstrickungen des Magnaten in illegale Aktivitäten immer öffentlicher zum Thema. Cartés ist der größte Zigarettenfabrikant des Landes und verkauft ein Vielfaches des internen Konsums an Tabakwaren. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Großteil der Produktion für den Schmuggel insbesondere nach Brasilien bestimmt ist. Mit rund 70 vom Ex-Staatschef kontrollierten Firmen nimmt dessen Imperium eine marktbeherrschende Stellung in vielen Wirtschaftssektoren ein. Cartés´permanenter Wandel zwischen legaler Wirtschaft und Schattenwirtschaft wurde immer wieder von den USA kritisiert. Im Jahr 2022 deklarierte ihn die US-Botschaft als „schwerwiegend korrupt“, erklärte sein US-Visum für ungültig und stoppte seinen Zugang zum US-Finanzsystem. Unter anderem wird Cartés vorgeworfen, Abgeordnete durch großzügige parallele Gehaltsstrukturen bestochen zu haben. Die Spaltung innerhalb der Colorado-Partei zwischen dem Cartés-Flügel und seinen internen Gegnern ging so weit, dass die Partei im vergangenen Parlament praktisch in zwei Fraktionen gespalten war. Dabei war eine gegenüber dem ausgehenden Präsidenten Mario Abdo Benitez, die andere gegenüber Cartés loyal. Besonders vielsagend war die Weigerung des ausgehenden Staatschefs, eine Wahlempfehlung für seinen Parteifreund Santiago Peña abzugeben. Die Colorados fungierten während der letzten fünf Jahre somit gewissermaßen als Regierung und Opposition in einem, was manche Analysten am Tag nach der Wahl zu der Aussage verleitete, in Paraguay habe es am 30. April einen Regierungswechsel gegeben.

 

Erfolg für Polit-Prolet

Die größte Überraschung der Wahl lag im fast schon sensationellen Erfolg des rechten Anti-System-Kandidaten Paraguayo Cubas, der mit 22,9 Prozent der Stimmen erstaunlich als Drittplatzierter knapp hinter Efraín Alegre rangierte. Cubas ist ein Polit-Prolet, der durch permanente Provokation Aufmerksamkeit auf sich zieht. So kritisierte er immer wieder frontal die paraguayische Demokratie oder forderte die Einführung der Todesstrafe. Im Jahr 2019 wurde er aus dem Senat ausgeschlossen, nachdem er mehrfach durch gewalttätige Übergriffe gegen andere Politiker und Ordnungskräfte aufgefallen war. Kurz vor der Wahl sorgte ein Video für Aufsehen, in dem Cubas in einem Bus des öffentlichen Nahverkehrs Passagiere wegen deren politischer Ansichten beleidigte. Noch überraschender als das starke Abschneiden Cubas´ war die Tatsache, dass seine Partei „Cruzada Nacional“ (Nationaler Kreuzzug) insgesamt neun Parlamentsmandate gewinnen konnte.

Auffällig an dieser Wahl war auch die Schwäche der politischen Linken, deren Gallionsfigur Fernando Lugo nach einem Schlaganfall kaum noch ein politischer Faktor darstellt und den Wiedereinzug in den Senat verpasste. Die Parlamentsliste seiner linken „Frente Guasú“ schrumpfte von sieben auf einen Senatsposten.  Im Gegensatz zur Wahl 2018, als sich Efraín Alegre gezwungen sah, mit einer dezidiert linken Vizepräsidentschaftskandidatin anzutreten, wählte er dieses Mal eine politisch unabhängige ehemalige Ministerin der Cartés-Regierung, um dadurch Signale in die politische Mitte zu senden. All dies jedoch half ihm nichts.  Entgegen einiger Umfragen, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt hatten, wurden Alegre, seine Liberale Partei und die gesamte Oppositionsallianz in einer Art und Weise abgestraft, die sie zum Nachdenken über ihre politische Strategie für die Zukunft zwingen wird.

Nicht nur bot die Opposition mit Efraín Alegre einen konventionellen Politiker mit geringen Sympathiewerten auf, sondern nutzte den Slogan „Vaterland statt Mafia“ und attackierte vor allem Horacio Cartés, statt die laut Umfragen wichtigsten Sorgen der Menschen wie die Teuerung der Grundnahrungsmittel und die Arbeitslosigkeit prominent anzusprechen. Die Proteststimmen gegen Horacio Cartés und die politische Klasse entfielen letztlich auf den Anti-System-Kandidaten Cubas statt auf Alegre. Insbesondere war es das Cartés-Medienimperium, welches während der letzten Monaten vor der Wahl intensiv über jede Aktivität Cubas´ berichtete. Die Kalkulation im Cartés-Lager, dass Cubas vor allem mögliche Alegre-Wähler anziehen könnte, ging voll und ganz auf.  Durch die Aufspaltung der Opposition reichte den Colorados letztlich die Mobilisierung ihrer großen Stammwählerschaft, um auch ihre Parlamentspräsenz wesentlich auszubauen. Während Santiago Peña nur unwesentlich mehr Stimmen erhielt als Mario Abdo Benítez 2018, stürzte Efraín Alerge im Vergleich zu den letzten Wahlen um rund eine halbe Million Stimmen ab. In diesen Negativ-Sog geriet neben anderen Kräften der politischen Mitte auch die christdemokratisch orientierte Mitte-Rechts-Partei „Patria Querida“, die als Teil der „Concertación“ insgesamt vier Parlamentsmandate verlor und nur noch einen Senatsposten und ein Abgeordnetenmandat gewinnen konnte.

 

Ein Riese mit tönernen Füßen?

Auf dem Papier hat die Colorado-Partei während der nächsten fünf Jahre eine Macht wie bisher kaum in der demokratischen Geschichte des Landes. Der Opposition fehlt es dabei sowohl an überzeugendem Personal als auch an einer gemeinsamen Agenda.  Offenbar erschien das Angebot eines jungen, eher unverbrauchten und agilen Politikertyps wie Santiago Peña im Rahmen der bestehenden Strukturen attraktiv. Dessen Nähe zu Horacio Cartés und die Aktivitäten der US-Botschaft scheinen das Wahlergebnis kaum beeinflusst zu haben.

Es herrscht eine gewisse Hoffnung, dass sich der ursprünglich aus der Liberalen Partei stammende Absolvent der Columbia University und Finanzminister in der Cartés-Regierung zwischen 2015 und 2017 als Reformpolitiker erweisen könnte. Wie durchschlagend eine Reformagenda aussehen kann, hängt jedoch nicht zuletzt davon ab, ob Peña irgendwann die politische Statur gewinnen kann, um diese im Zweifel auch gegen die wirtschaftlichen und politischen Interessen seines Mentors durchsetzen zu können.  Als Cartes´ Zögling verfügt Peña in der Colorado-Partei kaum über eine eigene Hausmacht. Dies kann ihm besonders deshalb gefährlich werden, weil die klare Mehrheit der neuen Colorado-Abgeordneten sowie der neu gewählten Gouverneure der rivalisierenden Fraktion der Colorado-Partei angehören. Aufgrund dieser internen Opposition könnte sich der neue Präsident bei mangelndem Fingerspitzengefühl schnell als der sprichwörtliche Riese mit tönerneren Füßen erweisen.

Das Land steht unterdessen vor großen Herausforderungen. Zwar verfügt Paraguay dank seines markwirtschaftlichen Kurses in den letzten Jahrzehnten bei einer in Lateinamerika ungewöhnlichen politischen Stabilität über ein im regionalen Vergleich robustes Wirtschaftswachstum. Gleichzeitig ist es jedoch immer noch eines der ärmsten Länder der Region, in dem das organisierte Verbrechen und die Schattenwirtschaft eine wichtige Rolle spielen. Immer wieder kam es zudem intern zu gewalttätigen Ausschreitungen, etwa als Horacio Cartés im Jahr 2017 versuchte, eine Verfassungsänderung durchzusetzen, um erneut als Präsidentschaftskandidat antreten zu können, oder als 2021 im Zuge der Corona-Krise das Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch stand.

Eher wenig ändern dürfte sich hingegen an der Außenpolitik Paraguays. Auch wenn der neue Präsident eine mögliche Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Venezuela in Aussicht stellte, bleibt Paraguay gegenüber den verschiedenen linksautoritären Regimes der Region weiter kritisch. In einer von zahlreichen Schattierungen der politischen Linken regierten Region ist dies derzeit eher die Ausnahme als die Regel. Besonders ist auch die Tatsache, dass Paraguay als einziges südamerikanisches Land diplomatische Beziehungen zu Taiwan unterhält.  Während Efraín Alegre im Wahlkampf eine Anerkennung Chinas offengelassen hatte, wird sich am Status Quo mit Santiago Peña kaum etwas ändern. Zumindest in diesem Punkt scheint innerhalb der Colorado-Partei Einigkeit zu bestehen.

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Sebastian Grundberger

Direktor Regionalprogramm Parteiendialog und Demokratie /Länderprogramm Uruguay

sebastian.grundberger@kas.de +598 2902 0943

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