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Präsident Chávez verschärft das Tempo der Revolution.

z Michael Lingenthal

Die Opposition weiter auf der Suche nach ihrer politischen Zukunft

Die Verhaftung von Unternehmerpräsident Carlos Fernández und die Kommentare von Präsident Chávez dazu, haben die politische Stimmung erneut verschärft. Die Opposition will nicht zurückweichen und wird ihre Massenproteste verschärfen.Währenddessen droht Venezuela weiter ungebremst dem politischen, finanziellen und wirtschaftlichen Chaos entgegen zu steuern. Präsident Chávez verschärft das Tempo der Revolution, bereitet das legale Umfeld zu ihrer Vertiefung vor, arbeitet mit den Mitteln der staatlichen Preisfestsetzung sowie der Devisenkontrolle, um den Problemen Herr zu werden und um gleichzeitig seine Bolivarianische Revolution verbindlich zu installieren.Die Opposition steckt in einer tiefgreifenden Auseinandersetzung über Ziele und Strategie des weiteren Vorgehens. Alte politische Kräfte gegen neue Parteien sowie Zivilgesellschaft, Fundamentalopposition oder begrenzte Kooperation sind die Felder des notwendigen Streits, um zu einem neuen Konsens des Oppositionsbündnisses „Coordinadora Democrática“ zu kommen.

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Die OAS-Vermittlung unter Leitung des OAS-Generalsekretärs César Gaviria und mit fester Begleitung der Gruppe der sechs Staaten der „Freunde Venezuelas“, bleibt die einzige Möglichkeit, um auf der Basis der „Carter-Vorschläge“ doch noch zu einer Übereinkunft zu kommen und ein zu befürchtend gewaltsames Ende der Krise auszuschließen, wo sich „die Straße“ ihre Lösungen selbst suchen würde.

Verhaftung von Unternehmerpräsident Carlos Fernándezheizt die innenpolitische Lage Venezuelas weiter auf

Die politische Geheimpolizei Venezuelas (DISIP) hat in den frühen Morgenstunden des 20. Februar Unternehmerpräsident Carlos Fernández verhaftet. Seine Vorführung vor den Haftrichter glich dem Transport eines Schwerstkriminellen. Mit Handschellen und im Laufschritt wurde er vom Fahrzeug in das Gerichtsgebäude „geleitet“. Der zuständige Haftrichter hält die Haftgründe für ausreichend, um die Haft fortzusetzen. Innerhalb von 30 Tagen soll die Anklage präsentiert werden. Carlos Fernández werden Vaterlandsverrat, Rebellion, Verwüstung, Zusammenrottung zur Ausführung von Verbrechen sowie Aufruf zu Straftaten vorgeworfen. Gestützt werden die Aktion und Argumentation des Haftrichters durch den MVR-Parlamentsabgeordneten (Regierungspartei) Dario Vivas, der als „privater“ Nebenkläger auftritt.

Gegen Carlos Ortega, Vorsitzender des nationalen Gewerkschaftsverbandes CTV, erging mit gleicher Begründung ein Haftbefehl. Ortega ist zur sofortigen Festnahme ausgeschrieben. Er hält sich versteckt, weil er um sein Leben fürchtet, will jedoch Venezuela nicht verlassen und seine Verantwortung im Kampf um die Demokratie weiterführen.

Wozu wird Carlos Ortega aufrufen? Wird er sich an die Spitze eines Massenprotestes setzen und ohne Rücksicht auf die Coordinadora handeln? Über die Fragen des Streikendes und der Unterstützung für den Ölsektor überwarf sich Ortega mit dem pluralen Aktionsbündnis.

Am Wochenbeginn entdeckte man an zwei unterschiedlichen Orten die Leichen von drei Soldaten und einer Frau, allem Anschein nach regelrecht hingerichtet. Alle drei Soldaten gehörten zu den Angehörigen der Streitkräfte, die ununterbrochen seit dem 22. Oktober 2002 im „legitimen Ungehorsam“ auf der „Plaza Francia“ ihren Protest gegen Präsident Chávez öffentlich zeigen. Die Untersuchungsbehörden, in anderen Fällen von Gewaltanwendung –wie am 11. April 2002- nicht eben schnell mit Aussagen, beeilten sich festzustellen, dass offensichtlich „private Rache“ das Mordmotiv war, es für „politische Hintergründe“ keine Anzeichen gebe.

Die Reaktionen auf die Verhaftung und die Morde könnten nicht unterschiedlicher sein. Als „längst überfällig“ und „höchste Zeit“ hat Präsident Chávez die Festnahme bezeichnet und nach dem Hinweis auf die Unabhängigkeit der Justiz erklärt, dass er sich mit einem „sonrisa“ (Lächeln) schlafen gelegt habe und zuvor mit Genuss noch eine Nachspeise seiner Mutter verzehrte. Die Ermordung der Soldaten, die er selbstverständlich bedauere, wertete Präsident Chávez als „große Show“ der rebellierenden Generale. Erneute Angriffe auf die Medien, die sich in den kommenden Tagen nicht über Entscheidungen wundern sollten, weil noch „eine Rechnung vor dem Gesetz offen stehe“ blieben nicht aus. „Die Revolution wird auf der Straße verteidigt“ war der Aufruf des Präsidenten an seine Anhänger, in Reaktion auf die angekündigten Proteste der Opposition. Als „Geste des guten Willens“ habe er seinen Säbel aus der Hand gelegt, aber jetzt werde er „seinen Säbel niemals mehr in die Scheide stecken“.

„Ein Bandit kann nicht Präsident der Unternehmer sein“ ruft er vor begeisterten Anhängern in der Provinz aus und „wie die Kavallerie zum Angriff“. Exparlamentspräsident William Lara (MVR) fordert, dieser Verhaftung noch weitere folgen zu lassen.

Vizepräsident und Regierungsmitglieder erklären im vollen Ernst, keine Detailkenntnis von den Vorgängen zu haben und verweisen auf die Unabhängigkeit der Gewalten und den Rechtsstaat. Beides werde von der Regierung Chávez präzise eingehalten. Und zu den Vorgängen wollen sie keine offizielle Meinung der Regierung vortragen, weil es diese in Respekt vor Gewaltenteilung und Rechtsstaat nicht gebe, da die Justiz völlig unabhängig arbeite. Es klingt überzeugend, weil zeitgleich Präsident Chávez selbst Bewertung und Sprachregelung vorgibt.

Der erste, spontane Protest der Opposition beginnt noch in der Nacht: Hupkonzerte, Stillegen des fließenden Verkehrs, eingeschaltete Warnblinkanlagen nicht nur in Caracas, sondern in allen Teilen des Landes. Die für die Abendstunden ausgerufene Demonstration erfüllt nicht die Erwartungen. Tausende hatten sich versammelt, aber nicht Hunderttausend, wie erwartet. Eine Großdemo für den 21. Februar in Caracas vor der Generalstaatsanwaltschaft musste abgesagt werden. Die Coordinadora konnte die Sicherheit der Demonstranten nicht garantieren und setzt nun auf eine neue Manifestation, die gründlicher vorbreitet werden kann. In den Regionen jedoch, besonders in der Ölprovinz Zulia, werden die Demonstrationen vorbereitet. Ein Grund für die Absage war sicherlich auch, dass sich weit weniger Menschen am Vormittag an den Ausgangspunkten der vier Marschsäulen eingefunden hatten, als erwartet. Die Krise der „Coordinadora Democrática“ und der fehlende Gleichklang von Medien und Coordinadora macht sich bemerkbar.

Der Unternehmerverband erklärt, dass in der Logik der Anklage alle Mitglieder des Vorstandes verhaftet werden müßten, weil Carlos Fernández als Präsident der Unternehmer lediglich Beschlüsse des Gremiums zu Streik und Protesten umgesetzt habe. Fernández als politischer Verfolgter und Gefangener, dieses ist die einhellige Meinung vieler Experten.

OAS-Generalsekretär Gaviria mahnt, bei Anerkennung der Autonomie der Justiz, von Madrid aus die Einhaltung der Rechte von Carlos Fernández an, den er in seinem Brief als „Direktor der Coordinadora Democrática“ und als hochrangigen Vertreter in der Hierarchie der venezolanischen Gesellschaft wertet. Die USA mahnen den Rechtsstaat an und warnen vor einer weiteren Aufheizung des Konflikts, auch Spanien und Portugal verurteilen die Festnahme von Carlos Fernández. Mit den USA, Spanien und Portugal haben drei der sechs Mitglieder der „Gruppe der Freunde Venezuelas“ offen gegen die Aktionen Stellung genommen. Die Regierungen und der OAS-Generalsekretär warnen vor einer Beeinträchtigung der Verhandlungen am OAS-Vermittlungstisch. Die „Gruppe der Freunde Venezuelas“ wird wegen der aktuellen Entwicklung Anfang der Woche in Brasilien tagen.

Präsident Chávez, das Parlamentspräsidium (komplett mit der Regierungskoalition besetzt) und die Sprecher des „Comité Político de la Revolución“ verwahren sich gegen Einmischung des Auslandes in souveräne Rechte Venezuelas. Sie fordern eine präzise Definition von „Grenzen und Geltungsbereichs des Dialogtisches“ – und vermeiden wiederum den offiziellen Titel der OAS-Bemühungen „Verhandlung und Übereinkunft“.

Die Verhaftung von Carlos Fernández erfolgte zufällig (?) am Tag nachdem die Opposition ihre bislang größte Erfolgsbilanz präsentieren konnte. Mehr als 30 Millionen Unterschriften leistete die Bevölkerung Venezuelas am 2. Februar im sog. „Firmazo“ (von firma = Unterschrift). Etwa 4 Millionen Menschen protestierten mit Namen, Personalausweisnummer und Unterschrift bzw. Fingerabdruck gegen die Regierung Chávez, gegen die „Vollmachtengesetze aus dem Jahre 2001“ und forderten internationale Solidarität ein. Mehr als 37% der im Wählerverzeichnis eingetragenen Wahlberechtigten leistete die Unterschrift. In allen Fällen wurden die in der Verfassung vorgeschriebenen Quoren übertroffen.

Die Präsentation war die Bilanz einer Ablehnung des Präsidenten und seiner „Bolivarianischen Revolution“, die in einer normalen Demokratie wohl kein Regierungschef „politisch überlebt“ hätte. Präsident Chávez jedoch rechnete den Massenprotest gegen ihn herunter. Nur höchstens 300.000 Menschen könnten sich nach seiner Analyse beteiligt haben (diese Zahl entspricht für sich allein den freiwilligen Helfern) und außerdem müßten alle Unterschriften mit der Lupe untersucht werden, um Bluff und Betrug zu vereiteln.

Präsident Chávez will die Revolution um jeden Preis durchsetzen

„A la ataque“ auf zum Angriff – ist eine der derzeit meistgehörten Formeln von Präsident Chávez, „2003 ist das Jahr der Offensive der Bolivarianischen Revolution“. Der Sieg der Revolution über den Generalstreik und die Ölsabotage ist aber kein Anlaß um Siegesgesänge anzustimmen, sondern nur Verpflichtung die Schlacht bis zur Vernichtung des Gegners weiter zu führen. Präsident Chávez will seine Bolivarianische Revolution um jeden Preis vertiefen und koste es was es wolle in Venezuela installieren. „Ohne Ideologie kann keine Revolution bestehen“ und seine Ideologie ist der „Bolivarinismus“. Eine Mischung zwischen den Träumen von dem historischen „Großkolumbien“, also Venezuela, Kolumbien, Perú, Panama, Ecuador und Guayana, sowie von Konzepten von Vergesellschaftung und Kontrolle. „2003 wird ein schweres Jahr“ prophezeit Präsident Chávez seinen Anhängern, „aber ein schönes“.

Der revolutionäre Hauptangriff wird gegen die Medien, die Privatwirtschaft und das Rechtssystem geführt. Medien, Wirtschaft und Recht haben dem Volk zu dienen, so die ständige Botschaft des Präsidenten. Mit neuen Gesetzen und Präsidialdekreten wird die Gesetzeslage so verändert, dass die Revolution quasi legal installiert werden kann. Revolution auf legalem Weg scheint das Leitmotiv der aktuellen politischen Phase Venezuelas zu sein.

„Die Revolution fordert, was das Volk braucht“ verdeutlicht Chávez sein Konzept der revolutionären Bedürfnisbefriedigung und fordert, bei aller Respektierung der Gewaltenteilung, täglich und immer eindringlicher Parlament und Justiz auf, ihren wirklichen Verpflichtungen nachzukommen, Putschisten und Saboteure zu bestrafen und die Gesetze im Schnelldurchgang zu erlassen, die das Volk fordert.

Die privaten Medien sind weiter Hauptangriffspunkt des Präsidenten und seiner Minister. So stellt Erziehungsminister Aristóbulo Istúriz fest, dass die privaten Medien die Hauptursache für die politisch motivierte Gewalt in Venezuela sind. Und Präsident Chávez verkündet im In- und Ausland, dass man sich nicht wundern sollte, wenn private TV-Kanäle demnächst geschlossen würden. Der Nachrichtenkanal Globovisión hat von der staatlichen Medienaufsicht CONATEL bereits eine Geldbuße von 58 Mio. Bs. (gleich ~ 36.250 US$) erhalten. Globovisión, als Nachrichtensender rund um die Uhr mit eigenen aktuellen Meldungen und Programmkooperationen mit CNN, TVE und RCN präsent, soll zusätzlich täglich mindestens 3 Stunden ein Kinderprogramm ausstrahlen, im Interesse des Jugendschutzes.

Der TV-Sender reagiert, neben juristischen Schritten, auf seine Art, er „garniert“ seine Nachmittagssendung „Aló Ciudadano“ (Hallo Bürger, in Anspielung auf „Aló Presidente“ von PräsidentChávez) mit Puppen und Fantasiefiguren der Kinderspielwelt, wobei einige Figuren die Züge von Chávez und seiner treuesten Revolutionsanhänger tragen. Marcel Garnier, der Direktor des Radio-TV-Imperiums, RCTV, rechnet mit der Schließung seiner Sendeanstalt.

Die Regierung scheint sich in ihrem Kampf gegen die Privatmedien auf rechtliche Schritte, finanzielle Bußen und den spontanen Druck der Straße über ihre „Círculos Bolivarianos“ allein nicht zu verlassen. Glaubt man der gewöhnlich gut unterrichteten Wochenzeitung Quinto Dia , wird mit Unterstützung der Regierung und von Präsident Chávez selbst derzeit der angeblich finanziell stark angeschlagene TV-Sender Televen übernommen. Damit wäre der Einstieg in die für den Durchschnitts-TV-Seher wichtige Mischung von „Telenovelas“ (Seifenopern) und Nachrichten erzielt. Zusätzlich wäre kaum vorstellbar, dass die schärfste Radio- und TV-Kritikerin des Präsidenten, Marta Kolumina, ihre morgendliche Interviewreihe fortsetzen könnten.

Als Gegengewicht zu der Dominanz der vier privaten TV-Sender, Globovisión, Venevisión, RCTV und Televen, hat Präsident Chávez in den letzten Jahren den Aufbau lokaler und regionaler Sender gefördert, wobei er das Konzept des „offenen Bürgerkanals“ übernahm und durchaus neuen Schichten den Zugang zur Programmgestaltung ermöglichte. Offensichtliche Absicht dabei, seinen revolutionären Anhängern eine Sendemöglichkeit zu schaffen bis hin zur gezielten Steuerung von Aktionen über die neuen Medien (siehe Aufrufe zum Angriff auf regionale Medien im Dezember 2002).

Die Lage der Medien und besonders der Journalisten gibt Anlaß zu großer Sorge. Über 400 Angriffe auf Medien und ihre Macher registriert eine Dokumentation der freien TV-Sender. Zunehmend werden Journalisten und Kameraleute an ihrer Berichterstattung gehindert. Die privaten Medien werden von einer Vielzahl offizieller Regierungsakte ausgeschlossen. Nur der öffentlich-rechtliche TV-Sender Canal 8 – Venezolana de Televisión hat Zugang und gleichzeitig werden seine Sendungen als „Zwangsschaltungen“ (cadenas) über alle Radio- und TV-Sender des Landes geleitet, wenn es das nationale Interesse erfordert, der Präsident spricht und das „Monopol der Lügen“ der privaten Sendeanstalten so brechen will. Bis zu vier Zwangsschaltungen pro Tag, über 40 seit Jahresbeginn ist die vorläufige Bilanz der „Regierungscadenas“.

Geldbußen, Gewalt und Gesetz ist die Formel von Präsident Chávez, um die privaten, freien Medien in die Knie zu zwingen. „Gewalt“ im Sinne der extremen Anwendung staatlicher Gewalt, Proteste seiner Anhänger vor den Sendegebäuden ( wobei „Gewalt gegen Sachen“ zum Repertoire gehört) und der körperlichen Gewaltanwendung gegen Medienmacher. Mit dem neuen „Gesetz über die soziale Verantwortung der Medien“ (Ley sobre la Responsabilidad social en Radio y Televisión“) sollen die rechtlichen Disziplinierungsmaßnahmen verbessert werden, auch wenn eine Zensur verboten wird. Mittel der Disziplinierung sind Geldbußen bis hin zum Verlust der Sendelizenz, wenn Sender gegen das Gesetz verstoßen.

Zu den Verstößen gehören auch Angriffe auf staatliche Institutionen und Personen. Dies, so befürchten Kommentatoren und Nachrichtenmacher, kann zur Unterbindung kritischer und unabhängiger Berichterstattung und Meinungssendungen mißbraucht werden, vor allem, weil Kontrolle und Entscheidung über den Entzug der Lizenzen in der Verantwortung von „drittrangigen Funktionären“ liegen, wie die Medienvertreter betonen. Mit aller Gewalt wird das neue Gesetz im Parlament durchgepeitscht und Präsident C hávez erinnert das Parlament täglich daran, „was das Volk will“. Inhaltlicher Aufhänger des Gesetzes ist der Schutz der Jugend und der Heranwachsenden, das Verbot der Förderung von Gewalt. TV-Kritiker stellen dazu fest, dass das „1. Opfer“ des neuen Gesetzes „Aló Presidente“ sowie die „cadenas“ sein müßten, weil Chávez zu Gewalt und ungesetzlichen Maßnahmen aufruft und seine martialistische Sprache täglich steigert. Das Gesetz beinhaltet aber so viele „Gummiparagraphen“, dass nicht nur unabhängige inländische Experten befürchten, dass es letztlich der Unterwerfung der Medien unter die Revolution dienen soll. Auch internationale Organisationen der Journalisten, wie z.B. „Reporter ohne Grenzen“, sowie Medieninhaber sind unisono besorgt über den Angriff auf Meinungsfreiheit und die freie Berichterstattung.

Die Privatwirtschaft ist weiteres Ziel der Attacken. Ihre aktive Beteiligung am Generalstreik wird ihr zum Verhängnis, „keinen weiteren Dollar für die Putschisten“ so Präsident Chávez wörtlich. Worauf die Opposition „scheinheilig“ in Anspielung auf die eigene Vergangenheit des Präsidenten als Putschführer fordert, dass Chávez definiert, was einen „Putschisten“ ausmacht und wer ein Putschist ist. Mit der Einführung von Devisenkontrollen und der Kanalisierung aller Devisengeschäfte über die neue staatliche Kommission CADIVI (Comisión de Administración de Devisas/ Kommission für die Verwaltung der Devisen), können Medien und Privatwirtschaft wirkungsvoll getroffen werden.

Devisen soll es nur für den Import von Grundnahrungsmitteln, den Gesundheitssektor sowie die Produktion im nationalen Interesse geben. Keine Devisen für „Whisky von 12 Jahren“ und „Reisen de dolce vita“ sowie unnötige Luxusgüter.

Die Devisenkontrollen werden mit dem Kampf gegen das Spekulantentum und mit dem Schutz der internationalen Devisenreserven begründet. Devisenkontrollen aus finanztechnischen Gründen hat es früher auch gegeben. Aber niemals war die ideologische Zielsetzung der Kontrollen so offensichtlich wie jetzt.

Die personelle Zusammensetzung der Kommission zeigt nachdrücklich, auf welche Kräfte Präsident Chávez zur Durchsetzung seiner Revolution baut: Putschkameraden des Staatsstreichs vom 4. Februar 1992 wie der neue Präsident der Kommission, Edgar Hernández, Hochschullinke wie die ehemalige Vizepräsidentin Adina Bastidas sowie aktive Militärs in Uniform, wie der bisherige Leiter der Budgetabteilung des Finanzministeriums, Brigadegeneral Alfredo Pardo Acosta.

Venezuela hat in seiner neueren Geschichte dreimal Devisenkontrollen erlebt, immer mit dem Ergebnis eines großen Schwarzmarktes und im Endergebnis größeren Schäden als Nutzen. Aber einmalig ist die klare ideologisch-revolutionäre Ausrichtung der Kontrollen. „Kein Dollar für die Putschisten und Saboteure“ ist die Losung von Präsident Chávez, die er sich bei jeder Ansprache und immer wieder in seiner Sendung „Aló Presidente“ vom Volk bestätigen läßt. Der ausgesetzte Devisenhandel bringt schon jetzt die Privatwirtschaft in erhebliche Probleme und die Devisenkontrolle kann ideal al politisches Disziplinierungsmittel eingesetzt werden, wenn man nur erinnert, dass 100% des Zeitungspapiers importiert wird und dafür sowohl $ als auch der staatlich kontrollierte $-Kurs entscheidend sind. Der Devisenhandel soll ab kommende Woche (24. Februar) aufgenommen werden, Devisenkäufe sollen dann möglich sein.

Nach CADIVI-Präsident Hernández sind einschneidende Verminderungen für venezolanische Urlaubsreisende geplant. Maximal drei Reisen pro Jahr sind genug, das Budget soll in etwa bei 1.000 US$ begrenzt werden. Hernández erinnert die Venezolaner an ihre „patriotische Pflicht“ und wirbt für Urlaub im Lande. Seine politische Bindung läßt er nicht im unklaren. Nach seinem Urteil wird Präsident Chávez die nächsten Wahlen im November/Dezember gewinnen. Mehr noch als das politische Bekenntnis ist dabei interessant, dass eine Person des Vertrauens von Chávez offensichtlich Wahlen in diesem Jahr für möglich hält.

Finanzabwicklungen über nationale Kreditkarten bleiben ausgesetzt, bis Regeln zur zukünftigen Abwicklung dieser Geschäfte erarbeitet sind. Man will verhindern, dass über Kreditkarten unkontrolliert Devisen gekauft und in Umlauf gebracht werden können. Die Devisenreserven stehen 2003 nur für die dringend notwendigen Operationen zur Verfügung - was das ist und was dem nicht entspricht, dazu hat sich Präsident Chávez bereits ausführlich geäußert. Der Staat als Instanz, die die Bedürfnisse der Bürger kennt.

Es bleibt fraglich und abzuwarten, ob die Prognose von CADIVI-Präsident Hernández eintritt, dass die Wechselkurskontrollen nicht den Dezember des Jahres erreichen, „con la ayuda de Dios“ (mit der Hilfe Gottes) wie er hinzufügt – und wenn die Hilfe ausbleibt?

Preiskontrolle und Festsetzung der Artikel des täglichen Bedarfs sind weitere Mittel, um die Privatwirtschaft zu strangulieren. Von Reis über Shampoo bis hin zu Gebühren der Privatschulen sind die Verkaufspreise inzwischen staatlich festgesetzt und per Dekret veröffentlicht und bindend. Die Preisfestsetzung bringt oberflächlich den Erfolg einer Preissenkung mit sich. Waren und Dienstleistungen sind auf dem Stand von Juli bis November 2002 eingefroren. Da aber viele Preise von der Kursentwicklung abhängen, sind die Verteuerungen der Importe durch den Kursverfall des Bolivar nicht berücksichtigt. Die Nahrungsmittelindustrie behauptet sogar, dass Preisfestsetzungen unterhalb des Selbstkostenpreises erfolgten. Sie geht nicht nur rechtlich gegen diese Vorgaben vor, sie befürchtet zudem, dass der Konsument der letztendliche Verlierer dieser staatlichen Eingriffe ist. Artikel werden vom Markt verschwinden, wo keine Gewinnspanne besteht, gibt es keine Produktion. Mangel wird zukünftig das Angebot bestimmen.

Dieser Entwicklung baut Präsident Chávez in zweifacher Form vor. „Vertikale Hühnerställe“ können seiner Ansicht nach überall, auch auf Dächern, installiert werden und auf Balkonen und Terrassen können Tausende von Tonnen Tomaten und Gemüse in Hydrokultur gezogen werden.

Sehr viel schwerwiegender für nationale und internationale Firmen und Investoren ist aber der Aufruf an das Militär und das Volk, Lebensmittelproduktion und –lager zu übernehmen, wenn gegen die Vorgaben der Regierung verstoßen wird. Begleitet wird diese Ankündigung nicht nur durch lautstarke Zustimmung der Anhängerschaft, sondern auch durch ständige Aufrufe des Präsidenten zur Denunzierung. Mit dem Dekret zur Preisfestsetzung in der Hand sollen die revolutionären Konsumenten die Geschäfte durchstreifen, Preisvergleiche vornehmen und den staatlichen Institutionen Verstöße unverzüglich melden. Hohe Geldbußen, Beschlagnahme von Waren bis hin zu Betriebsbesetzungen können die Folge sein. Glaubt man der nationalen Presse, dann gibt es bereits Ergebnisse der Beschlagnahme von „Coca Cola“ und „Polar“ (Pepsi). Angeblich tauchten diese Waren im „Eckenverkauf“ und im Schwarzmarkt durch die Guardia Nacional angeboten, wieder auf.

Die staatliche Ölholding „PDVSA“ erfährt tiefgreifende strukturelle Änderungen. Die Gesellschaft ist in zwei Öl-Einzelunternehmen „Ost“ und „West“ aufgeteilt. Aufgeräumt wird mit den Streikenden und „Saboteuren“. Ca. 13.000 von 40.000 Angestellten wurden entlassen. Neue Kräfte werden angeworben und wo notwendig durch Schnellkurse in das hochkomplexe Ölgeschäft eingewiesen. Ein „Pardon“ wird es für die streikenden Angestellten nicht geben, bekräftigen Präsident Chávez und PDVSA-Vorsitzender Alí Rodriguez. Eine Wiedereingliederung entlassener Ölmanager gab es nach dem 14. April. Jetzt aber werden die Kündigungen beibehalten. Seitenlang werden Tausende Namen mit Personalausweisnummer in der Presse publiziert. Die Rückgliederung bleibt ein strittiges Thema der OAS-Vermittlung. Die Solidarität der Bevölkerung für die entlassenen PDVSA-Angestellten zeigt sich in Demonstrationen und Mahnwachen in Caracas und den Regionen, selbst dann, wenn Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten mit Gewalt vorgehen.

Solidaritätskonten wurden eingerichtet, Sammelbüchsen stehen an den Versammlungsorten der Opposition. Die finanziellen Folgen der Massenentlassung werden damit nicht aufgefangen werden können, zumal wenn eintritt, was behauptet wird, dass PDVSA die gesetzlichen Abfindungsleistungen im Falle von Kündigungen nicht auszahlen will. In kurzer Zeit wird ein brutaler Kampf ums finanzielle Überleben der bis zu 15.000 ehemaligen PDVSA-Angestellten beginnen. Weit mehr als die 15.000 sind betroffen, nämlich Familien, Angehörige, Privatschulen, Vermieter und Geschäftspartner. Der Arbeitsmarkt, besonders für diesen hochqualifizierten und hochspezialisierten Sektor, ist praktisch dicht. Neue Beschäftigungschancen bestehen nicht. Ein weiterer nennenswerter Abstieg aus der Mittelschicht ist absehbar. Wer um die Existenz und die Chancen seiner Kinder kämpft, hat keine Zeit für politischen Widerstand, scheint das Kalkül der Regierung zu sein. Ob es kurzfristig aufgeht, ist fraglich. Zu groß ist (noch) die Erbitterung und Solidarität der Menschen.

PDVSA-Gas verstärkt derweilen seine internationale Zusammenarbeit. Chevron und Statoil haben gerade Erschließungsverträge mit Venezuela für das Gas aus dem Delta des Orinoco abgeschlossen. Die entsprechende Vertragsunterzeichnung wird natürlich per landesweiter „cadena“ übertragen. Sie soll verdeutlichen, dass Venezuela international nicht isoliert und ein attraktiver Wirtschaftsstandort sowie Handelspartner ist.

Die PDVSA-Ölproduktion, bis auf Benzin, welches im OPEC-Gründungsmitglied Venezuela noch immer importiert werden muss, stabilisiert sich langsam. Den Erfolgsmeldungen der Regierung (mehr als 2 Mio. Barrel Tagesproduktion) setzt die NRO „Gente del Petróleo“ (Menschen des Ölsektors) täglich lange Listen von Produktionspannen, unkontrollierten Ölaustritten aus maritimen und terrestrischen Bohrlöchern sowie eine wesentlich tiefere Tagesproduktion (etwas über 1 Mio. Barrel) entgegen. Die Kassenknappheit der Ölholding zeigt auch Auswirkungen auf Lieferanten und Subunternehmer. Sie müssen Entlassungen vornehmen, weil sie Leistungen für die PDVSA nicht länger vorfinanzieren können, besonders unter den Bedingungen der Devisenkontrolle.

Der Streik zeigt auch andere Wirkungen im Öl- und Wirtschaftssektor. Das Hafenmanagement funktionierte nicht oder nur ungenügend. Bezahlte, zum Teil bereits verzollte, Ersatzgüter und Produktionsrohstoffe/-materialien wurden zwangsversteigert bzw. zurückbeordert. Selbst unter günstigsten Umständen, die keineswegs gegeben sind, bräuchte die (Öl-) Wirtschaft Monate, um zu normalen Produktion zurückzukehren. Dies setzt aber ideale Standortbedingungen und großzügige staatliche Förderung voraus. Da beides nicht gegeben ist, sagen alle Fachleute eine dramatische Verschlechterung der Wirtschafts- und Finanzlage des Landes voraus, verschärft noch durch die Bedrohung des Privateigentums durch die Revolution und seine Regierung. 2002 schloss mit einem Minus von 8,9% des BSP ab. Für 2003 werden derzeit minus 20-25% prognostiziert. Selbst unter günstigsten Bedingungen braucht das Land Jahre, um diesen Rückschlag aufzuholen.

Ein Reizthema für die Ölexperten des Landes ist die Präsident Chávez unterstellte Absicht, PDVSA praktisch ans Ausland zu verkaufen bzw. verkaufen zu müssen, um die Revolution finanzieren zu können. CIDOR, das Raffinerie- und Tankstellennetz im venezolanischen Eigentum in den USA steht angeblich zum Verkauf an Nigeria an. Zumindest hat Nigeria sein Kaufinteresse bekundet. Alí Rodriguez, der PDVSA-Vorsitzende, schließt ausdrücklich keine Überlegung zu Zukunft der PDVSA aus, auch wenn er keine akute Verkaufsabsicht bestätigt. Zu Bedingungen von schlechten Konzessionen und „Ausverkaufspreisen“ soll der Ölsektor versilbert werden, weil die desolate Wirtschaftspolitik und die Vertiefung der Revolution mit den Folgen der Korruption ihren Tribut fordern, analysiert die Opposition. Die neue Phase der von der Regierung ausgerufenen „wirklichen Nationalisierung des Öls“ also nichts als ein Verkauf des Sektors an das Ausland?

Mit neuen Gesetzen verschafft sich Präsident Chávez die rechtlichen Voraussetzungen zur legalen Installierung der Revolution. Neben dem Gesetz über die „soziale Verantwortung der Medien“ (s.o.) ist hier vor das neue Gesetz zum Obersten Gericht (TSJ, Tribunal Supremo de Justicia) zu nennen. Das Gericht soll von 20 auf 30 Mitglieder aufgestockt werden. Die Richterwahl kann mit einfacher Mehrheit erfolgen. Es gibt nicht länger den „Konsenszwang“ mit der Opposition. Auf diese Weise können die Kammern durch Erweiterung so besetzt werden, dass überall revolutionsgenehme Entscheidungen getroffen werden können.

Unverhohlen fordert Präsident Chávez die Justiz auf, im „wirklichen Interesse des Volkes Recht zu sprechen“. Oberstes Gericht, Richter und Staatsanwaltschaft werden täglich intensiver unter massiven Druck gesetzt. Präsident Chávez beschuldigt die Richter, dass sie pro Urteil kassieren und fordert die „Säuberung der Justiz von Grund auf“ und proklamiert, dass „ein Verräter kann kein Richter sein“. Summen von 200 Millionen Bs. sollen, laut Chávez in einer öffentlichen Ansprache, im Spiel sein. Die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz werden nicht formell aufgehoben, aber faktisch eingeschränkt, mindestens aber durch Forderungen bedroht. Präsident Chávez nutzt dazu das Zusammenspiel von Drohung und Lob. Lob für die mutigen Staatsanwälte und Richter, die endlich die Verhaftung von Carlos Fernández ermöglicht haben.

Ganz offensichtlich sollen die Richter ausgeschaltet, d.h. zukünftig überstimmt werden können, die Recht entgegen der Auffassung des Präsidenten gesprochen haben. So z.B. in der Zurückweisung der Anklage wegen Hochverrats gegen die Generäle, die am 11. April Präsident Chávez wegen seiner Befehle zur gewaltsamen Niederschlagung des friedlichen Massenprotestes den Gehorsam verweigerten. Das Oberste Gericht hob auch die „Außer Dienststellung“ von damals beteiligten Generälen - wie im Fall des Ex-Heereschef - auf und verfügte ihre Rückkehr in den aktiven Dienst. Der Präsident der für Wahlfragen zuständigen Spruchkammer des Obersten Gerichtes hatte auf den politischen Druck und die politische Entscheidung der Kammer hingewiesen, als sie das von der Obersten Wahlbehörde auf den 2. Februar festgelegte Konsultivreferendum suspendierte.

Bei den rechtlichen Möglichkeiten zur Bekämpfung der „Putschisten, Terroristen, Saboteuren und Vaterlandsverrätern“ – so Chávez immer und immer wieder – können auch rechtliche Eingriffe in das Gewerkschaftssystem nicht ausgeschlossen werden. Immerhin hat Präsident Chávez mit einem Referendum im Jahr 2000 dafür gesorgt, dass die Gewerkschaftsführungen abgelöst wurden, die Gewerkschaften sich neu konstituieren und ihre Vorstände neu wählen mußten. Die bestehenden freien und unabhängigen Gewerkschaften sind für ihn keine Arbeitnehmervertretungen, die Führung des nationalen Dachverbandes „CTV“ ist nach seiner Ansicht durch Betrug und Manipulation ins Amt gekommen.

Was ihm 2000/2001 nicht gelang, soll jetzt baldmöglichst nachgeholt werden, die Installierung von Gewerkschaften und ihren Vorständen, die „wirklich den venezolanischen Arbeiter“ vertreten. Auch die Legitimität der Vorstände der Unternehmerverbände wird bezweifelt. Was können die Konsequenzen dieser öffentlichen Drohungen sein? Per Abberufungsreferenden könnte versucht werden die Macht der unabhängigen Gewerkschaftsführer zu brechen und linientreue Vorstände zu installieren. Im Grundsatz bereits „rechtlich einwandfrei“, da durch Entscheidung des Obersten Gerichtes 2000 trotz internationaler Bedenken (OIT/ILO) bestätigt, praktiziert.

Präsident Chávez ruft sein Volk zudem dazu auf, bis zum Jahresende die Gouverneure der Opposition zu ersetzen. Ihnen wird der Vorwurf der Beteiligung an Putsch und Sabotage gemacht. Lange Passagen der „cadenas“ werden zur Verunglimpfung der Gouverneure und zur (Wahl-)Kampagne gegen sie verwendet. Gouverneur Rosales, aus der Ölprovinz Zulia, nimmt die Herausforderung an. Gleichzeitig mit Chávez will er sich Neuwahlen stellen, wenn Chávez dazu den Mut hat. Venezuela steht vor einer weiteren Phase der Unterschriftensammlungen und Referenden, die das Jahr 2003 vollends prägen könnten.

Opposition auf der Suche nach ihrer politischen Zukunft

Noch am 2. Februar hat die Opposition weltweit berichtete Erfolge im Kampf für die Demokratie erringen können. In einer beispiellosen Aktion haben ihre Gruppen und Zehntausende Freiwillige über 4 Millionen Unterschriften gegen Präsident Chávez und für die Verfassungsreform bzw. das Abberufungsreferendum gesammelt. „Firmazo“ (von firma = Unterschrift) war das Motto des Tages. Die Menschen Venezuelas haben eindrucksvoll gezeigt, dass sie –trotz einiger gewaltsamer Angriffe von Chávez-Anhängern- für eine friedliche Lösung des Konfliktes über das Votum der Bürger einstehen. Den politischen Beobachtern beider politischer Lager muss klar sein, dass sich keine Regierung auf Dauer gegen diesen freiheitlichen Bürgerwillen halten kann – es sei denn auf den Spitzen der Bajonette. Aber nur kurze Zeit nach diesem politischen Erfolg der Opposition, beschädigt sie selbst ihr Image aufs Neue.

So, wie die Opposition quasi in den Generalstreik „hineingestolpert“ ist, hat sie ihn auch verlassen. Unkoordinierte Beiträge über Ende oder Umwandlung des Streiks führten dazu, dass Präsident Chávez höhnte, dass „es keiner gewesen sein will“. An dem Streik hatte sich vor allem der Transportsektor nicht beteiligt. Ein Wirtschaftsbereich, der zum effektiven Streikerfolg unabdingbar ist. Hat die Opposition versagt, weil sie ihr wichtigstes Streikziel, die Entfernung Präsident Chávez aus dem Amt bzw. mindestens verlässliche Abkommen über die dazu notwendigen Schritte, nicht erreicht hat?

Die Opposition verfügt derzeit über drei Machtinstrumentarien: die „Coordinadora Democrática“, die Oppositionsparteien im Parlament sowie die Menschen auf der Straße (mit kräftiger Unterstützung einzelner Gouverneure (z.B. Miranda und Zulia), wodurch die regionalen Gouverneure nationale Bedeutung im Kräfteverhältnis der Opposition gewinnen.

Die „Coordinadora“ ist das lockere Bündnis aus mehr als 18 Parteien, etwas 40 NROs, Unternehmerverband, Gewerkschaften und dem Ölsektor, umgeben von mehreren Beraterkreisen der führenden Juristen, Wissenschaftlern und Politikern des Landes. Die Vielzahl der Coordinadora ist zugleich ihr Problem. Auch wenn es eine Leitung gibt, versucht jede Organisation selbst sich in Szene zu setzen. Oft stehen der „politische Eigennutz“ und die „mediale Selbstdarstellung“ vor den gemeinsamen Interessen. „Entfernung des Präsidenten aus den Amt“, Aktionen und Demonstrationen haben die Coordinadora bislang zusammengehalten. Erst im Anfang ist der Prozess einer inhaltlichen Aussage zur Erneuerung und Zukunft des Landes, die Formulierung eines „Proyecto del País“. Die Diskussion der Führungsfrage der Opposition und dabei vor allem ob, wie und wann man zu einem einzigen Gegenkandidaten zu Präsident Chávez bzw. seiner Revolution gelangt, hat erst begonnen, nachdem der Streik beendet wurde.

Zur problematischen Selbstdarstellung der Coordinadora und zum nationalen und internationalem Image der Erfolglosigkeit trägt vor allem bei, dass die Coordinadora kein Krisenmanagement entwickelt bzw. keine Vereinbarungen dazu eingehalten hat. Jeden Rückschlag, den Präsident Chávez der Coordinadora zugefügt hat, hat die Coordinadora nicht einheitlich und politisch abgestimmt beantwortet. Jedes der Mitglieder suchte vor der internen Analyse und Abstimmung ein Mikrofon und eine TV-Kamera, um seinen „Schnellschuss“ loszuwerden. Auch wenn oft am Ende eines Diskussionsprozesses eine vernünftige oder nachvollziehbare Aussage der Coordinadora stand, war dieser mögliche positive Effekt zuvor durch den alten Egoismus von Personen und Organisationen zunichte gemacht worden. Bestes Beispiel die individuelle Kontaktaufnahme von Altparteien zu Chávez. Natürlich ist es auch in extremen Krisensituationen notwendig, möglichst einen Gesprächsfaden zwischen Opposition und Regierung aufrecht zu halten. Voraussetzung ist aber, dass die Opposition geschlossen und abgestimmt auftritt. Durch die individuellen Gespräche mit prominenten Vertretern der Altparteien (siehe vorherige Berichte) hat es Präsident Chávez verstanden, den „Spaltpilz“ in der Opposition zu pflanzen bzw. besonders das Mißtrauen der neuen Parteien und der Zivilgesellschaft gegen die Altparteien zu verstärken.

Die interne Lage der Opposition ist eh durch einen Machtkampf zwischen alten und modernen politischen Kräften gekennzeichnet. Dies gilt sowohl für Parteien und Parlament, als auch für die Zivilgesellschaft. Der Machtkampf über die Frage (begrenzte) Absprachen mit Chávez (und damit quasi Duldung seiner Revolution) oder Fundamentalopposition der demokratischen Kräfte gegen die Bolivarianische Revolution, spaltet aktuell die AD (Acción Demócratica, Sozialdemokratische Partei Venezuelas). Die Parteiführung, dominiert von den „alten Kräften“, hatte den amtierenden Generalsekretär der Partei, Abgeordneten Ráfael Marín, ausgeschlossen und für Mitte März Neuwahlen für diese Position angeordnet. Zum zweiten Mal binnen 2Jahresfrist hat AD sich damit von den Kräften getrennt, die eine Reform der Partei und eine strikte Gegnerschaft zu Chávez fordern. „Das Erdbeben in der AD erschüttert die Coordinadora in ihren Grundfesten und droht sie zum Einsturz zu bringen“ stellt ein politischer Beobachter fest.

Der Kampf alte politische Kräfte gegen neue, moderne vollzieht sich auch auf anderen Ebenen. AD und COPEI verabreden sich zu (Vor-)Entscheidungen zu einem einzigen Präsidentschaftskandidaten. Primero Justicia fordert transparente und partizipative Verfahren bei der Auswahl sowie eine Legitimierung der Coordinadora von der Basis aus. Die Altparteien und einzelne zivilgesellschaftliche Gruppen lehnen dies begründet ab, weil die Coordinadora keine Partei, sondern ein gesellschaftspolitisches Sammelbündnis unterschiedlicher Organisationen darstellt. Im Parlament wird der Ausschuss besetzt, der die neue Oberste Wahlbehörde auswählt. Der Ausschuss besteht aus 11 Abgeordneten und 10 Vertretern der Zivilgesellschaft. Die Abgeordneten selbst treffen die Auswahl über die Kandidaten der Zivilgesellschaft. Elias Santana, Vorsitzender der NRO „Queremos Elegír“ (Wir wollen wählen), fordert offene, nachprüfbare Verfahren und keine Hinterzimmerabkommen zwischen MVR, AD und COPEI.

„Queremos Elegír“ kann die Transparenz mit vollem Recht einfordern. Ist dies doch die gesellschaftliche Organisation, die seit mehr als 12 Jahren Dezentralisierung und saubere Wahlen fordert und mit ihrer Klage die offene Manipulation der „Megawahlen“ Mitte 2000 zu Fall brachte.

Es hat den Anschein, dass alte und neue Kräfte noch keinen grundsätzlichen Konsens über politische Ziele und vor allem Verfahren erzielt haben und dies, obwohl beide Seiten beteuern, dass Venezuela in einem Existenzkampf zwischen moderner, westlich geprägter Demokratie und einem überkommen kubanisch geprägten Revolutionsmodell steht.

Beide Seiten können einfach „auf das Volk hören“. Das Volk, das die Massenproteste trug und weiter trägt und wo vor allem die Präsenz der Altparteien vorhanden, aber eher verschwindend ist. Das Volk sagt klar, „keine Rückkehr“ zur Zeit vor Chávez, aber auch keine Bolivarianische Revolution der V. Republik („ni IV ni V República“ / nicht 4. oder 5. Republik). Die alten Führer werden als politische Leitfiguren abgelehnt. Sie sollen mit ihrem Erfahrungsschatz und ihrem persönlichen Einsatz für die Demokratie zurücktreten und neuen Generationen in dem jungen Land Venezuela Platz machen und die Rolle von Beratern und Helfern engagiert ausfüllen, aber nicht mehr.

Die Menschenmassen sind inzwischen „eine Macht“ in Venezuela. Wenn sie weiter von den traditionellen politischen Führern enttäuscht werden, nicht sehen, dass die neuen Generationen Raum bekommen, dann „wird sich die Straße ihre eigene Führung suchen“. Dieses wäre ein höchst riskanter Augenblick in der aktuellen politischen Entwicklung, weil dann das eintreten könnte, womit die Coordinadora im November „spielte“ – der „Marsch auf Miraflores“, d.h. die Wiederholung des 11. April 2002, als fast eine Million Menschen zum Amtssitz des Präsidenten (Miraflores) unterwegs war.

Unvermindert hält die „Protestbegeisterung“ der Massen an. Sie versammeln sich zu Hunderttausenden zum Rockkonzert oder zu Prozessionen der im Land populären Marienheiligen, um Schutz und Segen für das Land zu erbitten. Eine halbe Million Menschen engagiert sich für die privaten Medien, binnen 24-Stundenfrist zur Demo aufgerufen. Interessant die Veränderungen des Publikums zwischen Nachmittag und Abend. Am Nachmittag der Auftritt von Politik und Medien mit großem Beifall für die von der Schließung bedrohten TV-Sender und ihre Macher. Am Abend folgen dann die Stars des Publikums. Kabarettisten, Liedermacher, Sängerinnen, das Nationalidol der Volksmusik, Simón Diaz. Das er sich dem Protest anschließt, ist ein deutliches Zeichen wie tief der Protest inzwischen in allen Volksschichten verankert ist. Diáz dirigiert die Menge und wird gefeiert. Der Beifall steigert sich noch, als alle Reporterinnen und Reporter, in erster Reihe die, die tätlich angegriffen wurden, das Podium auf der mit Menschen dichtgefüllten achtspurigen Autobahn ersteigen. Das Publikum rastet aus, als die „Stars der Telenovelas“ (Seifenopern) sich präsentieren. Es hat den Anschein, als protestiere das Volk nicht nur gegen die politische Medienpression des Präsidenten, sondern gegen den Versuch, durch die Schließung der Privatsender dem Volk seine Seifenopern zu nehmen. Dies könnte ein entscheidender Fehler des Präsidenten und ein erheblicher Popularitätsverlust sein.

Wenn in solch einer Stimmung die neuen „informellen“ Führer des Landes, z.B. entschlossene, rebellierende Militärs der Plaza Francia in Uniform, populäre TV-Moderatoren, „Leitwölfe“ aus dem Ölstreik sich an die Spitze der Massen stellen und losmarschieren, werden keine Politiker der Opposition sie aufhalten können. Es stände zu befürchten, dass auch Sicherheitskräfte eine solche Massenbewegung nicht eindämmen könnten. Da auch auf der Seite des Präsidenten Emotionen hoch geschaukelt sind und auch Teile seiner Anhängerschaft eine Entscheidung suchen, bleibt die Gefahr bestehen, dass beide Gruppen gewaltsam aufeinander treffen. Präsident Chávez hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass seine Anhänger, selbst wenn sie dabei Waffen einsetzen, sich dann nur im Status der „legitimen Verteidigung der Revolution“, also quasi Notwehr, befinden.

Angesichts dieser möglichen Extremszenarien und eingedenk ihrer tatsächlichen Stärke und Schwäche, hat die Opposition heute nur „2 Trümpfe in der Hand“. Zum einen die Massen, die in Caracas und den Regionen den Protest weitertragen (mit allen oben beschriebenen Risiken) und zum anderen die Verhandlungsdelegation am Tisch der OAS-Vermittlung.

Zerstört sich die Coordinadora durch interne Auseinandersetzungen weiter selbst, wird sie ihre Verhandlungsdelegation entscheidend schwächen. Trotz aller Kritik an Zielen und Vorgehen im Streik, ist doch die gleichberechtigte Teilnahme der Verhandlungsdelegation der Coordinadora das wichtigste Streikresultat. Auch wenn die OAS-Vermittlung schon vor dem Streik am 8. November 2002 begann, hat doch die Coordinadora erst durch den Fortgang der Verhandlungen breite internationale Anerkennung gefunden. Nicht zuletzt am Tag der Installierung der „Gruppe der Freunde Venezuelas“ (Brasilien als Koordinator, USA, Mexiko, Chile, Spanien und Portugal) am Sitz der OAS in Washington, als die Verhandlungsdelegation im Gebäude der OAS eine internationale Pressekonferenz abhalten und zuvor von allen Delegationen der sechs Länder zur ausführlichen Information empfangen wurde.

Die Coordinadora muss alles tun, um ihre Position realistisch zu analysieren, interne Verfahren der politischen und strategischen Abstimmung, besonders für Krisensituationen, nicht nur zu vereinbaren, sondern auch durchzusetzen, ihrer Verhandlungsdelegation am OAS-Verhandlungstisch den Rücken zu stärken, die politische Abstimmung mit den Parlamentsfraktionen der Opposition zu führen und vor allem die Unterstützung der Volksmassen gezielt auf die OAS-Verhandlungen zu richten. Zu den internen Vereinbarungen gehören auch Procedere zur Nominierung eines Präsidentschaftskandidaten, eines Sprechers der Coordinadora, einer verstärkten Informations- (nicht Propaganda-) arbeit besonders für die internationale Presse und laufende Kontakte zu internationalen Personen, Organisationen und Institutionen.

Unter dem Schock der Verhaftung von Unternehmerpräsident Carlos Fernández beginnt die Coordinadora unter Koordination von Enrique Mendoza, Gouverneur des Bundesstaates Miranda, eine Diskussion um ihre politische und organisatorische Konsolidierung. Damit Parteien, Zivilgesellschaft, Leitung der Coordinadora und Mitglieder am OAS-Verhandlungstisch nicht weiter ein Bild der Uneinigkeit abgeben, soll die interne Kommunikation verbessert und der Führung klare Verhaltensregeln mit gegeben werden. Zukünftig wird die Coordinadora mindestens zweimal monatlich zu einer Plenarsitzung all er Mitgliedsorganisationen zusammen kommen. Die Leitung soll von drei auf fünf Personen erweitert werden. Die neue „Politische Kommission“ setzt sich aus den Vorsitzenden oder Generalsekretären der 10 im Parlament vertretenen Parteien , einem Sprecher der Minderheitenparteien ohne Parlamentssitz, vier Delegierten der Zivilgesellschaft, je einem Mitglied des Unternehmerverbandes, des Gewerkschaftsbundes und der Vereinigung „Gente del Petróleo“ (Menschen des Öls) zusammen. Eine „Feuerwehrgruppe“ aus vier Personen der „Politischen Kommission“ soll bei Krisen rasch beraten und reagieren können. Die Coordinadora hat ihre Lösungsstrategie der Krise über Verhandlungen und Wahlen bestätigt. Sie hat die Kräfte kritisiert, die über Medien und andere Kanäle an der Schwächung der Coordinadora ein Interesse haben.

Die Entscheidungen der Coordinadora lassen erkennen, dass man sich auf eine längere Auseinandersetzung mit der „Revolution“ und Präsident Chávez einrichtet. Die Coordinadora muss noch ihr Verhältnis zu den Medien klären. Den privaten Medien wird unterstellt, dass sie eigene Interessen und Wege bei der Lösung der Krise verfolgen. Eines haben die letzten Tage bereits gezeigt. Ohne die Mobilisierung der Demonstranten durch die Medien, erscheinen weniger Menschen als früher bei den Versammlungsplätzen. Will die Coordinadora Erfolge erzielen, und nicht mehr gezwungen sein Demos abzusagen, muss sie eine Form der Übereinkunft mit den Medien finden. Die Parteien sind noch zu schwach und haben zu wenig Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung, um allein die Mobilisierung Venezuelas gegen die „Bolivarianische Revolution“ realisieren zu können. Die Beschlüsse der Coordinadora scheinen denjenigen recht zu geben, die dazu raten einen permanenten Druck auf Präsident Chávez zu erhalten, am Verhandlungstisch allein auf das Bürgervotum zu setzen, sich die internationale Anerkennung zu erhalten und darauf zu warten, dass Präsident Chávez der von ihm geschaffenen Probleme nicht Herr wird und an seiner eigenen Regierungsunfähigkeit zerbricht.

Gelingt es der Coordinadora, diese Vereinbarungen einzuhalten, kann die tiefe Krise, in der sie sich augenblicklich befindet, eine Chance zu einer gestärkten Rückkehr in die Politik bedeuten. Keinesfalls darf die Coordinadora ihren Trumpf fallen lassen oder schwächen - ihre gleichberechtigte Teilnahme an der OAS-Vermittlung. Es wird für die Coordinadora keine andere Möglichkeit geben, als dort die beiden Vorschläge von Ex-Präsident Carter zu verfolgen (kleine Verfassungsreform oder Abberufungsreferendum). Beide Vorschläge setzen die Zeitperspektive voraus, dass eine Lösung der Krise über das Votum des Volkes letztlich nur binnen Jahresfrist realistisch möglich erscheint.

Die offene Frage ist, ob Präsident Chávez tatsächlich irgendeine Wählerentscheidung akzeptieren wird. Berechtigte Zweifel sind nicht nur wegen der Äußerungen von Präsident Chávez selbst (zum Konsultativreferendum: „auch wenn 90% gegen mich stimmen, trete ich nicht zurück“; „ich werde bis 2021 (200. Jahrestag der „Schlacht von Carabobo“, Entscheidung im Unabhängigkeitskrieg gegen die spanische Krone) im Amt bleiben“) angebracht, sondern auch weil im Staatsfernsehen beständig die „juristische Aufmunitionierung“ gegen die beiden Carter-Vorschläge erfolgt. Die Mehrzahl der politischen Beobachter rechnet daher damit, dass es keinesfalls eine Entscheidung des Wählers geben wird und das der Sinn der Verhandlungen daher eher die öffentliche Feststellung zum Ziel hat, welche Seite sich dem demokratischen Weg der Krisenlösung entzieht.

Aber Chávez ist auch für Überraschungen gut und die zahlreichen öffentlichen Auftritte und „cadenas“ erwecken den Eindruck, als befinde er sich bereits im permanenten Wahlkampf.

Die Rolle des Auslands bei der Überwindung der Krise

Venezuela sieht sich selbst immer gern im Mittelpunkt des Weltinteresses. Präsident Chávez wird nicht müde zu behaupten, „dass die Welt auf Venezuela sieht“ und das Land so viele Freunde in der Welt habe, dass die Täler von Caracas die Milliarden Menschen und die Anzahl der Regierungen nicht fassen könnten. Wie sehr seine Einschätzung von der Realität entfernt ist, zeigen die jüngsten Erklärungen der Regierung Uribe in Kolumbien. Die Verteidigungsministerin mahnt eine aktive Unterstützung der venezolanischen Armee im gemeinsamen Grenzgebiet an und erklärt dass auf venezolanischem Territorium die Guerilla Kolumbiens agieren kann. Präsident Uribe fordert Venezuela auf, die „Guerrilla“ als das zu bezeichnen, was sie tatsächlich ist, als eine Terrororganisation und damit die Qualifizierung der EU vom letzten EU/Südamerikagipfel in Madrid zu übernehmen.

Aber auch Teile der Opposition glauben, dass fast jeder in der Welt die Details der venezolanischen Entwicklung kennen, bewerten und ihnen uneingeschränkte Aufmerksamkeit widmen muss. Erst langsam dämmert es der Realisten, dass sich die Achsen verschoben haben. Europa und die USA haben grundlegendere Sorgen, als das venezolanische Öl und die Politik des Landes. Eher macht sich Ungeduld mit den Venezolanern breit, die unwillig oder unfähig sind ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Venezuela droht nicht die „Intervention“, die Präsident Chávez ablehnt und die als Graffiti an Hauswänden auftaucht. Venezuela droht die „Isolation“. Mit den unmittelbaren Nachbarn Kolumbien und Brasilien werden die Dinge so geregelt, dass die „Bolivarianische Revolution“ nicht überschwappen kann. Im Norden ist das Land durch den Erdölkonkurrenten Mexiko eingemauert und so bleibt nur noch ein Aktionsfeld in der Karibik. Vor diesem Hintergrund muss die venezolanische Opposition ihre Aktionen im internationalen Rahmen neu bedenken, gerade weil sie im Interesse des eigenen Überlebens auf die Aufmerksamkeit, die Vermittlung und vor allem auf Garantien des Auslands angewiesen ist.

Die Vermittlung des Auslandes war Idee von Präsident Chávez selbst, die er zu seiner Unterstützung suchte. Nachdem aber die internationale Vermittlung einen anderen Verlauf genommen hat (Anerkennung der von Chávez so gebranntmarkten „putschistischen, terroristischen Opposition“ als gleichberechtigter, internationaler Verhandlungspartner sowie Dringen auf Lösung der Krise über Wahlen/Volksabstimmung), verweigert sich Chávez der Vermittlung, ja provoziert die Vermittler.

Präsident Chávez fordert die Erweiterung der „Gruppe der Freunde Venezuelas“. Seine zusätzlichen Wunschpartner sind Frankreich, China, Rußland, Libyen u.a.m. Seine Forderungen fallen bei den erwähnten Ländern z.T. auf sehr offene Ohren. Italien hat sein Interesse an der Mitwirkung bekundet. Wenn Frankreich, dann auch Deutschland, wird betont und so zielen die Wünsche in Richtung einer „Großgruppe“. Letztendlich würde dies voraussichtlich die Effizienz der Gruppe mindern, je größer die Gruppe, je langwieriger und schwieriger die interne Abstimmung. Dass die „Gruppe der 6“ vollkommen ausreicht und effizient wirken kann, hat sie bei der letzten Sitzung der Vizeaußenminister in Caracas bewiesen. Der konstruktive Beitrag der Opposition wurde ausdrücklich anerkannt, die Regierung zu konkreten Lösungsvorschlägen am Verhandlungstisch aufgefordert. Selbst wenn alles in die ausdrückliche Anerkennung der „legitimen venezolanischen Regierung“ verpackt wurde, bedeutete die Stellungnahme doch mehr Druck auf die Regierung Chávez, als auf die Opposition.

Das Ausland kann mit folgenden Schritten die friedliche Lösung der weiterhin tiefsten Krise des Landes seit der Jiminéz-Diktatur (1958) fördern:

Erstens Festhalten an der OAS-Resolution 833, die eine friedliche, demokratische, verfassungskonforme Krisenlösung über das Wählervotum fordert.

Zweitens die uneingeschränkte Unterstützung der OAS-Vermittlung, was Rückenstärkung für den Vermittler, OAS-Generalsekretär César Gaviria, bedeutet, aber auch die gleichberechtigte Anerkennung der Oppositionsdelegation am Verhandlungstisch. Deren Legitimität versuchen Präsident Chávez und seine Administration beständig zu untergraben, indem er versucht sich „seine Opposition“ durch Sondergespräche und Einladungen zu schaffen und besonders Unternehmer, Gewerkschaften und Ölrepräsentanten (alle Mitglieder der Coordinadora) als „Terroristen und Saboteure“ auszugrenzen. Das Festhalten der internationalen Gemeinschaft an der Delegation der Opposition ist für den Verständigungs-/Konsensprozess überlebenswichtig. Jede Schwächung der Verhandlungsposition wird eher ein Ende der Vermittlung, als seine Erfolgsaussicht bedeuten.

Das Ausland sollte die „Gruppe der Freunde Venezuelas“ klein und effektiv belassen und mit dem „Wettrennen“ um einen Platz in der Gruppe aufhören. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es dabei manchen Ländern weniger um die Krisenlösung in Venezuela, als vielmehr um die eigenen wirtschaftlichen Interessen geht.

Kommt es zu einer Vermittlungslösung über Wahlen, wird es notwendig sein die Oberste Wahlbehörde entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen neu zu besetzen, die Wahladministration auf einen „sauberen“ neuen Stand zu bringen sowie Vorbereitung und Durchführung der Wahlen verlässlich national und international zu garantieren und zu überwachen. Bei letzterem, Wahlbeobachtung und Wahlkontrolle, kann und muss das Ausland einen substantiellen Beitrag leisten. Es geht dabei nicht um das „Einfliegen“ weniger Wahlbeobachter kurz vor der Abstimmung, sondern um logistische Unterstützung und Mittel für Schulung von Wahlhelfern und Wahlbeobachtern und den Aufbau unabhängiger Informationsnetze für den Wahltag. Hier sind die Länder mit ihren finanziellen Kooperationsmöglichkeiten gefragt, um vor allem den Gruppen der Zivilgesellschaft, und hier sowohl Opposition, als auch Regierungsanhängern, zu adäquaten Bedingungen zu verhelfen.

Sollten alle Verhandlungsbemühungen scheitern, muss feststellbar sein, wer und in welchem Ausmaß Verantwortung trägt. Eine „allen wohl und niemand weh“-Erklärung würde dem Land nicht helfen, weil nur über den Weg der Tatsachen und der Wahrheit

verbindliche und tragende Lösungen möglich sind.

Doch trotz aller Verzögerungen, vor allem seitens der Regierung, trotz aller ausbleibenden Initiativen die Lage zu entschärfen, Präsident Chávez tut das Gegenteil indem er verbal und faktisch die Auseinandersetzung verschärft, trotz aller Probleme gab es Anfang der Woche erste Anzeichen für eine Verhandlungslösung: der OAS-Verhandlungstisch hat seine erste Übereinkunft erzielt. Beide Seiten haben jede Form von Gewalt als Mittel der Politik erurteilt, verbale Entgleisungen zurückgewiesen und sich für demokratische Verfahren und Umgangsformen ausgesprochen und am 18.Februar 2003 in einem Abkommen unter Zeugnis der OAS (Erklärung gegen die Gewalt, für Frieden und Demokratie) unterschrieben.

Die jüngsten Ereignisse jedoch, die Ermordung der drei Soldaten, die Verhaftung von Carlos Fernández und der sofort vollziehbare Haftbefehl gegen Carlos Ortega haben das Klima so verschlechtert, dass die Erklärung kaum noch Wert hat. Wenn das neue Mediengesetz sowie die „Erklärung gegen die Gewalt, für Frieden und Demokratie“ angewendet werden würde, müßten zuerst die Reden von Präsident Chávez verboten werden, argumentiert die Opposition.

Gelingt es dennoch am OAS-Verhandlungstisch, unter Unterstützung der „Gruppe der Freunde Venezuelas“ ein Wahldatum im Jahr 2003 verbindlich festzumachen, sei es für ein Referendum, sei es für eine Verfassungsreform, sei es für das Abberufungsreferendum, sei es für Neuwahlen, hat Venezuela die Chance eine friedliche Lösung seiner Krise zu erleben, wird sich die Spannung legen und die Lage beruhigen.

Opposition, wie auch Chávez-Anhänger, brauchen eine Zeitperspektive, um sich ganz auf die friedliche Austragung der Entscheidung zwischen Bolivarianischer Revolution und westlich-moderner Demokratie über das Wählervotum vorbereiten zu können. In allen Kontakten besonders zur Regierung, aber auch zur Opposition, kann und muss das Ausland in diesem Sinne einwirken. Möglichkeiten dazu haben nicht nur die Regierungen über ihre Botschaften und Besucher, sondern auch Parlamente, Parteien, internationale Parteibündnisse, wie „Sozialistische Internationale“, ODCA und die Christdemokratische Internationale.

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