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Regierungskrise und beginnender Präsidentschaftswahlkampf

z Roland Freudenstein
Um den Privatisierungsminister Wasacz hat sich eine Krise innerhalb der regierenden Wahlaktion Solidarnosc (AWS) entwickelt, die mit einer schweren Niederlage für Premier Buzek und den AWS-Vorsitzenden Marian Krzaklewski enden könnte.In der für Herbst 2000 angesetzten Präsidentenwahl hat der postkommunistische Amtsinhaber Kwasniewski sehr gute Chancen. Mit der Aufstellung eines bzw. mehrerer Gegenkandidaten tut sich die Regierungskoalition äußerst schwer.Der im Dezember 1999 erreichte Kompromiss in der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter hat zwar das Schlimmste im deutsch-polnischen Verhältnis verhindert, aber einige ungelöste Fragen werden die Stimmung auch in den nächsten Monaten verdüstern. Klagen von deutschen Vertriebenen im Rahmen der Reprivatisierung können hier weiteren Schaden anrichten.

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1. Die neue Regierungskrise

Das Jahr 2000 begann mit einer schweren Regierungskrise, der man das Etikett "existenzgefährdend" anheften würde, wenn die Koalition aus Wahlaktion Solidarnosc und Freiheitsunion nicht schon seit November 1998 einige solcher Krisen überlebt hätte. das aktuell Problem rührt daher, dass eine Gruppe von 74 der insgesamt 186 Mitglieder starken AWS-Parlamentsfraktion einen Misstrauensantrag gegen den Privatisierungsminister Emil Wasacz beim Sejmmarschall eingereicht hat.

Es besteht trotz kräftigen Gegenruderns der Fraktionsführung nun die Gefahr, dass der Minister, dem die Gegnerschaft der gesamten Opposition ohnehin sicher ist, tatsächlich aufgrund des Widerstands im eigenen Lager die Abstimmung verliert. Das wäre der Gipfel der bisherigen politischen Niederlagen der Regierung, vor allem ein schwerer Schlag für Premier Buzek und den AWS-Vorsitzenden Krzaklewski.

Den Hintergrund der Krise bildet ein seit der Regierungsbildung 1997 schwelender Streit um die Privatisierung: Innerhalb der AWS-Mitgliedsparteien "Gesellschaftliche Bewegung-AWS" (RS-AWS) und "Christlich-Nationale Union" (ZChN) existiert ein harter Kern von Abgeordneten und Gewerkschaftsführern, der die im AWS-Wahlprogramm von 1997 postulierte "Vergesellschaftung" (uwlaszczenie powszechne) von Industriebetrieben allen Ernstes einfordert - in scharfem Gegensatz zu der laxen Interpretation der "Konservativen Volkspartei" (SKL), der Führung der "RS-AWS", des Koalitionspartners UW und des gesamten Kabinetts Buzek.

Letzteren ist klar, dass bei der gegenwärtigen Kassenlage und mit dem Ziel einer schnellen und nachhaltigen Modernisierung der großen Industriebetriebe beim Löwenanteil des zu privatisierenden Vermögens nur ein Verkauf an (meist ausländische) Investoren in Frage kommt.

Schon im Laufe des Jahres 1998 regte sich mehrmals expliziter Widerstand von Seiten einiger Gewerkschafter und Christnationaler gegen die Privatisierungspraxis der Regierung, die den Postulaten des Wahlkampfs tatsächlich nicht entsprach. Wortführer der Gruppe sind die Politiker Prof. Adam Biela und Gabriel Janowski (beide RS-AWS).

Bei ihnen vermischen sich nationalklerikale mit antiwestlichen und protektionistischen Tendenzen, es sind aber auch handfeste wirtschaftliche Interessen im Spiel, wo durch Ausschalten ausländischer Konkurrenz und die Schaffung polnischer Monopole (z.B. in der Zuckerproduktion) auch die eigenen Finanzen bedient werden.

Übrigens erfreut sich Minister Wasacz wegen angeblich geringer Kompetenz auch bei UW und SKL keiner großen Beliebtheit. So kam es, dass kurz vor Jahreswechsel eine Resolution, die Wasacz das Misstrauen aussprach, von 74 AWS-Abgeordneten unterschrieben wurde - darunter auch vom SKL-Vorsitzenden Miroslaw Styczen. Der Antrag wurde dann beim Sejmmarschall eingereicht, der ihn nun ordnungsgemäß zur Abstimmung stellen muss. SKL und UW begannen, den ungeliebten Minister zu verteidigen.

Die AWS-Fraktionsführung versucht nun, die Unterzeichner darauf einzuschwören, bei der für den 21. Januar angesetzten Sejmsitzung für den Minister und damit gegen den eigenen Antrag zu stimmen. Ein Teil der Unterzeichner lässt sich hiervon leicht überzeugen, zumal einige (wie z.B. Styczen) wohl anscheinend angenommen hatten, sie unterschrieben bloß eine Kritik am Minister, die der Fraktionsführung vorgelegt werden sollte. Aber beim harten Kern, der schwer zu beziffern ist, aber mit Sicherheit die Wortführer enthält, ist kein Wille zu erkennen, auf die Fraktionsführung zuzugehen. Bei der ohnehin knappen Mehrheit der Regierungskoalition von 15 Stimmen (von 460) ist das Risiko sehr groß, dass der Minister nicht die erforderliche Mehrheit erhält. Das politische Fiasko wäre enorm:

  • Es würde auch als persönliche Niederlage von Jerzy Buzek als Premier und Marian Krzaklewski als AWS-Führungsfigur angesehen. Die Dynamik der gesamten Initiative ist ja auch nur denkbar, weil die AWS in den Umfragen (s. Umfrageergebnisse) so niedrig liegt und beide Politiker in der AWS in den letzten Monaten rapide an Ansehen verloren haben. Jerzy Buzeks, dem Sejmmarschall Maciej Plazynski (RS-AWS) nachfolgen könnte, ist wieder einmal im Gespräch. Der einzige, der im Moment noch nicht ersetzlich erscheint, ist Krzaklewski selbst.

  • Zweitens würde ein Scheitern Wasacz' weitere Kabinettsmitglieder, die dem nationalklerikal-syndikalistischen Komplex nicht passen, "zum Abschuss freigeben". Dies ist vor allem die Befürchtung der Freiheitsunion (deren Finanzminister und Vizepremier Leszek Balcerowicz unter Dauerbeschuss der AWS-Rechten steht) und der AWS-Mitgliedspartei SKL. Sie träfe auch dann zu, wenn Wasacz vor der Abstimmung zurücktreten würde, um eine für die ganze Regierung demütigende Niederlage im Sejm zu vermeiden.

  • Als ultimative Sanktion nach der Sejm-Abstimmung droht die AWS-Fraktionsführung den hartnäckigen Dissidenten mit dem Ausschluss bzw. der Nichtwiederaufstellung in den nächsten Wahlen. Beide Drohungen haben aber viel von ihren Schrecken verloren. Auf der AWS-Rechten macht sich eine "Rette-sich-wer-kann"-Stimmung breit, weil einige beginnen, in einer Loslösung von der AWS mehr Vorteile als Nachteile zu erkennen. Das Schicksal der AWS wird davon abhängen, ob sich diese Tendenz auf eine Handvoll Abgeordnete beschränkt oder ob sie bald eine größere Gruppe betrifft. Die Schmerzgrenze liegt bei ca. 10.

Insgesamt liegt die Gefahr der Krise um das Misstrauensvotum wohl weniger in einem Kollaps der Regierung, sondern in der Erosion der AWS, die kurz nach der Parlamentswahl 1997 eingesetzt hatte, dann nach einigen Ausschlüssen und Austritten im Sommer 1998 gestoppt wurde und die nun wieder mit neuer Dynamik einsetzen könnte. Das mit Marian Krzaklewski identifizierte Modell AWS, also die Vereinigung weltanschaulich nicht nur verschiedener, sondern sogar gegensätzlicher politischer Optionen mit dem einzigen gemeinsamen Nenner, die Postkommunisten an der Macht dauerhaft abzulösen, steht damit unter einem riesigen Fragezeichen.

2. Die Situation vor Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs

Ähnlich prekär für die AWS ist die Situation im Hinblick auf den Präsidentschaftswahlkampf. Die Wahlen werden im Oktober oder November 2000 stattfinden; in den Umfragen liegt der Amtsinhaber Aleksander Kwasniewski weit vor allen möglichen Konkurrenten (s. Umfrageergebnisse). Die interessante Frage lautet also nicht, wer die Wahlen gewinnt, sondern wer sie im Namen der Regierungskoalition höchstwahrscheinlich verliert. Hier ist die grundsätzliche Frage, ob es einen gemeinsamen Kandidaten der UW und aller in der AWS zusammengeschlossenen Parteien geben wird, immer noch nicht beantwortet.

Die Debatte in den beiden Gruppierungen sieht wie folgt aus:

  • AWS: Immer noch quält sich Marian Krzaklewski, der Vorsitzende der AWS, der AWS-Fraktion und der Gewerkschaft Solidarnosc mit der Frage, ob er kandidieren soll. Er hat bereits erklärt, nur dann anzutreten, wenn die Rechte sich auf einen gemeinsamen Kandidaten einige - aber die Interpretation dieses Satzes lässt noch Lücken offen.

    Lech Walesa hat seine Kandidatur angekündigt, wäre aber eventuell immer noch bereit, davon Abstand zu nehmen, wenn er gleichberechtigt mit Krzaklewski einen Dritten zum gemeinsamen Kandidaten der AWS salben könnte. Als solch ein Kompromisskandidat wird Sejmmarschall Maciej Plazynski (RS-AWS) gehandelt - oder die AWS akzeptiert einen aus der UW kommenden kandidaten. Aber eine Nichtkandidatur Krzaklewskis wäre natürlich ein weiteres Zeichen für Führungsschwäche, die dann den AWS-internen Erosionsprozess mittelfristig eher beschleunigen könnte.

  • UW: Die Freiheitsunion steht in dieser Frage nicht viel besser da: Der Vizepremier, Finanzminister und Parteivorsitzende Leszek Balcerowicz und Außenminister Bronislaw Geremek scheinen fest entschlossen, den parteilosen ehemaligen Außenminister Andrzej Olechowski zum Kandidaten der UW zu machen. Bei der Parteibasis und jüngeren Wählern findet dieser angesichts seiner Eloquenz und weltmännischen Distinguiertheit wohl auch Zustimmung, aber die Fraktion wehrt sich z.Zt. verzweifelt gegen die Kandidatur: Olechowski hat eine vor 1989 liegende Tätigkeit für den polnischen Auslandsgeheimdienst (um ein Stipendium für das Studium in USA zu bekommen) praktisch zugegeben - und das ist für einen Großteil der ehemaligen verfolgten Oppositionellen inakzeptabel.

Es kann also sein, dass Balcerowicz und Geremek mit ihrem Konzept scheitern und sich die fragile Stimmung in der UW wieder verschlechtert. Eine Alternative zu Olechowski wäre für die UW allenfalls noch der ehemalige Premier Tadeusz Mazowiecki, der wohl auch für einige Kräfte in der AWS akzeptabel wäre, nämlich die SKL und einen Teil der ZChN. Ob allerdings die RS-AWS und die ZChN-Rechte ihn ohne weiteres unterstützen würden, ist zweifelhaft. Außerdem ist er selbst einer Kandidatur höchst abgeneigt.

Die Präsidentenwahl droht, für die Regierungskoalition und insbesondere für die AWS-Parteien zu einem Debakel zu werden, das dann als böses Vorzeichen für die ein knappes Jahr später stattfindenden Parlamentswahlen interpretiert werden würde.

3. Reaktion auf den Kompromiss in der Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter

Das Thema der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter aus dem 2. Weltkrieg hatte gegen Ende des Jahres 1999 die polnische Debatte über die deutsch-polnischen Beziehungen stark beeinflusst. Ein denkbares Scheitern der Verhandlungen wurde in Warschau von allen Politikern als Katastrophe angesehen. Der am 17. Dezember erreichte Kompromiss bei den Zahlungen deutscher Unternehmen und der Bundesregierung (insgesamt ca. 10 Mrd DM) an die Opfer hat in Polen eher zögerliche Reaktionen ausgelöst. Zwar herrschte Erleichterung über die Vermeidung einer größeren Krise, aber die von polnischen Medien und Politikern in den Vormonaten hochgespannten Erwartungen wurden eindeutig enttäuscht.

Drei Faktoren sind für die unmittelbare Zukunft zu beachten:

  • Nach Auskunft des Vertreters der deutschen Unternehmen, Gibowski, müssen die Mittel zu einem großen Teil noch bereitgestellt werden. Dies bietet natürlich in den kommenden Wochen und Monaten ein weiteres Gesprächsthema für die polnischen Medien.

  • Ausgesprochen schmerzhaft für Polen wird der nun begonnene Prozess der Aufteilung der Gesamtsumme zwischen den verschiedenen Opfergruppen: hier entsteht wieder das alte Problem, dass sich die Polen, stellvertretend für alle heute in Mitteleuropa lebenden Opfer, gegenüber den Westeuropäern und Amerikanern (oft Juden), benachteiligt fühlen. Dies bezieht sich vor allem auf die Relation zwischen den Entschädigungssummen für die beiden Gruppen: Insassen von Konzentrationslagern (vorwiegend im Westen lebende Juden) und zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppte Ausländer (vorwiegend Mittel- und Osteuropäer). Zwar steht Deutschland in diesen Verhandlungen nicht mehr im Vordergrund, aber die fortgesetzte Medienaufmerksamkeit für die Zwangsarbeiter-Entschädigung in Polen sorgt natürlich in der Öffentlichkeit für einen negativen Beigeschmack bei allem, was in den deutsch-polnischen Beziehungen passiert. Dieser Zustand dürfte noch einige Monate andauern.

  • Der nächste Eisberg für die deutsch-polnischen Beziehungen besteht in der Problematik um die Reprivatisierung von vor 1989 enteignetem bzw. verstaatlichtem Privateigentum. Die Welle von Einzelklagen, die in diesem Zusammenhang auch von Seiten deutscher Vertriebener und Spätaussiedler auf Polen zukommen könnte, würde mit Sicherheit eine neue öffentliche Empörung über Deutschland zur Folge haben.

Bestes Indiz hierfür ist die Aufregung über eine Sammelklage von 11 heute in den USA lebenden Juden im Herbst 1999, die für ihr zunächst im Krieg von den deutschen Behörden konfisziertes, später von der VR Polen übernommenes Eigentum Rückgabe bzw. Entschädigung verlangen. Die öffentliche Meinung, wie auch die politische Klasse, sind geradezu prädestiniert für eine Wiederbelebung des Gefühls, Polen werde von reicheren und stärkeren Ländern wieder zum Opfer gemacht.

4. Umfrageergebnisse zu den Wählerpräferenzen(Untersuchung v. 4.-6. Dezember 1999, veröffentlicht in: Wprost 2. Januar 2000)

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