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Das Grundgesetz für dich und mich

Grundrechtearena an der Trude-Herr-Gesamtschule in Köln

2024 feiern wir 75 Jahre Grundgesetz – aber was steht eigentlich da drin? Welche Rechte und Pflichten? Und können Werte, die vor so langer Zeit festgelegt wurden, heute noch Gültigkeit haben? Die Grundrechtearena bot den Schülerinnen und Schülern der Trude-Herr-Gesamtschule ausreichend Gelegenheit, sich mit Grundrechten und Grundsätzen, historischen Herleitungen und aktuellen Auswirkungen auseinanderzusetzen – insbesondere mit folgenden verbürgten Freiheiten: der eigenen Meinung, der Presse, der individuellen Freiheit sowie des Glaubens und der Religion. Selbstverständlich stand mit der Menschenwürde auch der unveränderliche Artikel 1 im Mittelpunkt aller Überlegungen. Abgerundet wurde der Tag durch ein Zeitzeugengespräch mit Wolfgang Thüne, der Fragen zu seinem Leben in der Diktatur der DDR beantwortete.

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Musterprogramm - @Lehrkräfte: Nehmen Sie gern Kontakt zu uns auf, wenn Sie daran interessiert sind, auch an Ihrer Schule eine Grundrechtearena durchzuführen.

 

Meinungsfreiheit

Wie entsteht Meinung? Und wie reagiere ich auf andere Meinungen? Kann ich meine eigene Meinung begründen und die eines anderen stehenlassen? Gibt es Situationen, in denen ich meine Meinung zurückhalten sollte, um Respekt und Anstand zu wahren? Anhand eines Quiz testeten die Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Verhalten, erlebten, dass es manchmal leicht, aber bei emotionaler Betroffenheit schwieriger ist, Meinungen auszuhalten. Nicht alles ist auszuhalten: Es wurden auch die Grenzen der Meinungsfreiheit erarbeitet – wie Beleidigungen und Verleumdungen, nationalsozialistische Parolen bis hin zur strafbewehrten Holocaust-Leugnung.

Ein Blick mit dem ehemaligen Leistungssportler der DDR (und später der Bundesrepublik) Wolfgang Thüne auf die zweite deutsche Diktature verdeutlichte, dass es bei uns kein Ministerium für Meinungsdiktate gibt; keine Regierung, keine Partei gibt den Schülerinnen und Schüler vor, was sie zu sagen haben, nimmt ihnen Berufs- und Reisefreiheit oder inhaftiert sie oder bürgert sie aus, wenn die politische Haltung nicht ins Bild passt. Anhand eigener Beispiele schilderte Thüne den Rückzugsort Familie, um der Schuldisziplin und ideologischen Lenkung zu entkommen.

Pressefreiheit

„In der Presse wird viel gelogen.“ Dieser provokanten These stimmte eine große Mehrzahl der Gruppe zu. Es folgte ein Faktencheck: Woher habt Ihr diese Informationen? Welche Tages- und Wochenzeitungen konsumiert Ihr? Gibt es einen Unterschied zwischen journalistischen Standards und der Berichterstattung durch Influencer und in den sozialen Medien?

Der Journalist Tom Hegermann erläuterte das Handwerkszeug eines Journalisten (z.B. die Verifizierung von Sachverhalten durch mindestens zwei Quellen), erklärte den Unterschied zwischen Fehlern und vorsätzlichen Lügen, sensibilisierte die Schülerinnen und Schüler für die Einordnung von Videos und Fotos, klärte über KI-generiertes Bildmaterial auf.

1. Arena

Auf der Grundlage der Abwägungen zur Meinungs- und Pressefreiheit sowie zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Versammlungsfreiheit bereiteten die Schülerinnen und Schüler die erste Arena vor: Die einen vertraten die Seite der Klimakleber, die andere die der Gegner. In Rede und Gegenrede tauschten sie die Argumente aus, suchten am Ende nach Kompromissen und Lösungsansätzen. Als Learnings nahmen sie mit, dass nicht der Zweck einer Demonstration entscheidend sein darf, sehr wohl aber Straftatbestände wie Sachbeschädigung und Gefährdung von Leben Grenzen setzen. Die Abwägung muss im Einzelfall erfolgen.

Menschenwürde als Grundlage und Wegweiser

Am zweiten Tag wurde es noch praktischer: Wie sind die Grundrechte in konkreten Fällen anzuwenden? Sind sie allein gültig? Widersprechen sich einzelne Artikel? Auf welcher Grundlage wägt man ab, um zu Entscheidungen zu kommen?

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Aber was heißt das? Und was ist „Würde“? Die Schülerinnen und Schülern näherten sich dem Begriff an. Nicht nur der Schutz vor staatlicher Willkür wurde anhand von Beispielen besprochen, sondern die besondere Herausforderung für die Gesellschaft, Würde und körperliche Unversehrtheit auch Straftätern, insbesondere Vergewaltigern, zuzusprechen. Es ging ans Eingemachte, und die Emotionen fanden ihren Weg. Aber der Rechtsstaat ist kein Rachestaat, der aus emotionalen oder ideologischen Gründen Urteile fällt oder dem Gefühl der Masse entsprechen muss. Hass darf nicht Maßstab für Rechtsprechung sein.

Glaubens- und Religionsfreiheit

Perspektivenwechsel und das Abwägen von Freiheiten nahmen fühlbar Gestalt an im Raum. Der eigene Lebensalltag und Erfahrungen griffen in die Diskussion zu Artikel 4 ein. Manche Schülerinnen und Schüler sahen z.B. im Umgang mit Jüdinnen und Juden Mängel in der ungestörten Religionsausübung. Gemeinsam erarbeiteten sie, dass es Unterschiede gibt, in der staatlichen Garantie für die Umsetzung der Grundrechte und der gesellschaftlichen Stimmungslage. Religiöse Symbole im Gerichtssaal, religiöse Rufe und Werbung sowie Gewalt im Namen der Religion wurden praktisch diskutiert.

2. Arena

Die zweite Arena stellte die männliche Beschneidung in den Mittelpunkt. Darf ein Arzt ablehnen, die Beschneidung durchzuführen, wenn es keine medizinische Indikation gibt, und damit die körperliche Unversehrtheit des Kindes ignorieren – oder haben die Eltern ein Recht auf Unterstützung bei der Ausübung ihrer Religionsfreiheit? Pro & Contra standen sich im Rollenspiel gegenüber. Die im politischen Alltag übliche Lösung nach Kompromissen und Rechtsfrieden wurde für jeden Einzelnen spürbar – und die in der Praxis in § 1631d BGB mündete.

Auch in der DDR stand die Menschenwürde in der Verfassung – allerdings wurde sie nicht rechtsstaatlich umgesetzte. Wolfgang Thüne berichtete von seiner kommunistisch-sozialistischen Umerziehung ab dem 13. Lebensjahr in einem Internat, das ihn auf eine Karriere als Leistungssportler vorbereitete. Er berichtete von der eingeschränkten Reisefreiheit der DDR-Bürger und von den Drohungen, die ihm gegenüber ausgesprochen wurden, als er sich weigerte, den Vorgaben und Zielen des Staates zu folgen. Religionsausübung habe keine Rolle gespielt, sei nur im sozialen Bereich geduldet gewesen, aber Nachteile z.B. bei Abitur, Studium, Berufswahl mit sich gebracht habe. Seine in der Verfassung verbrieften Rechte einzuklagen, habe sich niemand getraut; Anwälte standen selbst unter der Gefahr des Berufsverbots, wenn sie politische Fälle übernahmen. Seit Kindertagen sei der Leitsatz „Die Partei, die Partei, die hat immer recht.“ Prägend gewesen; Kritik an der Partei oder am Politbüro undenkbar.

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Dass Worte und Begrifflichkeiten sich ändern, verstanden die Schülerinnen und Schüler bei der Betrachtung von Artikel 3. Der dort aufgeführte Katalog sollte aktualisiert werden. Vorschläge waren Kultur, Aussehen, sozialer Status, finanzielle Stellung, Traditionen / Bräuche, Sexualität. Am Begriff „Rasse“ schieden sich die Geister: Die historische Begründung, die rassistisch begründete Vernichtungsideologie des Nationalsozialismus für alle Zeiten zu vermeiden, war ein neuer Gedanke, der vielen aufgrund der heutigen Verwendung des Begriffs nicht bewusst war. Vieles hängt mit Vielem zusammen. Stets über den eigenen Tellerrand zu blicken, Perspektivwechsel einzunehmen und Argumentationslinien von verschiedenen Seiten in Betracht zu ziehen – diese Herangehensweise zog sich durch viele Gespräche und Diskussionen der beiden Tage.

Zeitzeugengespräch

Zum Abschluss hatten die äußerst interessierten Schülerinnen und Schüler Zeit, Wolfgang Thüne über seine Zeit in der DDR auszufragen. Er berichtete über den Leistungssport in der DDR, über die Intention, daraus internationale Anerkennung zu erzielen und Diplomaten im Trainingsanzug zu entsenden, über das Fördersystem, Kindervermessungen und Doping. Wolfgang Thüne schilderte plastisch, wie die Jugend in der DDR beeinflusst, aus der Familie genommen und wie über die Kinder die politische Haltung der Eltern erfragt wurde. Das Schulsystem inklusive seiner auf der Herkunft beruhenden Quotenregelung zur Erlangung des Abiturs sorgte für staunende Blicke. Auch private Fragen nach der Trennung und dem Wiedersehen beantwortete Wolfgang Thüne. Der Blick in die Stasi-Akte nach der Wiedervereinigung legte das Spitzelsystem im nahen Umfeld offen.

Am Ende war es eine Summe von Gründen, die die Entscheidung zur Flucht förderte: Zwangseintritt in die SED, Diplomatenrolle im Trainingsanzug, Eingriffe ins Privatleben, letzten Endes der „Befehl“ zu lebensgefährlichen Übungen, um den Klassenfeind zu besiegen, und bei Weigerung der in Aussicht gestellte „Berufswechsel“ zum Panzerfahrer – all dies besiegelte den Entschluss. Dass ausgerechnet der „Klassenfeind“ und Sportkonkurrent Wolfgang Gienger seine Flucht aus Bern über Basel in die Bundesrepublik ermöglichte, ist eine der Geschichten, die nur das Leben schreiben kann.

Warum Wolfgang Thüne über sein Leben berichtet, wollte eine Schülerin wissen. Damit allen klar wird, was eine Diktatur mit Menschen macht und wie man unter Diktaturen leidet. Diese Warnung – gepaart mit den Aufruf, sich selbst für die Demokratie einzubringen und zu engagieren – gab Wolfgang Thüne mit auf den Weg.

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Dr. Ulrike Hospes

Dr. Ulrike Hospes

Landesbeauftragte und Leiterin des Politischen Bildungsforums NRW /
Leiterin Büro Bundesstadt Bonn

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