Transformationsprozess der Medien in Südosteuropäischen Länder
Vor etwa 25 Jahren verabschiedeten sich der Westbalkan, Bulgarien, Rumänien und die Republik Moldau sich vom kommunistischen System. Seitdem beobachtet Christian Spahr, Gründer des SEECOM-Verbands für Regierungssprecher in Brüssel, einen stetigen Wandel hin zu einem europäischen Bewusstsein. Doch europäische Krisen und die aktuelle Migrationsdebatte verunsichere die Bevölkerung. „Dabei ist es entscheidend, dass die Vorzüge einer Demokratie gegenüber einem kommunistischen System wieder stärker hervorgehoben werden müssen“, forderte Spahr. Erschwert werde dies allerdings durch eine eingeschränkte Pressefreiheit in osteuropäischen Ländern. „Oft befinden sich Zeitungen und Fernsehen in den Händen von Oligarchen und Politikern“, kritisierte der Kommunikationsexperte. Staatliche Werbung für die führenden Parteien sei gängige Praxis. Die Opposition habe es schwer, Gehör zu finden. Er eine Balance zwischen PR und Journalismus und mehr ethische Standards bei der Berichterstattung.
Soziale Medien als Kulturwandel
Neben der Aufarbeitung alter Strukturen durch den Regimewandel, müssten auch neue Kommunikationswege erschlossen werden. Soziale Medien müssten ein Teil des online/offline PR-Mixes werden, um die Bürger und jungen Wähler zu erreichen. „Das Internet, soziale Netzwerke, offene Grenzen, billige Flüge und das Erasmus-Programm haben es vielen Menschen ermöglicht, Vergleiche anzustellen“, so Spahr. Die Generation der zukünftigen Führungspersönlichkeiten in der EU habe sich daran gewöhnt, bestimmte Verfahren in Frage zu stellen und Teilhabe einzufordern. Spahr bezeichnete dies als einen Kulturwandel, „von einem Top-down-Ansatz hin zu einem kollaborierendem Umfeld.“ Zu einem gelingenden Agenda-Setting bei Wahlkampagnen gehörten sowohl zielgerichtete smartphone-Apps als auch Tür-zu-Tür-Kampagnen.
Der Kreis der SEECOM, einem Netzwerk, dem 70 Mitglieder und Kommunikationsmanager aus 50 Ländern angehören, habe den Wandel der sich verändernden Kommunikation erkannt. Dennoch gebe es Hürden auf Ebene der Spitzenpolitiker, die diese Entwicklung noch nicht verinnerlich hätten.
Mit Blick auf die Europawahl 2019 forderte Spahr die Förderung einer gemeinsamen, europäischen Öffentlichkeit. Denn Fragen nach einem Wertesystem umtreibe alle EU-Staaten und dabei könnten nationale Mediensysteme helfen.
„Gefälschte Wahlen sind Standard“
Einen düsteren Blick auf das demokratische Vehikel „Wahlen“ warf Professor Nic Cheeseman von der Universität Birmingham. Heute gebe es mehr Wahlen als vor 40 Jahren. „Dabei wird die Zahl der Länder, die sich von der Demokratie entfernen immer größer“, sagte Cheeseman. Der Autor, der zusammen mit seinem Koautor Brian Klaas das Buch „How to rig an election“ verfasste, stellte zudem fest: „Die Qualität der Wahlen in der Welt ist sehr gering.“ Dies veranschaulichte er mittels eines Analyseverfahrens, bei dem er nach bestimmten Aspekten wie der Kandidatenanzahl, der Medienberichterstattung und anderen eine Bewertung vornahm. Dabei kam er zum Schluss, „dass gefälschte, qualitativ schlechte Wahlen der Standard sind“.
Manipulationsstrategien der Machthaber
Denn viele Spitzenpolitiker und Regimeführer nutzten Wahlen als Legitimation ihrer Position. Dabei sei die beste Manipulationsstrategie, „wenn das Risiko, erwischt zu werden, so gering wie möglich ist und der Ertrag, das Maximum an Erfolg erbringe.“ An Beispielen der Wahlen in Simbabwe 2018 und Kasachstan 2005 machte Cheeseman deutlich, dass zum Machterhalt ein Mix aus unterschiedlichen Strategien nötig sei. Dazu gehörten u.a. eine genau ausgeklügelte Anzahl von gekauften Wählerstimmen, um glaubwürdig zu bleiben, ein Militäraufgebot am Wahltag oder die Denunzierung der Opposition.
Soziale Medien als blinder Fleck der Wahlbeobachter
Bei der Wahl 2008 lud der umstrittene Präsident Robert Mugabe alle westlichen Wahlbeobachter ein. Cheeseman, der mit seinen Forschungen auch auf YouTube bekannt ist, wertete dies als cleveren Schachzug. „Denn Wahlbeobachtung ist das Problem selbst“, so der Analytiker. Oft gebe es für die Wahlbeobachter blinde Flecken. Sie hätten keine Kapazitäten die sozialen Netzwerke zu überwachen, insbesondere in Ländern, in denen es Sprachbarrieren gebe. Facebook und Twitter würden zwar von vielen Wählern genutzt, aber gerade whatsapp sei ein persönliches Medien und schwer kontrollierbar. “Wähler haben berichtet, dass whatsapp für hate speech genutzt wird.“
Eine Vielzahl von PR-Mitarbeitern stehe einer geringen Anzahl von Journalisten entgegen. Eine Beobachtung wie sie zuvor auch Christian Spahr machte. Die Ressourcen seien nicht gleich verteilt. Cheeseman sieht Handlungsbedarf. „Wir müssen in Zusammenarbeit mit Wahlbeobachtern neue Wege beschreiten, um codierte Nachrichten zu entziffern oder Sprachbarrieren zu überwinden.“
Nicht nur in afrikanischen Ländern ist whatsapp ein verbreiteter Kommunikationskanal, sondern auch in Brasilien. 66 Prozent der Brasilianer nutzen das Medium, erläuterte Gil Castillo, Vorsitzende der lateinamerikanischen Vereinigung der Politikberater „Alacop“. Wie Cheeseman stellte auch Castillo fest, dass es über den Instant-Messeging-Dienst keine Kontrolle gebe.
Brasiliens Superwahljahr
Eine wichtige Tatsache, denn Brasilien befindet sich im Superwahljahr. Neben Kommunalwahlen bestimmen die Brasilianer einen neuen Staatspräsidenten sowie einen neuen Kongress. Die klaren Gewinner des ersten Wahlgangs der brasilianischen Präsidentschaftswahl am 7. Oktober 2018 waren Jair Messias Bolsonaro (46,03%) und Fernando Haddad (29,28%). Da keiner der beiden Kandidaten die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen konnte, kommt es am 28. Oktober zu einer Stichwahl zwischen dem ultrarechten Bolsonaro von der Splitterpartei Partido Social Liberal (PSL) und Haddad.
Vor einigen Tagen stellte sich heraus, dass Bolsonaro drei Millionen Dollar für Fake News in seinem Wahlkampf ausgegeben hätte. Eine saubere politische Kommunikation werde durch solche Ereignisse behindert, beklagte Castillo. Zudem beobachtet Castillo bei der jungen Generation eine Überdrüssigkeit der klassischen Wahlkampfwerbung. Ein ironisches Wahlkampfvideo, das sich Anfang des Jahres in den sozialen Netzwerken in kürzester Zeit viral verbreitete, nimmt ironisch die klassische Wahlstrategie aufs Korn. „Viele Politiker haben nicht verstanden, dass sich die politische Kommunikation verändert hat“, sagte die Vorsitzende von Alacop.
Emotionen als Wahlkampfstrategie
Wie sehr Emotionen im brasilianischen Wahlkampf eine Rolle spielen, verdeutlichte die Politikberaterin am Beispiel eines Wahlkampfvideos von Bolsonaro. Mit patriotischen Tänzern in Nationalfarben gekleidet aus verschiedenen Teilen Brasiliens, die sich zu beschwingter Pop-Musik bewegen, mache die Partei ihren Wählern ein niederschwelliges Angebot. Im Fokus stünden nicht Fakten, sondern Emotionen, erklärte Castillo. Haddad hingegen, der zuvor immer mit seinem Parteikollegen Luiz Inácio Lula da Silva auf jedem Wahlwerbeplakatabgebildet war, änderte ebenfalls seine Strategie und verzichtete bei der Schrift auf das parteitypische Rot zugunsten der Nationalfarben. Neben der Wirtschaftskrise und Korruptionsproblemen hätten all diese Strategien die brasilianische Gesellschaft aufgewühlt, erläuterte Castillo. Die Menschen fürchteten sich vor einer Rezession ihres Landes, vor Gewalt und könnten sich schwer mit einem Kandidaten identifizieren.
Eine Woche vor der Stichwahl liegen die Umfragewerte bei 52 Prozent für Bolsonaro und 35 Prozent für Haddad. Dass ein Vertreter einer altgedienten Arbeiterpartei und ein ultrarechter Vertreter zur Stichwahl des Präsidentenamtes stehen, ist eine ernstzunehmende Entwicklung. „Die Demokratien müssen aus ihrer Komfortzone kommen und bessere Arbeit leisten“, forderte Castillo.
Am Montag, den 22. Oktober 2018, wird die Konferenz um 9.00 Uhr via Livestream fortgesetzt.
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