Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen und speziell des Klimas ist eine globale Aufgabe, mit dem auch Gerichte zunehmend befasst werden. In Lateinamerika haben (Verfassungs-) gesetzgeber und Gerichte einen Weg beschritten, der uns in Deutschland noch fremd ist: Sie haben Naturgebieten – Teilen des Regenwaldes und Flüssen – sowie auch Tieren eigene individuelle Rechte zugesprochen. Wie Marie-Christine Fuchs, Leiterin des Rechtsstaatprogramms Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung, schilderte, steht dieser Ansatz zumeist im Zusammenhang mit dem Schutz indigener Minderheiten, die in enger Verbindung mit der Natur leben und deren Lebensräume durch Abholzung und Abbau von Rohstoffen und Mineralien bedroht werden. Eine Vorreiterrolle bei der Anerkennung von Eigenrechten für die Natur spiele das kolumbianische Verfassungsgericht, eines der renommiertesten der Region. In einem Urteil aus dem Jahre 2016 habe das Gericht dem Fluss Atrato individuelle Rechte zugesprochen. Dem Fluss waren durch große Wasserkraftvorhaben und durch den illegalen Abbau von Mineralien in der der Region massive ökologische Schäden zugefügt worden. Das Verfassungsgericht, so führte Marie-Christine-Fuchs aus, habe – für das deutsche Verfassungsverständnis eher ungewöhnlich – mehr als ein Dutzend konkrete Handlungsanweisungen an die kolumbianische Regierung und die ethnischen Bevölkerungsminderheiten in der Region festgelegt, um den Anspruch des Flusses auf Regeneration, Pflege, Erhaltung und Schutz zu konkretisieren.
Schutz künftiger Generationen
An dieses Urteil anknüpfend, habe des oberste Zivilgericht Kolumbiens im Jahre 2018 das kolumbianische Amazonasgebiet als Rechtssubjekt anerkannt. Das Gericht habe vor allem auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes für künftige Generationen, das Prinzip der Solidarität und das Vorsorgeprinzip verwiesen, also Argumente angeführt, die in dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Pflichten des deutschen Gesetzgebers für einen verstärkten Klimaschutz eine Rolle gespielt hätten. Marie-Christine Fuchs gab allerdings auch zu bedenken, dass die gerichtliche Zuerkennung von Eigenrechten für die Natur in den spezifischen kolumbianischen, plurietnischen Kontext eingebettet und eine Übertragung auf Industrienationen wie Deutschland deshalb zumindest mit Fragezeichen zu versehen sei. Das gelte vor allem auch für die Verschiebung des Umweltschutzes von der Legislative auf die Gerichte, die zwangsläufige Folge der kolumbianischen Rechtsprechung und der Konstitutionalisierung umfangreicher Umweltgrundrechte sei. Auch sei die Zuerkennung eigener Rechte für die Natur nicht die Lösung für alle Umweltprobleme. Von den gerichtlichen Handlungsanweisungen zum Schutz des Regenwaldes und des Flusses Atrato seien bislang nur wenige komplett erfüllt worden. In Ecuador und Bolivien, in denen der Natur per Verfassung bzw. einfachem Gesetz Rechtspersönlichkeit zugesprochen wird, sein in Sachen Umweltschutz noch weniger Fortschritte zu verzeichnen als in Kolumbien. Deshalb werde teilweise kritisiert, dass die Anerkennung von Eigenrechten der Natur lediglich eine „Rechtsutopie“ sei.
Verfassungsbeschwerde männlicher Ferkel
Aus deutscher Perspektive merkte Sigrid Boysen, Professorin für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg an, dass das Bundesverfassungsgericht sich in seinem Klimabeschluss nicht mit Rechtsprechung aus Ländern des Globalen Südens auseinandergesetzt habe, trotz der innovativen Impulse, die etwa die kolumbianischen Gerichte beim Umweltschutz gesetzt hätten. Auch scheine das Karlsruher Gericht für Belange des Tierschutzes weit weniger aufgeschlossen zu sein als für den Klimaschutz. So habe das Gericht unlängst eine Verfassungsbeschwerde, die die Tierschutzorganisation PETA als Rechtsvertreterin männlicher Ferkel eingelegt hatte, ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen. Damit sei eine Gelegenheit versäumt worden, wichtige Fragen zu klären, die sich im Zusammenhang mit der Zuerkennung von subjektiven Rechten für Tiere und Naturgebiete stellten.
Die Völkerrechtlerin thematisierte unter anderem die Frage, wer die Rechtsvertretung für die Natur übernehmen solle. Deutschland habe jedenfalls, was den Schutz von Natur und Tieren angehe, keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Die Erfolge, die zu verbuchen seien, beruhten vor allem auf europäischen und internationalen Vorgaben zum Arten-, Natur-, Landschafts-, Wasser und Immissionsschutz. Auch dürfe man nicht vergessen, dass Deutschland zu den Staaten gehöre, die ein Vielfaches von den tatsächlich zur Verfügung stehenden ökologischen Ressourcen verbrauchten. Asymmetrien und Ungleichheiten bei der Inanspruchnahme von Umweltgütern würden in der bisherigen, vom Narrativ des Anthropozäns geprägten Diskussion jedoch weitgehend ausgeblendet. Der Blick auf die Menschheit als Ganzes verstelle den Blick dafür, dass nur wenige Staaten und Unternehmen und ein bestimmtes politisches System, die „carbon democracy“ Verursacher der globalen Umweltveränderungen seien. Um angemessene Lösungen für Problem des Klimaschutzes mit seinen komplexen Verantwortlichkeitsbeziehungen zu finden, komme es darauf an, so die Sigrid Boysen, kulturelle, technologische sowie ökonomische Entscheidungen bestimmter sozialer Gruppen, Organisationen oder Institutionen stärker zu berücksichtigen.
Nicht nur bei der Verwirklichung konkreter Umweltschutzmaßnahmen gibt es also noch viel zu tun. Auch unsere Sichtweise auf Probleme übermäßiger Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Ressourcen sollte hinterfragt werden. Optimistisch stimmt das große Interesse am grenzüberschreitenden Dialog über Rechtsfragen zum Umwelt-, Klima- und Tierschutz, das es sowohl in Lateinamerika als auch in Deutschland gibt. Die große und breite Zuschauerbeteiligung an der deutsch-kolumbianischen Online-Veranstaltung zu Eigenrechten der Natur lieferte dafür einen eindrucksvollen Beweis.
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