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Reuters / Kacper Pempel

Informacje z kraju

Die polnische Opposition vor den Parlamentswahlen 2023: Liegt ein Machtwechsel in der Luft?

z David Gregosz, Dr Daniel Lemmen, Dr Piotr Womela

Eine zerstrittene Opposition, die nicht zueinander findet, könnte der PiS eine dritte Amtszeit ermöglichen

In Deutschlands größtem östlichen Nachbarland werden in diesem Herbst die Wähler turnusmäßig an die Urnen gerufen, um beide Kammern des Parlaments, Sejm und Senat, neu zu wählen. Die Oppositionsparteien wittern hierbei die Chance, die von der PiS angeführte nationalkonservative Regierung abzuwählen. Obgleich das Jahr erst begonnen hat, steckt Polen schon fast im Wahlkampfmodus und ein Machtwechsel scheint nicht ausgeschlossen. Aus diesem Grund legt die Analyse den Fokus auf die polnische Opposition, beschreibt ihre Ausgangslage sowie mögliche Szenarien einer Zusammenarbeit.

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Die Ausgangslage

Die Umfragen sind immer weniger erfreulich für die Vereinigte Rechte. Es scheint ziemlich unwahrscheinlich, die einstige Wählergunst für die PiS wiederherzustellen. Folgt man Umfragen sind die Polen der konservativ-nationalistischen Regierung mehrheitlich überdrüssig, und die wirtschaftlich schwierige Lage (samt hoher Inflation) sind nicht gerade von Vorteil für das Regierungslager. Zugleich zeigen Meinungserhebungen im Durchschnitt seit einer gewissen Zeit eine leichte, aber zunehmende Zustimmung für die Oppositionsparteien an.

All das hat zur Folge, dass das Regierungslager in Umfragen zu Beginn des Jahres nur noch knapp über der 30-Prozent-Marke liegt. Sie liegt damit weiterhin an erster Stelle, wird als politische Kraft jenseits des Wahlausgangs also weiterhin eine gewichtige Rolle spielen. Ein neuer Koalitionspartner, der dem Regierungslager nach den Wahlen eine Mehrheit verschaffen könnte zeichnet sich unterdessen aber nicht ab. Die demokratischen Oppositionsparteien lehnen eine Zusammenarbeit ab. Die rechtsradikale bis -extreme Konfederacja (Konföderation) stellt aufgrund ihrer Instabilität und Heterogenität ebenfalls keine Alternative dar.

Die Ausgangslage der Oppositionskräfte Bürgerplattform (PO/KO), Polnische Volkspartei (PSL), Polska 2050 (P2050) und der Lewica (Die Linke) hat sich damit im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen im Jahre 2019 deutlich verbessert. Viel hängt aber von einer erfolgreichen Kooperation der teils sehr ungleichen oppositionellen Partner ab. Sie steht und fällt mit den Führungspersönlichkeiten; es geht um grundsätzliches, es geht um atmosphärisches, leider geht es kaum um inhaltliches.  

 

Die Bürgerplattform (PO) / Bürgerkoalition (KO)

Eine Verbesserung zeigt sich insbesondere für die Bürgerplattform. 2019 trat die PO erstmals gemeinsam mit der liberalen Nowoczesna (Die Moderne), der linksliberalen Inicjatywa Polska (Polnische Initiative) sowie den Grünen in einem Wahlbündnis an. Trotz dieser Zusammenarbeit gelang es jedoch nicht, erneut stärkste Kraft im Sejm zu werden. Nach dem der damalige Parteivorsitzende (und frühere Außenminister) Grzegorz Schetyna wenige Monate nach der Wahl zurücktrat, scheiterte auch der Amtsnachfolger Borys Budka, an alte Erfolge anzuknüpfen. Zeitweise fiel die Partei in Umfragen auf nur noch knapp über 13 Prozent. Dem Umfragetief entkommen konnte die Bürgerkoalition erst mit der Rückkehr Donald Tusks an die Spitze der PO. Zwar liegt die Bürgerkoalition weiterhin hinter der PiS, sie konnte aber ihren Wert seit dem Sommer 2021 graduell verbessern. Zum Beginn des Wahljahres liegt die Bürgerkoalition (im Durchschnitt aller Umfragen) knapp unter der 30-Prozent-Marke. Diese Marke erscheint auch als psychologische Hürde. Unmittelbar nach seiner Rückkehr hatte Tusk diese Zielmarke definiert, die bis Ende 2021 erreicht werden sollte. Vereinzelt wird auch davon gesprochen, dass das Wählerpotenzial der Bürgerkoalition bereits ausgeschöpft sei und sie zumindest ohne weitere Verbündete diese Marke auch nicht überschreiten könne.

Der Erfolg in den Umfragen und noch viel mehr in den Parlamentswahlen im Herbst wird insbesondere auch durch die programmatische Ausrichtung der Bürgerplattform bestimmt sein. Für die anstehenden Wahlen deutet sich derzeit noch kein konkretes Programm der Bürgerplattform an. Regelmäßig wird dieses Fehlen insbesondere aus dem Regierungslager kritisiert. Der Vorwurf an die PO lautet hierbei, sie solle erklären, was sie besser machen würde. Auch eine Mehrheit der Wähler – so zeigen Umfragen – weiß teilweise noch nicht, wofür die PO eigentlich stehe. Diese Verwirrung ist nicht verwunderlich. Zeitweise äußert insbesondere Parteichef Tusk durchaus stark soziale Positionen („Wohnung ist ein Menschenrecht“), dann wiederum gibt es aber auch liberale Positionierungen. Beides wirkt auf den Wähler verwirrend, der sich gerade in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen eine Profilierung wünscht.

Vereinzelt wird von PO-Politikern betont, dass der wichtigste Punkt im Wahlprogramm der Bürgerkoalition die Abwahl der PiS sei. Vielfach wird jedoch bemängelt, dass der Wunsch nach Abwahl der PiS-Regierung keine ausreichende Programmatik darstelle, um einen Regierungsauftrag zu erhalten. Der PO fehlt es derzeit noch an einem inhaltlichen Angebot, das mehr als eine Ablehnung der PiS darstellt. Der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) war es 2015 gelungen, den Wählern klar zu machen, welchen Staat sie wollen – was insbesondere auf einen Ausbau des Sozialstaates zutraf. Es ist anzunehmen, dass dieses bei der PO bestehende Defizit vor dem Wahltermin noch behoben werden wird und die PO eine programmatische Version für ein anderes Polen abliefert.

Dennoch ist die PO nicht vollkommen inhaltslos. Hervorzuheben ist insbesondere, dass die Partei sich seit einigen Jahren in einer Neuausrichtung befindet. Hierbei ist deutlich eine nachdrückliche Liberalisierung in der Ausrichtung der PO erkennbar, die sich insbesondere in gesellschaftspolitischen Fragen zeigt. Deutlich wird dies zum einen in der Abtreibungsfrage, in der Tusk sich auf dem „Campus zur Zukunft Polens“ vor hunderten jungen Zuhörern gegen eine Kandidatur von Abtreibungsgegnern auf den eigenen Wahllisten aussprach. Zwar wurde diese Aussage zu den Wahllisten später teils relativiert, dennoch positioniert sich die PO zum einen auf der Seite einer großen Mehrheit der polnischen Bevölkerung und zum anderen in deutlichem Kontrast zum Regierungslager. Erkennbar ist diese Liberalisierung ebenfalls in der klaren Unterstützung einer Legalisierung der künstlichen Befruchtung in Polen. Zur Erreichung dieses Ziels sammelt die Partei derzeit landesweit Unterschriften. Wiederholt sprach sich Tusk ebenfalls für die Einführung von eingetragenen Lebenspartnerschaften für Homosexuelle aus.  Vereinzelt zeigt sie sich hierbei sogar kirchenkritisch, wobei sich die Kritik deutlich gegen die polnische Amtskirche richtet.

Die PO folgt damit dem Trend einer sich zunehmend liberalisierenden und zugleich säkularisierenden Gesellschaft in Polen, in der die Kirche zunehmend an Einfluss verliert. Es ist schwer abzusehen, welche Rolle diese gesellschaftlichen Fragen in der heißen Phase des Wahlkampfes spielen werden. Fakt ist jedoch, dass die PO mit ihren gesellschaftspolitischen Positionen eine viel progressivere Haltung als noch vor einigen Jahren einnimmt. Damit spiegelt sie letztlich Positionen, die vor allem in der politischen Mitte mehrheitlich akzeptiert werden.

Mit Blick auf die Partei selbst hat sich die innerparteiliche Diskussion über die Führung der PO deutlich zu Gunsten von Tusk gelegt. Innerhalb der Bürgerplattform wird seine Führungsposition von niemandem in Frage gestellt. Außerhalb der Partei ist diese Situation durchaus eine andere. So zeigt es sich unterdessen als große Schwäche, dass Tusk über eine immens große negative Wählerschaft verfügt: Fast zwei Drittel aller Polen würden es nach einem Wahlsieg der Opposition ablehnen, dass Tusk erneut Regierungschef wird. Begründet ist diese Ablehnung auch (aber nicht nur) in der Tatsache, dass Tusk sich immens starken Angriffen aus dem Regierungslager und diesem nahestehenden Medien ausgesetzt fühlt. Zeitweise wird er, ohne erkennbaren journalistischen Mehrwert, dutzende Male in den Ausgaben der Hauptnachrichten des staatlichen Fernsehens in einem negativen Kontext erwähnt. Der politische Mehrwert ist unterdessen offensichtlich – die permanente Diskreditierung des politischen PO-Chefs.

Mehr als jeder zweite Pole (52,3 Prozent) vertraut Donald Tusk nicht; das Vertrauen sprechen ihm nur 27,6 Prozent aus. Als Spitzenreiter in der Vertrauensfrage präsentiert sich unterdessen der Warschauer Stadtpräsident Rafał Trzaskowski, der als Vizeparteichef weiterhin eine wichtige Rolle spielt. Somit bestünde durchaus die Möglichkeit die Spitzenkandidatur Trzaskowski anzutragen. Während Tusk bei einer Direktwahl in Umfragen nur auf 14,8 Prozent kommt, sprechen sich 24,4 Prozent aller Wähler für Trzaskowski. Unter den Wählern der demokratischen Opposition kommt Trzaskowski sogar auf 41 Prozent – Parteichef Tusk hingegen nur auf die Hälfte dieses Wertes. In einer solchen Konstellation würde Tusk damit eine ähnliche Rolle wie Kaczyński für die PiS einnehmen, da er zwar die Regierungspartei anführt, der Regierung selbst aber nicht angehören würde. Anders als in der PiS, die keine Konkurrenz zum Parteichef kennt, würde dies sicherlich einen Konflikt zwischen Tusk und Trzaskowski zur Folge haben. Hinzu kommt, dass es für den Warschauer Stadtpräsidenten sicherlich die bessere Machtoption wäre, im Rathaus zu bleiben, Anfang 2024 die Kommunalwahlen wieder für sich zu entscheiden und dann erneut bei den Wahlen zum Staatspräsidenten 2025 anzutreten. Auch für Tusk ist dies sicherlich die angenehmere, wenngleich risikobehaftete Variante.

Trotz der schlechten persönlichen Umfragewerte ist Tusk aus Sicht der eigenen Parteiführung der wahrscheinlichste und wohl auch unumstrittene Kandidat für das Amt des Premierministers. Die Frage der Spitzenkandidatur sollte hierbei auch nicht überbewertet werden. So wählen auch die Polen ihren Regierungschef nicht direkt. Ob es Tusk gelingt, eine Regierung anzuführen, wird primär von den Koalitionspartnern abhängig sein.   

In ihrer Beziehung zu den anderen demokratischen Oppositionsparteien sehen sich Tusk und die PO insgesamt als Führungskraft im Oppositionslager. Diesen Anspruch akzeptieren die politischen Kräfte außerhalb der Bürgerkoalition nur bedingt.

Tusk und die PO hatten in den letzten Monaten immer wieder versucht, die demokratischen Mitstreiter von einem gemeinsamen Kampf gegen die PiS zu überzeugen. Im November verfasste die Bürgerplattform hierzu einen Parteibeschluss, der die Bildung einer gemeinsamen Liste forcieren sollte. Gleichzeitig hatte Tusk bereits zu Beginn des letzten Jahres verlautbart, dass er alles dafür tun werde, dass die PO stärkste Kraft werden müsse, wenn sich die anderen Parteien gegen eine Zusammenarbeit entschließen würden.

 

Polska 2050

Die Partei Polska 2050 ist eine relativ junge Gruppierung. Sie geht auf eine politische Bewegung zurück, die Szymon Hołownia nach den Präsidentschaftswahlen 2020 gegründet hatte. Damals zog der politische Neuling in den Wahlkampf um das Präsidentenamt und wurde aus dem Stand Dritter. Zuvor galt er als liberal-katholischer Journalist, der u. a. Direktor des Senders Religia.tv und Kommentator für die Publikationen Newsweek und Gazeta Wyborcza sowie als Kolumnist für die katholische Wochenzeitung Tygodnik Powszechny tätig war. Andererseits wurde er einem breiteren Publikum durch von ihm moderierte Talentshows im Fernsehen bekannt. Hołownia zeigt die Fähigkeit, gemeinwohlorientierte Menschen um sich zu scharen, die der politischen Spielchen und ideologischen Kämpfe in Warschau müde sind. Seine Wahlkampagne begleiteten tausende von jungen Freiwilligen in ganz Polen. Dies hat seiner Bewegung viel Authentizität verliehen.

Im März 2021 registrierte Hołownia die Partei Polska 2050. Ihr ideologisches Profil entspricht der politischen Mitte und steht der Christdemokratie nahe, mit starkem Fokus auf ökologischen, liberalen und pro-europäischen Themen.

Im Sejm verfügt P2050 über eine Gruppe von sieben Abgeordneten sowie einen Senator im Oberhaus. Hołownias Partei hatte bisher noch keine Gelegenheit, sich bei Parlamentswahlen zu bewähren. Bei den Abgeordneten seiner Partei handelt es sich um Politiker, die über die Wahllisten der Bürgerkoalition oder der Linken in den Sejm gekommen sind und erst während ihrer Wahlperiode ihre Parteizugehörigkeit geändert haben. Zu P2050 zählt mit Róża Thun auch eine bekannte Europaabgeordnete, die früher der Bürgerplattform angehörte. Auf europäischer Ebene gehört die Partei zur liberalen Renew Europe Familie.

Die Partei von Szymon Hołownia hatte im Frühjahr 2021 in den Umfragen mehr als 20 Prozent Unterstützung und somit fünf Punkte mehr als die PO. Sie bereitete sich bereits darauf vor, die Führung in der Opposition zu übernehmen. Nach der Rückkehr von Donald Tusk in die polnische Politik begann sie jedoch in den Umfragen zu verlieren. Anfang 2023 ist die Unterstützung für P2050 auf unter 10 Prozent gesunken. Trotzdem ist sie die drittstärkste politische Kraft hinter PiS und PO sowie knapp vor der Linken.

Hołownias Wählerschaft besteht zum überwiegenden Teil aus PO-Wählern (etwa 53 Prozent). Gleichzeitig hat eine kürzlich durchgeführte Umfrage gezeigt, dass die Partei auch zur zweiten Wahl für die gemäßigte Rechte wird, die bis vor kurzem für die PiS gestimmt hat. Hołownias Motto ist es, aus dem Clinch des Duopols PiS-PO herauszukommen und einen qualitativen Sprung nach vorne zu machen. Er setzt sich auch für Themen ein, die bisher in der Mainstream-Debatte nicht vorkamen, wie z. B. ökologische Fragen (rasche Erreichung der Klimaneutralität) oder die Bildungs- und Familienpolitik (Gleichberechtigung der Frau). Er bemüht sich auch eindeutig um junge, unentschlossene Wähler, von denen es in Polen viele gibt. Für sie ist der seit langem bestehende Streit zwischen den etablierten politischen Parteien anachronistisch, wozu eine moderne, von der Machtausübung unbelastete Formation eine Alternative sein könnte. Hołownia nennt seine Gruppierung ein politisches Start-up. Der Bonus des „Neu-Seins“, der Hołownia zukam, schwindet jedoch mit der Zeit. Die Medien zeigen immer weniger Interesse an der neuen Gruppierung. Auch die Themen, die er aufgreift, haben ihre Strahlkraft verloren. An ihre Stelle sind harte Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und dem drohenden wirtschaftlichen Einbruch in den Vordergrund getreten.

Hołownia gibt jedoch nicht auf und führt seit Monaten eine intensive Kampagne durch. Der Vorsitzende von P2050 hat bereits Tausende von Kilometern zurückgelegt und ein Dutzend Städte besucht, wo er Kandidaten für die Wahllisten vorstellt – nicht diejenigen, die schon jede Ecke im Sejm kennen, sondern neue, aber in den lokalen Gesellschaften verankerte Persönlichkeiten. Es handelt sich dabei um Personen, die in der Kommunalpolitik bereits bekannt sind, oder um gesellschaftliche Aktivisten oder Unternehmer, die die lokalen Probleme kennen. Das bringt die Politik auf ein bürgernahes Niveau, wo konkrete Probleme angesprochen werden können, z.B. die Schwierigkeiten klein- und mittelständiger Unternehmen, Krankenhausschließungen oder eine unzureichende Zahl an Kinderkrippenplätzen.

Auch will Hołownia sich als Staatsmann und Europakenner präsentieren. Im September 2022 fand ein dreitägiger europäischer Kongress statt, der gemeinsam mit der Fraktion Renew Europe organisiert wurde, bei dem deren Vorsitzender Stéphane Séjourné und 300 Teilnehmer in Warschau zu Gast waren. Während der Veranstaltung sagte Hołownia, dass Polen so bald wie möglich der Eurozone beitreten sollte. Der Vorschlag zeugte aber zugleich von einer mangelnden politischen Erfahrung Hołownias, da sich eine Mehrheit der Polen derzeit deutlich gegen eine baldige Euro-Einführung ausspricht.

Es scheint fraglich, ob es P2050 gelingen wird, auch mit einer populären Führungspersönlichkeit, einem motivierten Team und dem Wahlslogan einer Politik der Erneuerung effektive Strukturen zu schaffen und eine Wahlliste mit ansprechenden Kandidaten zu füllen. Unklar ist auch, ob P2050 sich aus der 10-Prozent-Falle befreien kann. Womöglich wird sie auch wie die Palikot-Bewegung nach 2011 und Nowoczesna nach 2015, langsam zerfallen, ihre wertvollsten Persönlichkeiten an andere Parteien abgeben, immer schwierigere Kompromisse eingehen und schließlich von der Bildfläche verschwinden. Je stärker die Umfragewerte von P2050 sinken, desto größer wird die Notwendigkeit eines Wahlbündnisses und der Aufstellung gemeinsamer Wahllisten.

 

Polnische Volkspartei (PSL)

Die Polnische Volkspartei ist eine Partei, die sich auf die Traditionen der Bauernbewegung und der Christdemokratie beruft. Früher war sie lediglich eine Agrarpartei, die die Interessen der Landwirte vertrat. Heute will sie als moderne Volkspartei wahrgenommen werden. Das Programm der PSL basiert auf den Grundsätzen eines modernen Agrarismus, der sich auf die christliche Soziallehre und das Subsidiaritätsprinzip bezieht, den Vorrang der Arbeit vor dem Kapital, die Ablehnung des amerikanischen Neoliberalismus sowie das Streben nach einem System der ordnungspolitisch flankierten Marktwirtschaft postuliert. In weltanschaulichen Fragen sind PSL-Politiker generell gegen die Todesstrafe, die Legalisierung von Euthanasie und Abtreibung oder die Registrierung homosexueller Partnerschaften.

Als eine der ältesten politischen Parteien Polens hat die PSL bereits dreimal verschiedenen Regierungskoalitionen zur Mehrheit verholfen – zuletzt bis 2015 mit der PO. Die PSL ist auch zu einem Zufluchtsort für Politiker anderer Gruppierungen geworden, denen die PO in ihrer Weltanschauung zu liberal oder die PiS zu radikal geworden ist. Theoretisch ist ihre Koalitionsfähigkeit hoch, aber die PSL behauptet, Teil eines prodemokratischen Blocks in Opposition zur PiS zu sein.

Die Partei balanciert seit mehr als zwei Jahren am Rande der Fünfprozenthürde. Aus diesem Grund ist sie sehr daran interessiert, sich vor den Wahlen mit einer anderen Partei zusammenzuschließen. Trotz ihrer relativ geringen Unterstützung kann die Partei aufgrund ihrer zahlreichen und umfangreichen Regionalstrukturen ein interessanter Partner sein. Sie ist eine Partei, die in der Kommunalpolitik gut abschneidet, wo sie in der Regel stärker vertreten ist als im nationalen Parlament. Bei den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2018 auf Landesebene erhielt die PSL insgesamt mehr als 12 Prozent der Stimmen.

Wenn sich die Umfragewerte der PSL verbessern und sie nicht mehr Gefahr läuft, unter die Wahlhürde zu fallen, oder wenn sich P2050 und die PO nicht auf eine Koalition mit ihr einigen, wird sie allein zu den Wahlen antreten. In einer solchen Situation wird die PSL auf ihren Listen Vertreter kleinerer Mitte-Rechts-Parteien unter dem Dach der s.g. Polnischen Koalition versammeln. Bereits jetzt arbeitet sie in einer Fraktion im Sejm mit verschiedenen Politikern zusammen, die ihre ursprünglichen Gruppierungen verlassen haben. Die PSL wird auch versuchen müssen, die Wähler im ländlichen Gebieten zurückzugewinnen, die derzeit für die PiS stimmen. Dies wird keine leichte Aufgabe sein, aber es sollte daran erinnert werden, dass die PSL in der jüngsten Vergangenheit mehrmals in Umfragen außerhalb des Sejms lag und es dennoch geschafft hat, bei den Wahlen die Wahlhürde um ein paar Prozentpunkte zu überschreiten.

 

Die Linke

Neben der Bürgerkoalition, der PSL und der P2050 ist vor allem auch die Linke als vierte demokratische Oppositionspartei zu nennen. Ähnlich wie auch bei der Bürgerkoalition handelt es sich hierbei um keine homogene Gruppierung, sondern auch um eine Sammelbewegung. Ursprünglich gehörten drei Parteien der Parlamentsfraktion Lewica (Die Linke) an: Die postkommunistische SLD (Bündnis der Linken Demokraten), die Partei Wiosna (Frühling) und die Partei Razem (Gemeinsam). SLD und Wiosna vereinigten sich im Oktober 2021 zur Nowa Lewica (Neue Linke). Da es sich jedoch weiterhin um ein Wahlbündnis aus zwei Parteien handelt, gilt für die Linke nicht die Fünfprozenthürde, sondern eine Sperrklausel von 8 Prozent. In den letzten Monaten lag das Bündnis immer wieder nahe dieser Hürde. Ergo besteht die Gefahr, dass eine ähnliche Situation wie nach den Wahlen 2015 eintritt, in der die Linke den Einzug in das Parlament verfehlte.

Die Konkurrenz durch andere Parteien ist hierbei groß. Durch ihre oben erwähnte Liberalisierung macht sich die Bürgerplattform durchaus für eine linke Wählerschaft attraktiv. In sozialpolitischen Themen ist es vor allem das von der PiS angeführte Regierungslager, das durch den Ausbau des Wohlfahrtstaates sozial schwächer gestellte Wähler ansprechen konnte. Aber auch P2050, die sich teilweise für eine stärkere Trennung von Kirche und Staat aussprechen wird zu einer Konkurrenz für die Linke. Hinzukommen kleinere Gruppierungen wie die zur Bürgerkoalition gehörende linke Inicjatywa Polska und die Parlamentsgruppe der Polnischen Sozialistischen Partei – beides Abspaltungen von der SLD.

Für die kommenden Parlamentswahlen hat der Co-Vorsitzende der Nowa Lewica ein Wahlziel von 10 Prozent ausgegeben. Dies deutet darauf hin, dass auch die Führungskräfte der Linken von keinem Ergebnis ausgehen, dass deutlich über der Sperrklausel liegen wird. Entscheidend ist damit für die Linke, ob sie allein antreten wird oder aber sich einem größeren Wahlbündnis anschließen wird. Ein Nichteinzug der Lewica hätte unterdessen nicht nur ein Fehlen einer demokratischen Linken im Sejm zur Folge. Auch für die Opposition als Ganzes könnte sich dies als fatal erweisen. Bei einem Wegfall von fast 8 Prozent (2015: 7,5 Prozent) würde dies den Erstplatzierten (auch aufgrund des D'Hondt-Verfahrens) in der Sitzverteilung stark begünstigen. Tritt die Opposition nicht geschlossen an, könnte der Wahlsieger Recht und Gerechtigkeit heißen. Dementsprechend zeigt sich die Linke offen für ein größeres Wahlbündnis – kann sich aber dennoch auch einen separaten Antritt vorstellen.

 

Vereinigte Opposition?

Auf Basis dieser Ausgangslage der liberal-demokratischen Opposition ergeben sich verschiedene Möglichkeiten einer Zusammenarbeit für die Parlamentswahlen im Herbst dieses Jahres. Am einfachsten gestaltet sich dies für die Wahl des Senats, des Oberhauses der polnische Legislative. Hier streben fast alle großen Oppositionspolitiker eine Zusammenarbeit in Form eines s.g. Senatspaktes an. Hierbei wird zwischen den Parteien ausgehandelt, wer in welchem der 100 Wahlkreise für die gesamte Opposition antreten wird. Seit mehreren Monaten gibt es hierzu Verhandlungen. So wahrscheinlich eine Einigung auch ist, verlängert sich eine Kompromissfindung auch, da in der Frage eines geschlossenen Antritts zu den Sejm-Wahlen bisher keine Antwort gefunden wurde.

Die Wähler beantworten diese Frage unterdessen klar: 53,1 Prozent aller Wähler sprechen sich für eine gemeinsame Liste aus KO, PSL, Lewica und P2050 aus – abgelehnt wird eine solche Zusammenarbeit von 31,1 Prozent. Insbesondere unter den Wählern besagter Parteien ist die Zustimmung groß. Ein solches Wahlbündnis wird von 90 Prozent der KO-Wähler, 88 Prozent der Linken-Wähler, 76 Prozent der PSL-Wähler und 83 Prozent der P2050-Wähler unterstützt.

 

Für die Wahlen ergeben sich damit vier Hauptszenarien:

1. So könnte es zum einen zur Bildung einer ebensolchen von den Wählern gewünschten gemeinsamen Liste kommen. Im Vordergrund des Wahlkampfes stünde damit die Abwahl der PiS. Als größte Oppositionspartei würde die Bürgerplattform hierbei eine besondere Rolle spielen und für sich in Anspruch nehmen, den Premierminister zu stellen. Die Partner müssten hierbei akzeptieren, dass der bei der Mehrheit der Wähler unbeliebte Tusk erneut Regierungschef wird. Gleichzeitig müsste den Wählern eine Alternative zur PiS angeboten werden, die sowohl für linke als auch konservative Wähler akzeptabel wäre. Die Gefahr bestünde jedoch darin, sich allzu stark auf eine Beseitigung der PiS zu fixieren, wobei die politischen Inhalte sehr unterschiedlicher Partner zunächst in den Hintergrund träten, nach der Wahl aber zum Problem würden. Zu bedenken wäre auch, dass eine Zusammenarbeit nicht unbedingt eine simple Addition von Einzelergebnissen zur Folge haben könnte. Die Frage der Mobilisierung sehr unterschiedlicher Wähler wird hier eine besondere Rolle spielen. 

 

2. Obschon von einer Mehrheit der Wähler nicht gewünscht, könnten die einzelnen Akteure separat antreten. Die Bürgerplattform würde, zusammen mit ihren kleineren Partnern als Wahlbündnis die Bürgerkoalition anführen. Ein zweites Wahlbündnis würde die Linke (Nowa Lewica und Razem) bilden. Die PSL würde wahrscheinlich erneut ihre Wahlliste für kleinere gemäßigt-konservativen Parteien öffnen. Der Newcomer P2050 würde als eigene Partei antreten. In diesem Szenario ist davon auszugehen, dass die PiS womöglich die meisten Stimmen einfahren würde. Ob sich dann jedoch gegen die PiS und die Konföderation eine Mehrheit bilden ließe, wäre fraglich. Am Ende könnte der Einzelantritt eine Niederlage der demokratischen Opposition zur Folge habe.

 

3.1 Vorstellbar wäre ebenfalls die Bildung von zwei Oppositionslisten. Der ersten würde sich P2050 und die PSL (plus kleinere Partner) anschließen. Das Wahlbündnis könnte sich als politische Kraft der Mitte präsentieren. Sie würde sowohl über die wichtigen politischen Strukturen der PSL, aber auch über die (sofern noch vorhanden) Neuartigkeit von Hołownias P2050 verfügen. Gerade die PSL brachte sich in der Vergangenheit immer wieder als „neue Christdemokratie der Mitte“ ins Gespräch. Eine Zusammenarbeit mit Hołownia würde die Schaffung einer dritten, liberal-konservativen Kraft zwischen liberaler Bürgerplattform und nationalkonservativer PiS stark begünstigen. Für eine solche Zusammenarbeit spricht die politische Nähe beider Gruppierungen. Passend hierzu hatte es im Dezember einen gemeinsamen Auftritt der Parteivorsitzenden Hołownia und Kosiniak-Kamysz gegeben. Dagegen spricht, dass der PSL-Vorsitzende sehr deutlich seinen Unmut über eine fehlende Zusammenarbeit der P2050-Abgeordneten im Sejm mit den restlichen Oppositionskräften zum Ausdruck gebracht haben soll. Auch sollen weite Teile der PSL-Basis Hołownia ablehnen.

 

3.2 Hier neben käme es dann zur Bildung einer links-liberalen Liste aus KO und der Linken. Widerstand für eine solche Liste käme wahrscheinlich aus den Reihen der Razem-Partei und auch konservativere Teile der Bürgerkoalition könnten mit radikaleren Kräften innerhalb der Linken ihre Probleme haben. Deutlich hervorheben würde diese Variante einen vermeintlichen Linksruck der Bürgerplattform. In Folge könnten gemäßigt-konservative Kräfte die PO verlassen und bei der PSL/Polska2050 eine neue Heimat finden. Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass obschon die Bürgerplattform aus der antikommunistischen Solidarność-Bewegung hervorging, es heute kaum noch Berührungsängste mit den (früheren) Postkommunisten gibt.

Während eine Zusammenarbeit zwischen PSL und P2050 als möglich erscheint, ist eine KO/Lewica-Wahlliste eher auszuschließen.

 

4. Wahrscheinlicher ist, dass sich die KO auf das politische Zentrum konzentrieren wird. Dies bedeutet insbesondere eine Zusammenarbeit mit dem EVP-Partner PSL. Diese EVP-Liste stünde dann einer Linken-Liste gegenüber. P2050 würde sich in diesem Szenario dieser Liste entweder anschließen oder aber selbstständig antreten. Das Bündnis würde – ob mit oder ohne Hołownia – ein breites Wählerspektrum abdecken, dass sich von linksliberalen bis hin zu konservativen Wählern erstrecken würde. Gerüchten zur Folge strebt insbesondere der PSL-Chef eine solche Zusammenarbeit mit Tusk an. Einem Dreierbündnis aus KO, PSL und P2050 würde es wahrscheinlich gelingen, stärkste Kraft im Sejm zu werden. Gleichzeitig könnte sich ein solches Bündnis mit einer Troika aus Tusk, Kosiniak-Kamysz und Hołownia an der Spitze präsentieren. Jene Wähler, die beispielsweise Tusk misstrauen, könnten sich immer noch darauf berufen, dass zwei weitere Politiker die Liste anführen.

 

Die Optionen liegen damit auf dem Tisch. Die Entscheidung, welches Szenario am Ende eintreffen wird, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Klar ist, dass der innenpolitische Fokus gerade sehr deutlich auf der Beantwortung dieser Listen-Frage liegt. Und so gibt es derzeit tagtäglich neue Entwicklungen. Die Verärgerung über eine mangelnde Zusammenarbeit von P2050 mit der Opposition scheint groß. Und so wächst insbesondere die Distanz zwischen der KO und der PSL zur Hołownias Partei. Unlängst verlautbarte Tusk, dass man auf Hołownia nicht länger warten werde. Die verschiedenen potenziellen Partner sind sich damit alles andere als einig. Und eine zerstrittene Opposition, die nicht zueinander findet, könnte am Ende der PiS vielleicht doch noch eine dritte Amtszeit ermöglichen.

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David Gregosz

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Dyrektor Biura Fundacji Konrada Adenauera w Polsce

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