Als Reaktion auf die Kritik an der Preispolitik des nationalen Ölriesen und um drohende Streiks der Lkw-Fahrer aufgrund stark gestiegener Benzinpreise zu verhindern, verkündete Jair Bolsonaro am 19. Februar den Chefwechsel bei Petrobras, indem er auf Twitter eine entsprechende Mitteilung des Ministeriums für Energie und Bergbau teilte. Auf den Ökonomen Roberto Castello Branco, der den Posten seit dem Amtsantritt der Regierung Bolsonaro im Januar 2019 innehatte, soll General Joaquim Silva e Luna folgen. Voraussetzung dafür ist allerdings noch die Zustimmung des Unternehmensvorstands. An der Börse kam die politische Entscheidung alles andere als gut an, so fiel der Aktienkurs von Petrobras um nahezu 20 Prozent. Noch gravierender war, dass auch die Landeswährung Real nach der Interferenz durch den Staatspräsidenten kräftig nachgab und für einen Euro aktuell über 6,70 Reais bezahlt werden müssen.
Letztlich ergänzt der Petrobras-Chefwechsel eine ganze Reihe vorhergegangener Entscheidungen und Vorgänge, durch die sich Militärangehörige Posten und Einfluss sichern konnten. Im Juni 2020 war in einem KAS-Länderbericht bereits ausführlich über den Einfluss der Militärs in der Regierung Bolsonaro und speziell deren Rolle im Amazonasrat, aber auch im Kampf gegen die Corona-Pandemie mit entsprechend einhergehendem Einflussgewinn in den jeweiligen Ressorts berichtet worden .
Wachsende Präsenz von Militärs in den Ministerien
Aktuell sind elf von 23 Ministerposten mit Militärs besetzt, das heißt nahezu die Hälfte der Ministerien wird von Angehörigen der Streitkräfte geführt. Neben Ressorts wie Verteidigung (Fernando Azevedo e Silva) und Institutionelle Sicherheit (Augusto Heleno), in denen eine starke Präsenz und Kompetenz der Militärs naheliegend ist, werden beispielsweise auch die Ministerien für Energie und Bergbau (Bento Albuquerque), Gesundheit (Eduardo Pazuello) und Bildung (Milton Ribeiro) von Militärangehörigen geleitet. Seit 2019 hat sich die Anzahl von militärisch ausgebildetem Personal in Führungspositionen über alle Ministerien hinweg von 188 auf 342 beinahe verdoppelt.
Auch unterhalb der Führungsetage hat eine hohe Zahl von Militärs Einzug in die Ministerien erhalten. So stieg der Prozentsatz der Militärs im Vergleich zum Referenzzeitpunkt Januar 2013 – während der ersten Amtszeit Dilma Rousseffs im Wirtschaftsministerium von 0,1 Prozent auf nun 2,4 Prozent, im Ministerium für Energie und Bergbau von 0,4 Prozent auf 10,7 Prozent, und im Ministerium für Wissenschaft und Kommunikation von 0,4 Prozent auf 11,1 Prozent. Im Präsidialamt (Secretaria-Geral da Presidência da República) liegt der Anteil gar bei über 15 Prozent.
Die brasilianische Linke sieht das Militär und vor allem die Militärpolizei (Polícia militar) sehr kritisch und macht diese für ein oftmals unverhältnismäßig hartes und gewaltsames Vorgehen, vorwiegend in den Favelas, verantwortlich. Präsident Bolsonaro hingegen verteidigt die Beamten und deren Vorgehen und hat seit seinem Amtsantritt beispielsweise auch an einer Vielzahl von Abschlussfeiern, sogenannten formaturas, von Militärpolizisten teilgenommen. Es ist offensichtlich, dass er versucht, diese durch derartige Charmeoffensiven als Wähler und Anhänger für sich zu gewinnen. Auch von den durch die Verfassung gedeckten und traditionell zu Weihnachten vorgenommenen Begnadigungen von Straftätern durch den Präsidenten profitierten in den Jahren 2019 und 2020 unter Bolsonaro insbesondere Angehörige der Streitkräfte.
Auflösung des Instituto Pandiá Calogeras – Think Tanks auf dem Rückzug?
Wie vor kurzem bekannt wurde, hat das im Jahr 1999 gegründete brasilianische Verteidigungsministerium seinen hausinternen Think Tank, das Instituto Pandiá Calogeras, mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Laut offiziellen Angaben von der Website war es die Aufgabe des Instituts, fundierte akademische Analysen und strategische Beratung für das Ministerium bereitzustellen, sowie darüber hinaus das Interesse der Öffentlichkeit für Themen der nationalen Sicherheit und der Verteidigungspolitik zu wecken . Vom ursprünglichen Ziel, zivile Kräfte in sicherheits- und verteidigungspolitische Debatten miteinzubeziehen und hochwertige akademische Studien bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, scheint man sich – anders ist dieser Schritt kaum zu deuten – nun zu verabschieden.
Fazit und Ausblick
Brasilien ist keine Militärdiktatur und der Präsident demokratisch gewählt, aber das Anwachsen von Militärs in Schlüsselpositionen und untergeordneten Behörden ist eine Entwicklung, die viele Brasilianer mit Sorge betrachten. Staatspräsident Bolsonaro schätzt die Loyalität und Verschwiegenheit der Militärs und setzt darauf, dass mit einer stetig wachsenden Anzahl von Generälen auf Ministerposten und Militärs in Führungspositionen seine politischen Entscheidungen schnell und effizient umgesetzt, statt etwa innerhalb des Kabinetts kritisch hinterfragt werden. Nicht zuletzt die Schließung des renommierten Instituto Pandiá Calogeras macht deutlich, dass Think Tanks, Universitäten und die Wissenschaft allgemein unter der Regierung Bolsonaro einen schweren Stand haben. Auf wissenschaftlich fundierte Analysen und die Meinung von Akademikern wird oftmals kein Wert gelegt.
Nicht nur im Hinblick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr sind die geschilderten Entwicklungen und der rasante Zuwachs an mit Militärs besetzten Posten und dem damit verbundenen Einfluss als problematisch zu erachten. Wie etwa würden sich die Militärs innerhalb der Regierung verhalten, sollte es unerwarteter Weise doch zu einem Impeachmentverfahren gegen den Präsidenten kommen? Was geschieht 2022 im Fall eines sehr knappen Wahlausgangs zu Ungunsten Bolsonaros? Der Artikel 142 der brasilianischen Verfassung gibt darauf eine klare Antwort, indem er konstatiert, dass das Heer sowie die Marine und Luftwaffe dem Schutz der verfassungsgemäßen Kräfte, der Gesetze und der Ordnung verpflichtet sind. Es wird für Brasilien und seine Demokratie von fundamentaler Bedeutung sein, diese Fragen auch in der Praxis klar und eindeutig zu beantworten.
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