Relatórios dos países
Der enorme Ansturm an Jugendlichen aus insgesamt 175 Ländern stellte das Organisationsgeschick der brasilianischen Organisatoren auf den Prüfstand. Zunächst schienen Zwischenfälle wie das Ausfallen der U-Bahn kurz vor der Eröffnungszeremonie des Papstes Franziskus an der Copacabana am 23. Juli oder das Steckenbleiben des Wagens in der Menschenmenge, der den Papst nach seiner Ankunft vom Flughafen ins Zentrum brachte, das Sicherheitskonzept durcheinander zu bringen. Jedoch stellte die größte Herausforderung für die Organisatoren wohl die kurzfristige Verlegung der Abschiedsmesse an den beiden letzen Tagen des Weltjugendtages an die Copacabana dar. Der eigentlich vorgesehene Austragungsort, das „Campus Fidei"-Gelände im rund 50 Kilometer westlich von Rio gelegenen Guaratiba war aufgrund von Regenfällen nicht benutzbar, weshalb die Abschlusszeremonie direkt an den urbanen Strandabschnitt Copacabana verlegt werden musste. Trotz der Leistung, dass ein Event mit drei Millionen Menschen so kurzfristig umorganisiert werden konnte, drängen sich kritische Fragen auf. Waren die für den brasilianischen Winter verhältnismäßig normalen Regensfälle wirklich nicht voraussehbar? Wäre die Verlegung der Abschlusszeremonie nicht vermeidbar gewesen, wenn man den Ausgangsplan konsequent zu Ende konzipiert hätte? Die Auswahl des Geländes „Campus – Fidei“ als Austragungsstätte der Abschlusszeremonie stand von Beginn an in der Kritik. Denn ein Eigentümer des Geländes ist Jacob Barata Filho, einer der größten Busunternehmer Rio de Janeiros, der zwar das Grundstück kostenlos für die Organisation des Abschlusses des Weltjugendtages zur Verfügung stellte, jedoch eindeutig von den Erdarbeiten, die durch die Stadtverwaltung finanziert und durchgeführt wurden, profitiert. Die abschüssige Lage vom Stadtzentrum Rios und der offensichtliche Vorteil für den Privatunternehmer Barata, lassen Korruptionsvorwürfe gegen die Organisatoren aufkeimen.
Gigantisches Megaevent
Trotz aller Kritik an der Planung der Abschlussfeier des Weltjugendtags, muss diese als Teil eines gigantischen Megaevents betrachtet werden, das seines Gleichen sucht. Der Touristenmagnet Rio de Janeiro erlebte einen nie zuvor verzeichneten Ansturm an Besuchern, insgesamt pilgerten mehr als 3 Millionen Menschen innerhalb von nur 5 Tagen in die Stadt am Zuckerhut. Das öffentliche Transportwesen war während diesen kurzen Zeitraums mehr als ausgelastet. Auch die durchschnittliche Zahl von 12 000 Besuchern, die während des Weltjugendtages täglich den Weg zur berühmten Christusstatue auf sich nahmen, ist paradigmatisch für die organisatorische Herausforderung. Im Vergleich liegt die normale Besucherzahl bei circa 5500 Personen pro Tag. Die 390 Tonnen Müll, die laut Angaben der Stadtverwaltung durch die Teilnehmer des Weltjugendtages produziert wurden, zeigen, dass das „katholische Woodstock“ an der Copacabana keinem Vergleich mit anderen Großveranstaltungen in Rio de Janeiro standhält, nicht einmal zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Spielen 2016 rechnet man mit nur annähernd dieser enormen Besucherzahl in so kurzer Zeit.
Trotz der Kritik an den Ungereimtheiten bezüglich der Planung des Events, muss das Improvisationstalent der Brasilianer betont werden. Das größtenteils friedliche und harmonische Zusammentreffen von drei Millionen Besuchern und den knapp sechs Millionen Cariocas, den Bewohnern von Rio de Janeiro, macht das religiöse Megaevent zu einer Erfolgsstory für die Stadt Rio de Janeiro. Ging man bisher davon aus, dass der Weltjugendtag 2011 in Madrid mit 1,7 Millionen Teilnehmern die Rekordmarke gebrochen hatte, so geht das Ereignis mit 3 Millionen jungen Pilgern der letzten Woche nicht nur in die Geschichte der Stadt, sondern auch in die der katholischen Kirche ein. Papst Franziskus selbst sah die Masse an jungen Menschen nie als Bedrohung für seine eigene Sicherheit an, ganz im Gegenteil: "Ich hoffe, dass es als Konsequenz dieses Weltjugendtags Durcheinander geben wird! Hier in Rio gibt es Durcheinander und ich hoffe, dass es auch in den Diözesen Durcheinander geben wird."
Papst nimmt Stellung zu den Protesten
Mit seiner Stellungnahme zu den politischen Protesten, die seinem Besuch in Rio de Janeiro vorausgingen, machte Papst Franziskus deutlich, dass „man die Dinge beim Namen nennen müsse“, um Verbesserungen zu erzielen und der Manipulation und Korruption nicht Tor und Tür zu öffnen. Er warnte vor einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ und solidarisierte sich mit den Jugendlichen Brasiliens, die seit Juni 2013 in den großen brasilianischen Städten auf die Straßen gehen, um ihre politischen Partizipationsrechte, ein Ende der Korruption innerhalb des politischen Systems und eine Verbesserung des Gesundheits- und Bildungswesens einzufordern. Franziskus betonte, es liege in der Natur junger Menschen, nicht einverstanden zu sein mit dem Bestehenden und er verstehe das Aufbegehren gegen eine Politik, die eine „grausame Vergötterung des Geldes“ betreibt und soziale Probleme wie etwa die hohe Jugendarbeitslosigkeit missachtet.
Auslöser der sozialen Proteste war zunächst die Erhöhung der Fahrpreise des öffentlichen Nahverkehrs in mehreren brasilianischen Städten. Jedoch führten die übertriebenen gewaltvollen Reaktionen der Polizei dazu, dass sich die vorwiegend aus der Mittelschicht stammenden Jugendlichen solidarisierten und gemeinsam auf den Straßen ein Ende der sozialen Ungerechtigkeit forderten. Warum sich gerade jetzt, angesichts der anstehenden Fußballweltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Spielen 2016, die Wut der Brasilianer wie ein Flächenbrand ausbreitet, lässt dich damit erklären, dass die Kluft zwischen Milliarden schweren Bauprojekten, finanziert aus öffentlichen Steuergeldern, einerseits und dem desaströsen Bildungs- und Gesundheitswesen andererseits noch nie so deutlich zu tragen kam. Die Brasilianer sehen die staatlichen Einnahmen des wirtschaftlichen Aufschwungs und den damit gestiegenen Steuerzahlungen sprichwörtlich in den Stadien, die für die Standards der FIFA gebaut und saniert werden, versickern. Gleichzeitig sind der marode Zustand der zentralen Bereiche der öffentlichen Versorgung und die anhaltende Korruption innerhalb der politischen Elite des Landes unübersehbar.
Dass sich nun der Pontifex auf die Seite der Protestierenden schlägt und versucht ihnen Gehör zu verschaffen, ist ein deutliches politisches Zeichen, das der Heilige Vater nicht scheute auch bei seinen offiziellen Terminen zu betonen. Seine Aufforderung, dass die protestierenden Jugendlichen weltweit als „Antreiber des Wandels“ handeln sollen und das Anprangern des anhaltenden Egoismus und Gleichgültigkeit, deuteten die Brasilianer als Bestätigung ihrer Forderung nach einem gerechtern und transparenteren politischen Systems. Franziskus vermochte zwar nicht seine Worte in einer theologisch raffinierten Art wie sein Vorgänger Josef Ratzinger zum Ausdruck zu bringen, jedoch war spürbar, wie er mit seiner einfachen, leicht verständlichen Sprache Millionen von Menschen vor Ort und an den Bildschirmen erreichte.
Argentinier sind Stolz auf ihren „Papst der Armen“
Dass der gebürtige Argentinier mit seinem Besuch in Brasilien auch eine Art Heimatreise antrat wird an den Reaktionen seiner Landsleute deutlich. Am Donnerstag, dem 25. Juli 2013, traf der Papst Jugendliche aus Argentinien. Es war eine spontane Änderung im straffen Zeitplan. Bereits in den frühen Morgenstunden hatten die jungen Argentinier vor der San Sebastián Kathedrale in Rio de Janeiro ausgeharrt, um einen Platz für das Treffen zu ergattern. „Viva Francisco! Vivan los Jovenes!“, „Es lebe der Papst! Es leben die Jugendlichen!“ riefen sie im strömenden Regen mit aufgespannter Flagge Argentiniens. „Singen, beten und nicht schlafen“ war das Motto der Wartenden. Es wurde deutlich, wie stark und beständig die Freude und der Stolz auf den Papst in der Heimat sind. Nach mehr als 100 Tagen im Amt verkaufen sich in Argentinien die Anstecker, Poster, Flaggen und sonstige Fanartikel hervorragend und werden stolz getragen. Schon vor seiner Zeit als Papst setzte sich Jorge Mario Bergoglio für die Armen ein. Sein Engagement in den argentinischen Armutsvierteln und auch der Dialog mit den Cartoneros, die oft obdachlosen Papiersammler, die in den Straßen Müll sortieren, zeichneten ihn aus. Als er dann als Papst verkündete, dass sich die katholische Kirche unter ihm bescheidener und sich weiter für die Armen einsetzen werde, gewann er über die Grenzen Argentiniens hinaus den Titel „Papst der Armen“. So funktioniert das Prinzip Papst Franziskus: „Hingehen. Zuhören. Einmischen.“ Auch deshalb wird der Papst auch außerhalb seines Heimatlandes wie ein Popstar verehrt. Das Nachbarland Chile verweist stets mit Stolz auf Franziskus Studienzeit am Jesuitenkolleg in Santiago. Die chilenische Presse berichtete anfangs von mehr als 5000 Jugendlichen, die für die Weltjugendtage aus Chile nach Brasilien reisen. Später bezifferte sie der Vatikan sogar auf 9100. Bolivien hofft auf ein besseres Verhältnis zur katholischen Kirche. Das Verhältnis von Präsident Evo Morales zur katholischen Kirche gilt als gespannt. Nicht zuletzt um diese Spannungen zu überwinden, nahm auch Morales an der Abschlussmesse teil. Der Binnenstaat Paraguay, der einst einen ehemaligen Priester als Präsidenten hatte, spricht in der nationalen Presse von 5000 Pilgern. Der designierte Präsident Horacio Cartes lehnte jedoch eine Einladung der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff ab. Bis zum 15. August 2013 sei er noch nicht Präsident, jedoch sei Paraguay mit vielen Jugendlichen gut vertreten. Venezuelas Präsident Nicolas Maduro verkündete öffentlich seine Freude über den Besuch des Papstes in Lateinamerika, nahm aber nicht an den Feierlichkeiten teil. Laut Schätzungen waren mehr als 4.200 venezolanische Jugendliche nach Brasilien gepilgert - aus Peru starteten zirka 3.000 Teilnehmer. Auch die argentinische Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner nahm an der Abschlussmesse teil. Ihr Verhältnis zum Papst zeichnete sich zu Beginn durch klare Distanz und später durch Annäherung aus. Laut der argentinischen Presse sind zwischen 40.000 und 50.000 junge Argentinier für den Papst ins Nachbarland gereist. Viele von ihnen durften den Papst in der Kathedrale San Sebastiáns sehen. In einem „emotionalen und euphorischen Klima“ sprach er über die Sicherheitsmaßnahmen und seinen Wunsch, dass sich die Jugend engagiere, auf die Straße gehe, Lärm mache.
Jedoch muss die besondere Reise der argentinischen Jugendlichen beachtet werden, denn die Jungen und Mädchen waren mit großen Herausforderungen konfrontiert, um den Weltjugendtag in Rio feiern zu können. Ob mit Bussen oder mit dem Flugzeug kostete sie Fahrt je nach Distanz und Fortbewegungsmittel etwa 500 bis 1600 US-Dollar. Nicht zuletzt wegen der isolierenden Außen- und Wirtschaftspolitik der Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner leidet das Land unter der hohen Inflation von schätzungsweise 25 Prozent und es wird immer schwieriger an ausländische Devisen zu kommen. Auch für den Weltjugendtag gab es strenge Restriktionen. Wenn Argentinier ausreisen, müssen sie einen Antrag stellen, um Devisen tauschen zu dürfen. Innerhalb dieses umständlichen Verfahrens müssen sie sehr umfangreich Auskunft über ihr Einkommen und ihre persönlichen Daten geben. Viele der pilgernden Jugendlichen haben aber noch kein Einkommen, was ihnen den Zugang zu Real oder Dollar verwehrt. In Anbetracht dieser Lage verblüfft die Zahl von über 40.000 argentinischen Pilgern.
Franziskus macht auf Probleme Lateinamerikas aufmerksam
Papst Franziskus sprach in Bezug auf ganz Lateinamerika auch ein Thema an, dass in allen Staaten eine Herausforderung darstellt – der Kampf gegen die Drogen. Der Drogenhandel und –konsum sind ein reales Problem in Lateinamerika und ein Dorn im Auge der Politik. Kein Land bleibt unberührt. Seit Jahren wird in Mexiko und auch in Brasilien gegen Drogenkartelle vorgegangen. Die extreme Gewalt, die finanziellen Kosten, aber vor allem die Zahl der verlorenen Menschenleben sind katastrophal. Die Unzufriedenheit des Kontinents mit der internationalen Drogenpolitik wächst. Erst im Mai diskutierten die Regierungen Europas und der Vereinigten Staaten über neue Wege, dem internationalen Drogenproblem zu begegnen. Ein Szenario sei es, die Verbote aufzuheben und Regulationsmodelle als realistisch zu betrachten. Mehrere Präsidenten Lateinamerikas haben sich dafür ausgesprochen: Juan Manuel Santos aus Kolumbien, Evo Morales aus Bolivien, Otto Pérez Molina aus Guatemala und auch der inzwischen aus dem Amt ausgeschiedene Präsident Mexikos, Felipe Calderón. In dessen Heimatland sind nach internationalen Schätzungen bereits 50.000 Menschen durch die Drogenkonflikte umgekommen. Im Süden von Brasilien, in Uruguay und vor allem in Argentinien breitet sich seit einigen Jahren die Droge Paco weiter aus. Das Abfallprodukt aus der Kokainherstellung ist äußerst billig und einfach zu bekommen, die Folgen für den Körper katastrophal. Ähnlich wie das verwandte Crack, was vor allem in Brasilien verbreitet ist, macht es extrem abhängig, berauscht aber nur kurzzeitig. Süchtige brauchen oft bis zu 100 Dosen am Tag. Beschaffungskriminalität ist trotz des niedrigen Preises nur eine Frage der Zeit. Nachdem der Papst auf seiner Brasilienreise eine Entzugsklinik besucht hatte, vertrat er entschlossen die Gegenmeinung. „Die Geißel des Drogenhandels, der Gewalt befördert sowie Leid und Tod sät, erfordert ein mutiges Handeln der gesamten Gesellschaft“. Ferner sprach er sich deutlich gegen eine Legalisierung aus.
Papst Franziskus machte aber auch ein weiteres Problem auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu einem Punkt auf der Agenda seiner Brasilienreise – der Mitgliederverlust der katholischen Kirche. Das Problem der Abwanderung der Katholiken ist in gesamt Lateinamerika kein neues Phänomen. Die evangelikalen Pfingstgemeinde, die immer mehr Anhänger verzeichnen, besitzen im Vergleich zur katholischen Kirche ein höheres Mobilisierungspotenzial. Sie agieren besonders dort, wo Armut und Ausgrenzung spürbar sind und erfahren dort großen Zulauf. Mit Versprechungen wie Sofortheilung und medialer als auch physischer Präsenz, die den einzelnen Menschen im Alltag immer wieder begegnet, wenn nicht sogar aufgedrängt wird, schaffen es die Pfingstkirchen, immer mehr Anhänger an sich zu binden. Gerade weil die Prediger der evangelikalen Gemeinden direkt in die Favelas und Vororte der Großstädte gehen, den direkten Kontakt suchen und selbst an den unkonventionellsten Orten ihre Ansprachen halten, wandern viele Katholiken zur evangelikalen Konkurrenz ab. Wie aus einer am 18. Juli 2013 veröffentlichten Langzeitstudie des US-amerikanischen Forschungsinstituts Pew Forum (Washington) hervorgeht, sind zwar immer noch rund 123 Millionen der mehr als 192 Millionen Brasili aner katholisch, doch ihr Bevölkerungsanteil ist seit 1970 von 92 Prozent auf 65 Prozent gesunken. Im selben Zeitraum stieg der Anteil der Evangelikalen von 5 auf 22 Prozent, der Nichtreligiösen von 1 auf 8 Prozent und der Anhänger anderer Religionen von zwei auf fünf Prozent. Gemessen an den absoluten Zahlen der Kirchenangehörigen ist Brasilien zwar immer noch das größte katholische Land weltweit, nimmt aber im internationalen Vergleich noch einen weiteren Spitzenplatz ein – bei der Anzahl der Pfingstgemeinden. Die Pfingstkirchen stellen in Brasilien mittlerweile auch eine politische Größe dar, da sie im nationalen Parlament bereits als eine der größten überparteilichen Fraktionen auftritt. Der Einfluss der Pfingstkirchen auf das politische Geschehen muss damit immer mehr in den Fokus gerückt werden, da sie eine nicht unerhebliche Rolle bei der Stimmenrekrutierung bei den Wahlen spielen können. Für führenden Politiker wird der Wahlkampf zu einem wahren Balanceakt zwischen der Annäherung an die Anhänger der Evangelikalen Gemeinden und den aber gleichzeitig traditionell engen Beziehungen zum Vatikan.
Die rasche Ausbreitung dieser evangelikalen Kirchen ist dem Vatikan durchaus bekannt, doch scheint er bis jetzt kein Rezept gefunden zu haben, um mit der evangelikalen Konkurrenz mithalten und dem Abwanderungstrend Einhalt gebieten zu können. Papst Franziskus räumte während seines Aufenthaltes in Brasilien ein, dass sich die katholische Kirche in einigen Aspekten vielleicht zu sehr von den Menschen entfernt und den direkten Kontakt verloren hat und fordert deswegen: „Heute braucht es eine Kirche, die sich mit den Menschen auf den Weg macht. Eine Kirche, die sich bewusst wird, inwiefern die Gründe derer, die weggehen, bereits in sich selbst auch die Gründe für eine mögliche Rückkehr enthalten, doch dafür bedarf es einer mutigen Analyse.“ Franziskus zeigte auf seiner Brasilienreise keinerlei Berührungsängste mit den aufstrebenden Pfingstgemeinden. Er agierte während seines Besuchs eines Elendsviertels in Rio de Janeiro, der Favela Varginha, als Brückenbauer. Dort gehört die Hälfte der Bewohner der katholischen Glaubensgemeinschaft, der andere Teil der „Versammlung Gottes“, einer protestantischen Pfingstgemeinde an. Überraschenderweise traf das Kirchenoberhaupt auf den Pastor Eliel da Silva der ansässigen Evangelikalen. Die freundschaftliche Geste eines Händeschlags gegenüber dem Geistlichen der für den Vatikan bedrohlichen Glaubensgemeinschaft fand auch Widerhall in seiner Ansprache auf dem Fußballplatz der Favela, als er betonte, dass es das Ziel sei „nicht einen Konkurrenten oder eine Nummer zu sehen, sondern einen Bruder“.
Reformen in der katholischen Kirche
Angesichts dieser schwierigen Situation der katholischen Kirche in Lateinamerika entschied sich Franziskus sich vor allem mit klaren und deutlichen Worte an die Gläubigen zu wenden, sich als revolutionärer Gegner des Klerikalismus zu positionieren und deutlich eine neue Dynamik in den viel geforderten Reformen innerhalb der katholischen Kirche anzustoßen. Bei einer Messe in der Kathedrale von Rio de Janeiro forderte er auch die anwesenden Bischöfe, Priester und Nonnen auf die Kirchen zu verlassen und das Evangelium direkt zu den Menschen an den Rändern der Gesellschaft zu bringen. „Man muss in die Favelas und Villas Miseria gehen, um Christus zu suchen und zu dienen”, zitierte er die Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa. Zu beobachten bleibt nun, inwiefern die katholische Kirche in Brasilien versucht, einen neuen Kurs einzuschlagen und die Impulse Franziskus umsetzen wird. Denn davon wird auch die zukünftige Stellung der katholischen Kirche in Brasilien und gesamt Lateinamerika abhängig sein, da sich die religiöse Landschaft in den vergangenen vier Jahrzehnten stark verändert hat in dieser Region.
Insgesamt hat der Weltjugendtag in Rio de Janeiro im metaphorischen Sinne dazu beigetragen die eingetrockneten Krusten der katholischen Kirche aufzuweichen, wenn auch zunächst nur rhetorisch, und das geschah vor allem durch den neuen Pontifex Franziskus. Trotz seiner offensichtlichen Spontaneität deutet das Handeln des Argentiniers darauf hin, dass er klare Vorstellungen hat, wie er sein Amt als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche ausführen möchte. Er sieht sich im Auftrag Gottes, bei den Menschen zu sein. Zudem zeichnete sich sein Besuch im lateinamerikanischen Brasilien durch seine Stellungnahme zu politischen Themen aus. Franziskus versucht nicht den Einfluss der Kirche auf die Politik auszuweiten, im Gegenteil, er ist ein Verfechter des Laizismus. Jedoch sieht er die Kirche in der Pflicht einzuschreiten, wenn der Mensch von der Politik und Ökonomie zu einem Spielball degradiert wird. Vor allem zum Unmut der Linkspopulisten hat sich der nicht auf die Seite eines politischen Lagers geschlagen, sondern allgemein die Ungerechtigkeit angeprangert. Jedoch darf nicht verkannt werden, dass Franziskus nur ein Feuer entfacht hat, dass die Institution katholische Kirche in Brasilien und weltweit weitertragen muss. Für eine tatsächliche Öffnung und einen deutlichen Wandel in der katholischen Kirche können die Worte des neuen Pontifex nicht ausreichen, sie können nur ein Impuls sein. Es bleibt abzuwarten, welche konkreten Änderungen die einzelnen Kirchenverbände umsetzen werden.
Mit seinem Abweichen vom Protokoll, den spontanen Umarmungen und seiner Ausgelassenheit machte Papst Franziskus klar, dass er die lateinamerikanische Lebensfreude, die ihm als Argentinier inne wohnt, mit in sein Amt genommen hat. Diese offene Art begeisterte die Massen während des Weltjugendtags in Brasilien. Ohne das Charisma des Papstes, das den Weltjugendtag zu einem Franziskus-Fest werden ließ, wären die organisatorischen Probleme wohl schwerer ins Gewicht gefallen. Das Echo, das der Pontifex auslöste, trug dazu bei, dass der Mega-Event in Rio de Janeiro insgesamt als eine Erfolgsgeschichte gewertet wird.