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"1989 war ein magisches Jahr"

de Dr. Kathrin Zehender, Dr. Judith Michel

Veranstaltungsbericht „Einigkeit und Recht und Freiheit in Europa – Voraussetzungen und Erbe des Umbruchs von 1989“ in Leipzig

1989 führte der Freiheitsdrang der Menschen in Ost- und Mitteleuropa zu einem radikalen politischen Umbruch. Anlässlich des 30. Jahrestags der Friedlichen Revolution stellte die Konrad-Adenauer-Stiftung die Freiheitsbewegungen in den Mittelpunkt einer international besetzten Tagung in Leipzig. Zeitzeugen und Wissenschaftler diskutierten über die Frage, welchen Beitrag die Freiheitsbewegungen der 1980er Jahre zum Zusammenbruch der kommunistischen Regime geleistet haben, was die Motive und Ziele dieser Bewegungen waren und welche Bedeutung die damaligen Ereignisse für die Europäische Union der Gegenwart und die Zukunft der liberalen Demokratien haben.

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Die Freiheitsbewegungen der 1970/80er Jahre

Der Leiter der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Michael Borchard, hob in seiner Begrüßung die Bedeutung des Ortes Leipzig für die Friedliche Revolution hervor, wo am 9. Oktober 1989 die entscheidende Montagsdemonstration stattfand. Das "Wunder von Leipzig" verdiene einen besonderen Platz im nationalen und europäischen Gedächtnis und die Beteiligten sollten stärker gewürdigt werden. Dr. Joachim Klose, Leiter des Politischen Bildungsforums Sachsen der Konrad-Adenauer-Stiftung, wies auf das Problem hin, dass der Freiheitsimpuls von 1989 heute häufig durch Zukunftsängste und Ressentiments überlagert sei. Diese Sorgen seien ernst zu nehmen, gleichzeitig sei dem Populismus entschieden entgegenzutreten.

Im ersten Panel, das von Michael Borchard moderiert wurde, berichteten Freya Klier, Autorin, Regisseurin und Menschenrechtsaktivistin, Henryk Wujec, Mitglied der Solidarność und ehemaliger Berater des polnischen Präsidenten für soziale Angelegenheiten, sowie Anna Šabatová, Unterzeichnerin der Charta 77 und Ombudsfrau der Tschechischen Republik, von ihrer Opposition gegen die kommunistischen Regime und von den Repressalien, unter denen sie zu leiden hatten. Trotz der Angst, die sie zeitweise vor allem um ihre Familien hatten, sei es für sie nie in Frage gekommene, den Freiheitskampf aufzugeben.

Besonders in der DDR und Polen spielten Religion und die Kirchen eine bedeutende Rolle in den Freiheitsbewegungen. In der DDR bot die Kirche Christen wie Nicht-Christen einen Sammlungsort, um die Opposition zu organisieren. In Polen konnte der Glaube nie wirklich unterdrückt werden. Dass der aus Polen stammende Papst Johannes Paul II. sich für die Reformbewegung einsetzte, trug entscheidend zum Erfolg der Friedlichen Revolution bei.

Da die Freiheitsbewegungen in Ost- und Mitteleuropa sowie der DDR Menschenrechte als unteilbar betrachteten, vernetzten sie sich in starkem Ausmaß untereinander, besuchten und informierten einander. Diese explizite Solidarität untereinander trug ebenfalls zum Erfolg der Bewegungen bei und half zudem, historische Ressentiments zu minimieren.

Die Zukunft der liberalen Demokratien

Im Anschluss diskutierte PD Dr. Matthias Oppermann, Leiter der Abteilung Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung, über die Zukunft der liberalen Demokratien und die Frage, was aus dem Optimismus der Jahre 1989/90 wurde. "Der Siegeszug der westlichen, liberalen Demokratie schien nach dem Zusammenbruch des Kommunismus vollkommen. Dieser Optimismus war aber verfrüht", erklärte Professor Manfred Görtemaker von der Universität Potsdam. Mit dem Ende des Kalten Kriegs und dem vermeintlichen "End of History" sei keine Zeit des Friedens angebrochen, vielmehr brach eine Vielzahl von Kriegen aus. In der DDR ging die neugewonnene Freiheit mit einem Gefühl von Unsicherheit und existentiellen Sorgen einher, die für viele Menschen nur schwer zu verkraften gewesen sei. Diese Zeit des Umbruchs hält bis heute an. "Dass sich die liberale Demokratie durchgesetzt hat, ist ein Irrglaube, und es wird sich noch zeigen, ob sie sich dauerhaft behaupten kann", so Görtemaker.
Auch Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung bekräftigte, dass von einem Ende der Geschichte nicht die Rede sein könne. Heute sei die liberale Demokratie herausgefordert und die Zahl der liberalen Demokratien gehe weltweit zurück. Von zentraler Bedeutung sei dabei die digitale Revolution, die nicht zufällig in den 1990er Jahren an Fahrt aufnahm und bis heute Einschnitte in allen Bereichen mit sich gebracht habe. "Ähnlich wie mit der industriellen Revolution gehen mit der Digitalisierung disruptive Veränderungen einher. Die liberalen Demokratien müssen lernen, die digitale Revolution zu beherrschen", so Kornelius.

"1989 war die letzte analoge Revolution", erklärte daran anknüpfend Jiří Přibáň, Professor an der School of Law and Politics der Universität Cardiff.  "Ich bin Optimist und glaube an die offene Gesellschaft. Wir befinden uns in einem permanenten Prozess, Probleme zu bewältigen, was aber auch viele Chancen bietet." In Ost- und Mitteleuropa seien heute populistische Parteien auf dem Vormarsch, die den vermeintlichen Verlierern der Revolution Unterstützung versprechen. Während aber liberale Demokratien mit einer langen Tradition wie Großbritannien oder die USA dem Populismus schlagkräftig begegnen könnten, seien die politischen Systeme in Ost- und Mitteleuropa noch neu und schwach. "Sie brauchen mehr Zeit", erklärte Přibáň. Wichtig sei es, dass im europäischen Kontext "Regelverletzungen" aufhören würden, die letztlich den verbindlichen Rechtsrahmen in Frage stellen und damit auch das Vertrauen in Institutionen erschüttern.

Einig waren sich die Diskutanten bezüglich der bedeutenden Rolle der USA für die Durchsetzung der liberalen Demokratie weltweit. Bis heute sei sie Garant für Freiheit und Menschenrechte. "Aber auch die liberale Demokratie der USA steht unter enormem Druck: von innen durch US-Präsident Donald Trump, von außen durch das fortschreitende Erstarken Chinas", ergänzte Kornelius. "Die USA werden dennoch auch für Europa ein wichtiger Faktor bleiben."

Abschließend stand die künftige Rolle der Nationalstaaten im Mittelpunkt der Diskussion. "Der Nationalstaat bleibt für die Gesellschaft das stabilste Gehäuse. Er gibt den Menschen eine Heimat, eine Identität, Halt und Sicherheit – und danach sehnen sich die Menschen. Das zeigt sich auch bei den Institutionen der Europäischen Union: der Europäische Rat ist das stärkste Gremium, und das ist auch legitim", erklärte Kornelius.

Freiheit muss verteidigt werden

Einführend zu den Festvorträgen von Dr. Wolfgang Schüssel, Bundeskanzler der Republik Österreich a.D., und Mikuláš Dzurinda, Ministerpräsident der Slowakei a.D., erklärte Honorarprofessor Dr. Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments a.D., dass der Transformationsprozess in Europa eine gewaltige Leistung gewesen sei. Heute käme es darauf an, dass sich die Menschen aus Ost- und Westdeutschland mit Respekt, Achtung und Dankbarkeit begegnen. "Nur das kann unser Weg in die Zukunft sein. Wir sind ein Volk, wir sind Landsleute – das muss auch heute gelten", betonte Pöttering eindringlich. Heute müssten wir Demokratie, Freiheit und Recht verteidigen. "Dass aber die Freiheit am Ende siegt, das haben uns die Menschen der damaligen DDR gelehrt."

In seinem Festvortrag kam Schüssel auf die bedeutende Rolle der Kirchen zurück. Der Besuch von Papst Johannes Paul II. in Polen 1979 habe die Zündschnur an den Kommunismus gelegt. "1989 war ein magisches Jahr, ein Wunder", erklärte der frühere Bundeskanzler. Eine wichtige Lehre aus dieser Zeit sei für ihn, dass Personen Geschichte machen. So wäre es ohne das Zusammenspiel der Akteure – darunter Václav Havel, Lech Wałęsa, Michail Gorbatschow, George Bush sen. und Helmut Kohl – vermutlich nie zur deutschen und europäischen Einigung gekommen. Dass das schmale Zeitfenster, in dem die Einheit möglich wurde, auch genutzt wurde, sei dem mutigen Handeln dieser Akteure zu verdanken. "Das zeigt mir: Demokratie braucht Mut und beherzte Entscheidungen! Demokratie braucht die besten und klügsten Köpfe! Demokratie braucht Führung!" Heute gehe es den Menschen in Europa besser als 1989. Das würde zu oft vergessen. Demokratie und Freiheit müssten erkämpft und verteidigt werden – auch wenn die Demokratie nicht perfekt sei und gewiss auch Fehler gemacht würden.

Anschließend hob Dzurinda hervor, der Kommunismus habe sich durch die Ausgrenzung und Unterdrückung von Menschen mit Besitz, von Gläubigen und Intellektuellen seine Opposition selbst geschaffen. Obgleich die Untergrundorganisationen zahlreich waren, glich es einem Wunder, dass Václav Havel 1989 – wenige Monate nach seiner Verhaftung durch die Kommunisten – zum Staatspräsidenten der Tschechoslowakei gewählt wurde und schon 1990 Papst Johannes Paul II. empfangen konnte. Umso wichtiger sei es zu verstehen: Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich, sie müssen stets aufs Neue verteidigt werden!

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