Wasserversorgung
Vor 2014 hat die Krim rund 85 Prozent ihres Süßwassers aus der Festland-Ukraine über den Nord-Krim-Kanal erhalten. Das Wasser wurde zum ganz überwiegenden Teil für landwirtschaftliche Bedürfnisse sowie für die Auffüllung von Stauseen benutzt. Der rund 400 Kilometer künstliche Wasserlauf reicht vom Fluss Dnipro bis nach Kertsch. Die Bauarbeiten begannen 1961; Ende 1975 war der Kanalausbau abgeschlossen. Die große Bedeutung dieses sowjetischen Infrastrukturprojekts bestätigt auch die Sichtweise, dass für den Gebietstransfer der Krim von der Russischen zur Ukrainischen Sowjetrepublik im Jahre 1954 auch ökonomische und logistische Gründe eine Rolle gespielt haben dürften. Mit der Annexion der Krim im Mai 2014 wurde die Wasserversorgung durch den Kanal schließlich komplett gestoppt und ein entsprechender Damm errichtet.
Dies hatte dramatische Folgen für die besetzte Halbinsel. Insbesondere Landwirtschaft und Industrie waren vom Wasser aus der Festland-Ukraine abhängig und litten am stärksten. Die Bemühungen der russischen Okkupations-verwaltung, das Problem durch Bohrungen von neuen Brunnen zu lösen, waren nur temporär erfolgreich und hatten sogar gegenteilige Effekte: die Ausbeutung des Grundwassers führte zur Bodenversauerung sowie Austrocknung von Flüssen. Zusammen mit einem außergewöhnlichen Niederschlagsmangel in den Jahren 2019 und 2020 hat dies zur Verlandung der wichtigsten Stauseen geführt, welche für die Wasserversorgung der größten Städte auf der Krim genutzt werden. Seit Sommer 2020 werden Städte wie Simferopol und Bachtschyssaraj nur noch bestimmte Stunden am Tag mit Leitungswasser versorgt.
Russland plant daher, Meerwasserentsalzungs-anlagen auf der Krim zu errichten. Das kann in der langfristigen Perspektive die Lage auf der Halbinsel verbessern, wird aber wegen des großen Zeit- und Mittelanspruchs das Problem der Wasserversorgung nicht kurzfristig lösen.
Daher benutzt die Russische Föderation eine Mischung aus Druck und Propaganda, um die Ukraine zu zwingen, den Nord-Krim-Kanal wieder in Betrieb zu nehmen oder um sie zumindest für den Wassermangel auf der Krim auf internationaler Ebene verantwortlich zu machen. Man spricht von einer von der Ukraine verursachte „humanitären Krise“ auf der Halbinsel. Ukrainische Experten der NGOs „KrimSOS“ und „Krimtatarisches Ressourcenzentrum“ führen hingegen andere Ursachen für den Wassermangel an. Die Halbinsel habe genug „eigenes“ Wasser, um die lokale Bevölkerung zu versorgen. Vielmehr sei es die Prioritätensetzung der russischen Verwaltung, welche diese Versorgung für die Bevölkerung gefährde, namentlich die Benutzung von Wasser für die Landwirtschaft, die Industrie und – vor allem – die Bedarfsdeckung für die wachsenden russischen Militärstützpunkte. Darüber hinaus wird in der Ukraine auf Artikel 55 des Genfer Abkommens vom 12. August 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (sog. Genfer Abkommen IV) verwiesen, wonach die Besatzungsmacht die Pflicht hat, „die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungs‑ und Arzneimitteln mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln sicherzustellen; insbesondere hat sie Lebensmittel, medizinische Ausrüstungen und alle anderen notwendigen Artikel einzuführen, falls die Hilfsquellen des besetzten Gebietes nicht ausreichen.“ Laut Artikel 2 ist das Abkommen „in allen Fällen vollständiger oder teilweiser Besetzung des Gebietes einer Hohen Vertragspartei anzuwenden, selbst wenn diese Besetzung auf keinen bewaffneten Widerstand stösst“. Völkerrechtlich wäre demnach Russland als Besatzungsmacht auf der Krim komplett für die Wasserversorgung der Bevölkerung verantwortlich, zumal das unter Aufsicht russischen Militärs durchgeführte „Referendum“ des Jahres 2014 weder die Möglichkeit zur Abgabe einer Nein-Stimme noch ein Votum für den Status quo innerhalb der Ukraine vorsah.
Die Position der ukrainischen Regierung zur Wasserversorgung der Krim wurde im September 2020 durch den stellvertretenden Minister für die Reintegration der temporär besetzten Gebiete der Ukraine, Ihor Jaremenko, deutlich gemacht: Süßwasser aus dem Dnipro werde in die Autonome Republik Krim erst nach der vollständigen De-Okkupation der Halbinsel fließen. Die politischen Kosten einer Entscheidung zur Wiederaufnahme der Wasserversorgung der okkupierten Krim wären für die Ukraine in der Tat sehr hoch. Einen Vertrag über die erneute Wasserversorgung könnte die ukrainische Regierung derzeit nur mit der russischen Verwaltung auf der Krim abschließen, was innen- und außenpolitisch inakzeptabel ist, da es als eine De-facto-Anerkennung der Annexion betrachtet werden könnte. Unabhängig davon wäre die erneute Inbetriebnahme des Nord-Krim-Kanals nach mehreren Jahren der Stilllegung zudem eine technische Herausforderung, die angesichts notwendiger Reparaturmaßnahmen nicht sofort realisierbar wäre.
Einige ukrainische und internationale Beobachterinnen und Beobachter befürchten daher, dass Russland die Wasserknappheit ausnutzen könnte, um eine „humanitäre Intervention“ im Süden der Ukraine zu rechtfertigen. Solche Gedankenspiele werden bereits seit 2014 diskutiert. Denkbar wäre demnach der Versuch, einen Korridor vom okkupierten Donbas bis zur Krim zu schaffen oder eine begrenzte Operation zur Besetzung des Nord-Krim-Kanals in der Region Cherson durchzuführen. Derartige Kampfhandlungen würden aber zwangsläufig zu einer drastischen Eskalation des gesamten russisch-ukrainischen Konfliktes führen und heftige internationale Reaktionen auslösen, so dass sich diese Schreckensszenarien bislang nicht bewahrheitet haben.
Aufrüstung der Halbinsel
Die Krim hatte schon lange eine große militärische Bedeutung – nicht nur für die Sowjetunion, sondern auch für Russland vor 2014. Die militärische Kontrolle über die Halbinsel schafft starke Voraussetzungen für die Dominierung der Schwarzmeerregion und des Asowschen Meeres. Unter den Hauptmotiven Russlands für die Annexion der Krim war sicherlich die Gewährleistung der weiteren Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol, Feodossija und anderen Orten auf der Halbinsel. In den letzten sieben Jahren hat Russland seine militärische Anwesenheit auf der Krim nicht nur beibehalten, sondern umfassend verstärkt und modernisiert.
Die Gesamtzahl russischer Truppen auf der Krim stieg von ca. 12.000 vor der Annexion auf bis zu 31.000 im Herbst 2019. Vor allem die Landkomponente der Streitkräfte erfuhr einen starken Aufwuchs. Auf der Halbinsel wurde eine Reihe neuer Einheiten geschaffen, teilweise aufbauend auf Militärbasen, Material sowie Personal der ehemaligen ukrainischen Einheiten. Das neu gebildete 22. Armeekorps der Schwarzmeerflotte vereinigt ein Artillerie-Regiment, eine Küstenverteidigungsbrigade, eine Küstenraketenbrigade und ein Luftverteidigungsregiment unter seinem Kommando. Die russische Marineinfanterie-Brigade in Sewastopol integrierte das ehemalige ukrainische Marineinfanterie-Bataillon in Feodossija ein. Außerdem wurde eine Aufklärungsbrigade gegründet, die direkt dem Kommando der Schwarzmeerflotte unterstellt ist.
Die Schwarzmeerflotte selbst erhielt eine Reihe von neuen Wasserfahrzeugen. Zu den wichtigsten zählen 3 Fregatten, 3 Korvetten, 6 U-Boote und 4 kleine Raketenschiffe. Alle diese Schiffe können mit „Kalibr“-Marschflugkörpern mit einer Reichweite von bis zu 2.500 km ausgerüstet werden.
Die russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräfte erfuhren ebenfalls eine Verstärkung auf der Halbinsel. Zwei Divisionen – eine Luftabwehrdivision und eine gemischte Luftwaffendivision – wurden geschaffen, um den Luftraum über der Krim zu verteidigen. Sie nutzen teilweise ehemalige ukrainische Stützpunkte und Ausrüstung, werden jedoch nach und nach auf russische Militärtechnik umgerüstet. Die Luftabwehrregimenter, welche bereits 2016 und 2017 neue S-400-Raketenkomplexe erhalten haben, bilden die erste Hauptkomponente der A2/AD-Zone um die Krim. Die zweite besteht aus den Lenkwaffenkomplexen „Bal“ und „Bastion“ in der Küstenraketenbrigade. Zusammen mit Kampfflugzeugen und Marschflugkörpern von Überwasserschiffen sollen sie verhindern, dass potenzielle Feinde in den Gewässern des Schwarzen Meeres und im Luftraum über der Krim operieren.
Des Weiteren gibt es die Befürchtung einer Stationierung von Nuklearwaffen auf der Krim. Schon im Dezember 2014 hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow betont, die Krim sei Teil Russlands, das als offiziell anerkannte Nuklearmacht das Recht habe, Nuklearwaffen auf ihrem Territorium zu stationieren. Bis jetzt gibt es keinerlei Beweise, dass Russland die Halbinsel mit Atomwaffen ausgestattet hat, aber die bereits erwähnten Marschflugkörper „Kalibr“ sind auf der Halbinsel bereits präsent und gelten als nuklearfähig.
Verschärfung der Menschenrechtssituation
Bereits seit den ersten Tagen nach der rechtswidrigen Annexion der Krim stehen sog. illoyale Gruppen und Personen im Blickfeld der russischen Behörden und sehen sich Repressionen ausgesetzt. Insbesondere richteten sich diese Aktivitäten gegen die Krimtataren als einer Gemeinschaft mit einem bis dato hohen Niveau an Selbstorganisation und überwiegend pro-ukrainischen Positionen. Als eines der ersten Opfer gilt der Krimtatare Reschat Ametow, der am 3. März 2014 gegen die russische Okkupation in Simferopol protestiert hatte. Er wurde von Uniformierten verschleppt und zwölf Tage später mit deutlichen Spuren von Gewalt und Folter tot aufgefunden. Neben diesem drastischen Fall erwähnt die stellvertretende UN-Generalsekretärin für Menschenrechte, Ilze Brands Kehris, in einem Statement zur Menschenrechtssituation vom März 2020 weitere Entführungsfälle bzw. das Verschwinden von pro-ukrainischen Aktivisten. Darüber hinaus beklagte sie, dass Russland dem OHCHR (Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights) einen uneingeschränkten Zugang auf die Krim entsprechend den Resolutionen der UN-Generalversammlung verweigert.
Bis heute finden Festnahmen von krimtatarischen Aktivistinnen und Aktivisten statt. Zurzeit werden auf der Krim rund 100 Menschen aus politischen Gründen verfolgt. 17 befinden sich in Strafkolonien (auch außerhalb der Krim), 53 in Untersuchungshaft, gegen die anderen wurden mildere Maßnahmen der Freiheitseinschränkung eingesetzt.
Den politisch Verfolgten wird in der Regel die Mitgliedschaft in einer islamistischen Organisation vorgeworfen. Keiner der Verurteilten und Angeklagten wird beschuldigt, Anschläge vorbereitet oder geplant zu haben. Die Haftstrafen, die in der Regel 15 Jahre und mehr betragen, erfolgen üblicherweise allein wegen einer vermeintlichen Mitgliedschaft.
Die Repressionen richten sich dabei nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern auch gegen „illoyale“ Organisationen. Im April 2016 wurde der Medschlis als „extremistische Organisation“ in Russland verboten. Der Medschlis existiert seit 1991 und ist als repräsentatives Organ des krimtatarischen Volkes in der Ukraine anerkannt. Im Jahre 2014 hatte die überwiegende Mehrheit der Medschlis-Mitglieder die russische Annexion der Krim verurteilt. Das Organ arbeitet nun vom Territorium der Festland-Ukraine aus weiter, wohin viele krimtatarische Aktivisten nach der Annexion umziehen mussten. Der Vorsitzende des Medschlis, Refat Tschubarow, wurde zudem von russischer Seite mit einem mehrjährigen Einreiseverbot auf die Halbinsel belegt.
Zu den weiteren Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen von Gruppenrechten auf der Krim gehören die Rückschritte bei der Verwendung der ukrainischen und krimtatarischen Sprache in Schulen, Universitäten und im öffentlichen Bereich, das Verbot des wichtigsten krimtatarischen Fernsehsenders ATR sowie anderer, kleiner krimtatarischen Medien wegen „illoyaler“ Positionen, die Verfolgung der in Russland verbotenen Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas usw.
Da eine baldige Reintegration der Krim in die Ukraine angesichts der aktuellen Machtverhältnisse zumindest kurzfristig unwahrscheinlich erscheint, bleiben all diese Problemfelder in nächster Zeit wohl ungelöst und es droht in einigen Bereichen sogar eine weitere Verschärfung der Situation – mit all den negativen Folgen für die Betroffenen und die Region. Ursächlich für diese Verschlechterungen bleibt aber die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und das dort etablierte neue autoritäre Machtsystem.
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