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Regierungswechsel im Kosovo: Verfassungsgericht ebnet Weg

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts wird mit der zügigen Bildung einer neuen Regierung unter Führung von Avdullah Hoti von der LDK gerechnet.

Nach dem Sturz der bisherigen Regierung durch ein vom Koalitionspartner Demokratische Liga des Kosovo (LDK) initiiertes Misstrauensvotum vom 25. März 2020 herrschte lange Zeit Unklarheit über die weitere politische Entwicklung auf dem Amselfeld. Zwar hatte Präsident Hashim Thaçi am 30. April Avdullah Hoti von der LDK mit der Regierungsbildung beauftragt, die Rechtmäßigkeit der Mandatserteilung war jedoch von Abgeordneten der Vetëvendosje (VV), der Partei des gestürzten Ministerpräsidenten Albin Kurti, in Zweifel gezogen und vor das Verfassungsgericht gebracht worden. Die rechtliche Blockade zur Bildung der neuen Regierung wurde mit der endgültigen Entscheidung des Verfassungsgerichts nun beseitigt: Das Verfassungsgericht hat am späten Abend des 28. Mai beschlossen, dass das Präsident Thaçi rechtmäßig gehandelt hat, als er Hoti mit der Regierungsbildung beauftragte.

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Einstimmiges Urteil

Nach dem Misstrauensvotum und dem Sturz der Regierung entbrannte ein Streit darüber, ob dies gemäß Verfassung zwingend Neuwahlen nach sich ziehen müsste oder ob der Präsident befugt sei, einem anderen Kandidaten, der über die nötige Unterstützung im Parlament verfügt, das Mandat zur Regierungsbildung zu erteilen. Die einstimmige Entscheidung des Verfassungsgerichts legitimiert das Dekret des Präsidenten und ebnet der Abstimmung über eine Regierung unter Hoti den legalen Weg. Die Missachtung der VV, trotz viermaliger Aufforderung durch den Präsidenten einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu benennen, stellt nach Ansicht des Verfassungsgerichts eine Verweigerung der Regierungsbildung dar.

Verfassungsgericht unter Druck

Die von allen Parteien gespannt erwartete Entscheidung bringt nun zumindest rechtliche Klarheit über die weiteren Schritte zur Bildung einer neuen Regierung. Im Vorfeld hatten alle beteiligten Parteien unangemessenen Druck auf das Verfassungsgericht ausgeübt und Versuche unternommen, durch öffentliche Kommentierungen die Entscheidung zu beeinflussen. VV, als stärkste Partei aus den Parlamentswahlen vom 6. Oktober 2019 hervorgegangen, argumentiert auf der Grundlage früherer Präzedenzfälle und ausgewählter Artikel der Verfassung, dass nach dem Misstrauensantrag Neuwahlen einzuleiten seien. Die gleiche Sichtweise teilte Vjosa Osmani, Parlamentspräsidentin und Spitzenkandidatin der LDK bei den letzten Parlamentswahlen. Auf der anderen Seite argumentierten insbesondere Präsident Thaçi, die LDK und deren prospektiven Koalitionspartner, dass der erfolgreiche Misstrauensantrag nicht unbedingt zu Neuwahlen führe und, dass dies vom Willen der politischen Parteien abhänge, eine neue Mehrheit zu schaffen – was auch erreicht wurde, zumindest lassen die Koalitionsaussagen dies klar erwarten. Auf dieser Grundlage hatte Thaçi am 30. April gehandelt. Nach Klageeinreichung durch die VV hatte das Verfassungsgericht jedoch am 1. Mai mittels einstweiliger Verfügung einer zügigen Regierungsneubildung einen Riegel vorgeschoben. Mit der endgültigen Entscheidung vom 28. Mai herrscht nun Klarheit.

Lackmustest für die VV

Vetëvendosje hatte im Vorfeld erklärt, dass sie die Entscheidung nur respektieren wird, wenn sie „fair“ ist. Beobachter interpretieren dieses Adjektiv  im Sinne von: „zu Gunsten von VV“. Zugleich warnten VV-Parteivertreter vor Protesten ihrer Anhänger, sollte es zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts kommen, die nicht ihren Erwartungen entspricht.  Dass es sich hierbei nicht um leere Drohungen handelt, verdeutlichen die getroffenen „Protestvorbereitungen“. Unmittelbar vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts demonstrierten schätzungsweise 2.000 Anhänger der VV – unter Wahrung von Abstands- und Hygieneregeln – im Stadtzentrum von Pristina bei einer friedlichen „Probe-Demo“. Der Umgang mit der Entscheidung wird auch zu einem Lackmustest für die Partei: Akzeptiert man die Unabhängigkeit der Justiz und Gewaltenteilung, auch wenn dies zum eigenen politischen Nachteil gereicht, oder besinnt man sich auf eine Vergangenheit als Protestbewegung mit Elementen von politischer Gewalt? Es ist insbesondere auch eine Bewährungsprobe für den noch geschäftsführenden Ministerpräsidenten Albin Kurti, der insbesondere nach der Wahl vom 6. Oktober eine Wandlung vom Saulus zum Paulus vollzog und sich als verantwortungsbewusster, gar staatsmännischer Reformer und Korruptionsbekämpfer präsentiert hat und hierbei auch wohlwollende Unterstützung der internationalen Gemeinschaft erhielt.

Neue Regierung vor großen Herausforderungen

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts wird eine zügige Bildung einer neuen Regierung unter Avdullah Hoti erwartet. Spätestens am 1. Juni, so die Erwartungen in Pristina, habe man eine neue Regierung. Dieser Regierung werden neben der LDK auch die AAK des ehemaligen Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj und die NISMA von Fatmir Limaj angehören. Darüber hinaus wird man auf die Stimmen der Vertreter der Minderheiten angewiesen sein. Damit erreicht man eine knappe absolute Mehrheit von 61 bis 63 Parlamentssitzen (von 120).  Keine komfortable Situation angesichts der Herausforderungen, denen sich der Kosovo gegenübersieht! Zudem gibt es eine Hypothek für die neue Regierung: Die Hoffnung großer Teile der überwiegend jungen Bevölkerung (als auch der internationalen Gemeinschaft) auf eine Regierung ohne die alten Kader der kosovarischen Befreiungsarmee UÇK ist zerstoben.

Für die neue Regierung wird es keine Schonfrist geben: innenpolitisch ist die Situation stark polarisiert, die VV fühlt sich ihres Wahlsieges beraubt. Die LDK selbst sieht sich mit unterschiedlichen innerparteilichen Dynamiken konfrontiert und muss sich um Geschlossenheit bemühen. Die größte Herausforderung stellt jedoch die Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie  auf die Wirtschaft des Landes dar. Wichtige Wirtschaftszweige wie die Gastronomie, Hotellerie und der Bausektor sind stark betroffen. Deswegen ist es sehr wichtig, schnell zu reagieren. Interessengruppen und einige Experten haben die Kurti-Regierung für ihre langsame Reaktion kritisiert, sodass eine Hoti-Regierung rasch Maßnahmen ergreifen muss. Nach den Plänen von Hoti wird die Regierung bei der Bewältigung der durch die Pandemie verursachten Schäden etwa 1 Milliarde Euro ausgeben, die aus verschiedenen Quellen stammen (Reduzierung der Kapitalinvestitionen, Geld aus dem Pensionsfonds und Privatisierungsprozess, aber auch Erhöhung der Staatsverschuldung). Ein Lackmustest für die Hoti-Regierung wird neben der glaubwürdigen Bekämpfung von Korruption und Fortschritten im Bereich der Rechtsstaatlichkeit auch die Wiederaufnahme des Normalisierungsdialogs mit Serbien werden. Dieser war durch die Einführung von 100%-Zöllen im November 2018 durch den damaligen Ministerpräsidenten Haradinaj zum Stillstand gekommen.

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