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Rumänien und Republik Moldau: 100-jähriges Jubiläum der Vereinigung feierlich begangen

de Dr. Martin Sieg, Andrei Avram
Tausende Moldauer nahmen am vergangenen Sonntag in Chișinău an einer Kundgebung zum hundertjährigen Jubiläum der Vereinigung der damaligen Demokratischen Moldauischen Republik mit Rumänien teil, die gleichzeitig zur Wiedervereinigung der beiden Länder aufrief.

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Die Demonstration in der moldauischen Hauptstadt stellte dabei den Auftakt eines breiten Spektrums an öffentlichen Veranstaltungen dar, die an die historischen Begebenheiten vom 27. März 1918 erinnern, als der moldauische Volksrat den Beitritt zum Königreich Rumänien beschloss, zu dem die damals als Bessarabien bekannte Provinz dann bis zum Zweiten Weltkrieg gehörte. In beiden Ländern ist das 100-jährige Jubiläum der Vereinigung von 1918 ein Anlass, der die Debatte um eine mögliche Wiedervereinigung erneut belebt.

An der Versammlung in Chișinău nahm so auch der wohl lautstärkste Verfechter der Vereinigung teil – der ehemalige rumänische Präsident Traian Băsescu, Vorsitzender der Partei Volksbewegung (PMP) in Bukarest, aber auch Ehrenvorsitzender der unionistischen Partei der Nationalen Einheit (PUN) in der Republik Moldau. „Wir fordern die Parlamente in Bukarest und Chișinău auf, in kürzester Zeit (…) für die Vereinigung zu stimmen“, forderte er, wobei er darauf hinwies, dass die Rumänen als einziges betroffenes Volk es nicht geschafft hätten, die Effekte des Hitler-Stalin-Paktes (infolgedessen Rumänien Bessarabien an die UdSSR hatte abtreten müssen) rückgängig zu machen. Die Republik Moldau sei Teil von Rumänien und es gäbe keinen anderen Weg zur „Wiederherstellung der Würde des rumänischen Volkes“. Gemeinsam mit der PUN werde er für die Union kämpfen, versicherte Băsescu.

Obgleich der rumänische Ex-Präsident der bekannteste Vertreter des sog. Unionismus ist, ist es unter den Bukarester politischen Eliten weitgehend Konsens, dass die gemeinsamen sprachlichen, kulturellen und historischen Wurzeln der zwei Staaten eine Vereinigung rechtfertigen könnten und der rumänische Staat zu einem solchen Schritt stets bereit zu sein hat und ggf. diesbezüglich proaktiv agieren sollte. Eine feierliche Sondersitzung des rumänischen Parlaments am Dienstag nahm etwa der Vorsitzende der regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD) Liviu Dragnea, zugleich Präsident der Abgeordnetenkammer, zum Anlass um festzustellen: „Ich sage es offen, einfach und explizit - ich will, dass wir uns mit der Moldau vereinigen!“. Dabei hatte er die hochrangigen anwesenden moldauischen Gäste direkt angesprochen – Parlamentspräsident Andrian Candu und Vizepremierminister Iurie Leancă. Die beiden Kammern der rumänischen Legislative stimmten bei der Sondersitzung über eine Erklärung ab, die festhält, dass das Parlament den Wunsch der Anhänger der Union in der Republik Moldau als „vollständig legitim“ erachtet und, dass „Rumänien und seine Bürger immer bereit sind und sein werden, jeglicher organischen Bewegung zur Wiedervereinigung seitens der Bürger der Republik Moldau als Ausdruck von deren souveränen Willens entgegenzukommen“. Dragnea betonte, dass am Text der Erklärung die Vertreter der verschiedenen Parteien mitgewirkt hatten. Das spiegelte sich auch im Abstimmungsergebnis wider; denn mit Ausnahme der 19 Vertreter der ungarischen Minderheit, die sich der Stimme enthielten, votierten alle anwesenden Parlamentarier für die Erklärung.

Auch der Vorsitzende der oppositionellen Nationalliberalen Partei (PNL), Ludovic Orban, der sich Anfang der Woche in Chișinău aufhielt, zeigte sich für die Perspektive der Vereinigung offen. In einem Fernsehinterview vor Ort sagte er, dass die Entscheidung über die Union vor allem von den Bürgern der Republik Moldau getroffen werden müsse. Dies könne nur als „natürliche Schlussfolgerung“ von deren eigener Überzeugung erfolgen, dass dies „der beste Weg für die Republik Moldau“ sei. So war Orban in seinen Aussagen nuancierter und differenzierter als Băsescu oder Dragnea. Dem Rundfunksender Radio Free Europe erklärte er, dass er überzeugt sei, dass Rumänien und die Republik Moldau „früher oder später in Europa vereint“ sein würden – eine Botschaft, die auch in der Pressemitteilung von Präsident Klaus Iohannis anlässlich der Hundertjahrfeier zu lesen war. Dort hieß es, dass die Vereinigung von 1918 eine „dauerhafte Quelle der Inspiration für die Notwendigkeit der Entwicklung und Vertiefung der Strategischen Partnerschaft zwischen Rumänien und der Republik Moldau für die europäische Integration der Republik Moldau“ darstelle. Und auch der Vorsitzende der ebenfalls oppositionellen Union Rettet Rumänien (USR), Dan Barna, der am Sonntag bei der Großkundgebung eine Rede hielt, sprach davon, dass „der Platz der Moldau und von Rumänien in der Europäischen Union“ sei. Inwiefern über solche Bekundungen hinaus das Thema Union aus Sicht der rumänischen Bevölkerung eine Priorität darstellt, bleibt fraglich. Eine Umfrage zu Jahresbeginn ergab, dass lediglich 27 Prozent der Rumänen die Vereinigung mit der Republik Moldau als notwendig oder sehr notwendig betrachten.

Mehr Kontroversen ruft die Frage der Vereinigung in der moldauischen Gesellschaft hervor, die seit der Erlangung der Unabhängigkeit 1991 noch keinen Konsens zum Raison d’être der moldauischen Staatlichkeit hat finden können. Bereits im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion war vor allem bei den rumänischsprachigen Bildungseliten eine Strömung festzustellen, dass die Republik Moldau Teil von Rumänien werden sollte. Diese führte allerdings im Laufe der nächsten zwei Jahrzehnte nur ein Nischendasein in der Chișinăuer Politik, denn explizit panrumänische Kräfte blieben bei Wahlen auf jeweils ca. zehn Prozent der Stimmen beschränkt. Dies dürfte sich inzwischen aufgrund der Verschlechterung der sozialen und wirtschaftlichen Situation in den vergangenen drei Jahren ändern. So sind es heute nicht zuletzt wachsende Sorgen vor einem wirtschaftlichen und staatlichen Scheitern der Moldau, gepaart mit der Attraktivität des rumänischen Wohlstands-, Gehalts- und Rentenniveaus, die eine steigende Unterstützung oder Akzeptanz einer möglichen Vereinigung mit Rumänien begründen. Laut einer Umfrage vom Dezember 2017 liegt der Anteil derer, die eine Angliederung an Rumänien explizit unterstützen, bei etwa 22 Prozent, während zugleich 56 Prozent angaben, bei einem Referendum gegen eine Vereinigung zu stimmen.

Neben der Frage nach der geopolitischen Ausrichtung des Landes (nach Westen oder nach Osten) gibt es kaum ein Thema, dass eine derart polarisierende Wirkung auf die moldauische Gesellschaft aufweist. Der explizit pro-russische Präsident Igor Dodon, zu dessen Wählern auch – aber bei weitem nicht ausschließlich – die nationalen Minderheiten im Lande zählen, hat mehrfach den Unionismus mit starken Worten kritisiert und versprochen, dass im Falle eines Sieges seiner Partei der Sozialisten (PSRM) bei den Parlamentswahlen unionistische Bewegungen verboten würden. Problematischer ist die Positionierung zur Frage der Vereinigung bei den pro-europäischen Mitte-Rechts-Parteien; denn zu deren Anhängern gehören sowohl die etwa zehn Prozent der Wählerschaft, die seit den 1990er Jahren die Angliederung an Rumänien als Priorität betrachten, als auch ein Segment von bis zu 30 Prozent der Bevölkerung, die sich für den europäischen Weg des Landes aussprechen und die sprachliche und kulturelle Nähe zu Rumänien anerkennen, eine Vereinigung aber jedenfalls nicht als Priorität sehen oder auch ablehnen. Dies führt dazu, dass die Vertreter der Mitte-Rechts-Kräfte in dieser Hinsicht eine schwierige Gratwanderung absolvieren müssen – insbesondere angesichts der in diesem Jahr auch stattfindenden Parlamentswahlen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Präsenz des rumänischen Ex-Präsidenten Băsescu in der moldauischen Politik vor allem für die bürgerliche Opposition problematisch; denn das Thema lenkt nicht nur von anderen Problemen des Landes ab – u.a. die Korruption, die marode Wirtschaftslage usw. – , es erlaubt der pro-europäisch ausgerichteten Opposition auch kaum eine Positionierung, die nicht den Erwartungen zumindest eines Teils ihrer Wählerschaft zuwiderläuft.

Als Nutznießer der Diskussion um die Union mit Rumänien – wie überhaupt der geopolitischen Polarisierung in der Moldau – kann sich dagegen die regierende Demokratische Partei (PDM) erweisen; denn sie vermag sich so trotz weitgehender Ablehnung in der Bevölkerung als stabilisierenden Faktor in einer zwischen Russland und Rumänien vermeintlich zerrissenen Gesellschaft national und international zu legitimieren. So mag sich auch erklären, warum die Gemeinderäte von mittlerweile 140 Ortschaften Erklärungen für die Vereinigung mit Rumänien verabschiedet haben, was ohne eine zumindest bewusste Duldung der Regierung nicht möglich wäre. So kann sich die PDM in den kommenden Wahlkämpfen als moderate Garantin einer geopolitisch pro-europäischen Ausrichtung präsentieren, während die geopolitische Polarisierung des Landes zugleich den Diskurs über rechtstaatliche und demokratische Defizite und Reformformforderungen der pro-europäischen Opposition um die Partei Aktion und Solidarität (PAS) und die Plattform Würde und Wahrheit (PDA) in den Hintergrund drängt.

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Dr. Martin Sieg

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