Rapoarte de țară
Rumäniens politische Führung hat sich einem umfassenden Reformprozess verschrieben, der unter anderem eine Reform des Rentensystems, eine Reform des Bildungswesens, eine Territorialreform, eine Justizreform und eine Verfassungsreform umfasst. Mit diesen teilweise bereits umgesetzten Reformen werden Kernprobleme der rumänischen Politik und Gesellschaft aufgegriffen, die über Jahre verschleppt wurden. Die allgemeine Stoßrichtung dieser Neuerungen, nämlich die Rückführung des Staates auf seine Kernaufgaben, die Förderung von mehr Selbstverantwortung und die Schaffung von mehr Wettbewerb stoßen sich teilweise hart im Raum mit tradierten Erwartungen an die Allmacht des Staates sowie mit über Jahre gepflegten Privilegien und individuellen Interessen.
Gesundheitssystem bedarf einer Reform
Die jetzt begonnene Reform des Gesundheitswesens zielte unter anderem auf die Sicherung einer medizinischen Basisversorgung, die Schaffung einer privaten Zusatzversicherung und die Förderung einer nichtstaatlichen Infrastruktur im Gesundheitswesen. Verbesserung in diesem Bereich sind dringend nötig und werden allgemein eingefordert. Die Gesundheitsversorgung der rumänischen Bevölkerung ist unzureichend und unterfinanziert. Von den bereitgestellten Mittel versackt ein großer Teil in dunklen Kanälen, Patienten müssen für eine Behandlung Schmiergeld bezahlen und das Gesundheitspersonal wandert unzufrieden ab.
Die zweifellos notwendigen Weichenstellungen für eine bessere Zukunft des Landes erfolgen freilich unter den besonderen Bedingungen einer Austeritätspolitik, zu der sich die rumänische Regierung verpflichtet hat. Gehaltskürzungen, Stellenabbau, Abschaffung von Privilegien - beispielsweise die Renten für die Revolutionäre- , stärkere Kontrolle der Bedürftigkeit von Sozialhilfeempfängern – unter massenhafter Aufdeckung von Betrugsfällen - haben eine latent vorhandene Unzufriedenheit in breiten Bevölkerungskreisen geschaffen.
Es zeichnet die jetzige Regierung aus, dass sie trotz dieser Gemengelage am Reformprozess festhält und die Staatsschulden (derzeit mit ca. 35 Prozent des BIP deutlich unter dem EU-Durchschnitt) im Griff behalten möchte. Nun mehren sich aber die Anzeichen dafür, dass die rumänische Bevölkerung ihre bisherige, erstaunliche Gelassenheit im Umgang mit Sparmaßnahmen und Reformen aufgibt.
Unzufriedenheit wird vermarktet
Im Wahljahr 2012 wird die Unzufriedenheit von der Opposition politisch vermarktet, während es der Regierung andererseits nicht gelingt, für ihre Politik zu werben. Nicht zu Unrecht muss sich die Regierung dem Vorwurf aussetzen, die Bevölkerung und insbesondere die beteiligten Interessengruppen nicht ausreichend in die Entscheidungsprozesse über weitreichende Reformen eingebunden zu haben. Zeitweise entstand der Eindruck, die Regierung käme in ihrem Reformeifer auch ganz gut ohne das Parlament und ohne die Bevölkerung zurecht. Die bei den Rumänen durchaus bestehende Perzeption eines solchen Regierungsstils als Führungsstärke wich zunehmend der auch von der Opposition befeuerten Furcht vor einem zunehmend autoritären Staat.
Gesundheitsreform aktiviert Protest
Noch fehlte der Funken, der die Glut dann zum Brennen brachte. Staatspräsident Traian Basescu selbst lieferte ihn zu Beginn des Jahres, dieses Mal in Überschätzung seiner faktischen Autorität. Als Initiator der Gesundheitsreform verteidigte er das in die öffentliche Kritik geratene Projekt und kritisierte dabei fahrlässig einen der stillen Helden des Landes. Raed Arafat, ein zugewanderter rumänischer Staatsbürger, wird als Vater des rumänischen Rettungsdienstes SMURD betrachtet. Bis vor wenigen Tagen war Raed Arafat zudem Staatssekretär im Gesundheitsministerium, äußerte sich dann aber skeptisch gegenüber der Gesundheitsreform. Präsident Basescu empfahl ihm daraufhin, seine kritische Position besser außerhalb der Regierung zu verfolgen. Arafat beantworte diese Aufforderung prompt mit seinem Rücktritt als Staatssekretär. Fortan sprach kaum mehr jemand über die Inhalte der Reform, es festigte sich das nicht den Tatsachen entsprechende Gerücht, der Rettungsdienst solle abgeschafft werden und Menschen begannen, gegen die Gesundheitsreform und für Arafad („Arafad for President“) auf die Straßen zu gehen. Obwohl Basescu das Risiko dann doch noch erkannte und den Gesetzesentwurf öffentlich zurückzog, begannen in Bukarest und weiteren Großstädten regierungskritische Demonstrationen.
Die ursprünglich gegen die Gesundheitsreform gerichteten Proteste wurden zu spontanen Protesten unterschiedlicher Akteure, die alle ihren Anteil an der allgemeinen Unzufriedenheit ausdrücken wollten. Rentner protestierten gegen die niedrigen Renten, ehemalige Revolutionäre gegen die Aufhebung ihrer Sonderrenten, Umweltschützer gegen eine geplante Goldmine, Studenten gegen die „politische Klasse“ und Lehrer gegen die Bildungsreform. Einige jungen Demonstranten wussten nicht so genau, wogegen sie eigentlich waren, genossen aber das gemeinsame Miteinander und die Möglichkeit, einmal im Fernsehen aufzutreten.
Hooligans nutzen Aufruhr
Zu Beginn der Demonstrationen verlegten gewaltbereite Anhänger lokaler Fußballclubs ihren Kampf vom Stadion – wo dieser wegen der Polizeikontrollen nicht mehr möglich war – auf die Straße, schmissen Pflastersteine und Brandsätze und folgten damit ihrem wilden Zerstörungstrieb. Einige Fernsehsender witterten eine Sensation und dramatisierten die Ereignisse durch eine geschickte Bildführung. Es entstand der Eindruck von gewalttätigen Massenprotesten gegen die Politik des Landes. Tatsächlich demonstrierten in Bukarest in den Tagen seit dem 13. Januar nie mehr als 1500 bis 2000 Menschen, in anderen Städten eher noch weniger. Die Gendarmerie schätzte die Gesamtzahl der Demonstranten für den 16. Januar auf ca. 13.000 Menschen im ganzen Land, etwa 150 Personen wurden vorläufig festgenommen.
Veränderung der politischen Kultur
Es war damit keine Massenbewegung und auch nicht – wie in einigen Medien fälschlicherweise berichtet – eine in hohem Maße gewalttätige Demonstration. Trotzdem sind die Protestkundgebungen bemerkenswert und könnten einen Meilenstein in der Entwicklung der politischen Kultur des Landes bilden. Rumänische Kommentatoren sahen das Land „endlich in der Zivilisation der europäischen Staaten“ angekommen und verwiesen auf Proteste in London, Madrid und Athen. Man mag diese Errungenschaft unterschiedlich bewerten. Angesichts einer in Rumänien längst nicht ausreichenden Kontrolle der Regierungspolitik durch die Opposition (auch diese wurde von den Demonstranten als Teil der politischen Klasse angegriffen) und angesichts der Interessengebundenheit vieler Journalisten vor allem der privaten elektronischen Medien mangelte es in Rumänien bislang an einer effizienten Kontrolle der Politik und an einer konstruktiven politischen Streitkultur. 20 Jahre nach dem Ende der rumänischen Diktatur gibt es nun Anzeichen für ein Ende der Apathie und eine dringend benötigte, stärkere politische Teilhabe der Gesellschaft. Und es gibt Anzeichen dafür, dass die politischen Akteure die Zeichen der Straße erkennen. Die schnelle Rücknahme des Gesetzentwurfes zur Gesundheitsreform wurde verbunden mit einer Einladung an gesellschaftliche Organisationen und berufsständischen Vertretungen zur Mitwirkung an einem neuen Gesetzentwurf. Zu den Eingeladenen zählt auch Arafat, der nun auch wieder ins Ministerium zurückkehrt. Sollte es nicht doch noch zu einer Instrumentalisierung der Demonstrationen durch Populisten oder Hooligans kommen, könnten sich die jetzigen Ereignisse als sehr nützlich für die weitere Demokratieentwicklung Rumäniens erweisen. Für die von der Demokratisch-Liberalen Partei geführte Regierungskoalition sind die jetzigen Tage dennoch ein Desaster.
Einmal mehr konnte sie trotz guter Absichten nicht punkten und leistete sich einen vermeidbaren Fehler.