Статьи
Bei der Suche nach den Ursachen richtet
sich der Blick vor allem auf die Religion. Aber ist der Islam wirklich antisemitisch und woher
kommt die Feindschaft gegenüber Juden unter Muslimen? Vieles spricht dafür, dass die derzeitige
Debatte den falschen Akzent setzt.
Import und Ideologie
Tatsächlich gibt es auch in Deutschland seit vielen Jahren eine akademische Debatte über Judenfeindlichkeit
im Islam. Trotz zum Teil unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen besteht hier weitgehende
Übereinstimmung, dass der in nah- und mittelöstlichen Gesellschaften verbreitete und
wachsende Judenhass ein Phänomen der Moderne darstellt und weniger religiös als vielmehr politisch
und ideologisch begründet ist.
Es finden sich in den islamischen Gründungstexten durchaus Stellen, die judenfeindlich gelesen
werden können und auch gelesen werden. Dennoch war ein Antijudaismus, wie er das Christentum
prägte, im islamischen Raum lange unbekannt. Das änderte sich erst, als mit dem Kolonialismus
europäische Vorstellungen in den Nahen Osten einsickerten, darunter auch die verbrecherischen.
Auf fruchtbaren Boden fielen diese Ideen vor allem bei jenen, die den Islam als politisch-ideologische
Alternative zu westlichen Ordnungsmodellen interpretierten: die Islamisten. Sie entwarfen als
erste in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts einen ideologisch
geprägten Judenhass nach europäischen Vorbildern.
Staatliches Versagen und staatliche Verantwortung
Wie andere Narrative, Ideen und Symbole des Islamismus fand der islamistische Judenhass in der
zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts dann zunehmend Eingang in das Denken des gesellschaftlichen
Mainstreams. Die noch jungen Staaten und Regime in der Region hatten hieran erheblich
Anteil. Der Nahostkonflikt oder genauer, die Feindschaft zu Israel, diente ihnen als identitätsstiftendes
Narrativ und als bequeme Ablenkung von eigenen Versäumnissen. Später trat dann der
Versuch in den Vordergrund, dem erstarkenden politischen Islam durch Übernahme einiger seiner
Forderungen und Ideen das Wasser abzugraben. Vor allem der islamistische Judenhass passte ins
Kalkül – konnte er doch gegen den politischen Gegner Israel in Stellung gebracht werden, ohne im
Inneren für Verwerfungen zu sorgen.
Aber solange Islamisten und Medien noch weitgehend unter staatlicher Kontrolle waren, vollzog sich
der gesellschaftliche Wandel nur allmählich. Noch Mitte der Neunzigerjahre konnte man in den Reisebüros
am Kairoer Tahrir-Platz israelische Flaggen sehen, jüdische Besucher waren auf dem Sinai
gern gesehen und selbst in Syrien beobachtete man die Annäherungen im Rahmen des Camp-David
Prozesses mit Hoffnungen.
Damit war spätestens in den Nullerjahren Schluss. Geduldet und gefördert von den Regierungen
und befeuert von privaten Fernsehkanälen und später den sozialen Medien avancierte der ursprünglich
islamistische Judenhass zum Allgemeingut. Berufsverbände, öffentliche Einrichtungen, Religionsbehörden
und staatliche Medien zogen nach. „Israeli“ und „Jude“ wurde im Sprechen und Denken
vieler Syrer, Iraker, Libanesen und Ägypter zu Synonymen und zu Schimpfwörtern in einem zunehmend
von Desinformation, Hysterie und Verschwörungsmythen geprägten Diskurs.
Eingewanderter Diskurs
Dass dieser Diskurs nicht bei Grenzübertritt abgelegt wird, sollte eigentlich klar sein. Die neue Judenfeindlichkeit
ist damit vor allem nah- und mittelöstlich und wird hierzulande durch Ausgrenzungserfahrungen,
Identitätsdiskurse und Radikalisierungstendenzen weiter verstärkt. Ursächlich islamisch
ist sie nicht.
Hat das alles also nichts mit dem Islam zu tun? Keineswegs, denn auch der Islam ist hierzulande
noch in seinen nahöstlichen Herkunftskulturen beheimatet. Dementsprechend sind antijüdische
Schriften und Predigten auch in deutschen Moscheen verbreitet. Muslimische Verbände und Multiplikatoren
müssen hiergegen viel stärker vorgehen. Aber das wird nicht reichen. Der Skandal
um die Verleihung des Musikpreises Echo zeigt die erschreckende Normalität des Judenhasses in
manchen nahöstlich geprägten Milieus und darüber hinaus, ob religiös oder nicht.
Judenhass als außenpolitische Aufgabe
Die neue Form des Judenhasses ist deshalb nicht nur eine gesellschaftliche und innenpolitische
Herausforderung. Sie muss auch zum Thema der Außenpolitik gegenüber den Staaten im Nahen
und Mittleren Osten gemacht werden. Die primären Ursachen für den eingewanderten Judenhass
finden sich weniger im Koran oder in der israelischen Politik sondern vielmehr im Denken und
Handeln der politischen Akteure in Kairo, Damaskus, Bagdad und anderswo in der Region. Dass
der neue Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung ein erfahrener Außenpolitiker ist,
weist deshalb in die richtige Richtung.
Bitte melden Sie sich an, um kommentieren zu können