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Aus Anlaß der Vorlage des diesjährigen Länderfortschrittsberichts der EU-Kommission am 8.11.2000 in Brüssel

Автор: Sabine Habersack
Rumänien ist trotz des für das Land ungünstigen Berichts weiterhin entschlossen, das Hürdenrennen für den EU-Beitritt fortzusetzen

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Als Günther Verheugen, der für die Erweiterung der Europäischen Union (EU) zuständige Kommissar, am vergangenen Mittwoch in Brüssel den diesjährigen Bericht der Europäischen Kommission über die Fortschritte Rumäniens auf dem Weg zu einem Beitritt in die EU übergab, kritisierte er vor allen Dingen die langsame wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die fehlenden Fortschritte im Bereich der Privatisierung. Ihm zufolge herrsche in Rumänien noch "keine freie Marktwirtschaft". Außerdem sei die makroökonomische Stabilität eher schwach, da die nötigen Strukturreformen bis jetzt nicht umgesetzt worden seien.

Wegen der weiterhin herrschenden Rechtsunsicherheit in einigen entscheidenden Bereichen -insbesondere was die Eigentumsfragen betrifft - sei außerdem das Wirtschaftsklima "unattraktiv". Schließlich meinte Verheugen, dass die Transparenz des Finanzsystems leider "begrenzt" sei; trotz der Freigabe der Preise würden aber insbesondere jene für öffentliche Dienstleistungen immer noch kontrolliert.

Positiv dagegen wurde von ihm erwähnt, dass es die Regierung geschafft habe, das Haushaltsdefizit von 5 auf 3,5 % zu reduzieren.

Der Fortschrittsbericht ist in Bukarest in der heißen Wahlkampfphase für die Parlaments- und Präsidentenwahlen erwartungsgemäß auf großes Interesse gestoßen. Seit dem 9. November beschäftigten sich alle großen Zeitungen mit den Hauptaussagen des Berichts. Überschriften wie "Malta und Zypern an der Spitze, Rumänien und Bulgarien hinten" (Cronica românã, 10. 11. 2000), "Die Europäische Kommission ist sehr besorgt wegen der wirtschaftlichen und politischen Lage Rumäniens" (Adevarul, 9. 11. 2000), aber auch "Mugur Isãrescu: Rumänien soll das Hürdenrennen in Richtung EU fortsetzen" (Curentul National, 9. 11. 2000) springen dem Leser sofort entgegen.

In den Zeitungen werden aber nicht nur die Ergebnisse des Fortschrittsberichts dargelegt, sondern bekannte und anerkannte Hauptkommentatoren der großen Zeitungen beschäftigen sich in ihren Spalten mit diesem und seinen möglichen Folgen. So schreibt Bogdan Ficeac, der dem christdemokratischen Lager unter den Journalisten zugerechnet werden kann, in der auflagenstärksten Zeitung "România liberã", dass die dramatischste Äußerung des Berichts sicherlich die Feststellung sei, dass Rumänien immer noch keine funktionierende Marktwirtschaft habe. Außerdem hebt er in seinem Kommentar hervor, dass in dem Bericht das Problem der Korruption unter der überschrift "Versagen des politischen Charakters" stehe.

Nach Ansicht von Ficeac sei nun das Hauptproblem, dass mit Blick auf die zukünftige Einschätzung möglicher Fortschritte des Landes vieles von den anstehenden Parlaments- und Präsidentenwahlen Ende November abhinge, bei denen die oppositionelle Partei der Sozialen Demokratie in Rumänien (PDSR) mit Präsidentschaftskandidat Ion Iliescu an der Spitze der Gewinner sein werde. Denn der Fortschrittsbericht sei ein willkommenes Wahlkampfargument für die PDSR mit ihren national - populistischen Aussagen - auch in bezug auf den Bericht - dass Rumänien keine "Befehle" von internationalen Institutionen benötige.

Solche Äußerungen - so Ficeac - wären für die Zukunft von Rumänien nicht hilfreich, sondern würden eher die Beziehungen zur EU abkühlen lassen. Insofern liege die einzige Chance des Landes jetzt darin, dass das Ergebnis der Parlamentswahlen ausgeglichener als bisher angenommen ausfallen und die Präsidentschaft von einer Person übernommen werde, die im Ausland anerkannt sei, wie z. B. von Mugur Isãrescu.

Auch andere namhafte Journalisten heben in ihren Kommentaren hervor, dass das schlechte Ergebnis des Fortschrittsberichts ein "Geburtstagskuchen" für den vorhergesagten Wahlsieg der PDSR sei.

Was die Stellungnahme der Politiker betrifft, so zeigte sich Premierminister und Präsidentschaftskandidat Mugur Isãrescu am wenigsten zufrieden. Bei einem Treffen des Deutschen Wirtschaftsclubs am vergangenen Mittwoch in Bukarest erklärte er, dass die Realität im Land besser sei als in dem Bericht dargestellt. Außerdem merkte er kritisch an, dass sich der Bericht der Europäischen Kommission zu sehr auf die Evaluierungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) stütze, die oft oberflächlich und mangelhaft wären.

Die Haupthindernisse auf dem Weg zu einer entscheidenden Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Landes seien sicherlich

  • der berechtigte Mangel an Glaubwürdigkeit,

  • die tiefsitzende Korruption,

  • die hohe Inflation und

  • die nicht entscheidend vorangetriebene Privatisierung.

Deswegen hätten die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit, die überwindung des fehlenden Vertrauens in eine gute wirtschaftliche Zukunft des Landes und das Herstellen eines investitionsfreundlichen Klimas oberste Priorität.

Andererseits würden die negativen Äußerungen Dritter über die wirtschaftliche Situation Rumäniens dem Land nicht helfen, sondern es in einen Teufelskreislauf drängen, aus dem herauszukommen sehr schwer sei. Zudem seien in seiner 10-monatigen Amtszeit als Premierminister auch wichtige Fortschritte erreicht worden, die ebenso erwähnt werden müssten. Deswegen werde er in wenigen Tagen einen eigenen Bericht mit Einschätzungen über den realen Zustand der rumänischen Wirtschaft vorlegen.

So seien der Export in den letzten Monaten um 24 % gestiegen, die industrielle Produktion um 8 % und das gesamte wirtschaftliche Wachstum um weitere 2 %. Nur die Inflation mit 40 % in diesem Jahr hätte die Regierung nicht kontrollieren können, aber auch hier bestünden Möglichkeiten für Fortschritte.

Außenminister Petre Roman, der ebenfalls für das Präsidentenamt kandidiert, wies dagegen darauf hin, dass der Bericht sich in erster Linie auf die wirtschaftlichen Aspekte der Integration beziehe und demzufolge die Schlussfolgerungen "objektiv" seien und sehr ernst genom-men werden sollten. Er wies darauf hin, dass die Fortschritte Rumäniens nicht in allen Kapiteln nur schlecht eingeschätzt worden seien, sondern dass das Land in manchen sogar eine günstige Position im Vergleich zu den anderen Beitrittskandidaten einnehmen. Außerdem hob der Außenminister hervor, dass in politischer Hinsicht die Fortschritte als sehr erfreulich eingeschätzt würden und Rumänien fast alle politischen Beitrittsbedingungen erfülle. Deswegen halte er an seiner überzeugung fest, dass Rumänien 2007 der EU beitreten werde.

Theodor Stolojan, ehemaliger Premierminister und schärfster Konkurrent von Mugur Isãrescu im Hinblick auf die 2. Wahlrunde für die Präsidentenwahlen gegen den PDSR - Favoriten Ion Iliescu, kommentierte das Ergebnis des Fortschrittsberichts der Europäischen Kommission lediglich mit der lapidaren Bemerkung: "Keine Neuigkeit". Er glaube auch nicht an eine - etwa von Premierminister Isãrescu behauptete - falsche Einschätzung durch die internationalen Institutionen, da Rumänien "rund um die Uhr beobachtet" werde.

Fokion Fotiadis, EU-Vertreter in Bukarest, wies darauf hin, dass die Fortschritte in der rumänischen Wirtschaft zu gering seien, um zu einer positiveren Einschätzung gelangen zu können. In bezug auf Isãrescus Behauptung, dass der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission sich zu sehr auf die oft mangelhaften Evaluierungen des IWF stütze, erklärte er in einer TV - Nachrichtensendung, dass die Daten des Berichts doch in erster Linie von der Regierung selbst stammen würden. Im übrigen vertraue die EU weiterhin Rumänien; die Frage sei nicht, ob das Land überhaupt der EU beitreten solle, sondern wann.

Aurel Ciobanu-Dordea, rumänischer Chef-Unterhändler in Brüssel hielt den Fortschrittsbericht für nützlich, da er die Schwächen des Landes auf dem Weg in die EU aufzeige und damit helfe, die geeigneten Maßnamen zur Verbesserung der Situation Rumäniens zu ergreifen.

Trotz dieses kontroversen Meinungsbildes darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es in Rumänien - im Vergleich zu den übrigen Beitrittskandidaten - die höchste Zustimmung der Einwohner zu einem Beitritt der EU gibt, nämlich 72 %.

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