Der Zensus erfolgte mittels einer kombinierten Methode aus Erfassung vor Ort sowie Nutzung von 12 Datenbanken. Den veröffentlichten Ergebnissen zufolge bekannten sich 54,21 % von der Gesamtheit der sowohl im In- als auch Ausland erfassten Personen als ethnische Mazedonier, 29,52 % als Albaner, fast 4 % als Türken, 2,34 % als Roma, 1,18 % als Serben, 0,87 % als Bosniaken und 0,44 % als Arumunen.
Bevölkerungsrückgang und Boykott der Volkszählung
Am 30. März 2022 wurde der erste Teil der Volkszählungsergebnisse präsentiert, der die Daten zur Gesamtbevölkerung enthielt. Aufgeschlüsselt wurde nach Wohnort im In- und Ausland, Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Muttersprache und der überwiegend verwendeten Sprache in den Haushalten, Anzahl der Wohnungen sowie Anzahl der Haushalte. In den kommenden Monaten werden auch die Teile des Zensus präsentiert, die die Bildungsgrade und Wirtschafts- und Einkommensverhältnisse der Bevölkerung betreffen.
Laut Aussage des Direktors des Staatlichen Amts für Statistik, Apostol Simovski, zählt die in Nordmazedonien ansässige Gesamtbevölkerung 1.836.713 Personen, die nicht ansässige Bevölkerung 260.606. Von der ansässigen Bevölkerung sind 58,44 % Mazedonier, 24,3% Albaner, 3,86% Türken, 2,53% Roma, 1,3% Serben, 0,87% Bosniaken und 0,47% Arumunen, wohingegen sich die nicht ansässige Bevölkerung (Staatsangehörige der Republik Nordmazedonien, die mehr als 12 Monate im Ausland leben), die mit dem Zensus erfasst wurde, in 24,45% Mazedonier, 66,36% Albaner, 4,79% Türken, 1,02 Roma%, 0,19% Arumunen, 0,35% Serben und 0,81% Bosniaken aufteilt. Zudem wurde eine Gesamtanzahl von 598.632 Haushalten ermittelt.
Im Vergleich zur letzten Volkszählung in 2002 ist die Gesamtbevölkerung um 185.800 Personen zurückgegangen, wohingegen die Zahl der Haushalte um 6,1 % und die Zahl der Wohnungen um 20,2 % gestiegen ist.
Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Nordmazedonien liegt bei 40 Jahren. 50,4 % der ansässigen Bevölkerung sind Frauen, 49,6 % Männer. Eine nicht unbedeutende Zahl der ansässigen Bevölkerung, 7,2 % oder 132.000 Personen, sind ausschließlich nach administrativen Quellen erfasst worden. Diese wurden entweder nicht zu Hause angetroffen oder haben die Datenerfassung aus unterschiedlichen Gründen verweigert. Hier ist zu vermuten, dass diese den Boykottaufrufen der national- und linkspopulistischen Partei LEVICA mit ihrer Kampagne „Ich öffne nicht die Tür“ folgten. Unter Zugrundelegung der vorhandenen Daten zu den Gemeinden und Wahlergebnissen in den Orten dieser Personen kann stark davon ausgegangen werden, dass die überwiegende Mehrzahl dieser Personen orthodoxe Mazedonier sind. Die Nichtberücksichtigung dieser Personengruppe am Gesamtergebnis kann daher eine Verzerrung des Bevölkerungsverhältnisses bei Ethnie, Sprache und Religion erzeugt haben.
In Bezug auf die Religionszugehörigkeit sind 46 % christlich-orthodox, 32 % muslimisch, 13,21 % haben sich als Christen geäußert.
Mazedonisch ist die Muttersprache von 61 %, Albanisch von 24 % und Türkisch von 3,5 % der Bevölkerung.
Der Zensus zeigt, dass die Hauptstadt des Staates, Skopje, 526.500 Einwohner hat. Dies sind 3,9 % mehr als bei der Zählung vor 20 Jahren. Andererseits hat sich die Zahl der Wohnungen in der Hauptstadt um mehr als 30 % erhöht. Im Unterschied zu Skopje, wo ein Bevölkerungswachstum zu notieren ist, ist die Lage im Land ansonsten genau umgekehrt. Mehr als 60 Gemeinden (von insgesamt 80 Gemeinden und Stadt Skopje) in Nordmazedonien haben einen großen Teil ihrer Bevölkerung verloren; teilweise aufgrund von Binnenmigration, teilweise aufgrund von Abwanderung ins Ausland.
Unterschiedliche Wahrnehmung der Ergebnisse unter den Parteien
Bereits 2011 wurde ein Anlauf für eine neue Volkszählung unternommen, welche aber aufgrund der nicht möglichen Einigung über die Parameter unter ethnischen Gesichtspunkten nicht durchgeführt werden konnte.
Auch in der aktuellen Volkszählung dominierten ethnische, religiöse und Identitätsfragen, welche im Vorbereitungsprozess teilweise erbittert diskutiert worden waren. So sieht die mazedonische Verfassung garantierte Minderheitenrechte ab einem Bevölkerungsanteil von 20% vor, was die albanische Bevölkerung betrifft. Darüber hinaus stellte die für Volkszählungen eher unübliche Einbeziehung der Diaspora (zumindest wenn der Zensus der Verbesserung der Verwaltungseffizienz dienen soll) einen großer Konfliktpunkt dar. In Anbetracht des Ohrid-Abkommens 2001, welches Mazedonier und Albaner zur Abwendung eines „fast-Bürgerkrieges“ zwischen beiden Bevölkerungsgruppen unterzeichneten, sind dies noch immer sensible Themen für Nordmazedonien.
Insofern verwundert es nicht, dass je nach Ethnie und Regierungs- oder Oppositionsrolle die Reaktionen der politischen Kräfte unterschiedlich ausfielen:
Für die Regierungsparteien war der Zensus erfolgreich, umgesetzt nach europäischen Standards und mit realistischen Zahlen, anhand derer die künftigen staatlichen und lokalen Politiken gestaltet werden können, die die Entwicklung der gesamten Gesellschaft sicherstellen. Aus Sicht der Oppositionsparteien wiederum ist die Volkszählung ein völliger Misserfolg: Die Zahlen reflektierten nicht die tatsächliche Situation im Staat und der Diaspora, die Methodologie sei falsch und die Ergebnisse nicht korrekt.
Die größte Oppositionspartei, VMRO-DPMNE, kündigte einen elektronischen Zensus an, den sie durchführen würde, wenn sie Regierungsverantwortung übernimmt. Sie sah den Bevölkerungsverlust durch Auswanderung als eine Reaktion auf die Politik der Regierungsparteien und insbesondere SDSM.
Sie erhob Vorwürfe in Bezug auf den Misserfolg wegen der Auswanderungswelle, bewertete die Volkszählung jedoch auch als unvollständig, da es laut Partei unzulässig sei, 132.000 Bürger allein anhand von administrativen Quellen zu erfassen, wobei deren ethnische und religiöse Zugehörigkeit sowie die Muttersprache nicht ausgewertet wurde.
Der Vorsitzender der größten albanischen Regierungspartei DUI, Ali Ahmeti, bewertete den Zensus als erfolgreich und von der Expertenöffentlichkeit anerkannt. Er verwies darauf, dass die Ergebnisse nicht zu interethnischen oder politischen Auseinandersetzungen führen dürfen. Ahmeti betonte, dass die DUI bei der ersten sich bietenden Gelegenheit fordern werde, dass in der mazedonischen Verfassung die Formulierung „Sprache, die mindestens von 20 % gesprochen wird“ durch „albanische Sprache“ ersetzt wird.
Laut den oppositionellen albanischen Parteien Allianz für die Albaner und BESA sei die DUI schuld an der Massenabwanderung der Albaner aus dem Land und ihnen zufolge sei die Zahl der ausgewanderten Albaner sehr viel höher als der Zensus angibt.
Die bereits erwähnte LEVICA, die zum Boykott aufrief, stellte die Ergebnisse dahingehend in Frage, dass es sich um eine politische Operation handele, die unter dem Dirigentenstab der nationalistischen albanischen DUI und abgesegnet von der SDSM ausgeführt worden sei. Der Partei zufolge sei die Zählung ungültig, da rund 132.000 Bürger nicht direkt erfasst worden waren. Problematisch sei auch die Einbeziehung der Diaspora, da dies die Ergebnisse verfälsche, aber aufgrund des Lobbyierens von DUI zu Stande gekommen sei, die den Anteil der Albaner künstlich erhöhen wollte.
Reaktionen auch von den kleineren ethnischen Gemeinschaften und der Mazedonisch-Orthodoxen Kirche
Ein Teil der zahlenmäßig weniger starken ethnischen Gemeinschaften erkannte die Ergebnisse der Volkszählung ebenfalls nicht an. Die türkische, bosniakische, arumunische und Roma-Gemeinschaft sind jeweils der Ansicht, dass ihre Bevölkerungsanteile nicht realistisch widergespiegelt werden.
Auch die Mazedonisch-Orthodoxe Kirche (MPC), das Ohrider Erzbistum (OE), äußerte sich zu den Ergebnissen, nachdem es beim Zensus zu zwei parallelen Kategorien, der Orthodoxen und der der Christen, gekommen war. Laut MPC-OE ist ebenso umstritten, dass bei der Volkszählung nicht zwischen Religion, Glaubensbekenntnis und Glaubensgemeinschaften oder –gruppen unterschieden wurde. Die Orthodoxe Kirche betont in ihrer Reaktion, dass die Bürger bei der Erfassung ihrer Orientierung in einen Irrglauben geführt worden seien. Gleichzeitig bewertet die MPC-OE die bevölkerungsrelevanten Daten aus dem Zensus als irrelevant, vor allem im Bereich der religiösen Zugehörigkeit. Sie zieht den Schluss, dass ein schwerwiegender statistischer Fehler vorliege, welcher der Kirche zufolge ca. 13 % der Bevölkerung betreffe.
Der Zensus ist abgeschlossen
Nach dem Direktor des Staatlichen Statistischen Amts, Apostol Simovski, ist der Zensus abgeschlossen und eine zusätzliche Überprüfung jener, die sich im September 2021 nicht haben erfassen lassen, unmöglich. Wie Simovski betonte gibt es ebenfalls keine Möglichkeit für Gesetzesänderungen, mit denen eine solche ermöglicht würde; alle Bürger hätten ihm zufolge eine ausreichende Frist gehabt, sich erfassen zu lassen.
Der Direktor des Staatlichen Statistischen Amts erläuterte, dass 132.000 Personen nicht erfasst worden seien, weil der Prozess während der Zeit der Jahresurlaube und der Covid-19-Pandemie stattfand. Außerdem habe es sich um einen Zeitraum gehandelt, in der intensive landwirtschaftliche Arbeiten ausgeführt worden seien. Es sei zwar auch vorgekommen, dass der Zensor jemanden ausgelassen habe, jedoch habe es ebenso sowohl einen versteckten als auch einen offenen Boykott gegeben.
Simovski zufolge habe der Boykott in Organisation verschiedener politischer Subjekte einzig die Absicht gehabt, politisch zu punkten. Er sei rein populistisch und dumm gewesen.
Simovski erläuterte auch, dass diese 132.000 Bürger keineswegs nicht erfasst worden seien, da für sie die ausschlaggebenden Daten bereitgestellt wurden, zu denen lediglich die ethnische und religiöse Zugehörigkeit sowie Muttersprache nicht zählen.
Die EU begrüßt den Zensus, Bulgarien zeigt sich von Ergebnissen überrascht
Die Europäische Kommission begrüßte die Volkszählung und bewertete sie als große Errungenschaft. Der Kommission zufolge sind die aktualisierten Bevölkerungsdaten wesentlich für die Planung und Implementierung einer entsprechenden Sozial-, Demografie- und Wirtschaftspolitik zum Wohl aller Bürger in Nordmazedonien.
Im schwelenden identitätspolitischen Streit mit dem Nachbarn Bulgarien, der auf in der mazedonischen Verfassung niedergelegte Minderheitenrechte für Bulgaren pocht, sorgte das Ergebnis der Volkszählung für Missstimmung - nur 3.504 Personen erklärten sich als Bulgaren, von denen wiederum nur weniger als die Hälfte sich als bulgarische Muttersprachler bezeichneten.
Das bulgarische Außenministerium äußerte daher Zweifel an der Korrektheit der Daten, denn es bestünde eine große Diskrepanz zu den präsentierten Daten und der Zahl von mehr als 100.000 Bürgern Nordmazedoniens, die persönlich Dokumente zum Nachweis ihrer bulgarischen Herkunft vorgelegt hatten, um die bulgarische Staatsangehörigkeit zu erhalten.
In diesem Zusammenhang muss allerdings relativierend betont werden, dass es sich bei den 100.000 Mazedoniern mit bulgarischem Pass mehrheitlich um Doppelstaatler handelt, die aus wirtschaftlichen Vorteilen eines bulgarischen EU-Passes die Staatsangehörigkeit erworben haben. Der Nachweis der bulgarischen Wurzeln ist für Mazedonier sehr einfach und mit einem Bekenntnis zur bulgarischen Kulturnation zu erreichen. Zudem muss in Betracht gezogen werden, dass Bulgarien eine eigenständige mazedonische Nation und Kultur ohnehin in Frage stellt. Auch wenn Fehler und Unregelmäßigkeiten nicht ausgeschlossen werden können, erscheint das Missverhältnis von 3.504 (Volkszählungsergebnis) zu 100.000 (mit bulgarischem Pass) nicht als Argumentationsstütze für die bulgarische Perspektive.
Wann wird der Zensus Instrument effizienten Verwaltungshandelns?
Dass nach zwei Jahrzehnten wieder ein Zensus durchgeführt wurde ist einerseits als Erfolg zu sehen, doch zeigt andererseits die Fokussierung der politischen Parteien auf ethnische- und Identitätsfragen, dass der Wert des Instruments Zensus nicht in seiner eigentlichen Funktion der Anpassung staatlicher Ressourcen an demografische Veränderungen lag.
Der Zugang zu staatlichen Ressourcen, Arbeitsstellen und Sonderrechten, welcher sich auf den verschiedenen Verwaltungsebenen am Bevölkerungsproporz ausrichtet, ist für viele Akteure die relevantere Statistikgröße. Die Erhebung der Zahlen der im Ausland Lebenden mag eine interessante Ziffer sein, doch für die Entwicklung des Landes innerhalb seiner Grenzen ist sie kaum relevant.
Das nach Mazedoniern und Albanern die drittgrößte Gruppe diejenigen darstellen, die nicht erfasst werden wollten oder konnten, stellt eine große statistische Unsicherheit für die Ergebnisse dar. Darüber hinaus gibt es weitere Ergebnisse, die am Wert der Volkszählung zweifeln lassen bzw. die Ineffizienz der staatlichen Verwaltung aufzeigen:
So sei in der Hauptstadt Skopje in den letzten 20 Jahren die Bevölkerung um knapp 4 % angewachsen, jedoch die der Wohnungen um ganze 30 %. Der Fehler liegt sowohl in einer nachlässigen Handhabung des Meldewesens seitens der Verwaltung als auch bei den Bürgerinnen und Bürgern selbst. Alle Bürger, die einen ständigen Wohnsitz in Skopje haben – egal, ob sie aus einer anderen Gemeinde zugezogen sind oder nicht – müssten sich als Einwohner der Hauptstadt an- und ggf. ummelden. Die Ergebnisse der Volkszählung zeigen, dass dies offensichtlich kaum der Fall ist und die Ergebnisse in allen mazedonischen Städten und Gemeinden verfälscht und keine zuverlässige Datengrundlage für die Verteilung staatlicher Ressourcen sind.
Berücksichtigt man außerdem, dass nach den Daten des Innenministeriums ca. 2,5 Mio. Staatsangehörige registriert sind, muss geschlussfolgert werden, dass auch die Zählung der nicht ansässigen Bevölkerung unvollständig ist, denn mehr als 400.000 mazedonische Staatsangehörige sind mit diesem Zensus nicht erfasst worden. Außerdem stellt sich auch die Frage, warum dann nur bei der ansässigen Bevölkerung eine administrative Erfassung der 132.000 oder 7,2% Nichtteilnehmer erfolgte.
Zweifellos hat die jüngere Geschichte des multiethnischen Landes gefährliche Spannungen zwischen den Ethnien erlebt und der Proporz und Minderheitenrechte sind wichtige Instrumente des Ausgleichs. Gleichwohl sollte man Minderheitenrechte nicht von marginalen Veränderungen des Prozentsatzes beim Bevölkerungsanteil ableiten, sondern generelle Garantien geben, damit Instrumente wie der Zensus nur zur quantitativen Bestätigung von Mindestquoren dienen.
Es wurde bereits angekündigt, dass die nächste Volkszählung auf den Daten der Verwaltung beruhen soll. Dahingehend sind noch einige Anstrengungen zu unternehmen, damit die Datenbasis realistische Zahlen liefert. Nordmazedonien ist wie fast alle Länder der Region ein Auswanderungsland und steht damit demografischen Herausforderungen gegenüber. Es ergeben sich aber auch Chancen, da wie in anderen Auswanderungsländern auch Mittel aus der Diaspora zurückfließen. Diese Entwicklungen effizient zu steuern und knappe Ressourcen mit größtem Nutzen für alle Einwohner egal welcher Ethnie oder Religion zu verteilen, ist die zentrale Zukunftsaufgabe. Dafür benötigt es eine bessere und serviceorientierte Verwaltung aber auch die Einsicht der Bürgerinnen und Bürger, dass Mitarbeit und Kooperation mit staatlichen Stellen auch in ihrem Interesse ist. Dies sollte ein Ziel sein für ein Land, dass Teil der Europäischen Union werden möchte.
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