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Legal, nicht legitim

Автор: Anja Berretta

Wahlboykotte und eine angespannte Sicherheitslage überschatten die Parlaments- und Kommunalwahlen in Kamerun

Bei den Parlaments- und Kommunalwahlen in Kamerun konnte die Regierungspartei CPDM (Cameroon People’s Democratic Movement) ihre Dominanz festigen. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage in den anglophonen Provinzen des Landes sowie verschiedener Aufrufe zum Wahlboykott waren Teile der Bevölkerung von der Stimmabgabe ausgeschlossen. Die Legitimität der neu gewählten Assemblée Nationale und der Gemeinderäte kann daher in Frage gestellt werden. Trotzdem meldet die Regierung eine vermeintlich hohe Wahlbeteiligung, um zu beweisen, dass sich das Land auf dem Weg zurück zur Normalität befindet.

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Regierungspartei kann ihre Machtposition ausbauen, die Opposition verschwindet in der Bedeutungslosigkeit

 

Die Kraft der Erfahrung – dies war im 38. Jahr seiner Regierungszeit erneut der Wahlslogan von Präsident Paul Biya und seiner Partei CPDM, welche, wenig überraschend, die Parlaments- und Kommunalwahlen vom 09. Februar 2020 für sich entscheiden konnte. Die rund 6,8 Millionen Stimmberechtigten Kameruner hatten die Wahl zwischen 35 Parteien auf nationaler und 38 Parteien auf kommunaler Ebene. Auf kommunaler Ebene dominiert die CPDM nun das gesamte Staatsgebiet und konnte selbst traditionelle Oppositionshochburgen wie die Region Litoral mit der wirtschaftlichen Metropole Douala erobern. Dies ist besonders mit Blick auf die seit langem ausstehende Dezentralisierungsreform, welche mehr finanzielle Autonomie für die Kommunen vorsieht, entscheidend. Die CPDM ist nun in der Lage künftige Geldströme, die aus Jaunde in die Kommunen fließen sollen, im gesamten Land zu kontrollieren.

Im Parlament verfügt die Partei bereits seit 1997 über die absolute Mehrheit. Die größte Oppositionspartei SDF (Social Democratic Front), welche bisher 18 der insgesamt 180 Sitze für sich beanspruchen konnte, erhält künftig nur noch fünf Sitze. Die CRM (Cameroon Renaissance Movement) unter dem auch im Ausland bekannten Oppositionspolitiker Maurice Kamto wird künftig nicht mehr im Parlament vertreten sein, da sie die Wahlen boykottiert hatte.

Gegen die im März veröffentlichten Wahlergebnisse hatte nicht nur die CRM Widerspruch bei der nationalen Wahlkommission ELECAM eingelegt, sondern auch zahlreiche andere Parteien. Die ELECAM verkündete überraschend die Annullierung in 11 Wahlbezirken, in denen am 22. März 2020 erneut gewählt wurde. Die noch zu erwarteten Ergebnisse werden jedoch an dem Stimmenverhältnis im Parlament wenig ändern. Hier kommt die CPDM bereits heute auf 139 Abgeordnete. Da ein Großteil der Gesetze erfahrungsgemäß per Präsidialdekret und am Parlament vorbei erlassen wird, sind die legislativen Funktionen des Parlaments allerdings so stark eingeschränkt, dass die Zusammensetzung des Parlaments für die künftige Gesetzgebung im Land vermutlich keine wesentliche Rolle spielt.

Weder die Regierungspartei noch die Opposition präsentierte im Wahlkampf ein konkretes Programm, dabei sind die Herausforderungen im Land immens. Eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, mangelnde wirtschaftliche Perspektiven und die fragile Sicherheitssituation dominieren den Alltag der Kameruner. Keine Partei war jedoch imstande, hierzu konkrete Lösungsvorschläge anzubieten. Vorschläge für die Adaption an Klimawandelfolgen, welche in Kamerun bereits konkret spürbar sind, fanden ebenfalls keine Erwähnung.

 

Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Separatisten und Armee dauern an

 

Im Vorfeld der Wahlen hatten verschiedene Parteien sowie nationale und internationale Beobachter eine Verschiebung des Wahltermins gefordert. Grund hierfür sind die seit 2016 andauernden Ausschreitungen in den anglophonen Provinzen Südwest und Nordwest, welche zunehmend eskalieren.

Kamerun besteht aus zehn Provinzen, acht davon französischsprachig (ca. 20 Mio. Einwohner), zwei davon englischsprachig (ca. 5 Mio. Einwohner). Seit über drei Jahren herrscht in den anglophonen Provinzen ein Konflikt, der von einigen Beobachtern als Bürgerkrieg bezeichnet wird. Seit Beginn der Unruhen starben mehr als 3.000 Personen, mehr als 750.000 Menschen flüchteten oder wurden vertrieben. Zudem ist die Hälfte der verbliebenen anglophonen Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Gewaltsame Ausschreitungen lähmen zudem das öffentliche Leben in den Regionen; in zahlreichen Städten wurden strikte Ausgangssperren verhängt und Schulen sind teilweise seit mehreren Jahren geschlossen.

Der Regierung in Jaunde wird eine Unterrepräsentation der englischsprachigen Minderheit (ca. 20 Prozent der Bevölkerung) vorgeworfen. In der Tat sind im Kabinett zum Beispiel nur drei von 36 Ministerposten für anglophon-stämmige Minister reserviert. Diese „Schieflage“ ist in ähnlicher Form auch im Rechtssystem vorhanden, da das Justizsystem hauptsächlich auf dem frankophonen Gewohnheitsrecht basiert.

Historisch lässt sich der Konflikt auf problematische Grenzziehungen der ehemaligen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien zurückführen. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Kamerun als deutsche Kolonie zwischen Frankreich (vier Fünftel) und Großbritannien (ein Fünftel, darunter der englischsprachige Westteil Kameruns) im Rahmen des Versailler Vertrags aufgeteilt. 1960 erlangte das französische Kamerun die Unabhängigkeit. Der nördliche Teil des britischen Mandatsgebietes stimmte bei einer vorangegangenen Volksabstimmung für den Anschluss an Nigeria, der südliche Teil für einen Anschluss an den Staat Kamerun. Hier beginnt die gemeinsame Geschichte zweier komplett getrennter Verwaltungssysteme mit den Amtssprachen Französisch und Englisch, welche am 20. Mai 1972 in einen zentralistischen Einheitsstaat (Vereinigte Republik Kamerun) umgewandelt wurde. Die bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden föderalen Strukturen wurden aufgelöst, seitdem gibt es im Land zwei Amtssprachen, zwei Rechtssysteme und zwei Bildungssysteme.

Die anglophone Bevölkerung fühlt sich bei der Umsetzung dieses Systems jedoch diskriminiert; friedliche Proteste von Lehrern und Anwälten eskalierten im Jahr 2016 in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem Militär. Daraufhin radikalisierten sich Teile der Bevölkerung und fordern seitdem die Unabhängigkeit der anglophonen Provinzen als eigenen Staat „Ambazonien“. Hinzu gesellen sich mehr und mehr kriminelle Banden, die als Separatisten getarnt die Bevölkerung terrorisieren und Schutzgelder erpressen.

 

Nationaler Dialog bringt keinen Frieden

 

Der 87-jährige Präsident Paul Biya war im vergangenen Jahr für sein (Nicht)Handeln in diesem Konflikt zunehmend in die Kritik geraten, als dessen Ausmaß sowie Übergriffe des Militärs auf Zivilisten bekannt wurden. Ein Nationaler Dialog im September 2019, welcher u.a. einen Sonderstatus für die anglophonen Regionen festlegte, wird von der Bevölkerung in den betroffenen Regionen als Farce bezeichnet und konnte die Krise nicht beenden. Zudem waren Vertreter der anglophonen Bevölkerung, darunter auch konstruktive und friedfertige Akteure, der Veranstaltung ferngeblieben, da den Forderungen nach einem föderalen System bereits vor Beginn des Dialogs eine Absage erteilt worden war. Im Narrativ der Regierung Biya ist jedoch der groß inszenierte Nationale Dialog der Grundstein gewesen, um Frieden und Sicherheit im Land wiederherzustellen. Nachdem die Wahlen bereits seit 2018 zweimal verschoben worden waren, war deren Durchführung nun ein wichtiger Indikator, um auf nationaler und internationaler Ebene zu beweisen, dass sich Kamerun auf dem Weg zur Normalität befindet. Eine weitere Verschiebung hingegen wäre ein Eingeständnis der Regierung gewesen, die (Sicherheits-)Situation im Land nicht unter Kontrolle zu haben.

Paul Atanga Nji, Minister für territoriale Administration bemühte sich folglich kurz nach Schließung der Wahllokale zu versichern, die Wahlen hätten in allen 58 Regionen und 360 Bezirken in aller Ruhe und Ordnung effektiv stattgefunden.

 

Separatisten terrorisieren Bevölkerung

 

Kurz vor den Wahlen war es jedoch zu massiven Zwischenfällen gekommen, welche in der Rede von Atanga Nji keine Beachtung fanden. Um ihre Unabhängigkeit von der Regierung zu demonstrieren, hatten mehrere Separatistengruppen in den betroffenen Regionen zum Wahlboykott aufgerufen und sowohl den Kandidaten als auch der Bevölkerung Konsequenzen bei Nichtbeachtung angedroht. Um ihre Unabhängigkeit zu betonen, war es der anglophonen Bevölkerung untersagt, auch nur von Wahlen zu sprechen.

Seit Verkündung des Wahltermins im November 2019 haben bewaffnete Separatisten Häuser niedergebrannt und die Bevölkerung bedroht. Dabei haben sie es besonders auf Personen abgesehen, die aktiv als Kandidaten, Wahlhelfer oder Sympathisanten an den Wahlen teilnehmen wollten. Besonders hart traf es die SDF, welche traditionell starke Verbindungen zur anglophonen Minderheit hat. Dabei hat sich die SDF jedoch stets für eine friedliche Lösung des Konflikts eingesetzt und fordert mehr Autonomie anstelle von kompletter Unabhängigkeit. Den Separatisten geht dies nicht weit genug und sie bezeichnet die SDF als Verräterin der gemeinsamen Sache. Die Häuser mehrerer Kandidaten der SDF wurden im Januar und Februar 2020 niedergebrannt, seit Dezember 2019 wurden über 100 Mitglieder der SDF entführt und gegen Lösegeld wieder freigelassen. Vor dieser Kulisse zogen viele Kandidaten der SDF ihre Kandidatur zurück, was vermutlich ein Grund für das schlechte Abschneiden der SDF bei den Wahlen ist.

Am Wahltag verhängten bewaffnete Gruppen in vielen Orten Ausgangssperren, um den Gang zur Urne zu unterbinden. Die Bevölkerung in Südwest und Nordwest stand somit vor einem unlösbaren Dilemma: Bei einer Teilnahme an den Wahlen riskiert sie Gewalt durch die Separatisten, bleibt sie der Wahl fern, gilt sie als Unterstützer der Separatisten und muss Repressalien der Regierung und des Militärs fürchten.

Daher kann davon ausgegangen werden, dass sich die Wahlbeteiligung in den anglophonen Provinzen gegenüber den Präsidentschaftswahlen von 2018 noch einmal verschlechtert hat. Damals stimmten lediglich zwischen fünf und 15% der Bevölkerung ab. Die rund 400 staatlichen Sicherheitskräfte, welche den Wahlverlauf sichern sollten, haben Zeugen zufolge lediglich die Kampagnen der Regierungspartei CPDM geschützt und Unterstützer anderer Parteien attackiert.

Paul Atanga Nji konstatierte in seiner Erklärung jedoch, die Kameruner in den anglophonen Gebieten seien massiv zur Wahl gegangen, um ihren bürgerlichen Pflichten nachzukommen. Dies zeige, so Atanga Nji, dass die Boykottaufrufe von Terroristen bei der Bevölkerung keinen Anklang gefunden hätten. So recht glauben mag man dies allerdings nicht, und die Tatsache, dass hochrangige Politiker wie der ehemalige Premierminister Philémon Yang mit einem Helikopter und militärischer Eskorte zum Wahllokal im Nordwesten transportiert wurde, macht die Aussagen der Regierung unglaubwürdig.

 

Populärer Oppositionspolitiker ruft zum Wahlboykott auf

 

Der bekannteste Oppositionspolitiker Maurice Kamto rief die Bevölkerung ebenfalls zum Wahlboykott auf; seine Partei CRM nahm folglich an den Wahlen nicht teil. Als Grund nannte Kamto das Wahlsystem, welches auf die Regierungspartei CPDM zugeschnitten sei und andere Parteien systematisch benachteilige. So seien bereits vor Wahlbeginn 35 Parlamentssitze und 140 Gemeinderäte an die CPDM vergeben worden, weil in bestimmten Bezirken keine andere Partei zur Wahl zugelassen worden sei. Er kritisierte zudem die prekäre Sicherheitslage und die kurze Vorbereitungszeit. Kamto war im Januar 2019 inhaftiert worden, nachdem er sich im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen 2018 als Sieger erklärt hatte. Er wurde im Oktober 2019 aus der Haft entlassen.

Wie viele Kameruner seinem Apell gefolgt sind, ist schwer zu schätzen. Aussagen zufolge soll die Wahlbeteiligung bei unter 30% gelegen haben, internationale Beobachter berichten, dass am Wahltag gähnende Leere vor vielen Wahllokalen auch in den Metropolen Jaunde und Douala geherrscht habe. Die Regierung beziffert die Wahlbeteiligung indes auf 44%.

Die Regierung hat aus zwei Gründen ein Interesse an einer hohen Wahlbeteiligung. Zum einen würde dies den Eindruck verstärken, dass die Wahlen in einem normalen und sicheren Umfeld stattgefunden hätten und die Separatisten keinen Einfluss auf die Bevölkerung (mehr) ausüben würden. Zudem würde dies beweisen, dass der Staat in der Lage ist, seine Bevölkerung ausreichend zu schützen und das Militär den Separatisten überlegen wäre. Zum anderen hätte dies Oppositionspolitiker Kamto diskreditiert und die Position seiner Partei CRM empfindlich geschwächt.  

 

Kein Ende der Gewalt in Sicht

 

Ob diese Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten. Zur Befriedung des Landes jedenfalls haben die Wahlen bisher nicht beigetragen. Eine Woche nach der Wahl kam es im Nordwesten Kameruns zu einer der blutigsten Angriffe der kamerunischen Armee der letzten Jahre; bei dem Massaker wurden nach Berichten von Augenzeugen 21 Zivilisten getötet, darunter 14 Kinder. Es sieht daher so aus, als ob die Probleme Kameruns auf nationaler Ebene nicht mehr gelöst werden könnten.

Zahlreiche internationale Organisationen, darunter die EU und UN haben ein Ende der Gewalt im Land gefordert, relativ bedeckt hingegen hält sich die Afrikanische Union (AU). Zwar verurteilte die „African Commission on Human and Peoples‘ Rights“ (ACHPR) die Gewalttaten, allerdings hat der Sicherheitsrat der AU, zuständig für die Friedenswahrung auf dem Kontinent, bisher abgelehnt, die anglophone Krise in Kamerun zu thematisieren. Im April 2020 wird Kamerun in den Sicherheitsrat entsandt und es dürfte dann noch schwerer werden, die Krise auf die Agenda der AU zu setzen.

 

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Anja Berretta (geb

Leiterin des Regionalprogramms Energiesicherheit und Klimawandel Subsahara-Afrika

anja.berretta@kas.de

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