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Am Ende half auch eine Angst-Kampagne der linkspopulistischen Regierung nicht mehr: Macri gewann mit 51,4 Prozent der Stimmen und lag damit vor Scioli, der 48,6 Prozent erreichte.
Argentinien hat ein intensives Wahljahr hinter sich. Auf allen Ebenen wurde abgestimmt, über Abgeordnete, Bürgermeister, Gouverneure, mancherorts vier-, fünf-, sechsmal, und schließlich über das Staatsoberhaupt. Und es herrscht Wahlpflicht am Rio de la Plata. Der Wahlvorsteher, witzelten die Argentinier, spreche dich schon mit deinem Spitznamen an, so gut kenne der dich inzwischen. Am Ende stand eine Premiere: el ballotage, die erste Stichwahl um das Präsidentenamt in der Geschichte des Landes.
Die Argentinier, ob nun Regierungsanhänger oder -gegner, hatten sich schon im ersten Wahlgang am 25. Oktober kollektiv angebufft und die Augen gerieben. Waren wir das, haben wir wirklich so gewählt? Und was machen eigentlich unsere Meinungsforscher? Einen klaren Sieg Sciolis im ersten Wahlgang hatten die Umfragen vorhergesagt. Doch Scioli und Macri lagen fast gleichauf, erster mit 36,9 Prozent, zweiter mit 34,3 Prozent, getrennt von gerade einmal etwas mehr als zweieinhalb Prozentpunkten. Nun, am 22. November, war der Hauptstadtbürgermeister der große Gewinner des Abends. Er hatte zwar seit Jahren die Casa Rosada als politisches Ziel angegeben, aber seine Ankunft war eher nicht erwartet worden. Denn in Argentinien hielt sich bisher hartnäckig der Glaube, dass entweder ein Peronist Präsident wird – oder ein anderer Peronist. Und Macri ist ja nicht nur kein Peronist, er regiert auch noch die Hauptstadt, und dass von dort Gutes kommt, glaubt nur, wer dort lebt. Der Rest des Landes hält die Porteños, die Bürger von Buenos Aires, für Aufschneider und Besserwisser.
Und Scioli? Der war offiziell Sieger des ersten Wahlgangs, aber gefühlt der große Verlierer. Und die Aussichten für die Stichwahl waren eher schlecht. Nicht ohne Grund hatte die Regierung so sehr auf Triumph ohne Stichwahl gesetzt. Das Land ist gespalten: Der Kirchnerismus ist die stärkste Kraft im Land, aber sechs von zehn Argentiniern wählen seit Jahren Opposition. So war es auch wieder am 25. Oktober, nur diesmal gab es ein Danach – eine zweite Runde – mit nur noch einem Oppositionskandidaten.
Die Antwort der Regierung hieß „campaña del miedo“ – Angstkampagne. Wenn Macri gewinne, verliere der Peso an Wert, würden Staatsbetriebe verkauft, und der Zusammenbruch der argentinischen Industrie sei nur eine Frage der Zeit. Sciolis Wahlkampfteam warnte vor einer Rückkehr in die neunziger Jahre und verglich den Rivalen mit Carlos Menem, dem umstrittenen Präsidenten jener Zeit. Man wollte die Argentinier auf die eigene Seite ziehen, denn vorherrschende Meinung ist, dass die liberale Politik dieser Dekade Auslöser für den Staatsbankrott 2001 gewesen sei.
Nur zu Scioli passte diese Kampagne nicht. Er hatte sich den Ruf erworben, ausgleichend zu wirken und lieber den Dialog zu suchen als das Duell. Nun sollte er in die Schlacht ziehen und mit Dreck werfen, wobei er meist auf Macri zielte und manchmal auf Cristina Kirchner. Denn auch dieses Problem wurde er nicht los: Er war der Kandidat des Kirchnerismus, brauchte aber auch die Stimmen der gemäßigten Peronisten, die im ersten Wahlgang Sergio Massa gewählt hatten und sich eine politische Veränderung wünschten.
Beim ersten TV-Duell in der Geschichte des Landes eine Woche vor der Stichwahl folgte Scioli strikt seiner Argumentation und ließ keine Gelegenheit aus, um die Angst vor dem ajuste, dem Anpassen des Wechselkurses und dem Reformieren der Wirtschaft zu schüren. Schmerzhafte Reformen und eine Neuformierung der Wirtschaftspolitik wären allerdings auch mit ihm als Präsidenten unvermeidbar gewesen. Die Inflation liegt seit Jahren bei mindestens 30 Prozent, und die Zentralbank hat unter Kirchner die Devisenreserven durch die Politik des fixen Wechselkurses komplett aufgebraucht; 98 Prozent der Rücklagen des Landes liegen in fremder Hand und sind nicht frei verfügbar. Die Regierung tat ihr Übriges: Sie verschob in den letzten Tagen vor der Wahl tausende ideologiefeste Anhänger auf unkündbare Beamtenstellen; sie verkaufte Dollar, die sie nicht hatte, zum offiziellen Wechselkurs –also weit unter Wert; abgewählte Bürgermeister oder Gouverneure des Kirchnerismus verhinderten eine reibungslose Übergabe ihrer Verwaltungen.
Wenig bis gar keine neuen Themen hielten also Einzug in den Wahlkampf. Hauptsächlich versuchten beide Kandidaten, die Wähler des Drittplatzierten Sergio Massa für sich zu gewinnen. Sowohl Scioli als auch Macri nahmen dessen Forderung nach Rentenerhöhungen in ihre Wahlprogramme auf. Allerdings sprach sich Massa – ohne Namen zu nennen oder zu deutlich zu werden – für einen cambio aus und verneinte von Anfang an die Zusammenarbeit mit Scioli.
Ein weiterer großer Streitpunkt, den Scioli immer wieder zum Thema machte, waren die sozialstaatlichen Hilfsprogramme. Der Kirchnerismus hatte sie massiv ausgebaut – und Scioli prophezeite nun das große Zusammenstreichen nach einem Wahlsieg Macris. Der dementierte und versprach ein Festhalten vor allem am Kindergeld. Dennoch: er wird die Ausgaben für die Programme kaum halten können, die 28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen – dafür hat er schon zu teure Verbesserungen in anderen Bereichen versprochen.
Macris über Jahre akribisch geplante Wahlkampfstrategie war am Ende wohl ein Erfolgsgarant. Er hatte – anders als Scioli – eine klare Botschaft: cambio – Wechsel. Sie blieb klar, obwohl er Abstriche machte und den Argentiniern einen Staat versprach, der auch künftig eine wichtige Rolle spielen soll.
Dem Kirchnerismus warf er vor allem die zahlreichen Korruptionsfälle vor, die Politisierung der Justiz, den massiven Wahlbetrug bei mehreren Provinzwahlen sowie gefälschte und geschönte Inflations- und Armutsstatistiken. Als Präsident wolle er das Land wirtschaftlich und demokratisch wieder in die Spur bringen. Angesichts einer galoppierenden Inflation und durchgehend schwachen Platzierungen in Kategorien wie Investitionssicherheit und Unternehmerfreundlichkeit ist dies auch bitter nötig. Schon auf die Möglichkeit hin, dass eine liberalere Regierung in die Casa Rosada einziehen könnte, sind nach der Wahl im Oktober die argentinischen Wertpapiere derart in die Höhe geschossen, dass ihr Handel zeitweise eingestellt werden musste.
Bei den offiziellen Schließungen der Wahlkampagnen am Donnerstag folgten beide Kandidaten ihren jeweiligen Strategien: Während Mauricio Macri im nordargentinischen Jujuy (in dieser zutiefst peronistischen Provinz hatte Macris Bündnis Cambiemos die Gouverneurswahl zuvor gewonnen) seine Wähler euphorisch auf den bevorstehenden Wechsel vorbereitete, sprach Scioli von der peronistischen Hochburg La Matanza aus in Bezug auf Macri von einem „Pakt mit dem Teufel“ – ein letztes Aufbäumen vor der Niederlage.
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