Im Vorfeld der anstehenden Parlamentswahlen kam noch einmal Schwung in Südkoreas Parteienlandschaft. Ende vergangenen Jahres brachte die Regierung unter Präsident Moon Jae-in, im Schnellverfahren (fast track) und unter großem Protest der konservativen Partei, ein Gesetz zur Reform des bisherigen Wahlsystems auf den Weg. Das Vorhaben wurde schon des Öfteren debattiert, scheiterte jedoch letztendlich an der Eigensinnigkeit der beiden großen Parteien. Diese hatten naturgemäß wenig Interesse am vorrangigen Ziel der Reform, die Chancen kleiner Parteien auf einen Einzug ins Parlament zu vergrößern. Eine Stärkung der kleineren politischen Mitbewerber könnte dazu beitragen, dass auch Minderheitsmeinungen größeres Gehör im koreanischen Politikbetrieb finden. Dies wäre ein Schritt weg von der „Winner takes it all“-Mentalität, welche die Politik in Korea traditionell dominiert. Ein Aufbrechen der starren Trennlinien entlang der Parteien und eine größere Bereitschaft zu Zusammenarbeit und Kompromiss wären letztendlich ein Gewinn für die koreanische Demokratie.
Dass diese politische Vision von den großen Parteien bisher nicht geteilt wird, zeigte sich bereits kurz nach der Verabschiedung des Gesetzes. So gründeten sich vor der Wahl nicht nur zahlreiche teils kuriose Klein- und Kleinstparteien, auch die etablierten Parteien waren bestrebt das neue System effektiv zu ihrem Vorteil zu nutzen. Die Konservativen gründeten mit der Future Korea Party (koreanisch: Miraehangukdang) Anfang Februar kurzerhand ihre eigene Satellitenpartei - dies ist sogar in Südkoreas teils skurrilem Parteiensystem ein Novum. Um gegenüber der politischen Konkurrenz keinen Nachteil zu haben, beschloss selbst Moons Democratic Party of Korea (koreanisch Minjoodang, im Folgenden „Minjoo-Partei“) vergleichbare Pläne.
Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Strategie auszahlen wird. Das Verhältnis zwischen Mutter- und Satellitenparteien scheint ungeklärt, Spannungen und Machtspielchen lassen sich bereits beobachten. Sollte es nach der Wahl zum großen Knall kommen und die Satellitenparteien eigenständig weiterbestehen wollen, dann stünden die großen Parteien als Verlierer des eigenen Schachzuges da. Dem ohnehin sehr dynamischen, von Abspaltungen und Neugründungen geprägten Parteiensystem Koreas ist diese Entwicklung jedoch sicherlich nicht zuträglich.
Mit dem taktischen Manöver der Gründung einer Satellitenpartei war es für die Konservativen allerdings noch nicht getan. Nur wenige Wochen später stimmte die Parteiführung dem nächsten politischen Coup, der erneuten Schaffung einer konservativen Blockpartei, zu. Unter Beteiligung der Parteien New Conservative Party und Onward for Future 4.0 entstand so die United Future Party (koreanisch Miraetonghapdang) (UFP). Neben wahlpolitischem Kalkül steckte hinter dieser Entscheidung auch der Wunsch, durch die neu gefundene Einheit symbolisch einen endgültigen Schlussstrich hinter das Fiasko rund um die ehemalige konservative Galionsfigur Park Geun-Hye zu ziehen. Die Tochter des einstigen südkoreanischen Militärdiktators Park Chung-hee wurde 2013 ins Amt der Präsidentin gewählt, löste jedoch im Jahr 2017 einen der größten Politikskandale der koreanischen Geschichte aus. Die Affäre rund um die Einflussnahme einer dubiosen spirituellen Führerin mündete letztendlich in der Amtsenthebung und Inhaftierung Parks. In der Folge zerbrach das bis dato in der Saenuri-Partei (jetzt United Future Party) geeinte konservative Lager in mehrere Parteien, welche ihrerseits abermals von weiteren Abspaltungen und Fusionierungen betroffen waren. Selbst der geübte politische Beobachter konnte hier nur schwer den Überblick behalten. Es ist daher durchaus nachvollziehbar, dass man dieser Zerklüftung des konservativen Spektrums vor der anstehenden Wahl Einhalt gebieten wollte. Die Schaffung der neuen United Future Party ist der Versuch, die konservativen Kräfte des Landes wieder zu bündeln und somit eine zentrale Anlaufstelle für die potentielle Wählerschaft zu etablieren. Wie glaubwürdig dieses kurz vor der Wahl geschmiedete (Zweck-) Bündnis in den Augen des Wählers ist und ob es gelingt hieraus politisches Kapital zu schlagen, wird sich zeigen. Spekuliert werden darf zudem darüber, wie lange der Burgfrieden der Konservativen nach der Wahl halten wird.
Ausgerechnet Park Geun-hye selbst scheint dieser Entwicklung Vorschub leisten zu wollen. Sie veröffentlichte aus dem Gefängnis heraus einen handgeschriebenen Brief, in welchem sie Ihre Anhängerschaft dazu aufruft, sich der UFP anzuschließen und so in einem „patriotischen Akt“ die konservative Einheit zu sichern. Es scheint fraglich, ob Parks Schützenhilfe der UFP tatsächlich zuträglich ist oder ob eine Unterstützung seitens radikaler pro-Park Gruppierungen wie der Liberty Republic Party Wähler der Mitte eher verschreckt. Ob es Park, welche immerhin zu einer 25-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde, gelingen wird mit einer Art von „Gefängnispolitik“ dauerhaft ein politisches Comeback zu feiern, wird sich zeigen.
Pläne für eine weitere Neugründung verkündete der äußerst umtriebige ehemalige Unternehmer Ahn Cheol-soo. Ahn kann durchaus als politischer Tausendsassa bezeichnet werden. So war er in der Vergangenheit an Parteigründungen beteiligt, kandidierte als Präsident und versuchte sein Glück zudem bei der Wahl zum Bürgermeister von Seoul. Anfang des Jahres war er im Streit aus der erst 2018 mitbegründeten Bareunmirae-Partei ausgetreten und versucht es nun nochmals auf eigene Faust. Nach holprigem Start - der ursprünglich für seine Partei angedachte Name „Ahn Cheol-soo’s New Party“ wurde von der nationalen Wahlkommission abgelehnt – Ahn gründete daher zum zweiten Mal eine People’s Party (koreanisch Gungminuidang). Schenkt man seinen Ankündigungen Glauben, so hat er mit der „People’s Party 2.0“ Großes vor. Ahns Vision ist die Schaffung einer modernen Partei der politischen Mitte, fernab des alteingesessenen Politikbetriebs - frei nach dem selbstgewählten Vorbild von Emmanuel Macrons La République En Marche. Finanzielle Transparenz durch Blockchain-Technologie, Kommunikation mit der Wählerschaft über digitale Plattformen und die Einbeziehung von Think Tanks und externen Fachleuten waren nur einige der Ankündigungen Ahns im Vorfeld der Parteigründung im März.Als Verlierer aus diesen Umwälzungen und Personalrochaden schien zunächst die Bareunmirae-Partei hervorzugehen. So verließ nicht nur eben erwähnter Ahn Cheol-soo mit einer Handvoll Abgeordneter im Schlepptau die Partei, auch die zur United Future Party fusionierten Parteien New Conservative Party und Onward for Future 4.0 waren vor nicht allzu langer Zeit noch Teil von Bareunmirae. Von ehemals 30 Abgeordneten waren lediglich 9 verblieben - Tendenz fallend. In südkoreanischen Medien war daher wohl zurecht vom „sinkenden Schiff“ Bareunmirae die Rede. Als Befreiungsschlag aus der Misere schmiedete Parteichef Sohn Hak-kyu den Plan, mit den im Südwesten des Landes verwurzelten Parteien Party for Democracy and Peace und New Alternative Party zu fusionieren. Das resultierende Bündnis sollte als Democratic Unity Party auf den Wahlzetteln im April stehen. Sohn legte jedoch kurzerhand sein Veto gegen das eigens angestoßene Vorhaben ein, um Regionalismus in der Politik keinen weiteren Vorschub zu leisten. Das politische Überleben der Partei stand kurz vor der Wahl somit auf Messers Schneide. Angesichts dieser desolaten Lage waren die geäußerten Bedenken daher nur von kurzer Dauer. Exakt eine Woche nach dem ersten Anlauf wurde besagter Zusammenschluss unter dem neuen Namen Party for People's Livelihoods (koreanisch Minsaengdang) ins Leben gerufen. Entstanden ist hier immerhin die drittgrößte politische Kraft im Lande und somit auch ein möglicher politischer Partner für Moons Minjoo-Partei.
Auf ein Neues zeigt sich, dass die Politik in Südkorea eigenen Grundsätzen folgt. Abspaltungen, Fusionen, Neugründungen und Umbenennungen bedeutender politischer Parteien sind beinahe an der Tagesordnung und verstören den koreanischen Wähler seit langem nicht mehr. Frei nach Heraklit scheint Veränderung die einzige Konstante der koreanischen Parteienlandschaft zu sein.
Umstrittene Personalentscheidungen schmälern Zustimmung zu Regierungspartei
Während die regierende Minjoo-Partei im Nachgang der Kerzenlichtdemonstrationen und Amtsenthebung von Park Geun-hye im Jahr 2017 teils auf Zustimmungswerte von über 50 Prozent und über weite Strecken auf einen Vorsprung jenseits der 30 Prozentpunkte gegenüber den Konservativen blicken konnte, schrumpfte der Abstand im Laufe des für Moon politisch nicht einfachen Jahres 2019 zunehmend.
Maßgeblich für die schwindende Beliebtheit war der zunächst missglückte Versuch, die mächtige koreanische Staatsanwaltschaft einer Reform zu unterziehen. Das Vorhaben zählt zu den Kernanliegen der Moon-Administration und die Umsetzung gestaltet sich erwartungsgemäß als wahre Mammutaufgabe. Weitreichende Befugnisse, bei gleichzeitiger hierarchischer Abhängigkeit vom Justizministerium, machen die Strafverfolgungsbehörden anfällig für politische Einflussnahme und Korruption. Durch das Reformvorhaben soll die enorme Machtfülle der Strafverfolgungsbehörde zurückgestutzt und zugleich eine unabhängige Kontrollinstanz ins Leben gerufen werden. Zur Umsetzung hatte Moon im August vergangenen Jahres seinen Vertrauten Cho Kuk, Juraprofessor der renommierten Seoul National University und ehemaliger Ressortleiter im Präsidialamt, für das Amt des Justizministers nominiert. Während des Nominierungsverfahrens entpuppte sich diese Wahl als zunehmend problematisch. Enthüllungen über vermeintliche Manipulationen, Sonderbehandlungen und Einflussnahmen im Zusammenhang mit der Zulassung von Chos Tochter an Eliteuniversitäten kamen ans Tageslicht. So beinhalteten die Bewerbungsunterlagen beispielsweise den Verweis auf einen wissenschaftlichen Fachartikel, in welchem Chos Tochter als Erstautorin genannt wurde – sie hatte an der Medizinischen Fakultät der Dankook University jedoch lediglich ein zweiwöchiges Schülerpraktikum absolviert. Darüber hinaus hatte Chos Ehefrau, selbst Professorin an der Dongyang University, der Tochter eine Urkunde im Namen des Universitätspräsidenten ausgestellt – ohne dessen Wissen.
Anschuldigungen dieser Art treffen in Südkorea einen empfindlichen Nerv. In der „überakademisierten“ koreanischen Gesellschaft hat ein Studienabschluss an einer der führenden Universitäten herausragende Bedeutung. Koreanische Schüler investieren daher einen beachtlichen Teil ihrer Freizeit in außerschulischen Bildungseinrichtungen, um sich einen vermeintlichen Vorteil gegenüber Mitbewerbern zu verschaffen. Dass finanzieller Wohlstand und politischer Einfluss des eigenen Elternhauses in diesem System Türen öffnen, war kein Geheimnis. Cho Kuk selbst trat in der Vergangenheit oft als ausgesprochener Gegner derartiger Vorteilsnahmen der koreanischen Oberschicht auf. Die öffentliche Entrüstung war entsprechend groß als herauskam, dass ausgerechnet er sich ebendieser Praktiken bediente. Es folgten groß angelegte Massenproteste und der Druck auf Moon Jae-in nahm spürbar zu. Der Präsident hielt dennoch an seinem Kandidaten fest und ernannte diesen am 9. September 2019 zum Justizminister. Der Unmut innerhalb der Bevölkerung nahm in der Folge jedoch keineswegs ab und so sah sich Cho knapp einen Monat nach seiner Ernennung bereits zur Erklärung seines Rücktritts gezwungen. Das öffentliche Ansehen Chos sowie der Schaden für die Minjoo-Partei waren zu diesem Zeitpunkt, auch aufgrund des zögernden Handelns und der Fehleinschätzungen von Präsident Moon, bereits enorm.
Einen weiteren Rückschlag aufgrund von unglücklichen Personalentscheidungen musste die Minjoo-Partei zudem Anfang dieses Jahres hinnehmen. Als vermeintliche „Zukunft der Partei“ wurde der erst 27-jährige Won Jong-gun vom Parteivorsitzenden der Minjoo-Partei, Lee Hae-chan, stolz angepriesen. Won wurde gezielt angeworben und sollte als junges Gesicht der Partei besonders potentielle Wähler seiner Generation ansprechen. Kurz nach der öffentlichkeitswirksamen Vorstellung meldete sich jedoch eine ehemalige Partnerin Wons zu Wort und beschuldigte diesen des sexuellen Missbrauchs. In einer unmittelbar einberufenen Pressekonferenz bestritt Won zwar die Anschuldigungen, verkündete jedoch seinen sofortigen Rückzug aus der Politik. Dies ist eines von mehreren Beispielen der jüngeren Vergangenheit, welches zeigt, dass die #MeToo-Bewegung auch in Südkorea angekommen ist.
Kurzfristig angesetzte Nominierungen politisch unbeschriebener Kandidaten im Vorfeld anstehender Wahlen sind in Korea alles andere als eine Seltenheit. Neben strategischen Erwägungen sind diese oftmals systembedingt auf einen schlichten Mangel an politischem Nachwuchs zurückzuführen. Dies spiegelt sich in erschreckenden Zahlen wieder – im Jahr 2018 waren geschlagene 99.34% aller Parlamentarier älter als 40 Jahre alt. Förderprogramme oder funktionierende politische Jugendorganisationen koreanischer Parteien, welche dieser Entwicklung entgegenwirken könnten, existieren kaum. In der Folge werden auf den ersten Blick aussichtsreiche Kandidaten ohne politische Vorerfahrung oft ins kalte Wasser geschmissen. Den neuen Gesichtern fehlt es entsprechend oft an politischem Fingerspitzengefühl sowie konkreten Inhalten und Konzepten. In Kombination mit einem oft mangelnden Hintergrundcheck der Kandidaten sorgt dies dafür, dass es um die Verweildauer der Quereinsteiger nicht allzu gut bestellt ist. Langfristig angelegte Nachwuchsförderprogramme und eine institutionalisierte Einbindung der Jugend in die Parteistrukturen könnten hier Abhilfe schaffen und sind dringend von Nöten.
Krise um das Coronavirus wird zum bestimmenden Wahlkampfthema
Zum wesentlichen Belastungstest für das Regierungslager und zur Schicksalsfrage der Wahl entwickelte sich die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2. In Südkorea wurden Erinnerungen an vergangene Virus-Epidemien wie SARS im Jahre 2002, vor allem jedoch MERS im Jahre 2015 wach. Das aus dem mittleren Osten stammende Virus hatte damals in Südkorea 38 Menschenleben gefordert. Diese Erfahrungen erwiesen sich nun als Vorteil, denn die staatlichen Stellen zur Seuchenbekämpfung wurden in der Folge deutlich ausgebaut. Südkorea war daher im internationalen Vergleich relativ gut auf die Corona-Epidemie vorbereitet und schnell handlungsfähig.
Nach anfänglichen Fallzahlen im niedrigen zweistelligen Bereich sah es zunächst so aus, als beruhige sich die Situation vor Ort. Moon hätte sich als kompetenter Krisenmanager hervorgetan und hieraus politisches Kapital schlagen können. Ende Februar ließ der sprunghafte Anstieg und die Vervielfachung der Fallzahlen die Chancen auf einen glimpflichen Verlauf zunehmend schwinden. Eine unrühmliche Rolle nahm hier die besonders im Südosten des Landes aktive christliche Sekte „Shincheonji“ ein. Ein Mitglied verweigerte mehrmals auf das Virus getestet zu werden und besuchte weiterhin Gottesdienste der konspirativ anmutenden Organisation. In der Folge infizierten sich tausende Sektenmitglieder mit dem neuartigen Virus und Korea entwickelte sich schnell zum am schwersten betroffenen asiatischen Land außerhalb Chinas. Besonders dramatisch wurde die Situation in der Millionenstadt Daegu sowie der angrenzende Provinz Nord-Gyeongsang. Von landesweit knapp 9.000 Fällen (Stand 23.03.20) befinden sich aktuell 90% in dieser Region.
Politisch kamen diese Entwicklungen so kurz vor der Wahl für die Minjoo-Partei zu einem heiklen Zeitpunkt, denn die Zustimmung zur Regierungspartei ist eng an den Verlauf der Epidemie sowie das entsprechenden Krisenmanagement der Moon-Administration gekoppelt. Der Präsident hat sicherlich noch gut in Erinnerung, wie sehr Park Geun-hye für ihr katastrophales Handeln im Zusammenhang mit dem Untergang der Fähre Sewol in die Kritik geriet. Vielen Koreanern erschienen die von der Regierung beschlossenen Quarantäne- und Sicherheitsmaßnahmen zu Beginn der Epidemie in China als nicht weitreichend genug. So wurden bereits kurz nach Bekanntwerden des Ausbruchs der neuartigen Lungenkrankheit Forderungen nach einer Ausweitung der für die Region Hubei geltenden Einreisebeschränkungen auf die gesamte Volksrepublik laut. Die Regierung wollte vor diesem Hintergrund Handlungsstärke demonstrieren und rief rasch die höchste landesweite Warnstufe aus. Dies ging mit einer Reihe von Maßnahmen einher. So wurden die Schulferien sämtlicher Schulen und Kindergärten verlängert, Einrichtungen der „Sincheonji-Sekte“ temporär geschlossen und sämtliche 210.000 Mitglieder auf das Virus getestet. Die besonders betroffene Region rund um Daegu wurde zur Sonderzone erklärt und weitreichende Finanzhilfen im Eilverfahren beschlossen. Als problematisch erwies sich derzeit jedoch die landesweite Versorgung mit Atemschutzmasken. Die Opposition war bemüht die Ereignisse auf Moons vermeintlich zu zögerliches und lasches Handeln sowie die Inkompetenz der Regierung zu schieben und tatsächlich wurde der öffentliche Gegenwind lauter. Eine Online-Petition mit dem Ziel, Präsident Moon des Amtes zu entheben, wurde innerhalb kurzer Zeit von mehr als einer Millionen Personen unterzeichnet. Moons Beliebtheit sowie die Zustimmung zu seiner Partei litten unter den Entwicklungen spürbar.
Aktuell stabilisieren sich die Fallzahlen und es zeichnet sich eine leichte Entspannung der Krise ab. Die Behörden scheinen die Ausbreitung weitestgehend unter Kontrolle gebracht zu haben und dies findet auch international Anerkennung. Vor dem Hintergrund der dramatischen Entwicklungen in Europa bekommen resolutes Vorgehen sowie innovative Methoden der koreanischen Behörden Lob zugesprochen und Südkorea wird vielfach als Vorbild in Sachen Krisenmanagement herangezogen. Sollte die Lage sich tatsächlich mittelfristig entspannen, dann könnte Moon doch noch gestärkt aus der Krise hervorgehen und die ausgezeichnete Arbeit der Gesundheitsbehörden in innenpolitisches Kapital ummünzen.
Inhaltlich überlagerte die Corona-Krise sämtliche Wahlkampfthemen und dominierte die politischen Debatten. Das eigentliche Wahlprogramm der Parteien konnte in der Folge bisher nicht an die Wahlberechtigten vermittelt werden. Dies hat besonders mit Blick auf die zahlreichen Erstwähler Auswirkungen. Durch die Senkung des Wahlalters auf 18 Jahre sind dieses Jahr besonders viele junge Koreanerinnen und Koreaner zur Wahl aufgerufen. Das politische Interesse dieser Generation ist groß und stieg, gemessen an den Wahlbeteiligungen der letzten Jahre, kontinuierlich. Bedauerlicherweise gibt es von Seiten der etablierten Partien jedoch kaum inhaltliche Angebote an diese junge Generation. Auch geplante politische Bildungsmaßnahmen der Wahlkommission konnten wegen der aktuellen Schulschließungen nicht stattfinden. Entsprechend fühlen sich viele junge Erwachsene im Vorfeld der Wahl schlecht informiert und von den Parteien im Stich gelassen. Eine inhaltliche Zuordnung zu einer der Parteien ist somit schwer möglich und es ist zu befürchten, dass die Entscheidung der jungen Generation am Wahltag kaum auf Fakten und politischen Überzeugungen basieren wird.
Ausblick
Bevor an dieser Stelle Umfrageergebnisse und Stimmungsbilder Erwähnung finden, darf ein Hinweis auf die eingeschränkte Validität derartiger Untersuchungen in Südkorea nicht unerwähnt bleiben. Die von verschiedenen Meinungsforschungsinstituten wöchentlich durchgeführten Umfragen unterscheiden sich regelmäßig sowohl untereinander als auch vom tatsächlichen Wahlergebnis. Entsprechend sind die Erkenntnisse mit Vorsicht zu genießen. Nichtdestotrotz eignen sich die Daten als Grundlage für die Identifikation langfristiger Trends und Entwicklungen.
Beim Blick auf die Zustimmungsraten von Minjoo-Partei und United Future Party im Zeitraum Januar 2018 bis März 2020 lassen sich zwei grundsätzliche Beobachtungen machen:
Die konservativen Kräfte erholen sich zunehmend von ihrem katastrophalen Absturz, wenngleich eine völlige Rehabilitation und Rückkehr zu vergangener Stärke noch in weiter Ferne zu liegen scheint. Die progressive Minjoo-Partei hingegen muss allmählich einen Dämpfer des eigenen Höhenflugs hinnehmen. Entsprechend verringert sich der Abstand zwischen beiden Lagern kontinuierlich. Während des Höhepunktes der Affäre um Cho Kuk bewegte er sich zeitweise gar im einstelligen Bereich - dies wäre vor knapp zwei Jahren noch undenkbar gewesen. Wie sehr die dargestellten Entwicklungen zwischenzeitlich zu Lasten der Minjoo-Partei gingen, zeigte sich im Januar, als die Zustimmung zur Regierungspartei mit 34 Prozent auf den niedrigsten Wert seit Moons Amtsantritt sank. Bedingt durch die starke Abhängigkeit vom weiteren Verlauf der Coronavirus-Krise ist ein langfristiges Erstarken der Partei derzeit schwer abzuschätzen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entspannung der Lage konnte sich die Minjoo-Partei in den Umfragen jedoch bereits auf 38 Prozent der Stimmen steigern.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Gründung der United Future Party auf das Wahlergebnis auswirken wird. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup sieht die UFP derzeit bei 23 Prozent der Wählerstimmen. In Umfragen vom konkurrierenden Anbieter Realmeter kommen die Konservativen immerhin auf knapp 34 Prozent. In beiden Fällen sind dies jedoch keine nennenswerten Zuwächse seit dem politischen Neustart des konservativen Lagers. Der Weg zu einer modernen konservativen Partei scheint in Korea noch weit und so rückt das erklärte Wahlziel, die progressiven Kräfte im Land abzulösen, vorerst in weite Ferne.
Beim Blick auf die beiden großen koreanischen Parteien drängt sich der Eindruck auf, die Bevölkerung sei strikt in ein konservatives und ein progressives politisches Lager geteilt. Eine aktuelle Umfrage zeigt jedoch, dass der größte Teil der Wählerschaft, immerhin 45 Prozent der Befragten, sich keinem der beiden Lager eindeutig zugehörig fühlt, sondern sich vielmehr der politischen Mitte zurechnet. Diese Tatsache ist vor dem Hintergrund von Ahn Cheol Soos Vision der Etablierung einer unabhängigen Partei der Mitte besonders interessant, denn hier sind enorme Stimmenpotentiale zu schöpfen. Aktuell liegt die People’s Party bei knapp 4 Prozent der Stimmenanteile und könnte somit der Justice Party den Rang als drittgrößte Kraft noch streitig machen.
Die pandemische Ausbreitung von Covid-19 stellt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft derzeit weltweit vor bisher ungekannte Herausforderungen. Diese Unwägbarkeiten dominieren ganz offenkundig die in Korea anstehende Parlamentswahl. Noch ist unklar, in welcher Form die Wahl am 15. April tatsächlich durchgeführt werden kann. In letzter Konsequenz hängt dies - wie so vieles in diesen Tagen - vom Coronavirus ab.
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