Christoph Jansen eröffnete das Forum Kommunalpolitik mit einer Einführung zum Thema Sicherheit in Stadt und Land.
Schirmherr Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner begrüßte die Teilnehmenden per Videobotschaft.
Das diesjährige Forum Kommunalpolitik adressierte v.a. Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, Akteure aus der Verwaltung und der Wissenschaft (u.a. Kriminologinnen und Kriminologen), kommunalpolitisch Engagierte aus Vereinen, Initiativen und Organisationen sowie Polizistinnen und Polizisten.
Veranstaltungsort war das Eventschiff MS Alt Heidelberg. Auch wenn das Schiff nicht ablegte, überzeugte der Ort durch seine zentrale Lage direkt vor der Altstadt und gab in den Pausen Gelegenheit, den schönen Ausblick auf Heidelberg zu genießen.
Dr. iur. Mario Bachmann, Ass. iur., Institut für Kriminologie, Universität Köln, sieht Deutschland im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Es bestehe ein Nord-Süd-Gefälle hinsichtlich der Häufigkeitsziffer der registrierten Kriminalität. Die subjektive Wahrnehmung der Kriminalität sei schlechter als die objektive Realität. Ein Grund hierfür sei die mediale Berichterstattung, die intensiv über Gewaltkriminalität berichte, obwohl diese nur einen geringen Anteil der Gesamtkriminalität ausmache. Kriminologisch betrachtet trage das Fernsehen daher zur Verblödung bei, so Bachmann. Ausführlich erläuterte der Kriminologe die Kriminalitätsfurcht, die bei Frauen, jüngeren wie älteren Menschen (unter 35 und über 55 Jahre) höher ausfalle. Ebenso sei die Furcht höher bei Menschen, die in größeren Gemeinden lebten, die bereits Opfer von Gewalt waren sowie bei Menschen mit Existenz- und Zukunftsängsten. Auch ausgeprägte Verfallserscheinungen hätten einen Einfluss auf die Angst vor Kriminalität.
Polizeipräsident Siegfried Kollmar, Polizeipräsidium Mannheim, stellte belegbare Erfolge der Kriminalpolitik in Heidelberg vor. Empirische Belastungsanalysen zur Kriminalität relativierten die Furcht vor Kriminalität. Kriminalprävention solle Opferschutz ausbauen, Gewalt verhindern, gegensteuern, informieren und aufklären. Die Zahlen der letzten Jahre - wobei Kollmar die Corona-Jahre als nicht repräsentativ ausklammerte und sich auf die Jahre 2018/2019 konzentrierte - zeigten mit Ausnahme der Cyber-Kriminalität einen Rückgang registrierter Delikte. Prävention müsse als etablierter Teil der Polizeiarbeit kreativ und international sein und auf neue Trends reagieren. Beispielsweise müsse die Medienkompetenz und Sexualaufklärung insbesondere bei Jüngeren verbessert und insgesamt die Zivilcourage gestärkt werden. Der Polizeipräsident skizzierte den Ansatz der vernetzten Sicherheit, bei dem Polizei, Kommune und Zivilgesellschaft eng zusammenarbeiten. Auf diese Art könne viel bewegt werden.
Beim AdenauerLAB zum Thema "Gegen Hass und Gewalt – Was können Kommunen tun?" kamen nach zwei 10minütigen Kurzimpulsen Vortragende und Publikum ins Gespräch. Die vorgestellten Projekte fokussierten die wehrhafte Demokratie auf der lokalen Ebene und stellten konkrete Beispiele aus der kommunalen Arbeit vor, wie Amts- und Mandatsträger bzw. Bürgerinnen und Bürger vor Hass, Hetze und Gewalt geschützt werden können. Danijel Cubelic und Dr. Marie-Luise Löffler vom Amt für Chancengleichheit der Stadt Heidelberg setzen an den Unterstützungssystemen für Betroffene an und berichteten, wie Hass und Gewalt sichtbar gemacht werden können. Das Problem liege derzeit darin, dass Opfer sich oftmals nicht bei der Polizei oder der Kommune meldeten. Daher gebe es ein Dunkelfeld von Gewalt, das über die derzeitigen Hilfsangebote kaum erreicht werde. Die Kommune Heidelberg habe deshalb Kampagnen durchgeführt, um Betroffene zu motivieren, beispielsweise Diskriminierungsfälle auch zu melden. Die Angebote müssten evaluiert, Zugänge zu Hilfesystemen verbessert werden. Es komme darauf an, zielgruppenspezifische Anlaufstellen anzubieten, um das Dunkelfeld von Gewalt aufzulösen und auch vulnerable Gruppen zu erreichen. Aus dem Publikum kam die Frage, ob Kommunen die Erziehung der Erziehenden vernachlässigten, denn im Elternhaus würden Menschenbilder vermittelt und deshalb müsse dort angesetzt werden. Hierbei zeigt sich die grundsätzliche Herausforderung, relevante Zielgruppen für konkrete Projekte zu gewinnen. Cubelic resümierte: "Wir brauchen Programme, die alle Menschen fit machen für eine vielfältige Demokratie." Heidelberg setze auf Sichtbarkeit und habe daher auch Beratungsstellen community based installiert, um Vertrauen zu gewinnen. Menschen meldeten Diskriminierung, wenn sie das Gefühl hätten, dass sich eine Meldung lohnt. Tabuisierter Gewalt solle begegnet werden, z.B. Homophobie oder häusliche Gewalt. Dr. Löffler wies darauf hin, dass Corona systemische Probleme sowie gesellschaftliche Phänomene durch mediale Aufmerksamkeit sichtbar gemacht habe.
Im zweiten Labor-Impuls stellten Dzeneta Isakovic und Jana Aslan-Moor unter dem Titel "Prävention gegen Extremismus, Diskriminierung und Hassgewalt" konkrete Projekte von Mosaik Deutschland e.V. vor. Dabei geht der Verein von einem positiven Menschenbild aus, Zielgruppe seien v.a. junge Menschen. Es gehe darum, Multiplikatoren zu stärken. Zu diesem Zweck hat Mosaik Deutschland einige Kooperationsprojekte initiiert und führt u.a. Präventionsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit der Polizei durch. Eine Aspekt sei die Analyse von Abwertungsideologien. Diskriminierung und Ausgrenzung förderten Kriminalität, daher setzt der Verein präventiv an und sucht das Gespräch mit Jugendlichen.
Einen Virtuellen Blick über den Tellerrand erhielten die Gäste aus Kanada: "Well-Being and Community Safety: Kommunales Sicherheitsverständnis am Beispiel von Kanada" überschrieb den Impuls, den Dr. Norbert Eschborn, Leiter Auslandsbüro Kanada der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., via Videoschalte um 6 Uhr Ortszeit Ottawa nach Heidelberg sandte. Die Kriminalitätswahrnehmung in Kanada sei gemäß einer Umfrage von Februar 2022 sehr gering, demnach das subjektive Sicherheitsempfinden entsprechend hoch. Sicherheit werde in Kanada auch als sozialer Begriff aufgefasst: Die Kommunen verfügen über Pläne zur kommunalen Sicherheit und Wohlbefinden, die sich über mehrere Jahre erstrecken. Es geht nicht nur um die physische, sondern auch um die subjektiv empfundene Sicherheit. Auf großes Interesse bei den Gästen stießen auch Eschborns Hinweise zur Einbindung der Bevölkerung bei der Verbrechensbekämpfung. So erhalten beispielsweise Handy-Nutzer eines örtlich relevanten Umkreises in Kanada ungefragt polizeibehördliche Meldungen bei Entführungen oder Personendelikten auf ihre Endgeräte. In Deutschland überwiegt diesbezüglich noch der Datenschutz die Sicherheitsbelange. Allerdings zeigen jüngste Überlegungen der direkten Information der Bevölkerung beim Katastrophenschutz, dass diese Form des direkten "Zugriffes" auch hier im Gespräch ist.
Sandra Wahle moderierte die Debatte über "Sicherheit vor Ort stärken: Wer, wie und wodurch?" mit Bürgermeisterin Stefanie Jansen, Stadt Heidelberg, Dr. Andreas Hollstein, Bürgermeister a.D. Stadt Altena, Landesgeschäftsführer VKU-NRW, Janina Hentschel, Leiterin Büro für Kommunale Prävention, Stadt Augsburg und Anna Rau, Geschäftsführerin Deutsch-Europäisches Forum für Urbane Sicherheit (DEFUS) (Foto: v.l.n.r.). Dr. Andreas Hollstein berichtete eindrücklich seine Erlebnisse als Bürgermeister der Stadt Altena. In dieser Zeit erhielt er zahlreiche Drohbriefe und zuletzt überstand er eine Messerattacke schwer verletzt. Der ehemalige Bürgermeister, der nicht von einer Flüchtlingskrise, sondern von kultureller Bereicherung spricht, resümierte: "Die Selbstverständlichkeit, dass mir nichts passiert, ist verloren gegangen." Er berichtete von zahlreichen Rücktritten von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die sich und ihre Familien massiven Drohungen nicht weiter aussetzen wollten bzw. aufgrund dieser Gefahr überhaupt nicht kandidieren wollten. Hollstein appellierte an die Zivilcourage, nicht wegzusehen, sondern sich aktiv gegen Verrohung, Respektlosigkeit und Drohungen einzusetzen. Es gehe um das Miteinander. Das könne jede Person tagtäglich im unmittelbaren Umfeld tun. "Die Gesellschaft müsse sich unterhaken und den Mund aufmachen." Heidelbergs Bürgermeisterin Stefanie Jansen betonte die Notwendigkeit von Chancengerechtigkeit als starken Anker für Kriminalitätsbekämpfung, um die Dinge an den Wurzeln zu packen. Opferschutz müsse gestärkt, Angsträumen begegnet werden. Die Stadt Heidelberg lege Wert darauf, sich für demokratische Werte einzusetzen. Außerdem müssten die Menschen miteinander in Kontakt kommen, um ein gemeinsames Verständnis von- und füreinander zu entwickeln. Hierzu eigne sich u.a. Quartiersmanagement. Anna Rau vom Städtenetzwerk DEFUS ging auf bewährte Projekte zur urbanen Sicherheit ein und erwähnte u.a. konkrete kommunale Maßnahmen in Berlin, um der Kriminalität im Görlitzer Park zu begegnen. Gute Ansprache auf Augenhöhe sei hier ein Schlüssel zum Erfolg gewesen. Janina Hentschel griff ebenfalls ein praktisches Beispiel für gelungene Ansprache aus ihren Erfahrungen aus Augsburg auf: Durch passgenaue kommunale Antworten könne gezielt Kriminalität bekämpft und vorgebeugt werden. In der Diskussion schilderten kommunalpolitische engagierte Gäste von ihren Herausforderungen, Integration vor Ort zu leisten. Es sei schwierig, Menschen zu integrieren, die aufgrund fehlenden Wohnraums oft nur am Ortsrand lebten. Die schiere Not, die Menschen unterzubringen, verhindere eine schnelle Integration. Kernerkenntnisse der Debatte waren folgende:
Prävention gelingt oftmals über ein gemeinsames Verständnis und Ansätze auf Augenhöhe. Prävention braucht Kapazitäten auf lokaler Ebene. Sie ist vielschichtig und umfasst neben Sensibilisierung und Information den direkten Kontakt mit der Bevölkerung. Hierbei gelingt es Kommunen bestenfalls, die Stadtgesellschaft zu beteiligen. Dreh- und Angelpunkt für eine erfolgreiche Bekämpfung von Hass und Hetze ist u.a. Zivilcourage, damit die demokratischen Werte vor Ort aktiv verteidigt werden. Kommunen (Politik, Verwaltung, Bevölkerung) sollten hinsehen und gemeinsam aktiv gegen Hass und Hetze eintreten.
Im Anschluss an den impulsreichen Vormittag schloss sich die moderierte Exkursion durch die Heidelberger Altstadt an.
Bernd Köster, Leiter Bürger- und Ordnungsamt, Stadt Heidelberg, moderierte und führte wissend sowie unterhaltsam durch das Exkursionsprogramm. Unterwegs lernten die Gäste zahlreiche erfolgreiche kriminalpräventive Maßnahmen der Stadt Heidelberg kennen, u.a. führte die Tour vorbei an einem der teuren, aber sehr geschätzten Hochsicherheitspoller bzw. Anti-Terror-Poller am Kornmarkt, mitten in der Altstadt. Köster verwies auf nachweisbare Erfolge der Kriminalitätsbekämpfung in Heidelberg. Dabei setze die Stadt gezielt auf eine Kombination aus Prävention und Repression. Hierbei verwies er auf kommunale Maßnahmen wie die Einführung der Sicherheitsbeleuchtung auf der Neckarwiese mit dem Ziel, das subjektive Sicherheitsgefühl an diesem beliebten Ort zu erhöhen und Ordnungsstörungen zu bekämpfen. Die Beleuchtung resultiert aus der Sicherheitspartnerschaft der Stadt Heidelberg und dem Land Baden-Württemberg, die 2018 unterzeichnet wurde. Köster berichtete von Angstraumstudien, die zu konkreten Projekten führten, wie beispielsweise sexualisierte Gewalt reduziert werden könne. Er stellte das Frauentaxi oder auch die Angstraummeldung vor; beides effektive Maßnahmen, um Frauen zu schützen. Heidelberg setzt sich u.a. mit Kampagnen und Fortbildungen gegen sexuelle Belästigung ein.
Am Brennpunkt "Alte Brücke" erwartete die Gäste die Mobile Wache des KOD (Kommunaler Ordnungsdienst der Stadt Heidelberg). Michael Blum, Abteilungsleiter Sicherheit und Ordnung erläuterte Maßnahmen der kommunalen Kriminalitätsbekämpfung. Verstärkte Kontrollen sollen Kriminalität und Ordnungsstörungen reduzieren.
Das Einsatzfahrzeug der Mobilen Wache wird an prominenten Orten eingesetzt. So wird die Sichtbarkeit des KOD erhöht und Beschwerden können direkt vor Ort aufgenommen werden.
Ein weiteren Baustein der erfolgreichen Kriminalitätsbekämpfung in Heidelberg ist ein vernetzter Sicherheitsansatz: Knut Krakow, Geschäftsführer Sicheres Heidelberg e.V. stellte u.a. konkrete Maßnahmen aus der Vereinsarbeit vor. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Prävention über konkrete Projektarbeit erlebbar zu machen. Sehr eindrücklich war Krakows Beispiel der Gelben Karte. Mittels eines handförmigen Flyers einer gelben Karte, die geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Taschen und Rücksäcke einstecken, soll die Bevölkerung sensibilisiert werden - in diesem Fall für den Aspekt Taschendiebstahl. Diese und ähnliche Maßnahmen zeigten schnelle Wirkung, so Krakow. Dank der Zusammenarbeit mit der Stadt Heidelberg und weiteren Einrichtungen sei es gelungen, ein starke Netzwerk der Kriminalprävention in Heidelberg zu etablieren.
Jimmy Kneipp ist einer von zwei Nachtbürgermeistern der Stadt Heidelberg. Zum Aufgabengebiet gehört u.a. die Herausforderung, das Nachtleben in Einklang mit den Bedürfnissen der Anwohnerinnen und Anwohner zu bringen. Ruhestörung oder Verunreinigung müssen eingedämmt werden, gleichzeitig soll es gelingen, Heidelbergs Nacht- und Kulturleben zu fördern. Hierbei ist die Vermittlung im Spannungsfeld Anwohnende, Gewerbetreibende, Nachtkulturschaffende und Feiernde Dreh- und Angelpunkt der Maßnahmen. Auch hierbei zeigten konkrete Maßnahmen Wirkung: Beispielsweise werden seit dem Sommer so genannte Night Coaches eingesetzt. Das sind sind junge Männer, die sich unter die Partyleute mischen und dafür einsetzen, dass Feiern nicht ausufern und sich alle an die Regeln halten. Lärmbelästigung, Verunreinigung, Streitereien: Das Einsatzgebiet ist vielschichtig. Ziel ist hierbei, auf niedrigschwelliger Ebene und im direkten Kontakt präventiv anzusetzen.
Tanja Kramper, Geschäftsführerin Kommunale Kriminalprävention Rhein-Neckar e.V., konnte zahlreiche Erfolge der kommunalen Kriminalprävention in Heidelberg aufzeigen. Wo die Polizei an ihre Grenzen stoße, könnten mit Hilfe von vernetzten Sicherheitsansätzen weitere Maßnahmen gefördert werden. Schulungen, Kampagnen oder auch neue Formate wie Theaterstücke beispielsweise zur Förderung der Zivilcourage oder zur Sensibilisierung vor Kriminalität seien hierbei zentral. Diese würden wissenschaftlich begleitet und dadurch fortlaufend evaluiert, verbessert und weiterentwickelt. Kramper überzeugten ebenso wie alle anderen Expertinnen und Experten des Heidelberger Sicherheitsnetzes durch persönliches Engagement, das alle Gäste spürten. Der Enthusiasmus, der bei allen Vorträgen greifbar war, belegte jenseits der zahlreichen statistischen Belege einer besonders effektiven Kriminalprävention den Erfolg einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Kommune, Polizei und Zivilgesellschaft.