In wenigen Tagen werden die Moldauerinnen und Moldauer über zwei für die Zukunft ihres Landes zentrale Fragen entscheiden: Wer wird Präsident oder Präsidentin der Republik Moldau? Soll der EU-Beitritt in die Verfassung des Staates aufgenommen werden? Für das Präsidentenamt hat die Amtsinhaberin Maia Sandu gute Chancen wieder gewählt zu werden. Gegenwärtige Umfragen sehen sie bei ca. 36 Prozent. Von den anderen zehn Kandidaten erreicht nur Alexandru Stoianoglo als Kandidat der Sozialistischen Partei knapp zehn Prozent. Wenngleich der Wahlkampf vordergründig um innenpolitische Themen wie wirtschaftliche Entwicklung, Bildung und die EU-Integration kreist, ist es auch eine Wahl über die geopolitische Ausrichtung der Republik Moldau. Indem die Präsidentin ein Referendum zum EU-Beitritt angesetzt hat, fordert sie die moldauische Wählerschaft zu einer Positionierung in dieser Frage auf. Gleichzeitig versucht Russland mit vielfältigen Mitteln die Wahlen im eigenen Interesse zu beeinflussen.
Neben der Amtsinhaberin sind nur sehr wenige Kandidaten klar proeuropäisch ausgerichtet und nicht von russischen Netzwerken und Finanzströmen abhängig. Dem vom Russland unterstützten Lager sind mehr als zwei Drittel der Kandidaten zuzurechnen. Nur wenige von ihnen – ob Sozialisten, Kommunisten, „Unabhängige“ und von dem verurteilten moldauischen Oligarchen Ilan Shor unterstützte Kräfte positionieren sich öffentlich als ausschließlich prorussisch. Vielmehr sprechen sich viele von ihnen schwammig für eine europäische Modernisierung der Republik Moldau aus und beschwören die Neutralität als größte Sicherheitsgarantie für das Land. Zwar mobilisiert eine solche Position der „Mitte“ zwischen Ost und West weiterhin größere Wählergruppen, jedoch verteilen sich diese Stimmen noch auf sehr viele Kandidaten. Bisher waren diese Gruppen nicht zu einer stärkeren Zusammenarbeit untereinander bereit. Damit geht das prorussische und vielfach von Russland unterstützte Lager gespalten in die anstehenden Wahlen. Das erhöht die Chancen Maia Sandus auf ein gutes Ergebnis. Gleichzeitig könnte die Quantität der Gegenkandidaten dazu beitragen, dass ihr eine Wiederwahl erst im zweiten Wahlgang gelingt. Nicht auszuschließen, dass das auf russischer Seite so kalkuliert wurde und der zweite Wahlkampf zu einer weiteren Mobilisierung und Zusammenschluss gegen Sandu genutzt wird.
Im EU-Referendum ist ein mehrheitliches Ja für den EU-Beitritt zu erwarten. Umfragen zeigen seit Jahren eine stabile proeuropäische Mehrheit von etwa 50 bis 60 Prozent in Moldau. Aktuelle Umfragen zeigen sogar eine sehr klare Zustimmung mit 63 Prozent. Dieser mehrjährige positive Trend wird zu Maia Sandus Entscheidung beigetragen haben, als sie vor knapp einem Jahr das Referendum angesetzt hat. Ihr Ziel scheint, die große und häufig schweigende proeuropäische Mehrheit der Moldauer zu mobilisieren und sie zu einer klaren und sichtbaren Positionierung hinsichtlich EU-Mitgliedschaft und die damit verbundenen tiefgreifenden Reformen im Land zu bewegen. Das hat die Präsidentin bereits zweimal erfolgreich geschafft: Im Mai 2023 rief sie zu einer großen Nationalversammlung über die europäische Integration auf. Mit mehr als 80.000 Teilnehmern wurde es die größte Demonstration seit der Unabhängigkeit Moldaus. Im Juni 2023 lud die Präsidentin viele ihrer Amtskollegen aus Europa zum Gipfel der Europäischen Gemeinschaft auf ein moldauisches Weingut ein. Es wurde zum größten internationalen Gipfel in der Geschichte der unabhängigen Moldau. Neben Anerkennung von europäischen Partnern für die gelungene Organisation sollte dieses Großereignis auch nach innen wirken. Moldau in Europa sollte nicht mehr nur eine ferne Vision sein, sondern mit der großen internationalen Unterstützung mehr und mehr für die Menschen zur gelebten Realität.
Der dritte Versuch, das Referendum, birgt jedoch größere Risiken. Für Moskau ist diese zusätzliche Wahl eine gute Möglichkeit, die EU weiter zu diskreditieren und eine klare proeuropäische Entscheidung mit gezieltem Stimmenkauf zu beeinflussen. Zudem ist das Abstimmungsverhalten der Diaspora, die circa zehn Prozent der Wählerstimmen ausmacht, nicht in den Umfragen abgebildet. Zwar ist das Wahlverhalten der Auslandsmoldauer traditionell proeuropäisch, 2020 wählten mehr als zehn Prozent Maia Sandu, aber Analysten gehen von einer weit geringeren Wahlbereitschaft für die anstehenden Entscheidungen aus. Denn auch diese Wählergruppen -die Mehrheit lebt in Italien, Frankreich und Deutschland – sind russischer Desinformation und Einflussnahme ausgesetzt. Ein klares Ja und eine Wiederwahl würden Maia Sandu und ihrer Partei Rückenwind für die anstehenden Parlamentswahlen im Sommer 2025 und für eine notwendige zweite Reformphase geben. Aus diesem Grund ist die Strategie ihrer Gegner im Wahlkampf die Zustimmung für Sandu und dem EU-Beitritt so niedrig wie möglich zu halten. Auch wenn damit die Wahlen für prorussische Kräfte nicht zu gewinnen sein werden, lassen sich mit knappen Wahlergebnissen Differenzen in der Gesellschaft verstärken und instrumentalisieren.
Zudem ist damit zu rechnen, dass in der hybriden Kriegsführung Russlands die zwei anstehenden Wahlen am 20. Oktober nur als Zwischenschritt zu den Parlamentswahlen im nächsten Jahr verstanden werden. Jetzt werden Personen, Netzwerke und Narrative getestet, ob sie für kommende Wahlen erfolgversprechend sind. Schon jetzt ist der Instrumentenkasten, um die demokratischen Wahlen zu beeinflussen, beträchtlich. Abermals ist Moldau dabei ein Testfeld für den hybriden Krieg Russlands gegen viele weitere europäische Staaten und zur Beeinflussung von demokratischen Wahlen.
Neben massiven Falschnachrichten und Desinformation haben von Russland unterstützte Gruppen – meistens in Zusammenarbeit mit Ilan Shor – Wählerbestechung und illegale Wahlkampfinanzierung organisiert. Laut einer investigativen Recherche aus den letzten Wochen sind 15 Mio. US-Dollar von der russischen Staatsbank Promsvyazbank auf die Konten von zehntausenden Moldauern überwiesen wurden. Vieles deutet daraufhin, dass das nur die Spitze des Eisberges ist.
Wer wird Präsidentin?
Für die Präsidentschaftswahl hat die moldauische Wahlkommission elf Kandidaten zugelassen, die teils als Vertreter einer Partei, teils als unabhängige Kandidaten antreten. Die deutliche Mehrheit der Personen, die sich gegen Maia Sandu aufstellen, sind keine Unbekannten in der moldauischen Politik und Öffentlichkeit, mehrheitlich nicht mit lupenreinen politischen Biografien und Verbindungen zu russischen Netzwerken und moldauischen Oligarchen.
Die Kandidatur Stoianoglos sah zunächst nach einem geschickten Schachzug der Sozialisten aus. Stoianoglo, selbst gagausischer Herkunft und ehemaliger Generalstaatsanwalt, entlassen unter Maia Sandu aufgrund von Korruptionsvorwürfen, hatte durchaus Potential. Mit diesem Profil hätte er Wähler in der autonomen Provinz Gagausien ansprechen und die bisher nicht gelungene Justizreform der Präsidentin kritisieren können. Jedoch verfügt Stoianoglo nicht über die Bekanntheit als politische Persönlichkeit und die Glaubwürdigkeit, um eine echte Chance gegen die amtierende Präsidentin zu haben.
Renato Usatyi tritt als ehemaliger Bürgermeister von Bălţi (2015-2021), der zweitgrößten Stadt Moldaus, an. Vor vier Jahren war er mit knapp 17 Prozent durchaus erfolgreich. Er positioniert sich mit einem Image des erfolgreichen Unternehmers und Politikers, sein Vermögen hat er in Russland gemacht. Ohne auszuschließen, dass er ebenfalls Kontakte nach Russland pflegt, hat er vor allem sich selbst als politisches Programm und erreicht momentan nur noch 7,5 Prozent.
Irina Vlah (aktuell bei 4,1 Prozent) begann 2005 ihre politische Karriere als Parlamentsabgeordnete der Kommunistischen Partei, bevor sie 2015 mit Unterstützung der Sozialistischen Partei die Wahl zur Regierungschefin der autonomen Provinz Gagausien (Bashkan) gewann. In dieser Funktion positionierte sie sich sehr deutlich gegen die Regierung in Chişinău und bezog russlandfreundliche Positionen. Ihre gegenwärtige Kampagne schmückt sie mit einem großen Herz und nennt sich die „Präsidentin für Frieden“.
Bei der „unabhängigen“ Kandidatin Victoria Furtună und beim Kandidaten der Partei für die Zukunft und unterstützt von der Kommunistischen Partei Vasile Tarlev konnten investigative Journalisten nachweisen, dass Verbindungen zu Ilan Shor bestehen. Da beide jedoch unter zwei Prozent in der Wählergunst stehen und auch mit gekauften Stimmen kaum mehr Erfolg erzielen würden, gehen Analysten von einer mehrgleisigen Strategie Ilan Shors aus. Vor allem in einem zweiten Wahlgang könnten gekaufte Stimmen gezielt auf einen anderen erfolgversprechenden Kandidaten gerichtet werden, um zumindest ein knappes Ergebnis in der Wiederwahl von Maia Sandu zu erzielen.
Im bisherigen Wahlkampf wird deutlich, dass auch die meisten prorussischen Kandidaten mit bewusst unklaren Positionen zu einer europäischen Entwicklung des Landes auf die Wähler zugehen. Klare antieuropäische Positionen scheinen sich hingegen in vielen Regionen in der Republik Moldau nicht mehr auszuzahlen. Gleichzeitig diskreditieren viele dieser Kandidaten den von der Präsidentin anvisierten EU-Beitritt Moldaus bis 2030.
Neben Maia Sandu sind Andrei Năstase und Octavian Țĭcu Kandidaten mit klaren proeuropäischen Positionen. In innenpolitischen Fragen unterscheiden sie sich vor allem von Maia Sandu und ihrer Partei durch Kritik an den Regierenden, denen sie häufig fehlende Kooperationsbereitschaft, Professionalität und Korruption vorwerfen.
Der unabhängige Kandidat Năstase galt 2015 als Hoffnungsträger einer Protestbewegung, die sich gegen die kriminellen Machenschaften in Staat und Wirtschaft richtete. Seine Bürgerplattform und spätere Partei Würde und Wahrheit zog 2019 erfolgreich als Wahlbündnis mit Sandus Partei ins Parlament ein und schaffte in einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit mit verschiedenen politischen Akteuren den Sturz der Oligarchen. Kurz danach zerbrach das Wahlbündnis jedoch. Die Plattform Würde und Wahrheit hat mit weiteren kleineren Parteien das Wahlbündnis „Gemeinsam“ gegründet und den Historiker Octavian Țĭcu aufgestellt. Er vertritt unionistische Positionen, d.h. eine Vereinigung mit Rumänien.
Zwar positionieren sich die Kandidaten im Wahlkampf zu vielen Themen in der Innenpolitik, versprechen Investitionen in Wirtschaft, Bildung und Gesundheit. Jedoch ist das Amt des Staatsoberhauptes in der moldauischen Verfassung eher repräsentativ angelegt. Klare Befugnisse beschränken sich auf die Nominierung, Ernennung und Entlassung von anderen Amtsträgern, das Recht das Parlament aufzulösen und Zuständigkeiten in der Außen- und Verteidigungspolitik. Für eine starke und politikgestaltende Rolle als Präsident oder Präsidentin ist ein loyaler Premierminister und eine Mehrheit im Parlament notwendig. Dennoch wird traditionell der Staatspräsidentin oder dem Staatspräsidenten in der öffentlichen Debatte eine entscheidende Rolle in vielen Politikfeldern zugeschrieben. Das hat sich mit der wieder eingeführten Direktwahl im Jahr 2016 noch einmal verstärkt. Maia Sandu konnte bisher mit einer PAS-Mehrheit im Parlament und einer von PAS gestellten Regierung arbeiten. Ein wesentlich stärkeres Spannungsverhältnis zwischen den Verfassungsorganen würde entstehen – in der Vergangenheit schon häufiger passiert – wenn die wiedergewählte Präsidentin nach den kommenden Parlamentswahlen nicht mehr auf diese Mehrheitsverhältnisse zurückgreifen könnte.
Die Kampagne der Amtsträgerin
Maia Sandu führt ihren Wahlkampf mit der Vision von einer besseren europäischen Zukunft für Moldau, in der das Land sich wirtschaftlich, rechtsstaatlich und friedlich entwickeln wird. In ihrer Kampagne geht es – ähnlich wie 2020 – um die inneren Herausforderungen der Republik Moldau, erweitert um die europäische Perspektive als Lösungsangebot. Dabei kann sie auf ihr gutes Krisenmanagement in den letzten Jahren verweisen. Schließlich hat sie das Land in kürzester Zeit nach dem russischen Lieferstopp unabhängig von Energielieferungen aus dem Osten gemacht. Zudem genießt Moldau gegenwärtig eine große internationale Unterstützung, nicht zuletzt durch das Engagement und der persönlichen Integrität der Präsidentin. Sandus größter Erfolg war es, dass die Republik Moldau im Juni 2022 gemeinsam mit der Ukraine den Status als EU-Beitrittskandidat erhalten hat und die Verhandlungen nun offiziell eröffnet sind.
Dennoch ist eine überwältigende Zustimmung für Maia Sandu ähnlich wie 2020, als sie mit 58 Prozent der Stimmen gewählt wurde, nicht zu erwarten. Auch weil sich viele Hoffnungen der Menschen auf eine neue Präsidentin in den letzten Jahren nicht erfüllen ließen. Die Lage im Land ist weiterhin ökonomisch prekär und viele Menschen sehen kaum Verbesserungen in ihrem Lebensalltag. Die Wirtschaft hat sich bisher nicht von der Corona-Krise und dem Krieg im Nachbarland Ukraine erholt. Die Aussichten sind ebenfalls nicht positiv, verharren beispielsweise internationale Investitionen auf niedrigem Niveau. Zudem ist die Enttäuschung in der Bevölkerung groß, dass Maia Sandu und ihre Regierung bis jetzt wenig sichtbare Ergebnisse im Kampf gegen Korruption erreicht haben, war es doch ihr wichtigstes Versprechen im Wahlkampf 2020. Damals war die Hoffnung, dass mehr Rechtsstaatlichkeit und funktionierende Institutionen weitere positive Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft initiieren werden, die auch die vielen Moldauer im Ausland zu einer Rückkehr bewegen werden. Denn bisher ist die demographische Entwicklung eines der größten Probleme des Landes. Noch verlassen jährlich 59.000 Menschen das kleine Land mit circa 2,5 Mio. Einwohnern.
Wählt Moldau die Europäische Union?
Der EU-Beitritt wird Staatsziel mit Verfassungsrang, wenn mindestens die Hälfte der Wähler dafür stimmen werden. Hierfür muss jedoch ein Drittel der registrierten Wähler in Moldau an der Wahl teilnehmen. Die Moldauer werden auf dem Wahlzettel den genauen Wortlaut des geplanten Verfassungszusatzes erfahren. Bei einem mehrheitlichen Ja würde die Verfassung um folgende Worte ergänzt werden:
Die europäische Identität des Volkes der Republik Moldau und der Unumkehrbarkeit des europäischen Kurses der Republik Moldau werden bekräftigt.
Die Integration in die Europäische Union wird als strategisches Ziel der Republik Moldau erklärt.
Laut moldauischer Verfassung ist ein solches Referendum nicht zwingend für einen EU-Beitritt erforderlich, ein Scheitern müsste demnach nicht direkte Folge auf die Politik und die Verfassungsrealität des Landes haben. Jedoch würde ein missglücktes Referendum Maia Sandu als Initiatorin massiv beschädigen. Ihr politisches Hauptprojekt, die Integration der Republik Moldau in die Europäische Union, hätte nicht die Unterstützung bei der Bevölkerung und ein neues Referendum könnte erst in zwei Jahren abgehalten werden. Damit würde die Republik Moldau in eine Phase politischer Instabilität geraten. Eine Fortsetzung der EU-Verhandlungen wäre kaum vorstellbar, vorgezogene Parlamentswahlen wahrscheinlich. Auch ein knappes Resultat oder ein Nichterreichen der 33 Prozent der Wählerstimmen als Quorum wäre für die Präsidentin und ihr proeuropäisches Lager eine politische Niederlage, die nur schwerlich überwunden werden könnte.
Auch deshalb bezeichnete Maia Sandu vielfach die Teilnahme am Referendum als die wichtigste Entscheidung der Moldauer seit der Unabhängigkeit. Diese existentielle Dimension der anstehenden Wahl hat auch die proeuropäische Zivilgesellschaft im Land mobilisiert. Nichtregierungsorganisationen, Think Tanks und Personen des öffentlichen Lebens haben sich zu Initiativen wie „Moldau entscheidet“, „Bürger für Europa“ und die Initiative aus der Kultur mit der Künstlerin Nata Albot als Gesicht der Kampagne, zusammengeschlossen. Sie versuchen mit landesweiten Kampagnen und Aktionen über die Vorteile der EU aufzuklären und dekonstruieren beharrlich antieuropäische Narrative. Die wachsende Zahl der Ja-Stimmen in den Umfragen der letzten Monate lässt darauf schließen, dass diese Arbeit erfolgreich ist. Wird das reale Wahlergebnis diesen Trend bestätigen, könnte der Wahlkampf von Maia Sandu und der proeuropäischen Zivilgesellschaft ein gutes Beispiel für viele europäische Gesellschaften sein, wie man mit begrenzten Ressourcen und trotz massiver russischer Einflussnahme demokratische Wahlen gewinnen kann.
Die Reaktion prorussischer Parteien und Gruppen auf das Referendum ist nicht einheitlich. Beispielsweise ruft die Partei der Sozialisten als größte Oppositionspartei zu einem Boykott des ihrer Ansicht nach illegalen Referendums auf. Ziel ist es, die Ungültigkeit des Referendums durch eine geringe Wahlbeteiligung zu erreichen. Offiziell für eine Teilnahme und eine Nein-Stimme werben hingegen die Partei der Kommunisten des ehemaligen Präsidenten Wladimir Woronins und die Partei „Renaissance“ - eine der mit Ilan Shor verbundenen Parteien - auf. Damit soll die Zustimmung zum EU-Beitritt so gering wie möglich gehalten werden.
Russische Einflussnahme im Wahlkampf
Auch in diesen Wahlen zeigt sich, dass die Republik Moldau weiterhin zwei zentralen Sicherheitsrisiken ausgesetzt ist, die vielfach miteinander verflochten sind: Die Bedrohung durch Russland, sichtbar in einem hybriden Krieg sowie die Korruption und die damit verbundenen oligarchischen Machtstrukturen (wenn auch jetzt größtenteils aus dem Exil) in Verwaltung, Justiz und Politik. Der bereits häufig genannten Oligarch Ilan Shor pflegt nicht nur enge Beziehungen nach Russland, sondern beeinflusst vielschichtig die Wahlen, und verfolgt damit russische Ziele als auch eigene Macht- und Geschäftsinteressen in Moldau. Dabei ist Ilan Shor nicht nur ein zentraler Akteur bei der Finanzierung von prorussischen Parteien und Kandidaten im Wahlkampf, sondern er kauft direkt Stimmen. Investigative Recherchen moldauischer Journalisten aus den letzten Wochen belegen, dass große Geldbeträge via Überweisungen oder mit eingeschleustem Bargeld aus Russland an Wähler gegangen sind. Moldauische Sicherheitsbehörden sprechen von circa 130.000 Moldauern und Moldauerinnen, die Geld für ihre Stimmabgabe in der Präsidentschaftswahl und für ihr „Nein“ im Referendum erhalten haben.
Scheinbare Unterstützung aus der Gesellschaft erhalten einige Kandidaten von einzelnen Vertretern aus der moldauisch-orthodoxen Kirche zugehörig zum Moskauer Patriarchat. Mehrere Fälle wurden bekannt, in denen sich Priester und Bischöfe für die Wahl prorussischer Kandidaten aussprachen oder sich bei sogenannten Pilgerreisen nach Moskau nicht nur religiösen Themen widmeten. Insbesondere zur Wahl der mit Shor verbundenen Victoria Furtună wurde aufgerufen. Sie selbst setzt sich ebenfalls für den „Schutz“ der orthodoxen Kirche ein und warnt vor dem Verlust der „traditionellen moldauischen Werte“ durch den europäischen Integrationsprozess. Es ist davon auszugehen, dass weitere Netzwerke – ob an Universitäten, Schulen oder Arbeitsstellen über Stiftungen, persönliche Kontakte und gesellschaftliche Institutionen aus Moskau gepflegt werden, um die Wahlentscheidung der Moldauer zu beeinflussen. Allein diese wenigen Beispiele lassen darauf schließen, dass der finanzielle und personelle Einsatz Moskaus immens ist. Die Regierung und die Sicherheitsbehörden können nur sehr begrenzt darauf reagieren, es fehlen ausreichend Personal und Finanzmittel. Dennoch konnten einige Fälle der illegalen Wahlbeeinflussung aufgedeckt werden und Akteure festgenommen werden, jedoch müssen viele der Beteiligten aufgrund der bisher nicht gelungenen Justizreform nicht mit einer deutlichen Verurteilung rechnen.
Ein klassisches Instrument in der hybriden Kriegsführung Russlands sind Desinformation, Fake News und Propaganda, die sich in diesem Wahlkampf vor allem auf das EU-Referendum richten. Dominierende Narrative im Wahlkampf sind u.a.: Der EU-Beitritt der Republik Moldau hat keine Chance auf reale Umsetzung, die EU hat aufgrund innerer Probleme keine Zukunft, Moldau wird bei einem Beitritt die eigene Souveränität und kulturelle Identität verlieren, ein EU-Beitritt heißt Krieg gegen Russland. Dabei werden häufig reale Ereignisse, politische Entscheidungen und Äußerungen von Politikern instrumentalisiert und verfälscht, um diese Narrative zu verbreiten. In den letzten Wochen waren das beispielsweise einzelne Äußerungen des EU-Botschafters in Moldau zum Verkauf von Agrarland an Ausländer in der EU oder der Besuch der EU-Kommissionspräsidentin Ursula als Beeinflussung der Wahlen. Erst vor kurzem hat der moldauische Sicherheitsdienst weitere für Desinformation verantwortliche russische Internetseiten geblockt, unter anderem der Internetauftritt eines neuen Fernsehsenders Moldova24, der ebenfalls mit Ilan Shor verbunden ist.
Neben der parteipolitischen Einflussnahme und massiven Desinformationskampagnen ist mittlerweile neben der abtrünnigen Provinz Transnistrien die autonome Region Gagausien zu einem Spielball des hybriden Kriegs Russlands geworden. Nach den Wahlen ist mit weiteren Eskalationsversuchen in diesem Zusammenhang zu rechnen. In Gagausien leben mit ca. 140.000 Einwohner mehrheitlich Angehörige des christianisierten und mittlerweile russischsprachigen Turkvolkes der Gagausen, die sich traditionell an Russland orientieren und mehrheitlich gegen eine Annäherung an die EU sind (bei der Präsidentschaftswahl 2020 erhielt Maia Sandu wenige Prozentpunkte). 1990 entstand auch hier eine signifikante Separatistenbewegung gegen die Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion und gegen die Dominanz der rumänischen Sprache. 1994 führten Verhandlungen zu weitreichenden Autonomierechten in der inneren Sicherheit, Bildung sowie Verwaltung und damit zu einem Verbleib im moldauischen Gesamtstaat. Seit der letzten Regionalwahl im Mai 2023 wird diese Region im Süden der Republik Moldau von der mittlerweile verbotenen Shor-Partei regiert, die die Spannungen mit der Regierung in Chişinău deutlich intensiviert hat. Eine deutliche Ablehnung des EU-Beitritts in der Region könnte Argumentationsgrundlage sein, um die Ergebnisse insgesamt nicht anzuerkennen, weitere Autonomie zu fordern und den europäischen Beitrittsprozess der Republik Moldau als Region abzulehnen. In einem solchen Fall müsste die Regierung in Chişinău reagieren. Auch wenn diese Szenarien nicht in diesem Herbst realisiert werden, könnte auch dieser Konflikt mit Gagausien vor den kommenden Wahlen weiter genutzt werden. Hingegen ist die Lage im eingefrorenen Konflikt mit Transnistrien zunächst stabil, auch wenn hier weiterhin ein hohes Sicherheitsrisiko für Moldau besteht. Deutlich wird bei diesem Überblick, dass die anstehenden Wahlen nur der Auftakt eines entscheidenden Jahres für die Republik Moldau sind.
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