Ausgangslage
Und in der Tat: Sehr viel hat sich in den vergangenen drei Jahren im – bezogen auf die Einwohnerzahl – größten Land Zentralasiens verändert. Sсhawkat Mirsijojew, der am 4. Dezember 2016 als Nachfolger des am 2. September 2016 verstorbenen ersten Präsidenten Usbekistans, Islam Karimow, zum Präsidenten gewählt wurde, verfolgt seit seinem Amtsantritt einen energischen Reform- und Modernisierungskurs für Usbekistan und betreibt eine Öffnung seines Landes für mehr internationale und regionale Zusammenarbeit, die viele Beobachter nicht für möglich gehalten haben. Politische Häftlinge wurden aus den Gefängnissen entlassen und im Eiltempo werden Gesetze zur Wirtschaftsliberalisierung sowie zu Liberalisierung des Justizwesens auf den Weg gebracht. Zusätzlich sind Initiativen zur Korruptionsbekämpfung und Kampagnen zur Verbesserung des Images des Landes gestartet worden. Für die künftige Entwicklung des Landes ließ der neue Präsident zudem eine umfassende und ambitionierte Entwicklungsstrategie für 2017-2021 ausarbeiten. Sie beinhaltet grundlegende Reformpläne in fast allen Bereichen der Gesellschaft und umfasst folgende Schwerpunkte:
- Modernisierung der Gesellschaft und der öffentlichen Verwaltung: Stärkung der politischen Parteien und des Parlaments, demokratische Reformen, Einführung von E-Gouvernement, Entwicklung von Zivilgesellschaft und Medien.
- Rechtstaatlichkeit und Reform des Justizwesens: Unabhängigkeit der Gerichte, Schutz der Rechte und Freiheiten der Bürger, Modernisierung der Verwaltungs-, Straf-, Zivil- und Wirtschaftsgesetzgebung, effektive Kriminalitätsvorbeugung und -bekämpfung.
- Liberalisierung der Wirtschaft: Ziel sind makrowirtschaftliche Stabilität, Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit, Modernisierung und Entwicklung der Landwirtschaft, Reduzierung der Präsenz des Staates in der Wirtschaft, Entwicklung von Privateigentum, aktive Werbung um ausländische Investitionen durch Verbesserung des Investitionsklimas.
- Reformen im sozialen Bereich: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Einkommenserhöhungen, besserer Gesundheitsschutz, Stärkung der politischen Beteiligung von Frauen, Schaffung von bezahlbaren Wohnraum, Förderung von Bildung, Kultur, Wissenschaft, Kunst und Sport, aktive Jugendpolitik.
- Gewährleistung der Sicherheit, der regionalen Kooperation und der religiösen Toleranz, Umsetzung einer ausgewogenen, gegenseitig vorteilhaften und konstruktiven Außenpolitik: Stärkung der Souveränität und eine auf Stabilität und Kooperation ausgerichtete Nachbarschaftspolitik, Verbesserung des internationalen Images des Landes.
Mirsijojews Reformpolitik findet nicht nur im Land selbst, sondern auch international große Beachtung. Die Assoziation der Journalisten Asiens (AJA) mit Sitz in Seoul kürte Mirsijojew 2018 zum „Mann des Jahres in Asien". Als Teil der neuen usbekischen Entwicklungsstrategie strebt Präsident Mirsijojew eine enge Kooperation und gute Beziehungen zu seinen Nachbarn an. Ziel ist es dabei auch, eine größere Einigkeit in außenpolitischen Fragen unter den Staaten Zentralasiens herzustellen.
Vorläufiger Höhepunkt des rasanten Wandels in Usbekistan sind die anstehenden Parlamentswahlen. Es sind die ersten freien und demokratischen Parlamentswahlen seit der Unabhängigkeit des Landes. Alle bisherigen Parlamentswahlen in Usbekistan fanden unter strenger administrativer und politischer Kontrolle und ohne Wettbewerb statt. Wahlberechtigt sind 20,6 Millionen Bürger, davon zwei Millionen Erstwähler. Für die 150 Sitze im Parlament bewerben sich 750 Kandidaten von fünf Parteien (jeweils 150 Kandidaten).
Die OSZE wird die Wahlen durch ihr Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) und die Parlamentarische Versammlung beobachten. Die ODIHR-Mission besteht aus 11 Experten und 30 langfristigen Beobachtern. Zusätzlich werden noch 250 kurzfristige Beobachter erwartet, die einige Tage vor den Wahlen in Usbekistan ankommen werden. Die Parlamentarische Versammlung entsendet eine Beobachtermission mit mehr als 50 Parlamentariern aus 25 OSZE-Mitgliedsstaaten. Auch Vertreter der interparlamentarischen Versammlung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und Mitglieder der Beobachtungsmission der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit werden als Wahlbeobachter erwartet. Insgesamt werden rund 700 Beobachter aus 50 Ländern der Welt vor Ort sein. Auch die mediale Berichterstattung erreicht eine bisher nicht gekannte Qualität. So wurden von der Zentralen Wahlkommission Usbekistans 267 Vertreter der nationalen Medien und 125 Vertreter ausländischer Medien akkreditiert (Stand: 12. Dezember 2019). Und zum ersten Mal in der Geschichte Usbekistans werden Fernsehdebatten der Parteien live ausgestrahlt. Der erste stellvertretende Vorsitzende des Senats der Republik Usbekistan, Sadik Safajew, betonte vor diesem Hintergrund, dass die anstehenden Parlamentswahlen der Lackmustest für den seit 2017 eingeleiteten Reformkurs des Landes seien: „Historisch wichtig ist es aus einer Reihe von Gründen. Die Wahlen von repräsentativen Organen müssen unserem Volk und der Weltgemeinschaft den unumkehrbaren Charakter der Reformen offen und klar demonstrieren. Die wichtigste Aufgabe, die vor uns steht, ist die Durchführung von Wahlen, die zum ersten Mal in der Geschichte Usbekistans von unserem Volk und den internationalen Beobachtern als fair und frei anerkannt werden“, sagte Sadik Safajew.
Wie erfolgreich der Reformkurs des Landes sein wird, ist aus heutiger Sicht schwer abzuschätzen. Der Präsident ist zwar im Apparat und bei der Bevölkerung unangefochten, die Geschwindigkeit und der Umfang der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reformen seit 2017 bergen allerdings auch die Gefahr erheblicher sozialer Verwerfungen. Der Erfolg der Reformpolitik hängt aber nicht nur von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung Usbekistans ab, sondern auch davon, wie nachhaltig der Mentalitätswandel in der Gesellschaft ist, da das Land nicht auf eine demokratische Tradition aufbauen kann. Dennoch: Der eingeschlagene Weg stimmt hoffnungsvoll und ist nicht nur für Usbekistan selbst eine große Chance, sondern auch für die Entwicklung der gesamten zentralasiatischen Region.
Politisches System
Gemäß der Verfassung des Landes, die am 8. Dezember 1992 verabschiedet wurde, ist Usbekistan eine demokratische Republik mit einem Präsidialsystem. Der Präsident ist die höchste Amtsperson in Usbekistan und wird in allgemeiner und geheimer Wahl für 5 Jahre gewählt. Islam Karimov, Staatsgründer und erster Präsidenten Usbekistans, regierte das Land seit der Unabhängigkeit1991 bis zu seinem Tod am 2. September 2016 mit eiserner Hand. Existierten die in der Verfassung verbrieften demokratischen Rechte unter Karimov nur formal, so ist seit der Wahl von Shawkat Mirsijoew zum Präsidenten eine deutliche Kursänderung erfolgt.
Das höchste staatliche repräsentative Legislativorgan in Usbekistan ist das Parlament — Oliy Majlis. In 2002 wurde es von einem Einkammerparlament in ein Zweikammerparlament umgewandelt. Das Oberhaus ist der Senat, seine Mitglieder werden alle fünf Jahre in geheimer Abstimmung aus der Zahl der Abgeordneten der regionalen repräsentativen Organe (je sechs Personen aus jeder Provinz, sowie Taschkent und der autonomen Republik Karakalpakistan) gewählt. Außerdem werden 16 von 100 Senatoren persönlich vom Präsidenten ernannt. Die gleiche Person kann nicht gleichzeitig Senator und Abgeordneter der Gesetzgebungskammer sein. Das Unterhaus des Parlaments ist die Gesetzgebungskammer, deren 150 Abgeordnete für fünf Jahre gewählt werden.
Die exekutive Gewalt wird vom Ministerkabinett unter der Leitung des Premierministers ausgeübt. Der Kandidat für das Amt des Premierministers wird von der Partei aufgestellt, die über eine parlamentarische Mehrheit verfügt.
Politische Parteien in Usbekistan
Zurzeit sind in Usbekistan fünf Parteien registriert.
- Demokratische Volkspartei Usbekistans (NDPU). Sie wurde im November 1991 gegründet und ist die Nachfolgepartei der Kommunistischen Partei Usbekistans. Die Kernideologie der NDPU bildet die sogenannte Volksdemokratie, die auf der Idee des Sozialstaates und einer staatlich gelenkten Marktwirtschaft beruht. Im politischen Spektrum nimmt sie linke Positionen ein. Nach den Parlamentswahlen 2014 erklärte sich die NDPU-Fraktion mit 27 Sitzen im Parlament zur Opposition gegen den Block der demokratischen Kräfte.
- Sozialdemokratische Partei Usbekistans „Adolat“ (Gerechtigkeit). Die Partei wurde im Februar 1995 gegründet. Sie steht für Rechtsstaatlichkeit, eine starke Bürgergesellschaft sowie für eine soziale Marktwirtschaft als wirtschaftliches Ordnungsmodell.
- Demokratische Partei Usbekistans „Milliy Tiklanisch“ (Nationale Wiedergeburt). Sie wurde im Juni 2008 durch eine Fusion der Partei „Milliy Tiklanisch“ und der Nationaldemokratischen Partei „Fidokorlar“ (Patrioten) gegründet. Die Partei steht für den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates und einer starken Zivilgesellschaft, für den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt und angemessenen Platz Usbekistans in der globalisierten Welt sowie für die nationale Wiedergeburt, worunter sie die Stärkung des nationalen Bewusstseins versteht. Im Parlament ist sie derzeit mit 36 Abgeordneten vertreten und hat zusammen mit der Liberaldemokratischen Partei den Block der demokratischen Kräfte gegründet.
- Liberaldemokratische Partei Usbekistans (UzLiDep). Sie wurde als Bewegung für Unternehmer und Geschäftsleute im November 2003 gegründet. Die Partei mit aktuell 52 Sitzen im Unterhaus des Parlaments gründete mit der Partei «Milliy Tiklanisch» den Block der demokratischen Kräfte. Die Partei steht für die Unverletzbarkeit des Privateigentums, die Liberalisierung der Wirtschaft, die Demokratisierung und die Modernisierung des öffentlichen Lebens, den Wettbewerb und die Freiheit der Wirtschaftstätigkeit ein.
- Die ökologische Partei Usbekistans wurde im Januar 2019 gegründet und ging aus der ökologischen Bewegung Usbekistans hervor. Diese wurde im Jahr 2008 von Ärzten, Akademikern sowie verschiedene Institutionen der Zivilgesellschaft und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gegründet. Die Bewegung hatte ihre Fraktion in der Gesetzgebungskammer des Oliy Majlis mit 15 Sitzen.
Sowohl Umfragen als auch die Wahldebatten zeigen, dass die Parteien noch nicht in der Gesellschaft verankert sind. Vielen Wählern sind weder die Parteien noch deren Kandidaten und auch nicht die Wahlprogramme, die sich im Übrigen nur geringfügig voneinander unterscheiden, bekannt. Auch von aktiven Wahlkampf der Kandidaten ist im Land wenig zu spüren.
Dennoch ist davon auszugehen, dass durch die unangefochtene Stellung des Präsidenten seine Partei, die Liberaldemokratische Partei Usbekistans, als klarer Sieger hervorgehen wird. Davon zeugen auch die Ergebnisse einer Umfrage, die von der Online-Redaktion Kun.uz im August durchgeführt wurde. Auf die Frage „Für welche Partei würden Sie abstimmen, wenn morgen Parlamentswahlen stattfinden würden?“ haben 35 Prozent der Befragten die UzLiDep genannt. 32 Prozent der Befragten waren für die Milliy Tiklanisch. Laut einer aktuellen Umfrage des Zentrums für soziologische Forschungen „Ijtimoiy Fikr“ gaben 18,5 Prozent der Befragten an, die UzLiDep zu bevorzugen. Es folgen NDPU mit 15,6 Prozent und Adolat mit 18,5 Prozent. Für Milliy Tiklanisch entschieden sich 9,8 Prozent und für die neue Ökologische Partei Usbekistans 4,9 Prozent ab. Für 37,1 Prozent der Befragten war noch nicht klar, welche Partei sie ihre Stimme geben.
Bitte melden Sie sich an, um kommentieren zu können