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Litauen vor der Parlamentswahl - Spannungsarmer Wahlkampf im Schatten von Covid

autori Elisabeth Bauer, Dalia Friedt, Augustina Zamuškevičiūtė

Kurz vor der Parlamentswahl bleibt das Wahlergebnis schwer vorhersagbar. Potenzielle Koalitionen werden wohl erst nach dem zweiten Wahlgang feststehen.

Am 11. und 25. Oktober werden die litauischen Bürger ein neues Parlament, insgesamt 141 Abgeordnete, für eine Amtszeit von 4 Jahren wählen. Bereits Anfang des Jahres nahmen in der Öffentlichkeit Diskussionen zu diesem Thema zu, deren Verlauf, wie auch die Situation im Land insgesamt, kurze Zeit später durch die COVID19-Pandemie wesentlich beeinflusst wurden. Die Gruppe der drei in den Meinungsumfragen führenden politischen Parteien bleibt seit längerem unverändert: Die Konservativen (Vaterlandsunion-Litauische Christdemokraten, TS-LKD), Litauischer Bund der Bauern und Grünen (LVŽS) und die Sozialdemokraten (Litauische Sozialdemokratische Partei, LSDP). Da die Parlamentsmehrheit es nicht geschafft hat, die 5-Prozent-Wahlhürde gesetzlich auf 3 Prozent zu reduzieren, haben die vor kurzem gegründeten Parteien weniger Chancen, in den Seimas gewählt zu werden, da nicht damit zu rechnen ist, dass sie größeren Zuspruch finden. Dadurch wird auch davon ausgegangen, dass in dem neu gewählten Seimas weniger Parteien vertreten sein werden.

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Wahlkampf im Schatten von COVID

Litauen konnte in diesem Jahr mehrere wichtige Ereignisse feiern, die alle mehr oder weniger in Verbindung mit dem Zentrum der litauischen Demokratie, dem Parlament (Seimas), stehen. Am 11. März beging Litauen als erstes von den drei Baltischen Ländern den 30. Jahrestag der Wiederherstellung der Unabhängigkeit.  In diesem Jahr sollte zudem der vor 100 Jahren in der Zeit vom 14.-16. April 1920 erstmals stattgefundenen allgemeinen demokratischen Wahlen gedacht werden, die zur Gründung des Seimas führte, die dann Litauen zu einer demokratischen Republik erklärte.[1] Diese beiden wichtigen Ereignisse sollten - in der Planung für dieses Jahr so vorgesehen - Anlass für einen geschichtlichen Rückblick  und die Bewertung der aktuellen Leistungen und der Zukunftsperspektiven des Landes geben. Die COVID-19-Pandemie ließ aber außer einer noch stattgefundenen Militärparade am 11. März nichts weiter zu. Alle offiziellen Feierlichkeiten wurden abgesagt und die Ereignisse selber in den Hintergrund gedrängt.  Die Pandemie beeinflusste und veränderte wesentlich das gesamte wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Leben des Landes.  Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind nicht nur in den Angaben über die gewachsene Arbeitslosigkeit, einen wirtschaftlichen Rückgang und eine steigende Staatsverschuldung zu finden, sondern finden auch ihren Niederschlag in Veränderungen der Wahlprogramme der Parteien sowie in der Organisation der Wahlkampagnen der verschiedenen Parteien.

Der sogenannte Lockdown dauerte in Litauen drei Monate und wurde am 17. Juni offiziell beendet. Ungeachtet mancher Einschränkungen normalisierte sich das Leben in den Sommermonaten relativ schnell, breitere Diskussionen oder Kommentare zu der im Herbst bevorstehende Parlamentswahl blieben aber bis zu Beginn der Herbstsitzungen des Seimas am 10. September fast gänzlich aus. Die Pandemie und ihre Auswirkungen warfen die ganze Zeit einen Schatten auf alle Aktivitäten. Der bisherige Wahlkampf wird schon jetzt als einer der ruhigsten und langweiligsten seit einer langen Zeit bezeichnet. Als eines der wichtigsten Themen des Wahlkampfs steht das Thema der Bildung wieder ganz oben auf der Agenda.

Wahlkampfbeginn

Noch vor der COVID-19 Pandemie hatte Staatspräsident Gitanas Nausėda die Fragen des Bildungssystems zur höchsten und dringlichsten Priorität des Landes erklärt.

Anfang des Jahres forderte Präsident Nausėda in seinen Gesprächen mit führenden Politikern die Parteien auf, sinnlose Wahlschlachten zu meiden und die für den Aufbau des Wohlfahrtsstaates erforderlichen Schritte und Maßnahmen konstruktiv zu diskutieren.[2]

Einen Vorschlag, sich nicht in sinnlose politische Wahlschlachten zu verwickeln, sondern sich auf einen Dialog über die Zukunft Litauens zu konzentrieren, unterbreitete Anfang des Jahres auch der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Konservativen (TS-LKD), Gabrielius Landsbergis. Während er  die eigene Partei sowohl innerhalb wie außerhalb des Saimas sowie die gesamte Öffentlichkeit zu dieser Diskussion aufforderte, verkündete der Vorsitzende des Bundes der Bauern und Grünen (LVŽS), Ramūnas Karbauskis, dass er den Vorsitz der in dieser Legislatur größten Seimas-Fraktion sowie im Kulturausschuss niederlege[3], um als Parteivorsitzender intensiver die Wahlkampagne und den Wahlkampf zu leiten. Die Entscheidung habe er getroffen, um mehr Zeit für Gespräche und Treffen in den Regionen zu haben.

Die im Zuge der COVID-19-Pandemie am 16. März eingeführte Quarantäne ließ aber einen von manchen Politikern gewünschten frühen Wahlkampf scheitern. Sowohl die Abgeordneten wie die Regierungsmitglieder waren in der Zeit intensiv mit der Eindämmung der Pandemie beschäftigt.  

Blick auf die Regierung

Die Regierungskoalition wie auch die Regierung selber zeichneten sich in der aktuellen Amtszeit nicht durch Stabilität aus. Die Zusammensetzung der regierenden Koalition[4] änderte sich mehrmals, es gab mehrere größere Auseinandersetzungen zwischen den regierenden Parteien und der Opposition, wie auch zwischen der Regierung und dem Präsidialamt und relativ häufige Ministerwechsel. Anfang des Jahres schien es fraglich zu sein, ob die regierende Mehrheit in ihrer aktuellen Zusammensetzung überhaupt bis zur Wahl im Herbst bestehen bleiben würde.  Ministerpräsident Saulius Skvernelis scheute sich nicht, immer mal wieder in Konfrontation sowohl mit der ehemaligen Staatspräsidentin Dalia Grybauskaitė , wie dann auch nach seiner Wahl mit dem neugewählten Staatspräsidenten Gitanas Nausėda zu treten. Ende 2019 äußerte der Präsident sein Misstrauen gegenüber dem von der Partei Polnische Wahlaktion/Christlicher Familienbund (LLRA-KŠS) Verkehrsminister Jaroslav Narkevič, nachdem bekannt wurde, dass dieser in mehrere Skandale verwickelt sein sollte. Der Ministerpräsident weigerte sich, dem Staatspräsidenten das Rücktrittschreiben des Verkehrsministers einzureichen (die litauische Verfassung ist eine semi-präsidiale, sodass der Präsident mehr Befugnisse hat als in einer reinen Parlamentsdemokratie). Skvernelis charakterisierte die Kritik des Präsidenten und der Opposition am Verkehrsminister als ethnische Diskriminierung. Nach dieser öffentlich geäußerten Vermutung kam es zu einem öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen Ministerpräsident und Staatspräsident. 

Das Verhältnis der beiden Institutionen wurde infolgedessen vom Premierminister selber bildhaft als „Winter“ bezeichnet.

Mit der Ausrufung des Notstands aufgrund der Corona-Pandemie kam es zu einem Burgfrieden zwischen dem Präsidenten und dem Regierungschef. Vermutlich wollte der Präsident die durch die Pandemie hervorgerufene Krise nicht noch zusätzlich durch eine politische Krise durch die Auflösung der Regierung kurz vor der Parlamentswahl verstärken. Der Verkehrsminister ist immer noch nicht zurückgetreten und der Konflikt selbst bleibt wohl bis zur Regierungsneubildung nach den Wahlen ungelöst.

Perspektiven für die Zukunft

Sollte es unmittelbar nach der Parlamentswahl zu keinem Dialog über die Entwicklungsperspektiven des Landes und zur Lösung der wichtigsten Fragen im Sozial- und Gesundheitswesen, im Steuersystem und in der Bildung kommen, ist zu befürchten, dass dies nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Folgen haben wird. Es gibt Befürchtungen, dass sich führende Politiker wieder in sinnlose politische Kämpfe und populistische Maßnahmen verwickeln. Eine solche Entwicklung könnte dann dazu führen, dass das Vertrauen in die demokratischen Institutionen, besonders in den Seimas und die politischen Parteien weiter schrumpfen[5] und damit auch das Interesse am öffentlichen Geschehen und das Vertrauen der Bürger in eine qualitativ bessere Gesetzgebung und Umsetzung positiver Entwicklungen geringer wird.

Blick auf die Wahl: 5-Prozent-Wahlhürde für die neuen Parteien zu hoch

Traditionell etablieren sich vor den Wahlen mehrere neue Parteien und Bündnisse in Litauen. Die bevorstehende Parlamentswahl stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Eine dreißigjährige Erfahrung zeigt aber auch, dass viele politischen Bewegungen und Parteien, die unmittelbar vor den Wahlen entstanden sind, nicht lange bestehen bleiben.

Im rechten politischen Spektrum haben sich derzeit mehrere ganz neue politische Zusammenschlüsse gebildet. Diese politischen Parteien werden bei der kommenden Wahl jedoch einzeln antreten, wodurch ihre Chancen, die 5-Prozent-Hürde zu überwinden, sehr gering bzw. nicht realistisch sind. Die neuen Parteien könnten eventuell einzelne unentschlossene Wählern (laut Umfragen sind das derzeit noch ca. 16-18 Prozent[6]) für sich gewinnen, doch eine größeren Erfolg bei der eher loyalen Wählerschaft der Konservativen (TS-LKD) wird sich für sie eher als schwierig erweisen und ist daher auch nicht zu erwarten. Neben den o.g. Neugründungen im rechten politischen Spektrum wurde von drei Politikveteranen, die als „konservativ Liberale“ charakterisiert werden, eine neue Bewegung gegründet, genannt „Laisvė ir teisingumas“ („Freiheit und Gerechtigkeit“), deren Wahlmotto an die Geschichte der drei Musketiere angelehnt ist. Voraussichtlich wird keine der neuen Parteien einzeln genommen einen wesentlichen Einfluss auf den Wahlausgang haben. Der Politologe Kęstutis Girnius[7] kommt in seiner Analyse zu dem Schluss,  dass diese Gruppierungen aber das Gesamtwahlergebnis und sogar die Zusammensetzung der künftigen Koalition nachhaltig beeinflussen können (z.B. bei den Stichwahlen).

Die neugegründeten Parteien hätten voraussichtlich leichter ins Parlament einziehen können, wenn die Regierung schon für die bevorstehende Parlamentswahl die Wahlhürde für politische Parteien von 5 auf 3 Prozent und für Parteienbündnisse von 7 auf 5 Prozent reduziert hätten. Nachdem der Staatspräsident aber im Dezember 2019 sein Veto gegen dieses vom Seimas verabschiedeten Gesetz eingelegt hatte und das Veto vom Seimas nicht mehrheitlich zurückgewiesen werden konnte, blieb das Wahlrecht zumindest für die kommende Parlamentswahl unverändert. Damit ist auch die Gefahr einer Zersplitterung des neuen Parlaments und einer instabilen Regierung kleiner.

Was zeigen die aktuellen Meinungsumfragen?

Bei den Wahlen von 2016 hatte für viele unerwartet der Litauische Bund der Bauern und Grünen (LVŽS) die meisten Mandate (54 von 141 Mandaten) gewonnen, eine Partei, die in der Legislaturperiode von 2012-2016 nur durch einen Abgeordneten vertreten war. Bei der diesjährigen Wahl wird die Partei vermutlich das Ergebnis von 2016 nur schwer wiederholen können.

Zur Parlamentswahl 2020 treten 17 Parteien/Parteilisten an. Die Meinungsumfragen zeigen, dass aber nur fünf Parteien davon die 5 bzw. 7-Prozent-Hürde überwinden können. Laut jüngsten Umfragewerten von September liegen die oppositionellen Konservativen (TS-LKD) in der Wählergunst mit 14,5 Prozent[8]  vorne (im Vergleich zu 18,1 Prozent[9] im Januar 2020). Der Bund der Bauern und Grünen (LVŽS) bleibt im Moment mit 14,1 Prozent knapp dahinter auf Platz 2 in der Ranking-Tabelle (9,8 Prozent im Januar 2020) und scheint seit dem Sieg bei der Parlamentswahl 2016 einen großen Teil der Wähler verloren zu haben (Ende 2016 besaß der Bund die Unterstützung von mehr als 30 Prozent der Wähler). Als dritte politische Kraft wird die Litauische Sozialdemokratische Partei (LSDP) gesehen, die bei der Parlamentswahl laut Umfragen mit 8,4 Prozent der Stimmen aller Befragten rechnen kann (7,7 Prozent im Januar 2020). Die Arbeitspartei liegt mit 7,2 Prozent an vierter Stelle (6,7 Prozent im Januar 2020), und die Liberale Bewegung mit 6,7 Prozent an fünfter Stelle (6,2 Prozent im Januar 2020). Diese Angaben beziehen sich nur auf die generelle Stimmungslage, d.h. mit Auswirkung auf die Abgeordneten, die über die Liste ins Parlament einziehen, d.h. 70 Seimas-Abgeordnete. Die anderen 71 Abgeordnete werden in den Wahlkreisen direkt gewählt. Sollte im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit erreicht werden können, wird der Abgeordnete in einer Stichwahl ermittelt.

Obwohl die Ergebnisse der Umfrageagenturen etwas unterschiedlich ausfallen, bleibt die Verteilung der Spitzenparteien gleich. Auch kurz vor der Wahl sind keine deutlichen Verschiebungen zu verzeichnen.  Die Vorhersagen für die drei führenden Parteien bleiben schon seit längerer Zeit stabil. Rund 8,8 bis 10,8 Prozent der Befragten geben an, nicht wählen zu gehen, weitere 15,8 bis 18,1 Prozent sind immer noch unentschieden.[10]

Spitzenkandidaten und potentielle Premierminister

Die konservative Vaterlandsunion-Litauische Christdemokraten (TS-LKD), die gemäß den jüngsten Umfragewerten führt, treten mit der ehemaligen Finanzministerin und letztjährigen Präsidentschaftskandidatin Ingrida Šimonytė als Spitzenkandidatin an. Die Partei und ihr Vorsitzender haben dabei lange auf die Zusage gewartet. Gabrielius Landsbergis hatte Šimonytė schon nach dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen im Mai 2019 den Vorschlag, die Partei bei der anstehenden Parlamentswahl als Ministerpräsidentinkandidatin anzuführen; sie gab ihre positive Entscheidung aber erst Anfang März 2020 bekannt.

Ingrida Šimonytė (Mitglied der Fraktion der Konservativen, doch nicht in der Partei) ging aus der Präsidentschaftswahl mit einem überzeugenden Ergebnis heraus und zeigte dabei die Fähigkeit, nicht nur traditionelle, sondern auch neue Wählerschichten für konservative Ideen zu gewinnen. Die Wahl- und Parteienforscher sind sich jedoch darin einig, dass die Spitzenkandidatur für eine Parlamentswahl etwas ganz Anderes sei, als Kandidatin bei der Wahl zum Staatspräsidenten zu kandidieren, und bezweifeln stark, dass das herausragende Ergebnis bei der Parlamentswahl wiederholt werden könnte.[11]

Šimonytė wird laut einer Umfrage vom September von den meisten Befragten (17 Prozent) als bestgeeignete Kandidatin für den Posten des Ministerpräsidenten gesehen.[12] Auf dem zweiten Platz liegt mit 11,2 Prozent der derzeitige Premierminister Saulius Skvernelis, Spitzenkandidat der Partei Bund der Bauern und Grünen (LVŽS), ebenfalls nicht Mitglied oder Vorsitzender der Partei. Dass der Premierminister Saulius Skvernelis die Parteiliste bei der Parlamentswahl anführt, genauso wie schon bei der Wahl von 2016, ist verständlich, da der Parteivorsitzende Ramūnas Karbauskis von 63 Prozent (im Februar 2020) und immer noch 50,4 Prozent der Befragten (im September) negativ bewertet wurde.[13] Karbauskis gehört zu den am meisten negativ bewerteten Politiker Litauens.

Die an dritter Stelle liegende Litauische Sozialdemokratische Partei (LSDP) wird bei der Seimas-Wahl von dem 2017 neu gewählten Vorsitzenden Gintautas Paluckas geführt.  Die Umfragen zeigen, dass er als Politiker eher positiv als negativ bewertet wird. Sein Name erscheint aber nicht unter den zehn Politikern, die von den Befragten als bestgeeignet für den Posten des Premierministers genannt wurden.[14] Dies könnte an einer geringen Sichtbarkeit der Partei und ihres Vorsitzenden in der Öffentlichkeit liegen (Paluckas ist kein Parlamentsmitglied), aber auch daran, dass der Parteivorsitzende Paluckas sein politisches Ansehen und seine Erkennbarkeit in der Öffentlichkeit noch nicht richtig stärken konnte. 

Welche künftige Regierungskoalition kann es geben?

Schon Anfang des Jahres, noch vor der COVID-19 Pandemie, hat es mehrere Überlegungen sowohl von Wissenschaftlern wie auch von Politkern über die Zusammensetzung einer künftigen Regierungskoalition gegeben. Der Parteivorsitzende der Vaterlandsunion-Litauischen Christdemokraten Gabrielius Landsbergis schwieg Anfang des Jahres zur Frage über die möglichen Koalitionsvarianten, behauptete aber, dass es möglich sei, noch vor der Wahl „politisch verantwortungsbewusste Parteien zusammenzuschließen, auf die man sich bei der Bildung der neuen Koalition stützen kann.“[15] Er nannte dabei keine Parteinamen, daher kann nur gerätselt werden, ob er damit die drei derzeitigen Oppositionsparteien - die Sozialdemokratische Partei, die Liberale Bewegung und die konservative Vaterlandsunion-Litauische Christdemokraten - gemeint hat. Diese Koalition wurde auch vom früheren Vorsitzenden der Liberalen Bewegung, Eugenijus Gentvilas, als möglich bezeichnet. Die Meinung, dass eine Zentrum-Links Koalition wahrscheinlicher als eine Zentrum-Rechts-Koalition erscheint, wird von mehreren Analysten geteilt.[16]

Unmittelbar vor der Wahl bleiben die Prognosen der Politiker und der politischen Experten sehr vorsichtig, man solle den zweiten Wahlgang abwarten. Der Politologe Mažvydas Jastramskis  weist darauf hin, dass die Meinungsumfragen zwar die Beliebtheit der Parteien zeigen, doch seien sie für die Prognosen über das Wahlergebnis ungeeignet, insbesondere für die Prognosen über den Ausgang in den Direktwahlkreisen.[17] Dieser spezielle Hinweis geschieht auch vor dem Hintergrund, dass bei der letzten Parlamentswahl die konservative Partei nach dem ersten Wahlgang geführt hatte, aber in den Stichwahlen das Ergebnis nicht halten konnte. Weiter führte er aus, dass der Gedanke, dreimal nacheinander in der Opposition zu sein, für die Konservativen (TS-LKD) wenig sympathisch attraktiv sein dürfte, daher wird die Partei, die nur eine kleine Auswahl an Koalitionspartnern hat, wohl gezwungen sein, mit den meisten von den in den Seimas gewählten Parteien zu verhandeln.

Die Spitzenkandidatin der Vaterlandsunion/Litauische Christdemokraten Ingrida Šimonytė hält sogar die Bildung einer Minderheitsregierung nach der Wahl für möglich.[18] Der Vorsitzende der Vaterlandsunion/Litauische Christdemokraten Gabrielius Landsbergis nannte in seinem jüngsten Interview keine möglichen Koalitionspartner oder Szenarien der Koalitionsbildung nach der Wahl.  Die Polnische Wahlaktion/Christlicher Familienbund (LLRA-KŠS), der Partner in der derzeitigen Regierungskoalition ist, wurde von Landsbergis als „eine gegen den Staat gerichtete politische Kraft"[19] bezeichnet, mit der die Konservativen höchstwahrscheinlich keine Koalition bilden würden.  Jastramskis bezeichnete vor kurzem in seiner Analyse die Vaterlandsunion-Litauische Christdemokraten (TS-LKD) und den Bund der Bauern und Grünen (LVŽS) als natürlichste Koalitionspartner. Das Problem dabei: nicht nur die Führungsspitzen, sondern auch generell die beiden Parteien befinden sich seit längerem auf Konfrontationskurs.[20]

Fazit

Die am Wochenende stattfindende Parlamentswahl genießt eine immer größere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Die Konservativen, die laut allen Umfragen seit einer längeren Zeit führen, dürfte nur die Tatsache, dass sie mit Sicherheit ins Parlament einziehen werden, beruhigen, es lässt sich aber schwer vorhersagen, mit welchem Ergebnis, und ob sie Gelegenheit zur Koalitionsbildung haben werden, oder zum dritten Mal hintereinander in der Opposition bleiben müssen. Den jüngsten Meinungsumfragen unmittelbar vor der Wahl nach, sollten fünf Parteien die Fünf-Prozent-Hürde überwinden. Da die Umfragen aber nur die Situation im Mehrheitswahlkreis, wo nach Parteilisten gewählt wird, widerspiegeln, bleibt das Wahlergebnis schwer vorhersehbar. Die mögliche Koalitionsbildung wird sich erst nach dem zweiten Wahlgang, der am 25. Oktober stattfindet, klären. Voraussichtlich wird es aber nach einem gescheiterten Versuch, die Wahlhürde für die Parteien auf 3 Prozent zu reduzieren, keine größere Zersplitterung des Parlaments und damit die Möglichkeit für die Bildung einer stabilen Regierung geben. Klar ist - es bleibt spannend bis Ende Oktober.

Denn sowohl von der litauischen Gesellschaft wie auch von der Europäischen Kommission eingeforderten bzw. gewünschten dringend notwendigen Reformen wird sich das Parlament wohl erst nach der Parlamentswahl weiter widmen.

 

[1] https://www.lrs.lt/sip/portal.show?p_r=36628&p_k=1

[2] https://www.vz.lt/verslo-aplinka/2020/02/04/g-nauseda-ragina-partijastelktis-konstruktyviam-darbui

[3] https://www.lrt.lt/naujienos/lietuvoje/2/1138649/pareigas-seime-paliekantis-karbauskis-zmones-pamatys-kad-ne-bizunas-valdo

[4] Der aktuelle Koalitionsvertrag wurde Juli 2019 von folgenden Parteien unterzeichnet: Litauischer Bund der Grünen und Bauern, Litauische Sozialdemokratische Arbeitspartei, LSDDP, Wahlaktion/Christlicher Familienbund, LLRA-KŠS, und Ordnung und Gerechtigkeit. Seimas 2016-2020, https://www.lrs.lt/sip/portal.show?p_r=35354&p_k=2&p_kade_id=8

[5] Vertrauen in die Parteien beträgt 6,4 Prozent (Misstrauen – 53,7 Prozent); entsprechend in den Seimas – 13 proc. (Misstrauen 50,7 Prozent), in die Regierung – 28,3 Prozent (Mistrauen 28,5 Prozent), Vilmorus-Umfrage vom 4.-12. September 2020

[6] Spinter- und Vilmorus-Umfragen vom September 2020

[7] https://www.delfi.lt/news/ringas/lit/kestutis-girnius-dygsta-nykstukai-politiniai.d?id=83558585

[8] Spinter-Umfrage vom 16.-26. September 2020 (https://www.delfi.lt/news/daily/lithuania/apklausa-pries-pat-seimo-rinkimus-reitingu-lenteleje-inirtinga-kova.d?id=85365653)

[9] Spinter-Umfrage vom 20.-28. Januar 2020 (https://www.delfi.lt/news/daily/lithuania/naujausi-reitingai-intriga-del-busimos-koalicijos-ir-staigmena-kritikuojamai-vyriausybei.d?id=83480337)

[10] Vilmorus-Umfrage vom 4.-12. September 2020 (https://www.lrytas.lt/lietuvosdiena/aktualijos/2020/09/19/news/pries-seimo-rinkimu-finiso-tiesiaja-sociologo-v-gaidzio-izvalgos-kas-gali-nulemti-viska-16385565/) und Spinter-Umfrage vom 16.-26. September 2020 (https://www.delfi.lt/news/daily/lithuania/apklausa-pries-pat-seimo-rinkimus-reitingu-lenteleje-inirtinga-kova.d?id=85365653)

[11] https://www.lrt.lt/naujienos/lietuvoje/2/1141588/konservatoriai-iesko-lyderio-kodel-simonyte-neatnestu-laukiamos-sekmes-o-masiulis-taptu-akibrokstu

[12]  https://www.delfi.lt/news/daily/lithuania/apklausa-pries-pat-seimo-rinkimus-reitingu-lenteleje-inirtinga-kova.d?id=85365653

[13] Vilmorus-Umfrage vom 7.-13. Februar 2020; Vilmorus-Umfrage vom 4.-12. September 2020

[14] Vilmorus-Umfrage vom 4.-12. September 2020

[15]  https://www.delfi.lt/news/daily/lithuania/gabrielius-landsbergis-apie-saraso-lyderi-laukiam.d?id=83561949

[16] https://www.delfi.lt/news/ringas/lit/vladimiras-laucius-su-prezidento-nausedos-pagalba-i-valdzia-sugris-socdemai.d?id=83497105

[17]  https://www.delfi.lt/news/ringas/lit/mazvydas-jastramskis-ar-konservatoriai-gris-i-valdzia-koalicijoje-su-uspaskichu.d?id=83512973

[18] https://www.delfi.lt/news/daily/lithuania/simonyte-lietuvoje-galetu-buti-isbandyta-mazumos-vyriausybe.d?id=85418915#cxrecs_s

[19] https://www.lrt.lt/naujienos/lietuvoje/2/1237092/landsbergis-apie-tomasevskininku-ir-valstieciu-panasumus-raudonas-linijas-koalicijos-partneriams-ir-ismoktas-2016-uju-pamokas

[20] https://www.delfi.lt/news/daily/lithuania/ekspertai-apie-rinkimus-partijos-ne-tik-nebepasiulo-naujoviu-bet-ir-nebegeba-parasyti-programu.d?id=85356791

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