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Wahlen in Ecuador

Stichwahl zwischen Unternehmer und Correísta

Nach einem von Gewalt überschatteten Wahlkampf zieht im von zunehmender Drogenkriminalität geprägten Ecuador neben Luisa González, linke Vertreterin des Correísmo, der zweitplatzierte Mitte-Rechts-Kandidat Daniel Noboa bei den außerordentlichen Präsidentschaftswahlen überraschend in die Stichwahl ein

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Nachdem Angst und Gewalt bereits den Wahlkampf im Vorfeld der außerordentlichen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Ecuadors gekennzeichnet und im Mord am Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio am 09. August 2023 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatten, fanden am 20. August 2023 die Wahlen in einem Klima großer Verunsicherung statt. Mit 23,73 %[i] der Stimmen gelingt dem 35-jährigen Mitte-Rechts-Kandidaten Daniel Noboa überraschend der Einzug in die Stichwahl am 15. Oktober 2023 gegen Luisa González aus dem Lager der Correístas, die mit 33,26 % der Stimmen wie erwartet die formale Siegerin der ersten Wahlrunde ist.

 

Was wurde gewählt?

In den außerordentlichen Wahlen vom 20. August 2023, die infolge einer vorzeitigen Parlamentsauflösung durch Präsident Guillermo Lasso notwendig geworden waren (siehe Länderbericht „Ecuador: Muerte Cruzada hält Präsident Guillermo Lasso im Amt“ vom 19.05.2023), standen neben den Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten auch die 137 Vertreter der Nationalversammlung für die verbleibende Amtszeit bis 2025 zur Wahl. Im Jahr 2025 müssen dann im Rahmen der regulär abzuhaltenden Wahl ein neuer Präsident und die Mitglieder der Nationalversammlung neu gewählt werden. Parallel zur Wahl wurden auch zwei Volksbefragungen durchgeführt. Die erste fand auf nationaler Ebene statt und behandelte die Frage, ob im Nationalpark Yasuni weiter Öl gefördert werden soll oder nicht. Hier hat sich die Bevölkerung mehrheitlich dagegen entschieden. Die zweite Befragung betraf nur den Metropolitandistrikt Quito, wobei zur Disposition stand, ob Bergbau in der Andenregion Chocó betrieben werden darf oder nicht. In dieser Frage sprachen sich die Wähler mehrheitlich gegen jede Art von Bergbau aus.

 

Ergebnisse der Präsidentschaftswahl

Die Überraschung der von Gewalt überschatteten Wahl ist eindeutig Daniel Noboa. Mit dem Kandidaten des Wahlbündnisses Acción Democrática Nacional (ADN) hatte niemand ernsthaft gerechnet. Er ist Sohn des Unternehmers und dreimaligen Präsidentschaftskandidaten Álvaro Noboa, besitzt einen Abschluss in öffentlicher Verwaltung und einen Master in Regierungsführung und politischer Kommunikation. Er verspricht dem Land einen neuen Kurs jenseits des „Correísta – Anti-Correísta“-Schemas, steht für einen Generationenwechsel und eine gewaltfreie Zukunft.

Alberto Costa, bekannter Wirtschaftsanalyst in Ecuador, sieht den Erfolg Noboas darin begründet, dass er die richtigen Schlagworte für die Jugend gefunden habe und sich für bessere professionelle Ausbildungsmöglichkeiten, die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Unternehmertum einsetzen will.

Dass Luisa González von der Partei Revolución Ciudadana als einzige weibliche Kandidatin unter den Bewerbern für das Präsidentschaftsamt und Vertreterin des Lagers um den wegen Korruption verurteilten und landesflüchtigen Ex-Präsident Rafael Correa nicht über 34 % der Stimmen hinausgekommen ist, lässt darauf schließen, dass sich die Ecuadorianer mehrheitlich keine Zukunft wünschen, die mit dem Namen und System Rafael Correa in Verbindung steht. In den letzten drei Wahlen konnten die mit Correa in Zusammenhang stehenden Parteienbündnisse keine wesentlichen Stimmengewinne verzeichnen.

Christian Zurita, der vom Movimiento Construye aufgestellte Nachfolger des ermordeten Kandidaten Villavicencio, erreichte mit 16,5 % der Stimmen den dritten Platz noch vor Jan Topic von der christsozialen Partei, dem Experten wegen seines auf das Thema Sicherheit konzentrierten Wahlkampfes gute Aussichten auf den Einzug in die zweite Runde vorausgesagt hatten und der 14,67 % erzielen konnte. Otto Sonnenholzer, ehemaliger Vizepräsident des Landes, dem viele Analysten ebenfalls mehr zugetraut hatten, enttäuschte mit rund 7,08 % genauso wie der Indigenenkandidat Yaku Pérez mit rund 3,92 % der Stimmen. Die übrigen Kandidaten, Xavier Hervas und Bolívar Amijos, erreichten jeweils nicht einmal einen halben Prozentpunkt der Wählerstimmen.

 

Die neue Nationalversammlung

Aber auch die neue Zusammensetzung des Parlaments ist eine Überraschung. Die Partei Revolución Ciudadana wird mit 38,39 % der Sitze stärkste Kraft. Im Vergleich zur vorherigen wird die Zusammensetzung dieser Nationalversammlung aber weniger fragmentiert sein. Zweitstärkste Kraft ist mit 22,74 % der Sitze das Movimiento Construye des ermordeten Kandidaten Fernando Villavicencio. Danach folgt das Parteienbündnis Acción Nacional Democrática von Daniel Noboa mit 14,3 % und die Partido Social Cristiano mit 10,85% der Sitze. Damit bestünde bei einem Zusammenschluss der Mitte-Rechts-Bündnisse die Chance, eine absolute Mehrheit im Parlament zu erzielen und damit dem in den letzten Jahren so schwerwiegenden Dauerkonflikt zwischen Legislative und Judikative zu entgehen, sollte der junge Noboa am 15. Oktober zum Präsidenten gewählt werden.

 

Übersicht zu den Wahlergebnissen der außerordentlichen Präsidents- und Parlamentswahlen 2023

Präsidentschaftskandidaten Partei oder Parteienbündnis Ideologische Ausrichtung Wahlergebnis in %
Jan Topic Partido Social Cristiano mitte-rechts 14.67
Daniel Noboa Accíon Democrática Nacional mitte-rechts 23.73
Christian Zurita Movimiento Construye mitte-rechts 16.5
Otto Sonnenholzner SUMA & Avanza País mitte 7.08
Xavier Hervas Movimiento Renovacíon Total mitte-links 0.49
Yaku Pérez Somos Agua mitte-links 3.92
Bolívar Armijos Movimiento Amigo links 0.35
Luisa González Revolución Ciudadana Sozialismus des XXI. Jahrhunderts (Correísmo) 33.25
Ungültige und leere Stimmzettel - - 8.67

 

Die Gewalt greift um sich im Land

Der friedliche Verlauf der gestrigen Wahlen in Ecuador darf nicht über die enorme Gewalt und angespannte Sicherheitslage im Land hinwegtäuschen. Ecuador hat wie erwähnt einen von Verunsicherung, Angst und Schrecken geprägten Wahlkampf erlebt. Nach dem Mord an Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio am 09. August 2023 hat Staatspräsident Guillermo Lasso einen 60-tägigen Ausnahmezustand ausgerufen. Deswegen zeigte die Polizei nun vermehrt auf den Straßen Präsenz und das Militär wurde zur Sicherung der Wahllokale herangezogen. Viele Wähler waren ob der schrecklichen Ereignisse der letzten Wochen trotz Wahlpflicht verunsichert. Die Stimmung war am Wahltag entsprechend aufgeheizt und von großer Sorge geprägt.

Seit September 2022 hat es insgesamt 19 politische Attentate mit 9 Toten gegeben. Nach einer Welle von Massakern in den Gefängnissen des Landes in den Jahren 2021 und 2022, die im Zusammenhang eines Krieges zwischen rivalisierenden Banden um Macht und Einfluss im Kontext des Drogenhandels standen, griff die Gewalt auch auf die Straßen über. Die Mordrate stieg nach Schätzungen von InSight Crime im Jahr 2022 um 86,3 Prozent und in der ersten Hälfte des Jahres 2023 um 74 Prozent.[ii] Konkret bedeutet das, dass es nun im Durchschnitt 26 Morde pro 100.000 Einwohner gibt, Tendenz steigend. Im Jahr 2017 waren es noch 5 pro 100.000 Einwohner. Damit wird Ecuador statistisch gesehen zu einem der gefährlichsten Länder Lateinamerikas mit einer höheren Mordrate als Mexiko.

In diesem Kontext haben sowohl die aktuelle Regierung als auch einige mutige Abgeordnete und Präsidentschaftskandidaten – wie der ermordete Fernando Villavicencio – Maßnahmen ergriffen, um gegen die auswuchernde Korruption und Gewalt vorzugehen, die das Land heimsuchen. Dies hat aber zur Konsequenz, dass sich die oftmals gut organisierten und vernetzten ecuadorianischen Banden und vor allem die international operierenden Drogenkartelle in ihren Geschäftsinteressen gestört fühlen, was wiederum zu einer weiteren Eskalation der Gewalt beiträgt.

Insofern war diese Wahl hinsichtlich der Frage, ob das Land dem Vorbild des ermordeten Präsidentschaftskandidaten in seinem Kampf gegen Korruption und Verbrechen folgen oder ob es sich der Macht und Gewalt des organisierten Verbrechens ergeben will, von großer Bedeutung. Juan Carlos Holguín, ehemaliger Außenminister Ecuadors, hat es in einer Kolumne zu Ehren und Andenken Villavicencios deutlich gemacht:

„Das Vermächtnis von Villavicencio kann hier nicht enden; wir alle sind dafür verantwortlich, seinen Kampf in dem uns eigenen Umfeld fortzuführen. Der Journalismus muss weiterhin mutig und ohne Angst die Macht hinterfragen. Die Gesetzgeber müssen aufrichtig sein und die Machthaber, wer auch immer an der Macht ist, mit Gerechtigkeit und Freiheit zur Rechenschaft ziehen. Geschäftsleute, Eltern, alle. Wir alle müssen Fernando Villavicencios Beispiel folgen.“[iii]

Andrea González, Vize-Präsidentschaftskandidatin von Villavicencio, machte dagegen in einem Interview mit CNN die internationale Dimension des Verbrechens an ihrem Kandidaten deutlich und hob hervor, dass die gegenwärtige Situation nur mit internationaler Hilfe gelöst werden kann.

„In Ecuador hat man uns beigebracht, dass das Konzept der Souveränität darin besteht, keine Hilfe von anderen Ländern zu erhalten, obwohl es sich um ein internationales Verbrechen handelt. Wir wissen, dass Kokain in Kolumbien hergestellt wird, über Ecuador nach Mexiko, nach Europa und in die Vereinigten Staaten gelangt. Es wäre illusorisch zu glauben, dass dies ein Problem Ecuadors ist, das von uns allein gelöst werden kann.“[iv]

Ecuador ist in den letzten Jahren zu einem Drogenumschlagplatz geworden

Seit ein paar Jahren hat Ecuador aufgrund komplexer Umstände, darunter eine um sich greifende Korruption und die Ausweitung krimineller Wirtschaftsmodelle (Menschenhandel, illegaler Bergbau und Holzschlag, Waffenschmuggel, etc.), eine große strategische Bedeutung für den globalen Drogenhandel eingenommen und sich zu einem logistischen Hub für den Export von Drogen, etwa aus Kolumbien, Peru, Costa Rica oder Mexiko entwickelt. Dabei geht es vor allem um Kokain. Traditionelle Konsum-Märkte wie die Vereinigten Staaten, aber auch aus Sicht der Drogenhändler aufstrebende Märkte in Europa und Asien werden zunehmend von Ecuador aus bedient, weshalb das Land für das international operierende Verbrechen an Bedeutung gewonnen hat. Wurden im Jahr 2015 nur rund 60 Tonnen Kokain in Ecuador sichergestellt, betrug im letzten Jahr die konfiszierte Menge dieses Rauschgifts etwa 200 Tonnen.

Die politische Instabilität des Landes, seine schwache Institutionalität, der fortwährende Streit zwischen Exekutive und Legislative, der das Land lähmt und überhaupt erst zu diesen außerplanmäßigen Wahlen geführt hat, bestärken die beschriebenen Entwicklungen. Reformen, die eine Veränderung herbeiführen könnten, um in den Bereichen Armutsbekämpfung, der Schaffung von Arbeitsplätzen und gesundheitliche Grundversorgung tatsächlich voranzukommen, bleiben aus oder sind zum Scheitern verurteilt. Maßnahmen seitens der aktuellen und Vorgängerregierung zur Bekämpfung des Verbrechens hatten nur mäßigen bis gar keinen Erfolg, so dass es in den vergangenen Jahren immer wieder zu beispiellosen Gewalttaten wie Massakern in Gefängnissen kam, denen der Staat nichts entgegenzusetzen hatte. Der Rechtsstaat kann vielerorts nicht mehr durchgesetzt werden und die Bevölkerung hat jedes Vertrauen in den Staat und in die Politik verloren.

Diese Unfähigkeit, Menschen in ihrem Bedürfnis nach Sicherheit, Arbeit und einer gesundheitlichen Grundversorgung zu befriedigen und ihnen damit Zukunftsaussichten zu bieten, hat die Situation ebenfalls verschärft, denn viele junge Menschen sind dadurch anfällig für Anwerbung durch das organisierte Verbrechen geworden.

Außerdem spielt der zunehmende Konsum von Drogen in Europa im Kontext der Konsolidierung der Drogenkriminalität in Ecuador eine nicht zu unterschätzende Rolle. Immer mehr Drogen kommen an europäischen Häfen an, zuletzt allen voran an den Häfen von Antwerpen und Rotterdam. Da die Europäische Union in diesem Kontext Maßnahmen ergreift und beispielsweise im Frühjahr dieses Jahres eine Kooperationsvereinbarung mit der ecuadorianischen Regierung zur Bekämpfung des Drogenexports geschlossen hat, so dass die genannten Häfen infolgedessen immer strenger kontrolliert werden, weichen die Drogenexporteure mittlerweile mit steigender Tendenz auch auf Häfen wie Hamburg und Rostock aus. Dort wiederum kommt es seit einiger Zeit immer häufiger zu Erpressungen von Hafenmitarbeitern mit der Absicht, dass diese etwa beim Schmuggeln von Drogen mithelfen. Damit wird die internationale Dimension der aktuellen ecuadorianischen Situation deutlich.

 

Fazit

Der Ausgang des ersten Wahlgangs bei den außerordentlichen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Ecuador hat zu einer neuen Zusammensetzung der Nationalversammlung geführt, die sich fundamental von der aus den Wahlen des Jahres 2021 resultierenden unterscheidet. Durch die neuen Machtverhältnisse besteht die Möglichkeit, durch einen Zusammenschluss einer Mitte-Rechts-Koalition eine absolute Mehrheit im Parlament zu erzielen. Damit könnte man dem in den letzten Jahren so schwerwiegenden Dauerkonflikt zwischen Legislative und Judikative entgehen, sollte Daniel Noboa es schaffen, am 15. Oktober zum Präsidenten gewählt zu werden und entsprechende Allianzen zu schmieden.

Der zweite Wahlgang wird weitgehend über die wirtschaftliche Zukunft des Landes entscheiden, denn das wirtschaftliche Länderrisiko ist mit Blick auf die allgemeine Lage des Landes stark angestiegen. Ecuador steht zudem vor der Herausforderung, der Bedienung seiner Auslandsschulden nachzukommen, um zahlungsfähig zu bleiben und weiteren Zugang zu Krediten mit günstigen Bedingungen zu erhalten.

Die neue Regierung muss mit Blick auf den Ausgang der Volksbefragungen mit einem Rückgang der Einnahmen aus dem allgemeinen Staatshaushalt umgehen und neue Strategien entwickeln, um das Haushaltsdefizit zu verringern und die finanzielle Nachhaltigkeit des Staates zu gewährleisten.

Der Wahlkampf im Vorfeld dieser außerordentlichen Präsidentschaftswahlen ist aber auch ein Warnsignal für die Welt. Eine schwache oder mangelhafte Demokratie, das Zurückgehen staatlicher Institutionalität und das Fehlen einer funktionierenden Rechtsstaatlichkeit öffnen international organisierten kriminellen Strukturen die Türen, um sich mittels Korruption und brutaler Gewalt Macht und Einfluss zu verschaffen und dadurch die Demokratie noch weiter zu gefährden.

Ecuador ist aufgrund der besprochenen Problematik für die Region, aber auch für die internationale Gemeinschaft gerade in dieser schwierigen Situation von Bedeutung. Der Drogenhandel operiert international und ist gewaltbesetzt. Das ecuadorianische Kokain kommt vermehrt in Europas und auch in Deutschlands Häfen an. Die internationale Politik muss reagieren und darf, unabhängig vom Ausgang der Stichwahl im Oktober, Ecuador in dieser Situation nicht alleinlassen. Denn internationale Unterstützung bleibt in diesen Zeiten das A und O, um sowohl in Ecuador als auch darüber hinaus das Überleben der Demokratie zu sichern und zu einer friedlichen Zukunft und Entwicklung beizutragen.

 


[i] Nach Auszählung von 90,64% der Stimmzettel; Stand: 21.08.2023, 00:29 Uhr CONSEJO NACIONAL ELECTORAL (cne.gob.ec)

[ii] Las 4 razones de la crisis de seguridad en Ecuador (insightcrime.org), aufgerufen am 19.08.2023

[iii] El odio también lo mató (expreso.ec), aufgerufen am 19.08.2023

[iv] https://youtu.be/VCSnnFM8Tvw?feature=shared&t=324, aufgerufen am 20.08.2023

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Johannes Hügel

Johannes Hügel

Leiter des Auslandsbüros Ecuador

johannes.huegel@kas.de (+593) 2-401-6117 ext 812

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