Správy a analýzy
Einmal mehr steht Alexander Lukaschenko in diesen Monaten unter starkem politischem Druck. Eine ausgewachsene Wirtschaftskrise und sicherheitspolitische Bedrohungswahrnehmungen vor allem aus Richtung Osten zwingen ihn gegenwärtig zu einem vorsichtigen Annäherungsprozess an den Westen. Der Präsident im 23. Amtsjahr ist dabei zwischen zwei externen Erwartungshaltungen gefangen: Die russische Seite erwartet das Festhalten an der bisherigen Bündnistreue – ohne die massive finanzielle Unterstützung aus Moskau wäre das System Lukaschenko kaum überlebensfähig. Bündnistreue bedeutet dabei aber nach russischer Logik auch – Stichwort: Ukraine – den Verzicht auf demokratische Experimente oder gar eine echte Romanze mit der EU. Die westliche Seite gibt Lukaschenko zwar nach der Freilassung der politischen Gefangenen im August 2015 aktuell einen großen politischen und wirtschaftlichen Vertrauensvorsprung, erwartet aber durchaus Verbesserungen der demokratischen Ausgestaltung der Wahlen.
Man mag sich aktuell an frühere Wellen des Pendelns zwischen Ost und West erinnert fühlen, die starken Hebel und die Abhängigkeit von Moskau sowie die angesichts der innerrussischen wirtschaftlichen Herausforderungen für Belarus einzig verbliebene wirtschaftliche Diversifikationsquelle – die EU – lassen Lukaschenko derzeit schlicht kaum Alternativen als ein weiteres Balancieren.
Mit ersten Schritten hat die EU in den letzten Monaten aufgezeigt, welche neuen Wege man mit Belarus im Falle der gegenwärtig verbesserten Beziehungen gehen kann: In finanzieller Hinsicht soll die Europäische Investitionsbank nun zu Belarus aktiv werden, Gespräche über die künftige Ausgestaltung der Östlichen Partnerschaft, an der Belarus bislang ohne Aktionsplan passiv teilnahm, finden statt. Ein Menschenrechtsdialog und ein Abstimmungsforum über die Zusammenarbeit EU-Belarus ist eingerichtet sowie eine Rechtsstaatsinitiative gemeinsam mit der UN in Vorbereitung. Insbesondere bei den mittelosteuropäischen Staaten war in den letzten Monaten eine deutliche Intensivierung der Kontakte zu Belarus zu beobachten, vor allem hinsichtlich sich ergebender wirtschaftlicher Kooperationsmöglichkeiten nach weitgehender Aufhebung der EU-Sanktionen. In Brüssel wie auch in manchen anderen europäischen Hauptstädten schließt man nicht aus, eventuell noch breitere Angebote zu machen – vorausgesetzt Lukaschenko sendet zumindest Zeichen des Willens, gewisse Grundwerte der Union stärker zu beachten. Die Parlamentswahlen am 11. September entscheiden daher als zentraler Indikator darüber mit, welche Kooperationsbereitschaft der Westen in den nächsten Jahren gegenüber Belarus zeigen kann. Der voraussichtlich nächste Indikator dieser Art wird wohl erst die Präsidentenwahl im Jahr 2020 sein.
Grundaspekte der Wahlen
Den Startschuss für die Wahlkampagne zur Repräsentantenkammer gab die Zentrale Wahlkommission der Republik Belarus am 6. Juni 2016, als Präsident Lukaschenko den Wahltag auf den 11. September festsetzte. Nach Bildung der Wahlkommissionen wurden bis zum 12. Juli Initiativgruppen zur Aufstellung der Kandidaten für die Parlamentswahlen durch die Unterschriftensammlung registriert: Zur Aufstellung eines Kandidaten sind mindestens 1.000 Unterschriften der Wählerinnen und Wähler aus dem jeweiligen Wahlkreis erforderlich. Vom 3. Juli bis zum 1. August wurden sodann die Unterschriften für die Aufstellung der Kandidaten gesammelt bzw. Kandidaten durch politische Parteien und Belegschaften von Unternehmen oder Organisationen direkt aufgestellt. 630 Bewerber haben sich so für die 110 zu vergebenden Plätze gefunden, 130 mehr als noch bei der Parlamentswahl 2012. Nach einer Prüfung der eingereichten Unterschriften und Aufstellungsunterlagen der Parteien und Belegschaften werden die Kandidaten registriert. Zwischen dem 11. August und dem 10. September können die registrierten Kandidaten sodann Wahlkampf betreiben. Erneut ist auch bei dieser Wahl die im Falle von Belarus oft kritisierte vorfristige Stimmabgabe möglich, und zwar vom 6. bis zum 10. September, bevor am 11. September der eigentliche Wahltag ist. Spätestens bis zum 16. September werden die Ergebnisse der Wahlen dann in den Massenmedien veröffentlicht. Die Wahl zur Repräsentantenkammer der Nationalversammlung der Republik Belarus gilt als stattgefunden, wenn mindestens 50 Prozent der eingetragenen Wähler ihre Stimme abgeben.
Die parallel stattfindenden Wahlen zum Oberhaus – dem Rat der Republik – können von den Bürgerinnen und Bürgern nur indirekt beeinflusst werden: Die Kandidaten werden durch lokale Räte und Exekutive vom 25. Juli bis zum 19. August aufgestellt und vom 25. August bis zum 13. September auf den gemeinsamen Sitzungen der lokalen Räte einer Region gewählt. Bis zum 30. September stehen so jeweils acht Mitglieder des Republikrates von jeder der sieben Regionen von Belarus fest. Weitere acht Mitglieder des Republikrates werden durch den Staatspräsidenten ernannt. Mitte Oktober werden die neu gewählten Mitglieder des Republikrates ihre alten Kollegen ablösen.
Lage der Opposition
An der seit vielen Jahren bestehenden grundsätzlichen innenpolitischen Lage in Belarus hat sich in den letzten Monaten nur wenig geändert. Es besteht eine Machtvertikale mit breiter Kontrolle von systemunterstützenden Organisationen, die eng mit dem staatlichen System verbunden sind. Die politische Opposition und breite Teile der unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen sind marginalisiert und in der Bevölkerung oft nicht bekannt, oder man hält zu ihnen aus Furcht vor negativen Konsequenzen durch staatlich kontrollierte Stellen Distanz. In diesem Umfeld stellen die Oppositionsparteien zwar Kandidaten auf, manche jedoch haben angekündigt, diese Kandidaturen vor dem Wahltag eventuell wieder zurückzuziehen, da sie die gegenwärtigen Wahlen als nicht frei und fair ansehen und daher nicht Teil dieser Prozesse sein wollen. Andere, darunter insbesondere die als systemnah zu bezeichnende Parteien, hoffen auf einen Einzug ins Parlament im Stile der in der russischen Duma vertretenen Parteien jenseits der Edinaja Rossija. Eine dritte Kategorie bildet die Initiative „Sag die Wahrheit“ um die frühere Präsidentschaftskandidatin Tatjana Korotkewitsch. Diese noch junge Initiative zählt sich zwar einerseits zur Opposition, macht sich aber andererseits für Änderungen über einen Dialog mit der Regierung auch unter den aktuellen Gegebenheiten stark und findet dort durchaus Gehör. Statt einem in anderen Teilen der Opposition diskutierten Boykott der Wahlen spricht sich „Sag die Wahrheit“ dafür aus, möglichst viele Wähler zur Stimmabgabe zu bewegen.
In ihrem politischen Handeln sind die meisten der Oppositionsparteien weiterhin eingeschränkt. Einige Organisationen, darunter die Partei „Belarussische Christliche Demokratie“ erhalten keine Registrierungen und können damit bestenfalls in rechtlichen Grauzonen agieren. Von der früher in Belarus sichtbaren aktiven Unterdrückung der Opposition ist man gegenwärtig jedoch erkennbar entfernt. Die Zahl der genehmigten öffentlichen Veranstaltungen der Opposition bleibt zwar überschaubar, jedoch führt die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen nicht mehr wie früher zu Verhaftungen und Gefängnisstrafen. Gegenwärtig verhängt der Sicherheitsapparat eher hohe Geldbußen, mit denen sich viele Oppositionspolitiker und Aktivisten konfrontiert sehen.
Der aktuell vorsichtige Annäherungsprozess zwischen Belarus und der EU wird in der Opposition verbreitet negativ gesehen. Nicht wenige halten diese Annäherung insofern für falsch, als dies aus ihrer Sicht eine Legitimierung des Systems Lukaschenko bedeuten würde. Ein alternativer realpolitischer Ansatz zum Umgang mit Belarus in einer neuen sicherheitspolitischen Lage wurde jedoch von der Opposition bislang nicht vorgelegt. Ebenso teilt man hier nicht die außerhalb von Belarus gelegentlich wahrzunehmende Hoffnung, dass Wandel in Belarus vielleicht doch auch mit Lukaschenko möglich sei.
Lage im Vorwahlkampf
Wie groß dieser erhoffte Wandel tatsächlich sein kann, bleibt mit Blick auf die Parlamentswahl vorerst offen. Durchaus kritisch ist zu sehen, dass lediglich drei von 30 ODIHR-Vorschlägen zur Gestaltung des Wahlverfahrens gefolgt wurde. Die Umsetzung der restlichen Empfehlungen wurde auf die Zeit nach den Wahlen verschoben, da diese nach Bekundung der Behörden Änderungen in der Wahlgesetzgebung erfordern und deswegen in der gesetzlich vorgeschriebenen Sechsmonatsfrist vor dem Wahltag nicht mehr umgesetzt werden konnten.
Immerhin jedoch wurde dem Vorschlag des ODIHR gefolgt und die Zusammensetzung der Wahlkommissionen geändert, allerdings nur auf der Gebiets- und Wahlkreisebene und nicht der lokalen Ebene, wo die Stimmen am Wahltag auch tatsächlich gezählt werden. Erweitert wurden allerdings weiterhin die Möglichkeiten für die Beobachtung der Stimmenzählung in den Wahllokalen und die Möglichkeiten der Kandidaten, Beschwerden vorzubringen. Ein kleineres zusätzliches Zeichen für eine größere Offenheit ist unter anderem die Einbeziehung eines Vertreters des unabhängigen belarussischen Journalistenverbandes in die Medienkommission der Zentralen Wahlbehörde.
Während der Bildung der Initiativgruppen und der Kandidatenaufstellung wurden zwar auch während der aktuell laufenden Kampagne Beschwerden seitens der Opposition vorgebracht. Insbesondere berichteten Oppositionsvertreter, dass zur Kandidatur bereite Mitglieder am Arbeitsplatz unter Druck gesetzt wurden, um sie von ihrer Teilnahme an den Wahlen abzuhalten. Diesen Zusammenhang jedoch im Einzelfall kausal nachzuweisen ist durchaus schwierig. Wahlbeobachter verwiesen auch auf die Nutzung administrativer Ressourcen zur Unterstützung regierungsnaher Kandidaten.
Verbessert haben sich nach Auffassung der Beobachtungsgruppe „Menschenrechtler für faire Wahlen“ jedoch die Freiheiten bei der Unterschriftensammlung sowie die Durchführung von Informationsständen und Haustürgesprächen.
Trotz nur weniger veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen erscheint so doch in der Summe der politische Druck auf die Kandidaten der Opposition bei diesen Wahlen bislang durchaus geringer als bei früheren Wahlen. Das Bild ist aber uneinheitlich: Einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Vereinigten Bürgerpartei, Nikolai Kozlow, sowie einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Bewegung „Für die Freiheit“, Ales Lachwinez, erhielten keine Registrierung als Kandidaten – nach Angeben der Behörden haben hier Verstöße während der Registrierung vorgelegen. Andere bekannte Vertreter der Opposition, darunter der stellvertretende Vorsitzende der Bewegung „Für die Freiheit“, Juras Gubarewitsch, oder die beiden Führungsfiguren der Initiative „Sag die Wahrheit“, Tatjana Korotkewitsch und Andrei Dmitriew, erhielten die Registrierung.
Durchaus als eine Verbesserung der Wahlumstände ist es zu werten, dass Präsident Lukaschenko die Zentrale Wahlkommission anwies, die Anzahl der internationalen Beobachter nicht einzuschränken. Einladungen an ODIHR/OSZE und die Wahlbeobachter der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten sind bereits ergangen und angenommen worden, auch der Europarat soll eingeladen werden. Ob das auch für das Europäische Parlament gelten wird, ist bislang noch unklar.
Nach verbreiteter Auffassung in der Opposition sind diese Veränderungen und Bedingungen noch nicht ausreichend. Insbesondere kritisiert man dort neben dem generellen Klima und der Nichtregistrierung von Kandidaten, dass die Oppositionsvertreter nur einen geringen Zugang zu den Gebiets- und Wahlkreiskommissionen erhalten haben. Die Zählweisen von Regierung und Opposition sind unterschiedlich, aber im Kern wurden von etwas mehr als 500 aufgestellten Oppositionsvertretern für die Kommissionen nur etwas mehr als 50 zugelassen. Während hier also rund 90 Prozent abgelehnt wurden, akzeptierten die Kommissionen andererseits mehr als 90 Prozent der von den systemnahen Organisationen aufgestellten Kommissionskandidaten. Ohne Zweifel sind die Möglichkeiten der Opposition, die Wahlen innerhalb der Kommissionen zu kontrollieren, stark begrenzt, wenn sie gerade einmal 0,08 Prozent aller möglichen Kommissionsmitglieder stellt. Dass die Opposition aber für die Gesamtzahl der Kommissionsmitglieder von rund 66.000 Personen nur lediglich rund 500 Vertreter in die Bewerbung schickte, ist zweifelsfrei eine überraschend geringe Zahl, die Fragen nach den Gründen hierfür aufwirft.
Erstmals mit stabiler Koalition in der Opposition?
Positiv hervorzuheben ist der Umstand, dass sich die Opposition – zumindest im Mitte-Rechts-Bereich – vor diesen Wahlen in Ansätzen einigen konnte, indem seit November 2015 eine bisher stabile Koalition besteht. Die Vereinigte Bürgerpartei, die Partei „Belarussische Christliche Demokratie“ und die Bewegung „Für die Freiheit“ bemühen sich darin um abgestimmte Positionen und um ein einheitliches Auftreten. Der Ansatz ist dabei neu: Zuvor schwankte die Opposition über zwei Jahrzehnte zwischen einer völligen Zersplittertheit oder einem vollständig einheitlichen Ansatz – beides stellte sich als nicht tragfähig heraus, wodurch eine gewisse Logik für den Zwischenweg der Koalition einiger weniger Parteien spricht. Im Rahmen der Koalition konnten sich die drei Partner nicht nur auf eine gemeinsame Kandidatenliste für 93 Wahlkreise einigen, sondern führen auch den Wahlkampf gemeinsam durch und helfen sich mit Listenplätzen aus. 67 Kandidaten beantragten den Kandidatenstatus auf dem Ticket der in Belarus registrierten Vereinigten Bürgerpartei, darunter rund 30 Mitglieder der nicht registrierten Partei „Belarussische Christliche Demokratie“. Nicht unwahrscheinlich ist allerdings, dass diese Parteien oder einzelne Kandidaten ihre Kandidatur vor den Wahlen zurückziehen, was das Bild der erstmals gegebenen Koalition in dieser Form stören könnte. Bereits aktuell leidet die Schlagkraft der Koalition darunter, dass sich eine der beiden belarussischen EVP-Beobachterparteien, die Belarussische Volksfront, mit knappem Ergebnis nicht für eine Teilnahme an der Mitte-Rechts-Koalition entscheiden konnte. Für die Belarussische Volksfront haben daher 60 eigene Kandidaten eine Registrierung beantragt. Hierdurch, und durch das Aufstellen von weiteren Bewerbern der übrigen Oppositionsparteien, wird es in den meisten Wahlkreisen wahrscheinlich zu mehreren Oppositionsbewerbern auf dem Stimmzettel kommen, wodurch die ohnehin zu erwartenden niedrigen Wahlergebnisse für die Opposition durch diese Uneinigkeit noch weiter marginalisiert werden dürften.
Da die Mitte-Rechts-Koalition sowie breite Teile der übrigen Opposition die Auffassung vertreten, dass der Staat keine faire Wahlen zulässt, setzen sich mehrere Parteien zur Aufgabe, in den Wahlkreisen, wo besonders starke und aussichtsreiche Oppositionskandidaten aufstellt werden, eine massive flächendeckende Wahlbeobachtung zu organisieren. Die mit anderen Parteien gegründe te Wahlbeobachtungsorganisation „Recht zur Wahl“ stimmt sich zur Aufteilung in der Beobachtung der Wahlkreise ab.
Innerhalb der Gruppe der die Wahlen als nicht frei und fair ablehnenden Parteien und Organisationen existiert eine Strömung um den ehemaligen politischen Gefangenen Sozialdemokraten Mikola Statkewitsch und den ehemaligen „Sag die Wahrheit“-Chef Wladimir Nekljajew an der Spitze, die im Mai 2016 einen Belarussischen Nationalen Kongress durchführten. Dieser soll als alleiniges Koordinierungsorgan das Recht auf die Einigung der Opposition beanspruchen. Momentan verhandeln die Mitte-Rechts-Koalition und die weiteren an einem Runden Tisch der Opposition beteiligten Parteien und Organisationen über eine weitere Versammlung oder einen Kongress im August – diesmal unter Teilnahme registrierter oppositioneller Kandidaten – als eine Art Mobilisierungsinstrument der Opposition und symbolischen Startschuss für den unmittelbaren Wahlkampf. Problematisch erscheint, dass einer der Anführer dieser Initiative, Mikola Statkewitsch, bereits jetzt öffentlich zu Protestaktionen für den Nachwahltag aufruft – unabhängig vom weiteren tatsächlichen Verlauf der Wahlen.
Ausblick
Die belarussische Regierung möchte offenkundig, nachdem sie eine friedensunterstützende Rolle in der Ukraine-Krise übernommen hat und jüngst eine zusätzliche direkte Stationierung von russischen Truppen auf ihrem Staatsgebiet wenigstens vorläufig verhindern konnte, ihre Chance zur Wiederaufnahme eines direkten vollwertigen Dialogs mit der EU, den USA und internationalen Organisationen in vollem Maße ausnutzen. Nach allem Anschein ist sie dafür – unter anderem wohl auch wegen des Argwohns aus Moskau – noch nicht zu substanziellen Zugeständnissen hinsichtlich der Freiheit der Wahlen bereit. In der Hoffnung auf Kompromissbereitschaft des Westens angesichts der sicherheitspolitischen Lage in Osteuropa orientiert Minsk eher auf ein Durchmogeln mit etwas Window-Dressing, um hierfür am Ende Zugang zu neuen Krediten, direkten Investitionen und neuen Technologien zu bekommen. Nicht ungern würde Minsk auch vorteilhafte Verhandlungen über das Kooperations- und Partnerschaftsabkommen mit der EU, die restlose Aufhebung aller Sanktionen, die Lockerung des Visaregimes und Zugang zu neuen Dialogplattformen wie EuroNEST sehen.
Wer diese Strategie aus Minsk bewertet, muss natürlich beachten, dass die beabsichtigte Stärkung des westlichen Vektors der belarussischen Außenpolitik sicherlich weniger wertebasiert als vom Westen gewünscht ist, sondern schlicht der wirtschaftlichen und finanziellen Notwendigkeit in Belarus entspringt. Viel spricht indes auch dafür, dass diese Diversifizierung am Ende aber auch das Ziel verfolgt, von Moskau wo möglich unabhängiger zu werden. Eine Schlussfolgerung, ob dies für die EU von Vor- oder Nachteil ist, sollte sich zwingend aus einer Gesamtschau nicht nur der von Europa vertretenden Werte, sondern auch der sicherheitspolitischen Realitäten ergeben. Dass Minsk jedenfalls keine Änderung des gegenwärtigen Machtsystems, sondern seine Stabilisierung beabsichtigt, ist offensichtlich.
Für die belarussische Opposition handelt es sich hier um eine schwer auflösbare Situation zwischen der westlichen Zielsetzung von Stabilität an der Außengrenze der EU einerseits und der Gefahr weiteren internen Verhaftetseins im belarussischen System andererseits. Werden die Wahlen im Westen weder als frei noch als fair wahrgenommen oder kommt es gar zu Protesten mit der in Belarus meist zwangsläufigen Folge von Verhaftungen, erhöhen sich auf der einen Seite die Hürden für ein weiteres Engagement der EU gegenüber Belarus. Auf der anderen Seite werden sich dann wohl kaum die Wirkungsmöglichkeiten für die Opposition erweitern. Und welche Optionen bleiben für Präsident Lukaschenko für den Fall, dass die EU ihr gegenwärtiges Engagement aufgrund negativer innerer Entwicklungen in Belarus bezüglich der Wahlen nicht aufrechterhalten kann? Einzig der Blick nach Osten.
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