„Sei a Mensch“ ist ein jiddischer Sinnspruch, der häufig im Jüdischen zitiert wird, u.a. zuletzt von Marcel Reif in seiner Rede im Deutschen Bundestag Anfang des Jahres. Er appelliert daran, dass man sich immer „menschlich“, also human und voller Mitgefühl verhalten möge, auch gegenüber dem Gegner und sogar dem Feind. „Sei a Mensch“ ist auch der Titel der Fotoausstellung der Fotografin Halina Hildebrand, die jetzt in Berlin lebt. Sie ist unmittelbar nach dem unmenschlichen Massaker der Hamas an der israelischen Zivilbevölkerung, das sich jetzt bald jährt, nach Israel geflogen, hat die Orte des Grauens aufgesucht und Überlebende getroffen. Daraus hat sie eine eindrucksvolle und beklemmende Ausstellung gemacht, die schon in Berlin und Hamburg gezeigt wurde und nun nach Bonn gekommen ist.
In Zusammenarbeit mit der Bonner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft AG Bonn, dem Katholischen Bildungswerk Bonn und dem Evangelischen Forum Bonn zeigte das KAS-Büro Bonn nun die Ausstellung im Haus der Evangelischen Kirche. Zum Abschluss gab es eine Abendveranstaltung mit Halina Hildebrand und dem Chefradakteur der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel unter Moderation des WDR-Journalisten Lorenz S. Beckhardt.
Es hilft nicht drumherum zu reden: Es ist mittlerweile zu einem Sicherheitsrisiko geworden, eine solche Ausstellung zu zeigen oder Veranstaltungen zu Israel durchzuführen. Erfahrungen aus den letzten Monaten, bei denen solche Ereignisse mit einer Hundertschaft Polizisten geschützt werden mussten, haben die Veranstalter nach Rücksprache mit der Polizei und auf Bitten des Hauses veranlasst, nicht breit an die Öffentlichkeit heranzutreten, sondern nur die eigenen Verteiler zu benachrichtigen und die Ausstellung nur kurz zu zeigen. Noch einmal schärfer formuliert: Eine Ausstellung, die ausschließlich das unbezweifelbare Leid von heutigen, in Israel lebenden jüdischen Menschen zeigt, die einen Appell an Menschlichkeit zum Titel hat, muss sich fürchten vor Gewalt und Vandalismus – und damit nicht nur die Ausstellung, sondern auch das Haus, das seine Wände zur Verfügung gestellt hat. Einen Sicherheitsdienst für eine längere Zeit zu beauftragen, übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der Veranstalter. Also wurde „mit Bordmitteln Wache gehalten“, um den Schutz sicherzustellen.
Erwartbar war es um diese Ausstellung still, sie konnte nicht anders als wenige Besucher haben. Die Veranstaltung dagegen war gut besucht, der Saal im Haus der Evangelischen Kirche in Bonn voll. Aber auch hier hinein hat es ein Aktivist geschafft, ein junger, verstört wirkender Mensch, der zweimal das Podium stürmte und seine Parolen abspulte, maschinenhaft und monoton und sich nur schwer wieder zu Disziplin bringen ließ. Da war Halina Hildebrands berührender Vortrag schon gelaufen. Sie nahm sich die asymmetrische Berichterstattung zu der Israel/Gaza-Problematik zum Gegenstand: Zwar haben die Medien in den ersten Tagen nach dem Massaker sehr viel berichtet, doch mit dem beginnenden Feldzug der Israelischen Armee gegen die Hamas drehte sich der Wind. Nun standen die Zerstörungen in Gaza im alleinigen Mittelpunkt, das fortlaufende Leid der Israelis an der Geiselnahme, am Trauma des Massakers, diesem Shoa-Flashback, geriet in den Hintergrund. Auch vieles andere, das groteske Tunnelsystem der Hamas, die Rolle der UNWRA, der UNO überhaupt, die Protestbewegung in Israel, über alles ist hier nicht prominent berichtet worden.
Die Frage nach dem Warum der Asymmetrie beschäftigte dann auch das Podium. Philipp Peyman Engel differenzierte, weil ja nicht nur seine Jüdische Allgemeine, sondern auch die Medien der WELT-Gruppe und die NZZ ausführlich berichtet haben. Das Öffentlich-Rechtliche habe sich „zurückgehalten“ und den Opferstatus allein Gaza zugesprochen. Allerdings seien ja auch die Unterstützer Israels nicht sehr laut und zahlreich. Sie haben teilweise Angst, sagt Peyman Engel; besonders die jüdischen Gemeinden überlegen es sich dreimal, ob sie gegen den Mainstream, der Israel „Völkermord“ vorwirft, aufstehen wollen. Die Kunstszene ist nicht nur passiv, sie befördert auch noch dieses Narrativ. Es habe sich etwas verschoben in Deutschland, die Hamas habe den „Krieg der Bilder“ gewonnen, denn sie habe sich erfolgreich als das Opfer einer aggressiven Übermacht inszeniert.
Aber – und hier wäre die Diskussion noch eine Umdrehung tiefer gekommen, wenn nicht der Aktivist wieder die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte – es scheint, laut Moderator Lorenz Beckhardt, eine Art „epigenetischen Antisemitismus“ in Deutschland zu geben, der eine Zeit lang vor sich hinschlummern konnte, dann aber in Zeiten wie diesen, angestachelt wird.
Die anschließende Diskussion zeigte einen bunten Strauß von Aktivitäten, die die versammelten Ehrenamtlichen und Israelunterstützer unternehmen, um der Asymmetrie abzuhelfen, zur Verständigung beizutragen und Begegnungen zu schaffen. Aber es blieb doch ein schaler Beigeschmack, denn allen war klar, dass diese Veranstaltung kaum zustande gekommen wäre, wenn sie öffentlich bekannt gemacht worden wäre.
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