Publikime
Seit Freitag, dem 12. Juni, dem Tag an dem in der Islamischen Republik Iran zum zehnten Mal ein Präsident gewählt werden sollte, kommt das Land nicht zur Ruhe. Berichte über massive Wahlfälschungen, die aus einem Gewinner Mussawi einen Gewinner Ahmadinedschad gemacht haben sollen, führten zu den größten Protesten seit 1979, dem Jahr der Islamischen Revolution.
Schon bei den Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren hatten renommierte Repräsentanten des Regimes Wahlmanipulationen beklagt. Der bei den diesjährigen Wahlen wieder angetretene Reformkandidat Ayatollah Karrubi hatte damals sogar seine Funktion im wichtigen Schlichtungsrat aus Protest gegen die Fälschungen, die aber nie offiziell verfolgt wurden, niedergelegt.
Auch bei diesen Wahlen waren wieder keine ausländischen Wahlbeobachter zugelassen und inoffizielle Wahlbeobachter der Reformkandidaten behindert worden. Doch diesmal haben sich Ahmadinedschads Gegenkandidaten, Mussawi, Karrubi und Rezai, übereinstimmend mit Wahlfälschungsvorwürfen an die politisch-religiöse Führung und an die iranische Öffentlichkeit gewandt. Die landesweiten Massenproteste der vergangenen Tage machen deutlich, dass die iranischen Bürger, die sich mit einer Rekordzahl von über 80 Prozent an der Wahl beteiligt hatten, gewillt sind, die Souveränität des Volkes zu verteidigen.
Das Regime scheint für viele Bürger den Bogen weit überspannt zu haben. Nicht mehr nur Studenten, die bei den Studentenunruhen vor zehn Jahren einen hohen Blutzoll für ihre Anti-Regime-Proteste zahlen mussten, sind nun bereit – sogar unter Gefährdung des eigenen Lebens - gegen die mutmaßlichen Wahlfälschungen auf die Straße zu gehen. Auch die normalen Bürger, vom Bazarhändler bis zum Taxifahrer, die sogenannten „kleinen Leute“, die in den letzten Jahren am meisten unter der verfehlten Wirtschaftspolitik Ahmadinedschads gelitten haben, reihen sich in den Protest ein.
„Freiheit für Iran. Nieder mit dem Diktator (Ahmadinedschad). Gebt uns unsere Stimmen zurück.“ Mit diesen Slogans geht das iranische Volk auf die Straße. Diese Forderungen werden abends von den Dächern der Häuser gerufen. Ziviler Protest ja, gewaltsamer Widerstand nein, so kann man die Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung zusammen fassen.
Und es scheint sich zu entwickeln, was die Regierung Ahmadinedschad schon seit langem befürchtet hatte: Eine „farbige Revolution“ formiert sich. Die Anhänger Mussawis trugen schon im Wahlkampf die Farbe grün und grün ist die Farbe der über die Anhängerschaft Mussawis hinausreichenden Protestbewegung. Beim Länderspiel der iranischen Nationalmannschaft gegen Korea solidarisierten sich selbst iranische Fußballnationalspieler mit grünen Schweißbändern mit den friedlichen Massenprotesten in ihrer Heimat.
Anders als von den Hardlinern behauptet, ist es keine von den USA bezahlte und von der „feindseligen“ Außenwelt und den Exiliranern orchestrierte Bewegung. Diese ließe sich viel leichter diffamieren und niederschlagen als der Widerstand gläubiger und nationalstolzer Iraner.
Mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Mir Hussein Mussawi hat die „grüne Revolution“ einen der patriotischsten Revolutionäre - und ehedem ergebenen Anhänger Ayatollah Ruhollah Chomeinis - an ihrer Spitze. Mussawi genießt über die politischen Gräben hinweg Respekt und Rückhalt im Klerus, in der Bevölkerung und auch in Teilen der Revolutionsgarden. Aber Mussawi weiß, wie auch seine Anhänger, dass der Weg bis zur Durchsetzung von Neuwahlen noch lang werden kann.
Zwei wichtige Schritte auf diesem Wege sind getan, zwei Siege wurden errungen: Der Protest hat sich formiert und hinter einer charismatischen politischen Führungsgestalt versammelt. Und das System wurde auch zum teilweisen Einlenken gezwungen - der religiöse Führer Chamenei hat den Wächterrat aufgefordert, die Neuauszählung eines Teils der Stimmen vorzunehmen. Die Proteste hat dieser Schritt bislang nicht verstummen lassen, aber er hat doch gezeigt, dass diejenigen politischen Führungsfiguren im Iran, die öffentlich und hinter den Kulissen auf die Einhaltung demokratischer Spielregeln drängen, wie Chatami, Rafsandschani und eben Mussawi, nicht ohne Einfluss sind.
Das Regime und insbesondere die Regierung Ahmadinedschad fürchtet eine weitere De-Legitimierung und kann diese doch mit seinen Reaktionen auf die Proteste nicht aufhalten. Ein Beispiel hierfür ist die Kommunikationspolitik der staatlichen Medien. Die Stimmen der Opposition werden unterdrückt und damit die eigene Glaubwürdigkeit mehr und mehr verspielt. Die Bevölkerung weicht immer stärker auf andere Informationsmedien aus und ist für die offizielle Propaganda immer weniger erreichbar.
Wie wird es weiter gehen? Wenig spricht dafür, dass die Protestbewegung gegen die Wahlfälschungen einfach einschlafen wird, solange nicht ein grundsätzlich anderes Ergebnis der Wahlen verkündet wird oder der Forderung nach Neuwahlen stattgegeben wird. Es erscheint aber auch wenig wahrscheinlich, dass der Wächterrat, der absolut loyal zum Religionsführer steht, die Kraft aufbringen wird, die massiven Fälschungsvorwürfe zu bestätigen und damit den Weg für Neuwahlen frei zu machen.
Mussawi hat seine Bereitschaft, erneut anzutreten, bereits offen bekundet und er hat der politischen Führung damit eigentlich den „roten Teppich“ ausgerollt. Denn die Einheit des Landes und die Erhaltung des derzeitigen politischen Systems können auf friedliche Weise wohl nur gesichert werden, wenn die Führung ihre Bereitschaft zeigt, durch die Durchführung von Neuwahlen reinen Tisch zu machen und sich verantwortungsethisch zu verhalten.
Zugleich steigt auch innerhalb des Hardlinerlagers der Druck, den Protesten nicht weiter mit Gewalt zu begegnen. So hat sich der konservative Parlamentssprecher Laridschani offen gegen den Innenminister gestellt und diesen für die erneuten Massaker an der Universität Teheran verantwortlich gemacht. Und es scheint, dass sich Ahmadinedschad nicht mehr in Sicherheit wiegen kann, was die einhellige Unterstützung durch die Basidsch-Milizen und die Revolutionsgarde anbetrifft, ganz zu schweigen von der regulären Armee, die sich bislang aus den aktuellen Auseinandersetzungen heraus gehalten hat.
Schon im Wahlkampf war deutlich geworden, dass Mussawi auch in den Sicherheitskreisen, aufgrund seiner politischen Vita und seiner anerkannten Leistungen während der sogenannten „großen Verteidigung“, dem acht Jahre dauernden iranisch-irakischen Krieg, hohes Ansehen genießt. Und Ahmadinedschads Widersacher aus dem konservativen Lager, Mohsen Rezai, war 16 Jahre Chef der Revolutionsgarde und kann hier ebenfalls noch mit Loyalität und Unterstützung rechnen.
Solange die Front des Widerstands geschlossen bleibt und entschlossen sowie friedlich agiert, solange kann der Protest in konstruktive Bahnen gelenkt werden und eventuell doch die geforderten Neuwahlen erreichen. Geht die Verhaftungswelle und die Gewalt gegen die Reformer jedoch ungehindert weiter, dann ist zu befürchten, dass sich die Lage erheblich verschärfen könnte. An dieser Eskalation kann aber niemand im Iran ein Interesse haben.