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Vom Kalten Krieg zur Weltinnenpolitik

Hans Krech

aus: Eichholzbrief (Zeitschrift zur politischen Bildung) 4/1995

1989 bis 1991 endete der globale Ost-West-Konflikt, der die beiden mächtigsten Militärkoalitionen die jemals auf der Erde existierten, in den härtesten Machtkampf der Weltgeschichte zwang, den Kalten Krieg. In ihm ging es um nicht weniger als die strategische Vorentscheidung darum, welche politische Entwicklungsrichtung die Menschheit einschlagen würde.

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Ist es uns eigentlich bewußt, ab wir in einer der größten Umbruchphasen der Weltgeschichte leben? 1989 bis 1991 endete der globale Ost-West-Konflikt, der die beiden mächtigsten Militärkoalitionen die jemals auf der Erde existierten, in den härtesten Machtkampf der Weltgeschichte zwang, den Kalten Krieg. In ihm ging es um nicht weniger als die strategische Vorentscheidung darum, welche politische Entwicklungsrichtung die Menschheit einschlagen wurde: die Durchsetzung der Menschenrechte, der Demokratie, des Friedens und der Freiheit, der wichtigsten Triebkraft der Geschichte, wofür die demokratischen Staaten in der NATO unter Führung der USA kämpften, oder den Weg in ein unfreies Sklavenleben in Armut, unter stetiger Kriegsgefahr und bei bedeutenden sozialen und wirtschaftlichen Stagnationen, wofür die Sowjetunion und die Warschauer Vertragsstaaten standen. Die Alternativen waren Freiheit oder Unfreiheit, Frieden oder Krieg, Wohlstand oder Armut, Menschenrechte oder kommunistischer Massenknast - es wäre Augenauswischerei, dies nicht so klar und deutlich auszusprechen. Sozialismus/Kommunismus ist das direkte Gegenteil von Freiheit und war die Hauptquelle für die Kriegsgefahr auf dem Planeten.

1989 bis 1991 vollzog sich ein qualitativer Quantensprung in der Weltgeschichte, als die Demokraten sich gegen die Kommunisten durchsetzten. Für die Geschichte der Menschheit hat es keine bedeutendere Revolution gegeben. Geschichte setzt sich durch das Wirken der Menschen durch. Die deutsche Wiedervereinigung 1990 war der Katalysator für die demokratischen Revolutionen in ganz Osteuropa, die 1991 letztlich zum Verbot der KPdSU und der Auflösung der Sowjetunion durch Boris Jelzin führten. Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl waren die beiden Persönlichkeiten, die diese Entwicklung entscheidend förderten. Genscher vertrat seit den sechziger Jahren die Auffassung, daß die Überwindung des Ost-West-Konfliktes nur durch die Wiedervereinigung Deutschlands möglich sei. In beiden deutschen Staaten standen sich 1,4 Millionen Soldaten kampfbereit gegenüber. Es war die Region in der Welt mit der höchsten Truppenkonzentration. In einem Krieg ware Deutschland vollständig vernichtet worden. Die kommunistischen Staaten planten in zwei Etappen den Vorstoß bis nach Spanien. Nur eine starke NATO verhinderte dies. Wenn dieser wichtigste Krisenherd der Welt im globalen Ost-West-Konflikt, das geteilte Deutschland, entfiel, würde auch der Ost-West-Konflikt enden und ein vereinigtes demokratisches Europa möglich sein, so Genschers Überlegungen.

Als Michail Gorbatschow nach 1985 die Verhandlungsbereitschaft der Sowjetunion anbot, forderte Genscher dazu auf, den sowjetischen Präsidenten beim Wort zu nehmen. Ronald Reagan hatte mit SDI eine technologische Runde des Wettrüstens eingeleitet, die die Sowjetunion nicht mehr mitvollziehen konnte. 1985 begann mit der Aufnahme der Serienproduktion des Ein-Megabit-Chips die Dritte Industrielle Revolution, der Übergang ins Informationszeitalter. Durch sie war es möglich, mit Hilfe von Supercomputern ein globales Raketenabwehrsystem im All aufzubauen, das die sowjetischen ICBM hätte vernichten können. Die USA investierten in die SDI-Forschungen 32 Milliarden US-Dollar. Niemals zuvor legten sie ihr Geld für die Verteidigung besser an. Die Sowjetunion verfügte nicht über die technologischen Fähigkeiten zur Entwicklung des Ein-Megabit-Chips oder zur Produktion von Supercomputern. Sie hatte 1985 den Ost-West-Konflikt auch militärisch verloren, nachdem ihr Zurückbleiben auf wirtschaftlichem Gebiet seit Jahrzehnten offenkundig war.

Kreativität durch Freiheit

Nur die Freiheit gab den westlichen Demokratien die Kreativität bei dem Versuch, die Dritte Industrielle Revolution zu meistern. Die kommunistischen Staaten scheiterten letztlich an dem Mangel an Freiheit. Als Michail Gorbatschow mehr Freiheit zuließ, um eben diesen Hauptmangel zu entschärfen und um Entwicklungsfortschritte erreichen zu können, scheiterte der Kommunismus als politische Ideologie vollständig, weil eben Freiheit und Sozialismus/Kommunismus direkte Gegensätze sind. Sie lassen sich nicht miteinander verbinden. Dies ist eine der wichtigsten Lehren der Geschichte dieses Jahrhunderts. Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl nutzten 1989/90 die Gunst der Stunde und konnten mit der Unterstützung der mutigen Revolutionäre auf den Straßen der DDR die Sowjetunion dazu bewegen, im August 1990 in den Verhandlungen in Archys im Kaukasus ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung in Freiheit zu geben.

Als Gegenleistung erbrachte die Bundesrepublik Deutschland der sich demokratisierenden Sowjetunion und Rußland eine Wirtschafts- und Abrüstungshilfe von mehr als 80 Mrd. DM. Kein Staat der Erde hat Rußland mehr geholfen, den schwierigen Weg zur Marktwirtschaft und parlamentarischen Demokratie zu beschreiten. In Archys wurde auch der Weg für ein vereinigtes Europa vom Ural bis Gibraltar frei. Dort endete für Europa der globale Ost-West-Konflikt, beendeten Gorbatschow, Kohl und Genscher für alle Europäer die täglich drohende Kriegs Gefahr. Nachdem von Deutschland in diesem Jahrhundert zwei furchtbare Weltkriege ausgegangen waren, öffneten die Verhandlungen von Archys den Weg für den Frieden und die Demokratie auf unserem Kontinent. Kohl, Genscher und Gorbatschow schrieben an diesem Ort Weltgeschichte. Es hat niemals eine erfolgreichere deutsche Regierung gegeben als die Regierung Kohl/Genscher 1989/90.

Archys ermöglichte es George Bush, mit der Sowjetunion den historischen START-II-Vertrag abzuschließen, der die Anzahl der strategischen Kernsprengköpfe beider Supermächte auf 3000 bis 3500 begrenzte. Aus Europa verschwanden die Mittelstreckenraketen und alle C-Waffen. 1995 wurde der Atomwaffensperrvertrag verlängert. Ein weltweites Atomwaffentestverbot steht vor der Türe und in naher Zukunft der vollständige Verzicht auf alle Atomwaffen. Europa befindet sich in einer Phase intensiver konventioneller Abrüstung. Allein die deutschen Streitkräfte wurden nach 1990 halbiert. Doch Archys leitete auch das Ende des Ost-West-Konfliktes auf den anderen Erdteilen ein. Das Ende der Apartheid in Südafrika, der Beginn des Entspannungsprozesses im Nahen und Mittleren Osten im Rahmen der Nahostfriedenskonferenz ab 1991, die Aufnahme Vietnams in die ASEAN 1995, das Ende der Bürgerkriege in Mittelamerika usw. wurden so erst möglich.

George Bush entwarf 1990 die Vision einer Neuen Weltordnung, in der die UNO eine entscheidende Rolle spielen sollte. Die Diskussion um eine Neue Weltordnung prägt seitdem die Arbeit der politischen Parteien. Es ist eine zumeist kritische Einstellung gegenüber einzelnen negativen Begleiterscheinungen des Welt historischen Umbruchs, in dem wir uns befinden. Nehmen wir einen Vergleich. Als das Römische Weltreich 476 zusammenbrach, brauchten Europa und die Mittelmeeranrainer 500 Jahre, um neue stabile politische Strukturen zu errichten. Die Hunnen rasten über den Kontinent, auf den Katalaunischen Feldern wurde 451 die bis dahin größte europäische Schlacht geschlagen. Reiche wurden gegründet und gingen wieder unter. Germanische Stämme zogen bis nach Nord-Afrika. Mit der Sowjetunion ging 1991 das größte Kolonialreich der Weltgeschichte unter. Dies ist ganze vier Jahre her. Sollten wir da annehmen, daß dies ohne politische Erschütterungen abgehen wurde? Oder daß sich eine Neue Weltordnung binnen Monaten durchsetzen konnte? Noch gibt es selbst bei uns in Deutschland die Reste der kommunistischen Staatspartei, die PDS. Die strategische Vorentscheidung zugunsten der Demokratie, des Friedens und der Freiheit ist unwiderruflich gefallen. Jetzt muß diese strategische Entscheidung aber durch das aktive Wirken der Menschen auch im harten Alltag durchgesetzt, durchgekämpft werden, wozu auch die schonungslose Auseinandersetzung mit dem politischen Erbe des SED-Unrechtsregimes gehört.

1989/90 löste sich der globale Ost-West-Gegensatz als der Hauptkonflikt auf dem Planeten auf. Sicherheitspolitik regionalisierte sich wieder. Es mußten erst in jeder Region und auch in jeder Nation wieder funktionierende neue Kräftebalancen entstehen. Dies ist ein gesetzmäßiger Prozeß. Er ist unumgänglich. Die Bürgerkriege und Spannungen in Mittelasien, im ehemaligen Jugoslawien, im Jemen oder in Somalia sind eine Folge dieses Welt historischen Quantensprungs. Wir befnden uns auf dem Weg zur Weltinnenpolitik. Die UNO wird perspektivisch das alleinige Gewaltmonopol besitzen und es wird einen Abrüstungsprozeß geben, der die Nationalstaaten strukturell nicht angriffsfähig machen wird. Wir haben die Chance, große regionale Kriege in Zukunft fast völlig verhindern zu können.

Der Nord-Süd-Konflikt

Die führenden Industriestaaten entwickeln sich zu High-Tech-Staaten, sie bilden High-Tech-Gemeinschaften: die EU, die NAFTA und zunehmend die ASEAN. Das High-Tech-Niveau wird die Mehrheit der Staaten der Dritten Welt nicht erreichen können. Die Vor-High-Tech-Industrien dieser Staaten sind auf dem High-Tech-Weltmarkt zunehmend weniger kompatibel. Droht ein Prozeß der Abkopplung der Wirtschaft der Staaten der Dritten Welt? Die High-Tech-Staaten werden einen nie gekannten Wohlstand erreichen können. Wird das restliche Dreiviertel der Menschheit in der Armut versinken?

Einige Staaten der Dritten Welt können den Anschluß an die stürmischen wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungen in den High-Tech-Staaten noch schaffen, so etwa Mexiko durch seine Einbeziehung in die NAFTA. Auch Vietnam steht durch seine Aufnahme in die ASEAN dieser Weg offen. Aus eigener Kraft könnten dies auch die Anrainer des Persischen Golfes schaffen. Wenn Saudi-Arabien, Kuwait, Qatar, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Oman, Jemen, der Irak und Iran eine Golf Gemeinschaft bilden würden, hätten sie die Chance, sich zu einer der blühendsten Regionen der Erde zu entwickeln. Als High-Tech-Staaten würden sie das wirtschaftliche Weltniveau mitbestimmen. Mit ihrer Entwicklungshilfe könnten sie auch Afghanistan, Somalia, Sudan, Djibouti und vielleicht auch Tadshikistan den Weg dazu ebnen. Die Golfregion hat, wenn sie ihre Sicherheitsprobleme löst, hervorragende wirtschaftliche Perspektiven.

Im südlichen Afrika könnte sich eine regionale Wirtschaftsgemeinschaft mit Südafrika als technologischem Motor und Hoffnungsträger herausbilden. Im Nahen Osten legte Shimon Peres die Vision einer Wirtschaftsgemeinschaft Israels mit seinen Nachbarstaaten vor, die nach dem Vorbild der EU, High-Tech-Strukturen aufbauen würde. Die technologischen Fortschritte Indiens sind unübersehbar. Nordafrikanische Staaten wie Marokko könnten sich an die EU anlehnen. In Südamerika hat Chile bedeutende wirtschaftliche Fortschritte zu verzeichnen. Die NAFTA als High-Tech-Wirtschaftsgemeinschaft könnte im Rahmen einer gemeinsamen Freihandelszone ganz Südamerika wirtschaftlich vorantreiben. In der Türkei und im Iran wären die Gründung oder Reaktivierung regionaler Wirtschaftsgemeinschaften vorstellbar, die die wirtschaftlichen Kräfte von Staaten auf Vor-High-Tech-Niveau zusammenführen, so am Schwarzen Meer, am Klassische Meer und entlang der alten Seitenstraße, wie es der iranische Präsident Rafsanjani in einer Vision entwarf und umzusetzen versucht.

Mitglieder der 1985 gegründeten Economic Cooperation Organization (ECO) sind Iran, Pakistan, die Türkei Aserbaidshan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisien, Tadshikistan, Kasachstan und über die Türkei auch Nord Zypern. 1992 wurde durch die Türkei die Wirtschaftszone am Schwarzen Meer gegründet, die folgende Mitglieder hat: Türkei, Rußland, Ukraine, Moldawien, Rumänien, Bulgarien, Georgien, Aserbaidshan, Griechenland und Albanien. Wirtschaftspolitik regionalisiert sich weltweit. Kein Nationalstaat kann mehr allein wirtschaftlich bestehen. Das Zu-sammenfassen der wirtschaftlichen Kräfte einer Region wird krasse Armut und Unterentwicklung zunehmend begrenzen.

Dennoch wird Entwicklungszusammenarbeit im Zeitalter der Weltinnenpolitik eine strategische Bedeutung erlangen. Viele Staaten Asiens, Afrikas und auch einige Lateinamerikas, werden kein High-Tech-Niveau erreichen können. Sie haben ein Recht auf die Entwicklungszusammmenarbeit mit den High-Tech-Staaten. Bundeskanzler Helmut Kohl forderte kürzlich, daß die Bundesrepublik Deutschland 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit aufwenden sollte. Wenn alle High-Tech-Staaten dieses Ziel verwirklichen, wird es genügend finanzielle Mittel geben, um den Staaten der Dritten und Vierten Welt zu helfen, nicht in der Armut zu versinken. Erscheint uns eine umfangreiche Entwicklungszusammenarbeit als Gegenleistung etwa für die Bewahrung unseres Welterbes an einmaligen Biotopen, wie die Savannen Ostafrikas, die tropischen Urwälder Südamerikas oder die Koralleninseln des Pazifiks nicht als lohnend? Die Menschen, die dieses Welterbe behüten und pflegen, sollten gegenüber den Forschern in den High-Tech-Labors unserer Industriestaaten nicht diskriminiert werden. Sie haben dafür einen finanziellen Lohn nicht weniger verdient.

Nur mit Entwicklungszusammenarbeit kann auch das Problem der Überbevölkerung in einigen Staaten der Dritten Welt gelöst werden. Die Bevölkerung Ägyptens etwa whst alle acht Monate um eine Million an. Von den 55 Millionen Ägyptern waren 1994 19,3 Millionen jünger als 32 Jahre. Ohne die 2,5 Milliarden Dollar jährliche Entwicklungshilfe aus den USA könnte Ägypten die durch den Geburtenzuwachs "aufgefressenen" Entwicklungsfortschritte nicht wettmachen. Entwicklungszusammenarbeit muß durch die Hebung des Bildungsniveaus der Frauen die Geburtenrate perspektivisch auf ein Maß senken, das den betroffenen Staaten den Absturz in die Not erspart.

Zugleich wird die Verweigerung von Entwicklungszusammenarbeit aber auch ein legitimes Mittel sein müssen, um Staaten, die sich den Normen der UNO-Charta nicht beugen, unter Druck zu setzen. Die USA praktizieren dies gegenüber Staaten, die ein Atomwaffenprogramm betreiben. So erhält Pakistan seit 1990 nicht mehr die jährliche 500-Millionen-Dollar-Entwicklungshilfe. Auch die Bundesrepublik Deutschland und die anderen High-Tech-Staaten sollten dem amerikanischem Vorbild folgen und mit Staaten, die ein ABC-Waffen-Forschungsprogramm betreiben, die Entwicklungszusammenarbeit beenden.

Erstmals komplexes Verständnis für Natur und Klima

Die Menschheit versucht in diesem Jahrhundert mehr als jemals zuvor, global zu denken. Als eine der ersten Persönlichkeiten, die dies beherrschten, gilt George Marshall. Er mußte im Zweiten Weltkrieg als Generalstabschef der Vereinigten Generalstäbe der USA und Großbritanniens, die Kampfhandlungen für mehrere Kriegsschauplätze gleichzeitig planen. Als Außenminister entwarf er den Marshall-Plan, der den Vormarsch des Kommunismus in Westeuropa stoppte und gehörte zu den Mitinitiatoren der Gründung der NATO. Als Verteidigungsminister zeichnete er für den Koreakrieg mitverantwortlich, in dem die Freiheit Südkoreas gegen den kommunistischen Ansturm bewahrt werden konnte. Für sein Wirken für Frieden und Freiheit wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Die neue globale Sicht auf die Erde, die sich im Zweiten Weltkrieg herauszubilden begann, erlaubte der Menschheit auch zunehmend die Erkenntnis der globalen Zusammenhänge der Natur und des Klimas auf unserem Planeten.

Jedoch erst ab 1985 war es mit Hilfe von Supercomputern im Zeitalter der Dritten Industriellen Revolution möglich, ein fast perfektes Klimamodell zu schaffen. Wir erkennen dadurch drohende Umweltgefahren und machen es zum Gegenstand unserer Forschung, sie zu beherrschen, einzudämmen und zu "reparieren". Bisher konnte die Menschheit nur auf die Umwelt- und Klimakatastrophen reagieren, die es immer gab und die einen bedeutenden Einfluß auf die Menschheitsgeschichte nahmen: die Eiszeit bewirkte einen technologischen Entwicklungssprung in den Jagdmethoden und der Vorratshaltung, die Dürrekatastrophen in Mittelasien führten mehrfach zu Wanderbewegungen asiatischer Völker bis nach Mitteleuropa (z.B. Arier, Hunnen, Türken), die Austrocknung der Sahara beendete die Kultur der Viehzüchter der Region, die Abholzung des Libanongebirges zum Bau der Flotten der Antike veränderte die Lebensbedingungen im libanesischem Gebirge drastisch. Die Sintflut und der Untergang von Atlantis mögen als Beispiele für mythische Naturkatastrophen stehen.

Die heutigen Ursachen für Natur- und Klimakatastrophen sind oft direkte Folgen der Industrialisierung oder sogar einer falsch angelegten Entwicklungszusammenarbeit. So hat sich z.B. erwiesen, daß das Anlegen von ganzjährig nutzbaren Tiefbrunnen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit für die somalischen Nomaden die Verwüstung des Landes förderte und damit eine gegenteilige Wirkung vom eigentlich angestrebtem Ziel erreichte. Die Nomaden blieben mit ihren Herden länger bei den Wasserstellen und suchten immer weniger die ansonsten im Rhythmus der Jahreszeiten genutzten Weideflächen auf. Es kam zur Überweidung und in deren Folge zur Verwüstung. Der Lebensraum wurde eingeengt und die Hungergefahr verstärkt.

Dies mag auch einer der Gründe dafür gewesen sein, daß bis zu 150 000 Somalis ab den siebziger Jahren als Gastarbeiter in die arabischen Golfstaaten abwanderten. Die große Hungersnot 1992 betraf besonders den Südwesten Somalias im Ackerbaugebiet zwischen Juba und Shabelle. Es starben etwa 350.000 Menschen. Etwa 90 Prozent der somalischen Kinder waren unterernährt, jedes vierte Kind unter fünf Jahren starb. In Flüchtlingscamps in Kenia mußten 300.000 bis 400.000 Somalis notversorgt werden, in Äthiopien 500.000, in Djibouti 90.000, im Jemen 90.000 und in Tansania 1.000. Es gab mehrere Millionen Binnenflüchtlinge im Land. Die somalische Nation ware 1992 im Hunger und Bürgerkrieg beinahe untergegangen. Die Rettungsaktionen Restore Hope und UNOSOM kosteten 132 UN-Soldaten das Leben und erforderten die Aufwendung von 1,66 Milliarden Dollar durch die Weltgemeinschaft. Erstmals erzwang die UNO eine humanitäre Hilfsaktion gegen einen Staat, der seine staatlichen Strukturen bereits fast völlig verloren hatte. Die Verbindung der Naturkatastrophe Dürre mit dem Bürgerkrieg hatte eine Katastrophe "biblischen Ausmaßes" herauf beschworen, auf die die Menschheit im beginnenden Zeitalter der Weltinnenpolitik erstmals massiv global reagierte (UNOSOM).

Der US-Vizepräsident Al Gore entwirft in seinem Weltbestseller "Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde" die Vision einer Menschheit, die den Umweltschutz zum zentralen globalen Politikfeld macht. So wie die demokratischen Staaten unter Führung der USA in einer gemeinsamen Anstrengung die faschistische Gefahr im Zweiten Weltkrieg (in der Antihitlerkoalition) und die kommunistische Gefahr im Kalten Krieg (in der NATO) besiegten, so sollen sie heute gemeinsam die Umwelt unseres Planeten wieder in ein Gleichgewicht bringen. Er vergleicht bewußt den Kampf gegen die Umweltgefahren mit dem antifaschistischen Widerstandskampf. Al Gores Buch sollte in unseren Schulen zur Pflichtlektüre gemacht werden.

Wir erkennen heute die Umweltgefahren und ihre komplexen globalen Zusammenhänge und haben die Chance und die Pflicht, sie mit den uns zunehmend zur Verfügung stehenden neuen Technologien zu "reparieren" oder schlicht zu vermeiden. Dem Bürger mag dies oft als ein "apokalyptisches Szenario" erscheinen, wenn unser gewachsenes Wissen neue Umweltgefahren aufdeckt. Doch sollte die Reaktion eher positiv sein. Die Krankheit wurde entdeckt und kann jetzt geheilt werden. Der Vorschlag von Bundeskanzler Kohl zur Einrichtung eines Weltumweltsicherheitsrates nach dem Vorbild des UN-Sicherheitsrates könnte einen wichtigen Beitrag zur globalen Lösung der Umweltgefahren darstellen.

Der Kampf um natürliche Ressourcen

Der Kampf um die Verfügbarkeit der natürlichen Ressourcen wird sich verschärfen. So werden Kriege ums Wasser und die letzten Erdölfelder im Nahen und Mittleren Osten prophezeit. Doch das globale Verständnis des Planeten ermöglicht auch hier im Zeitalter der Weltinnenpolitik zunehmend ein politisches Vorbeugen und Vermeiden der heraufziehenden Gefahren.

Die Türkei gilt im Nahen Osten mit ihren 39 Flüssen mit einer Lange von über 200 km und 45 Seen mit einer Oberfläche von mehr als 10 qkm als wasserreiches Land. Die beiden in der Türkei entspringen den Ströme Euphrat und Tigris gehören zu den größten Strömen der Region, von derem Wasser auch Syrien und Irak fast vollständig abhängig sind. Die Türkei betreibt in Südostanatolien das GAP-Projekt, in dessen Rahmen sie an Euphrat und Tigris 21 Staudämme (davon die drei Großdämme: Keban-, Karakaya- und Atatürkdamm) mit 17 Wasserkraftwerken errichtet. Es ist geplant, ein Gebiet von der Fläche Belgiens zu bewässern und die Energiereserven zu schaffen, die die Türkei befähigen sollen, perspektivisch in der EU deren wirtschaftliches Niveau zu erreichen. Zugleich soll durch die Entwicklung Südostanatoliens, in der die terroristische separatistische PKK aktiv ist, das Lebensniveau der türkischen Kurden angehoben worden. So kann vielleicht langfristig das PKK-Problem sozial gelöst werden.

Die Türkei erlangt über die Regulierbarkeit von Euphrat und Tigris mit Hilfe seiner Wasserkraftwerke aber auch direkten Einfluß auf Syrien und Irak, mit denen sie ohnehin in einem regionalen Spannungsverhältnis steht. Syrien wird im Jahr 2000 eine Wasserunterversorgung von 60 Prozent haben, der Irak ebenfalls von 60 Prozent. Dies bei den gegenwärtigen 500 m3 Euphratwasser pro Sekunde, die die türkische Grenze in Richtung Syrien passieren. Die Bewässerung Südostanatoliens könnte, so die Befürchtungen Syriens und Iraks, die Wasserzufuhr noch weiter beschneiden. Die Türkei bot das Projekt einer "Friedenspipeline" an, mit deren Hilfe sie ihre Wasserüberschüsse an Israel und arabische Staaten bis hin zum Golf verkaufen will. Iran baut derzeit an der ersten großen Wasserpipeline in der Region, die durch den Golf ins extrem wasserarme Qatar führen wird. Im Rahmen der multilateralen Nahostfriedensverhandlungen gibt es eine Konferenz über die Verteilung der Wasserressourcen der Region. Sie wird voraussichtlich Kriege ums Wasser im Nahen und Mittleren Osten verhüten helfen können.

In etwa 25 Jahren werden voraussichtlich weltweit bis auf die Golfregion, wo 65 Prozent der Welterdölreserven lagern, die Erdöllagerstatten erschöpft sein. Die Golfstaaten werden dann über das Monopol der Erdölproduktion verfügen. Dies wirft sowohl für die Golfstaaten, als auch alle Industrienationen schwerwiegende sicherheitspolitische und wirtschaftliche Fragestellungen auf. Im Zeitalter des Kalten Krieges wäre eine erbitterte Schlacht um die Verfügbarkeit der letzten großen Erdölreserven auf unserem Planeten wohl unumgänglich gewesen. Im Zeitalter der Weltinnenpolitik gilt es bereits jetzt dieser drohenden Gefahr vorzubeugen. Es liegt im Interesse der Golfstaaten, wenn sie im Rahmen einer Golffriedenskonferenz als Teil der multilateralen Nahostfriedensverhandlungen, ihre Region sicherheitspolitisch stabilisieren, die regionalen Konfliktfelder durch Verhandlungen einvernehrnlich lösen und eine Golfgemeinschaft aufbauen. Sie könnten durch den Aufbau einer gemeinsamen Verteidigung der Golfregion ohne die Hilfe ausländischer verbündeter Truppen ihre Sicherheit auf NATO-Niveau bei reduziertem Rüstungsarsenal und der Umrüstung zur strukturellen Nichtangriffsfähigkeit erstmals aus eigenen Kräften gewährleisten. Davon würden die Golfstaaten und auch alle Industriestaaten profitieren. Die Region könnte sich in eines der blühendsten Gebiete der Erde verwandeln und durchaus das wirtschaftliche Niveau der EU erreichen. Der große Arabische Traum, der die Vergangenheit der Blütezeit des Arabischen Kalifats glorifiziert, muß nicht ausgeträumt sein. Es ist vorstellbar, daß er sich in der Gegenwart unter den Bedingungen der Dritten Industriellen Revolution und der Weltinnenpolitik realisieren läßt.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel schlug bereits vor zwei Jahren vor, daß die Bundesrepublik Deutschland im Nahostfriedensprozeß Verantwortung übernehmen sollte. Die einzige noch nicht vergebene multilaterale Verhandlungsrunde der Nahostfriedenskonferenz ist die Golffriedenskonferenz. Sie kann von den USA wegen deren sich verschlechternden Beziehungen zu Iran nicht durchgeführt werden. Ohne Iran wird eine Golffriedenskonferenz nicht erfolgreich sein. Bundesaußenminister Klaus Kinkel bemühte sich um einen "kritischen Dialog" mit Teheran, der dazu führte, daß die Bundesrepublik von Iran als Vermittler anerkannt werden würde. Eine Golffriedenskonferenz als eines der strategischen Ziele deutscher Außenpolitik in den nächsten Jahren ist vorstellbar. Unser Land könnte so im Zeitalter der Weltinnenpolitik einen entscheidenden Beitrag zur Befriedung der Golfregion im Interesse der Golfanrainer und aller Industriestaaten leisten. Zugleich würde das außenpolitische Ansehen unseres Landes weiter gefördert werden und nicht zuletzt das Ziel der Erlangung eines ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat näherrücken.

Neue Welle des internationalen Terrorismus?

Es gibt unbestritten eine neue Welle des internationalen Terrorismus. Dies ist eine Folge des Prozesses der Herausbildung neuer regionaler und nationaler Kräftebalancen. Diese Destabilisierungen fördern Terrorismus. Während er im Kalten Krieg als Kampfmittel genutzt wurde (die DDR unterstützte z.B. libysche und syrische Terroristen und die PLO, die SED-Nachfolgeorganisation PDS wird mit der PKK in Verbindung gebracht), dominiert heute eine Variante, die keine globalen Ambitionen hat. Es ist ein religiös motivierter (z.B. Hamas, Hizbolla) und ein separatistischer Terrorismus (z.B. Kashmir). Wichtige terroristische Organisationen haben nach 1989/90 ihren Kampf eingestellt und sind nur noch politisch aktiv, wie etwa die IRA in Nordirland oder die PLO. Mit den kommunistischen Geheimdiensten verschwanden die wichtigsten Unterstützer und Auftraggeber des internationalen Terrorismus. Abu Nidal ließ sich im Zweiten Golfkrieg 1990/91 von Saudi-Arabien bestechen, um nicht aktiv zu werden, wie es der mit ihm seit vielen Jahren verbündete Saddam Hussein gefordert hatte. Das Problem des schiitischen Terrorismus würde im Rahmen einer Golffriedenskonferenz zu lösen sein. Iran würde bei Beilegung aller Differenzen mit den arabischen Golfstaaten keinerlei Interesse mehr an der Unterstützung dieser Organi-sationen haben. Hamas erhält pro Jahr etwa 30 Mio. Dollar aus Iran. Mit einer Golffriedenskonferenz könnte die Bundesrepublik Deutschland so auch mithelfen, eines der drängendsten internationalen Sicherheitsprobleme auf friedlichem Wege einvernehmlich und dauerhaft zu lösen.

Es bleibt zu konstatieren, daß trotz des momentanen Ansteigens der Anzahl und der Schwere der terroristischen Anschläge deren Prävention im Zeitalter der Weltinnenpolitik verbessert werden wird. Politisch nachvollziehbare globale, regionale und nationale Gründe für Terrorismus werden zunehmend gelöst werden können. Ein präventives Rezept gegen spontane und individuelle Gewalttaten und terroristische Anschläge, die auf irrealen Auslösern basieren, wird es wohl nie geben können. Mit dieser Gefahr wird die Menschheit wohl oder übel leben müssen.

Auf dem Weg zur Weltinnenpolitik

Ist die neue Weltordnung eine Illusion? Und ist die Unsicherheit eine konstante politische Rahmenbedingung? Mein Fazit lautet, daß die Trends trotz zu erwartender und historisch unabwendbarer politischer, wirtschaftlicher und sozialer Erschütterungen beim Übergang vom Zeitalter der globalen Konfrontation im Kalten Krieg zur Weltinnenpolitik eindeutig positiv sind. Eine neue Weltordnung bildet sich heraus. Sie setzt sich durch das aktive Handeln der Menschen durch und erfordert kreatives Vordenken im globalem Maßstab. Die neue Weltordnung zu definieren und durchzusetzen ist die wichtigste Aufgabe, vor der die Menschheit und auch die politischen Parteien in unserem Land stehen. Der Wendepunkt zur Weltinnenpolitik war 1990 in den Verhandlungen in Archys im Kaukasus. Michail Gorbatschow, Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher haben dort vor etwas mehr als fünf Jahren Weltgeschichte geschrieben und wurden zu Hoffnungsträgern fur den ganzen Planeten.

Dies gilt es in der politischen Tagesarbeit und in der politischen Programmdiskussion endlich öffentlichkeitswirksam aufzugreifen und umzusetzen. Der Frieden und die Freiheit, Demokratie, sozialer Fortschritt und weltweiter Umwelt- und Tierschutz werden sich auf der Erde durchsetzen. In diesen historisch denkwürdigen Stunden und Tagen, Monaten und Jahren gestalten wir die bedeutendste Revolution der Weltgeschichte mit. Dessen müssen wir uns nur stets bewußt sein.

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