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kurzum

Von der Dienstpflicht zur Chancenzeit

Den verpflichtenden Gesellschaftsdienst neu nennen und neu denken

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar 2022 wird in Deutschland wieder verstärkt über eine allgemeine Dienstpflicht diskutiert. Bundespräsident Steinmeier sprach sich im Sommer für die Einführung einer „sozialen Pflichtzeit” aus. Anfang November regte er sogar einen altersübergreifenden Pflichtdienst an. Zuvor hatte die CDU auf ihrem 35. Bundesparteitag im September beschlossen, sich für die Einführung eines verpflichtenden „Gesellschaftsjahres” einzusetzen. Die Umsetzung des Projekts einer solchen Pflichtzeit für Staat und Gesellschaft stößt aber auf eine Reihe von Einwänden und Bedenken. Eine stärkere Betonung von Nutzen und Chancen für das Individuum und eine Flexibilisierung des Zeitrahmens könnten Abhilfe schaffen.

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Verschiedene Begriffe – eine Idee

Gesellschaftsjahr, Pflichtdienst, Deutschlandjahr: Viele Begriffe stehen für dieselbe Idee. Es geht darum, dass junge Erwachsene nach der Schulzeit verpflichtet werden sollen, Dienst an der Gesellschaft zu leisten – in einer kulturellen, ökologischen, karitativen Einrichtung, beim Katastrophenschutz oder aber bei der Bundeswehr. Gegenwärtig ist dies freiwillig im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes, des Freiwilligen Wehrdienstes sowie des Freiwilligen Sozialen oder Ökologischen Jahres möglich. Mit dem russischen Angriffskrieg hat aber die Debatte um eine Abkehr von der Freiwilligkeit und um die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres wieder neue Aufmerksamkeit erfahren. Befürworterinnen und Befürworter versprechen sich davon mehr Resilienz in der Gesellschaft, eine Aufwertung von Bundeswehr sowie zivilen Hilfsorganisationen und nicht zuletzt eine Stärkung sozialer Bindekräfte.

 

Probleme der Dienstpflicht

Doch die Idee einer Dienstpflicht ist nicht unumstritten. Kritische Stimmen führen an, dass sie einen unzulässigen Eingriff in die individuellen Lebensplanungen bzw. Freiheiten von jungen Menschen darstelle. Streitkräfte, soziale Dienste und Hilfsorganisationen würden außerdem mehr finanzielle und politische Unterstützung benötigen und keine unwilligen und unqualifizierten Dienstverpflichteten. Mit der Einführung eines solchen Dienstes handele der Staat zudem übergriffig und zwinge eine grundrechtlich fragwürdige Arbeitspflicht auf. Diese finanziellen, politischen und rechtlichen Hürden ließen sich einigen Experteneinschätzungen zufolge überwinden. Es bliebe das Imageproblem des „Dienstes“. Der Duden verbindet das Verb „dienen“ mit Pflichterfüllung, Militärdienst bzw. einer Tätigkeit in jemandes Dienst, also zum Nutzen anderer. Das ist in der Lebenswelt junger Menschen nur schwer vermittelbar. Dabei geht es beim Gesellschaftsdienst um mehr als ums Geben. 

 

Geben und Nehmen

Mehrere Analysen, darunter eine Studie zum Nutzen des Zivildienstes in Österreich von 2019, belegen, dass der Dienst für die Gesellschaft nicht nur der Allgemeinheit dient. Auch individuell bringe er Zivildienstleistenden durch den Erwerb von Fach- und Sozialkompetenzen, aber auch für die persönliche Weiterentwicklung einen erheblichen Nutzen. Doch vielen jungen Menschen sind die bereits bestehenden Freiwilligendienstmöglichkeiten mit ihrem Mehrwert nicht bekannt, manche Bevölkerungsteile werden durch die bestehenden Angebote gar nicht erreicht. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung ergab, dass Nutzen- und Kostenabwägungen sowie fehlende Bekanntheit der Freiwilligendienste, u. a. in benachteiligten Bevölkerungsteilen, zu unausgeschöpften Potenzialen führen. Durch eine Verpflichtung würden alle mit einbezogen. Im Rahmen eines solchen „Dienstes für alle“ würden Menschen milieuübergreifend für einen guten Zweck zusammenarbeiten, dadurch Vorurteile abbauen und somit den persönlichen Horizont erweitern. Aus der Jugendforschung ist zudem bekannt, dass unter Jugendlichen der Wunsch nach einer sinnstiftenden Tätigkeit, aber auch Orientierungslosigkeit nach der Schulzeit verbreitet sind. Durch einen verpflichtenden Gesellschaftsdienst als Orientierungs- und Chancenphase könnten junge Menschen deutschlandweit wertvolle Lebenserfahrungen sammeln, Einblick in bestimmte Berufsbilder gewinnen und sich dabei neue Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen. Dementsprechend ergeben aktuelle Studien gerade unter jungen Menschen große Zustimmung auch zu einem verpflichtenden Dienst.

 

Chancen betonen, Zeiten flexibilisieren

Die politische Umsetzung des Projekts „Dienstpflicht“ steht also vor der Herausforderung, die in der gegenwärtigen Debatte zu wenig beachteten Chancen der Dienstpflicht für das Individuum zu betonen. In Teilen muss das „Dienstpflicht-Konzept“ deshalb neu gedacht werden. Laut der Studie „u_count” der Deutsche Kinder- und Jugendstiftung von 2019 gehört die Dauer zu den ausschlaggebenden Gründen, weshalb sich Jugendliche gegen ein Freiwilligendienstjahr entscheiden. Anstelle eines Pflichtdienstes, der ein Jahr am Stück abgeleistet werden muss, könnten flexible Zeitmodelle entwickelt werden, um den Gesellschaftsdienst den individuellen Lebensentwürfen junger Menschen besser anzupassen. Hierbei könnte man sich an Erfahrungen aus dem „Service nationale“ in Frankreich und dem Freiwilligen Wehrdienst orientieren. Eine Förderung und Betonung der Chancen und eine Flexibilisierung des Zeitrahmens könnte also die Akzeptanz des Projekts und damit die Chancen seiner Umsetzung deutlich verbessern. Aus der Dienstpflicht würde dann eine Chancenzeit – und genau so sollte das Projekt auch heißen.

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Natalie Klauser

Natalie Klauser

Demografischer Wandel und Integrationspolitik

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