Der Beweggrund des Premierministers dürfte nicht so sehr die hauchdünne Mehrheit einer einzigen Stimme sein, über die seine Koalition noch verfügt, nachdem Avigdor Lieberman samt seiner Partei Israel Beitenu („Unser Haus Israel“) das Regierungsbündnis im November verlassen hatte. Wichtiger scheint vielmehr die Angst vor einer eventuellen Anklageerhebung wegen Korruption zu sein. Seit Jahren steht er in vier Fällen im Verdacht der Vorteilnahme. In dreien davon hat die Polizei die Anklageerhebung empfohlen, der Generalstaatsanwalt, Avichai Mandelblit prüft, ob er dieser Empfehlung folgen soll. Mit seiner Entscheidung wird in den kommenden Wochen gerechnet.
Noch ist unklar, wie diese Entscheidung ausfallen wird, dennoch bestimmt sie bereits die politische Agenda. Netanjahu hat mehrfach betont, auch im Falle der Anklageerhebung im Amt bleiben zu wollen. Eine gesetzliche Bestimmung, die ihn daran hindern könnte, gibt es nicht. Dennoch gilt es als wahrscheinlich, dass ihm entweder seine eigene Partei, der Likud, oder seine Koalitionspartner die Gefolgschaft verweigern könnten.
Wie ernst der Premierminister die Bedrohung nimmt, zeigt sein Verhalten in den letzten Wochen. In einer Fernsehansprache hat er sich direkt an die Bevölkerung gewandt und der Justiz Parteilichkeit vorgeworfen. In seiner unter dem Motto „dennoch Netanjahu“ stehenden Wahlkampagne stellt er sich als Opfer der angeblich linken Eliten des staatlichen Establishments dar. Ein Plakat zeigt fünf einflussreiche Journalisten unter der Überschrift „Nicht sie entscheiden“. Dieses von ihm lange mit hoher Meisterschaft beherrschte Spiel, seine eigenen Anhänger, die größtenteils aus niedrigen sozioökonomischen Schichten der Gesellschaft stammen gegen die angeblich privilegierten Linken einzunehmen, verfängt zwar weiterhin. In sämtlichen Umfragen liegt der Likud deutlich vorne, und auch Netanjahu selbst findet mehr Unterstützung als seine Herausforderer. Dennoch wirkt sein Verhalten weniger souverän als früher, und PR-Fehler häufen sich. Wie immer die Wahl auch ausgeht, es ist unwahrscheinlich, dass der seit 2009 regierende Amtsinhaber die gesamte kommende Legislaturperiode Premierminister bleiben wird.
Dieses vorausgeahnte politische Ende Netanjahus verleiht dem Wahlkampf seine Dynamik. Das beginnt im Likud selbst. In den parteiinternen Vorwahlen um die Platzierung auf der Wahlliste ging es indirekt auch um die Frage der Nachfolge des Parteivorsitzenden. Nur eine gute Platzierung auf der Liste garantiert eine erfolgversprechende Ausgangslage für den innerparteilichen Machtkampf, der auf Netanjahus Abgang folgen dürfte. Von besonderem Interesse war es deshalb, dass dessen erklärter Gegner und ehemaliger Bildungsminister, Gideon Sa’ar seine Rückkehr in die Politik ankündigte und in den Vorwahlen kandidierte. Obwohl Netanjahu mit aller Macht eine gute Platzierung Sa’ars zu verhindern suchte, erreichte dieser den vierten Listenplatz hinter dem Premierminister selbst. Das zeigt, dass Netanjahus Kontrolle über die Partei schwindet. Auch die übrigen vorderen Plätze belegten Männer, die in letzter Zeit mit Kritik am Regierungschef aufgefallen waren. Der Likud, lange Zeit Netanjahu als Garant zahlreicher Wahlsiege treu ergeben, scheint sich auf die Zeit nach seinem Abgang vorzubereiten.
Morgenluft wittern auch Vertreter anderer Parteien. Die beiden Führungsfiguren der rechtsradikalen Siedlerpartei HaBejt HaJehudi („Jüdisches Heim“), Erziehungsminister Naftali Bennett und Justizministerin Ayelet Shaked, haben der Partei den Rücken gekehrt und mit HaJamin HaHadash („Neue Rechte“) ihre eigene Partei gegründet. Genau wie das „Jüdische Heim“ setzt auch sie sich gegen die Gründung eines palästinensischen Staates und für die weitere israelische Besiedlung der Westbank ein. Im Unterschied zum nationalreligiösen „Jüdischen Heim“ möchte die „Neue Rechte“ säkulare wie religiöse Wähler ansprechen. Diese Funktion hat auf dem rechten Spektrum traditionell der Likud erfüllt. Die Motivation der beiden ausgesprochen populären Politiker scheint zu sein, sich von den extremsten Vertretern der religiösen Rechten zu distanzieren und für ein breiteres Wählerspektrum rechts der Mitte attraktiv zu werden, um somit selbst eventuell zu einem späteren Zeitpunkt die Residenz des Premierministers zu beziehen. Beide sind deutlich jünger als Netanjahu und zudem politisch im Likud großgeworden, was ihnen erleichtern dürfte, dessen Wähler anzusprechen.
Hoffnung auf die Nachfolge Netanjahus machen sich auch mehrere Kandidaten in der Mitte des politischen Spektrums, vor allem Yair Lapid und Benny Gantz. Ersterer sitzt als Vorsitzender der von ihm gegründeten Partei Yesh Atid („Es gibt eine Zukunft“) bereits seit 2013 in der Knesset und war sogar anderthalb Jahre lang Finanzminister, bevor er von Netanjahu entlassen wurde. Der ehemalige Generalstabschef Gantz dagegen ist ein Neuling auf der politischen Bühne. Erst vor wenigen Wochen verkündete er seine Kandidatur sowie die Gründung einer eigenen Partei mit dem Namen Chosen LeIsrael („Widerstandskraft für Israel“). Aufgrund der generellen Popularität, die das Amt des Generalstabschefs in Israel mit sich bringt sowie dank seines Charismas ist er aus dem Stand zum aussichtsreichsten Bewerber nach Netanjahu geworden. Dennoch wäre er aktuellen Umfragen zufolge nur dann in der Lage, den Amtsinhaber zu schlagen, wenn er sich mit Yesh Atid zusammentäte.
Wohl aus diesem Grund haben sich die beiden Vorsitzenden Gantz und Lapid nun auf ein Wahlbündnis geeinigt. Im Falle eines aus ihrer Sicht erfolgreichen Wahlausgangs würde der auf der Liste erstplatzierte Gantz zweieinhalb Jahre das Amt des Premierministers bekleiden, bevor er es an Lapid für die verbleibenden anderthalb Jahre der Legislaturperiode abtritt. Ein solches Modell war bereits in der Großen Koalition zwischen Likud und Awoda in den 80er Jahren erprobt worden.
Keinerlei Aufbruchsstimmung herrscht dagegen auf der politischen Linken. Kurz nach Ansetzen der Neuwahlen löste der Vorsitzende der Arbeiterpartei, Avi Gabbay, das Bündnis mit der ehemaligen Außenministerin Tzipi Livni auf. Deren Partei Hatnua („Die Bewegung“) werden zurzeit kaum Chancen auf den Wiedereinzug eingeräumt. Der Arbeiterpartei, die von 1948 bis 1977 durchgehend den Regierungschef gestellt hatte, werden in Umfragen derzeit nur vier bis acht Sitze in der neuen Knesset vorausgesagt. Einige Umfragen sehen sie sogar unter der 3,25%-Sperrklausel. Ähnlich sieht es für die zweite linke Partei, Meretz („Energie“) aus. Auch sie dümpelt in Wahlprognosen knapp ober- oder unterhalb der Sperrklausel. Im Extremfall könnten beide im nächsten Parlament nicht vertreten sein. Nach einem taktischen Wahlbündnis der beiden Parteien sieht es zurzeit aber dennoch nicht aus.
Die Misere der Linken geht auf das Scheitern des Friedensprozesses zurück. In Israel werden Wahlen generell nach sicherheitspolitischer Kompetenzzuschreibung entschieden. In den Augen der meisten Israelis hat der Oslo-Prozess nicht zu mehr Stabilität, sondern zur zweiten Intifada geführt. Genauso habe der einseitige Rückzug aus Gaza vermehrten Raketenbeschuss zur Folge gehabt. Beide Darstellungen, die, vorsichtig formuliert, eine grobe Vereinfachung der tatsächlichen Zusammenhänge darstellen, werden von der politischen Rechten ständig wiederholt. Die für Oslo verantwortliche Arbeiterpartei gilt deswegen bei vielen Wählern als diskreditiert, und die Linken generell als Anhänger eines fortgesetzten Friedensprozesses als bestenfalls naiv. Geschickt hat die Rechte zudem den Begriff „links“ als gleichbedeutend mit „unzuverlässig“ und „gefährlich“ gleichgesetzt. Netanjahu dagegen profiliert sich seit Jahren erfolgreich als Garant der Sicherheit.
Gerade deshalb ist die Kandidatur von Gantz so gefährlich für ihn, denn einem Mann mit seiner militärischen Erfahrung kann er kaum die sicherheitspolitische Kompetenz absprechen. Seine Kampagne gegen ihn konzentriert sich deshalb auch darauf, seinen Rivalen in die Nähe des Friedenslagers zu rücken und de facto als Handlanger des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas darzustellen.
In Wahrheit jedoch offenbaren Gantz‘ wenige Äußerungen zu diesem Thema das entscheidende Problem des politischen Zentrums: seine Inhaltslosigkeit. Offenbar aus Angst, in die linke Ecke gedrängt zu werden, vermeidet er bewusste Festlegungen in der Palästinenserfrage. Auf der einen Seite hat er seine Bereitschaft zu einer Wiederaufnahme des Friedensprozesses erkennen lassen und erklärt, Israel solle nicht über ein anderes Volk herrschen. Auf der anderen Seite hat er mit dem klaren Bekenntnis zu Jerusalem als ungeteilter israelischer Hauptstadt und dem Jordantal als israelischer Sicherheitsgrenze die Hürden für ein Abkommen mit den Palästinensern hoch angesetzt. In Wahlwerbespots betont er zudem seine Bereitschaft zum harten Vorgehen. Ein besonders martialischer besteht in einer Kamerafahrt über Haustrümmer nach dem letzten Gaza-Krieg 2014, den Gantz militärisch führte. In den eingeblendeten kurzen Slogans rühmt der Spitzenkandidat sich, über sechstausend Ziele zerstört, mehr als tausend „Terroristen“ getötet und „Teile von Gaza in die Steinzeit zurückgebombt“ zu haben. Hinsichtlich des Rückzugs aus Gaza selbst sind seine Aussagen widersprüchlich. Mal lobt er ihn und die damit verbundene Räumung israelischer Siedlungen, mal wirft er genau diese Räumung Netanjahu vor, der seinerzeit in der Knesset mit „ja“ gestimmt hat.
Auch seine sonstigen programmatischen Äußerungen, vor allem zur Sozialpolitik, sind eher vage gehalten.
In all diesen mangelnden Festlegungen gleicht Gantz anderen Vertretern der politischen Mitte wie Lapid oder dem Vorsitzenden der Kulanu-Partei („Zusammen“), Moshe Kahlon.
Dagegen haben die Vertreter der Rechten eindeutige Vorstellungen, gerade im Bezug auf das besetzte Westjordanland. Die Vorsitzenden der „Neuen Rechten“, Bennett und Shaked fordern die Annexion der C-Gebiete, was dem endgültigen Ende eines möglichen palästinensischen Staates gleichkäme. Die gleiche Forderung hatte das Zentralkomitee des Likud bereits im Dezember 2017 aufgestellt. Erst vor Anfang Februar unterstützten zudem 28 der bisherigen 30 Likud-Abgeordneten einen Aufruf, der die Ansiedlung von weit über einer Million zusätzlicher Siedler im Westjordanland vorsieht sowie die offizielle Verabschiedung von einer Zwei-Staaten-Lösung. Statt „zwei Staaten für zwei Völker“ solle es nunmehr heißen „ein Staat für ein Volk“.
Angesichts dieser Gemengelage lassen sich einige vorsichtige Prognosen für den Wahlausgang und seine politischen Folgen abgeben:
- Der Likud hat weiterhin gute Chancen, erneut stärkste Kraft in der Knesset werden.
- Sollte es zu einer Anklageerhebung gegen Netanjahu kommen, dürfte dies sein politisches Ende bedeuten.
- Auch wenn es Gantz und Lapid mit ihrem Listenzusammenschluss gelingen sollte, den Likud von Platz eins zu verdrängen, dürfte eine Regierungsbildung ohne den Likud kaum möglich sein.
- Damit wiederum sind neue Impulse im Friedensprozess höchst unwahrscheinlich.
- Die bisherige Geschichte des israelischen Parteiensystems zeigt die Kurzlebigkeit von Parteineugründungen, die lediglich um eine Führungsfigur gruppiert sind. Selbst wenn also Gantz oder Lapid den nächsten Regierungschef stellen sollte, wird dies nichts an der strukturellen Überlegenheit des Likud, der seit 1977 alle bis auf drei Wahlen gewonnen hat, ändern.
- Solange es nicht gelingt, entweder die Arbeiterpartei zu regenerieren oder im politischen Zentrum eine echte Parteineugründung mit programmatischem und institutionellem Fundament vorzunehmen, wird die politische Rechte weiterhin den Ton in der israelischen Politik angeben.
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Auslandsbüro Israel
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