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Wahlen auf den Philippinen: Mit harter Hand für "Recht und Ordnung"

Benedikt Seemann

Rodrigo Duterte neuer Präsident der Philippinen

Die „älteste Demokratie Asiens“ hat am 9. Mai einen neuen Präsidenten gewählt. Rodrigo Duterte, langjähriger Bürgermeister der Großstadt Davao im Süden des Landes, wird am 30.06 sein Amt antreten und Benigno Aquino III beerben. Bei der Wahl zum Vizepräsidenten liefern sich Leni Robredo und Bongbong Marcos ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

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Im drittgrößten christlichen Land der Welt plagen hohe Armutsquoten, Korruption und ein stagnierender Friedensprozess im muslimischen Süden das Land. Nach Jahrhunderten spanischer und US-amerikanischer Kolonialherrschaft und einer „People Power Revolution“ im Jahr 1986 ist das Land nach wie vor fest in Händen der politischen und wirtschaftlichen Elite. Tiefgreifende Reformen gehen in den Wirren des politischen Systems verloren. Nun haben die Philippinen einen Präsidenten gewählt, der mit dem Slogan „Change is coming“ und dem Image eines harten Mannes, die Massen begeistert hat. Der 71-jährige Duterte hat in Davao, einer Stadt mit 1,4 Millionen Einwohnern im krisengeplagten Mindanao, in den vergangenen 20 Jahren aufgeräumt: Kleinkriminalität und Drogenhandel sind quasi ausgerottet. 1400 Menschen sollen seit 1998 ohne Prozess entweder verschwunden oder getötet worden sein. Dass dies mit Hilfe paramilitärischer Todesschwadronen geschah, bestreitet Duterte nicht explizit. Im Gegenteil, er kokettierte bereits im Wahlkampf damit, das gesamte Land in den ersten sechs Monaten seiner Präsidentschaft gewaltsam von jeglicher Kriminalität zu befreien. Man solle schon mal „mehr Friedhöfe bauen“.

Ein Rückblick: Aquinos Erbe und Dutertes Aufstieg

Ein Blick zurück auf die Amtszeit seines Vorgängers mag den kometenhaften Aufstieg des neuen Präsidenten erklären: Benigno S. Aquino III (Liberal Party), genannt “PNoy”, hatte 2010 das Amt des Präsidenten mit ebenso hohen Erwartungen wie Versprechungen angetreten. Der Sohn der verstorbenen Volksheldin Corazon Aquino (Präsidentin von 1986 bis 1992) wollte der Korruption ein Ende machen, die Wirtschaft stärken und den Friedensprozess im mehrheitlich muslimischen Teil der Insel Mindanao zu einem guten Ende führen. Seine Bilanz ist nicht erfolglos, aber dennoch durchwachsen: Die vergangenen Jahre brachten den Philippinen ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von mehr als sechs Prozent pro Jahr. Doch das Wachstum ist alles andere als inklusiv. Die Armutsquote des 100-Millionen-Einwohner-Landes verharrt auf 25 Prozent. Die ausländischen Direktinvestitionen sind in seiner Regierungszeit angestiegen. Doch das Niveau der erfolgreichen südostasiatischen Nachbarn hat man noch lange nicht erreicht, auch, weil sich Eigentums- und Investitionsrechte für ausländische Konzerne problematisch darstellen. Zwar ist Manila aufgrund des hohen Bildungsstandards und des guten (englischen) Sprachniveaus zur „Callcenter-Hauptstadt“ der Welt geworden, doch scheuen internationale Investoren teils immer noch ein Engagement auf den Philippinen, wo sie nur 40 Prozent an einem Unternehmen halten dürfen. Aquino hat sich ein durchaus integreres Image erarbeitet und der Korruption den Kampf angesagt. Sein „gerader Weg“ war der Hauptgrund seiner Popularität. Andererseits fiel der sogenannte „Pork-Barrel-Scam“ in seine Amtszeit. Zahlreiche Abgeordnete hatten hohe Summen aus den Fördertöpfen der Exekutive in Scheinorganisationen – und damit letzten Endes in die eigene Tasche selbst – umgeleitet. Außenpolitisch ist der Regierung Aquino ein kleiner Coup gelungen, indem sie den anhaltenden Territorialstreit im Südchinesischen Meer vor den Ständigen Schiedshof in Den Haag brachte. Der größte Makel seiner Amtszeit ist jedoch der Umstand, dass im mehrheitlich muslimischen Süden das Grundgesetz für die künftige Autonomieregion Bangsamoro nicht verabschiedet werden konnte. Zwar war Aquino es, der mit der Moro Islamic Liberation Front (MILF) den Friedensvertrag schloss, doch bleiben dauerhafter Friede und Autonomie im muslimischen Teil Mindanaos in weiter Ferne, solange beide Häuser des Parlaments sich nicht auf eine Version des Bangsamoro-Grundgesetzes einigen können.

Trotz gewisser Erfolge repräsentierte Aquino nichtsdestotrotz die Elite des Landes, tiefgreifende Reformen blieben aus. So hatte auch sein designierter Kronprinz Mar Roxas, ehemaliger Innenminister und selbst Enkel eines ehemaligen Präsidenten, kaum eine Chance. Der beliebten Senatorin Grace Poe, einer „Newcomerin“ im politischen Geschäft, wurde der Umstand, dass sie zeitweise die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besessen hatte, zum Verhängnis. Obgleich sie zwischenzeitlich die Umfragen dominierte, verlor ihre Kampagne an Fahrt und unterlag Dutertes Strategie der harten Hand. Der bisherige Vizepräsident Jejomar Binay galt zwar ebenso wir Duterte als „Macher“, doch seine Umfragewerte fielen im Zuge alter Korruptionsvorwürfe drastisch ab.

Zu den Faktoren, die Dutertes Aufstieg begünstigten, gehört eindeutig eine weitverbreitete, steigende Sehnsucht in der Bevölkerung nach Veränderung. Keiner der anderen Kandidaten konnte die Wähler davon überzeugen, in irgendeiner Art und Weise die Lebensumstände der 104 Millionen Philippiner zu verbessern. Allen haftete ein elitäres Image an, alle waren schon lange vor ihrer Kandidatur vermögend. Somit konnte Duterte nicht nur den Ruf des Außenseiters kultivieren, sondern auch als einziger glaubhaft Veränderungen versprechen.

Ordnung und harte Hand statt Demokratie und Korruption?

Auch nach der friedlichen Überwindung der Marcos-Diktatur im Jahre 1986 bestehen die clan- und familiengebunden elitären Strukturen fort. 70 Prozent der bisherigen Legislative entstammen politischen Dynastien. In kommunaler, regionaler oder gar nationaler Politik ist Beteiligung gewöhnlicher Bürger (etwa in Form mitgliedsbasierter, programmatischer politischer Parteien) fast unmöglich. Zwar wird frei gewählt, doch ist gerade in den ärmeren Provinzen Stimmenkauf vor der Wahlurne gang und gäbe. Programmatische Parteien, welche basisdemokratische Strukturen und Meinungsbildungsprozesse pflegen, existieren als Vehikel politischer Partizipation kaum. Politische Parteien im Allgemeinen genießen in der Bevölkerung einen schlechten Ruf, gelten sie doch als „Wahlkampfmaschinen“ der Reichen und Privilegierten. Ein Parteiengesetz oder gar eine verfassungsrechtliche Verankerung der Parteien als Institutionen im demokratischen System existieren nicht. Mehr noch als in anderen Ländern geht es also in Wahlkämpfen um Personen und Populismus statt Parteien und Programme.

In diesem Umfeld ist es Duterte, der von internationalen Medien auch als „philippinischer Trump“ bezeichnet wurde, gelungen, sich selbst als einzigen Ausweg zu präsentieren. Kontrovers wurden alle Äußerungen und Ankündigungen Dutertes diskutiert: Erschießung von Kriminellen, Auflösung des Parlaments, sofern dieses seinem Kurs nicht folgt; den Papst nannte er gar einen „Hurensohn“ – doch alles perlte von ihm ab. Seine Umfragewerte stiegen sogar stetig.

Trotz des bewusst gepflegten harten „Law and Order“ Images betreibt Duterte auch eine inhaltliche Agenda: Er will die Verfassung ändern, um Föderalismus und ein parlamentarisches Regierungssystem einzuführen. Hierin liegt vor allem für den Friedensprozess in Muslim Mindanao eine große Chance. 2012 und 2014 schlossen die nationale Regierung unter dem bisherigen Präsidenten Benigno Auqino III und die Moro Islamic Liberation Front (MILF) nicht nur einen Friedensvertrag, sondern auch ein „Comprehensive Agreement on the Bangsamoro“ ab, welches die Schaffung einer Autonomieregion im mehrheitlich muslimischen Süden vorsieht. Das ausgearbeitete Grundgesetz für die künftige Autonomieregion wurde aber von beiden Parlamentskammern aufgehalten, da die Aquino-Regierung sich weigerte, die dafür nötigen Verfassungsänderungen auch nur in Betracht zu ziehen. Bestrebungen hin zu einem föderalen System könnten nunmehr also durchaus einen entscheidenden Fortschritt in Mindanao bringen. Das langersehnte Informationsfreiheitsgesetz will er per „Executive Order“ durchsetzen. Sollte es ihm zudem gelingen, Fortschritte im Kampf gegen die Korruption zu machen und die restriktiven Investitionsregeln für ausländische Unternehmen zu lockern, könnte sich der wirtschaftliche Aufschwung fortsetzen.

Das Rennen um die Vizepräsidentschaft: Bongbong Marcos oder Leni Robredo?

Bei der separaten Wahl für die Vizepräsidentschaft liefern sich nach Auszählung von knapp 95 Prozent der Stimmen Senator Bongbong Marcos und die Kongressabgeordnete Leni Robredo ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Robredo, die als „Running Mate“ des unterlegenen Mar Roxas für die Liberal Party kandidiert, gilt als integer, charismatisch und kompetent. Sie ist die Frau des verstorbenen ehemaligen Innenministers und Bürgermeisters von Naga City, Jessie Robredo, welcher auf den Philippinen eine Ikone politischer Integrität war. Bongbong Marcos, Sohn des verstorbenen Diktators Ferdinand Marcos, ist derzeit Senator und berief sich fortwährend auf die Errungenschaften seines Vaters. Vielen im Land gilt Ferdinand Marcos immer noch als der beste Präsident der Nachkriegszeit, der die Philippinen mit harter Hand und strenger Ordnung erfolgreich gemacht habe. Schon vor der Auszählung der Stimmen beschuldigte das Marcos-Lager Leni Robredo der Wahlfälschung. Hitzige Debatten werden mit hoher Intensität geführt.

Der Präsident muss der Vizepräsidentin oder dem Vizepräsidenten – auch, wenn sie/er unabhängig gewählt wird – einen Platz in seinem Kabinett geben. Welches Ressort er zuteilt, wird Verhandlungssache. Ein Vizepräsident sitzt somit automatisch stets am Kabinettstisch, jedoch sind Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten schwer vorherzusagen. In jedem Fall ist jedoch davon auszugehen, dass sowohl Marcos als auch Robredo – beide nicht die Wunschkandidaten des neuen Präsidenten – in der Öffentlichkeit Gehör finden werden und somit einen gewissen Einfluss geltend machen können.

Ausblick

Ohne Frage, Duterte wird einen harten Kurs fahren. Das Parlament aufzulösen – wie im Wahlkampf angedroht – würde jedoch nicht nur die Abgeordneten an sich gegen ihn aufbringen, sondern auch alle politischen Clans und die gesamte Elite des Landes. Ebenjene Eliten, sprich: die oberen Einkommensklassen, haben ihn zum Präsidenten gewählt, nicht nur die unteren Einkommensklassen. Überdies ist jedem Präsidenten in den ersten Jahren seiner Amtszeit eine parlamentarische Mehrheit fast sicher. Nach dem Prinzip „Winner takes all“ wechselt der Großteil der Oppositionsabgeordneten im Repräsentantenhaus recht schnell ins Präsidentenlager. Im Senat allerdings hat die Liberal Party, die bisherige Regierungspartei, stark abgeschnitten. Der bisherige Präsident und Anführer der Liberal Party Aquino hat bereits angekündigt, nach Ende seiner eigenen Amtszeit eine Art Opposition zu Duterte darstellen zu wollen. Das könnte dem neuen Präsidenten Probleme bereiten, insbesondere, da Dutertes Partei PDP-Laban bisher nur über einen Senator und einen Abgeordneten im Repräsentantenhaus verfügt.

Im Kontrast zu seinen markigen und provakanten Aussagen im Wahlkampf, schlug Duterte unmittelbar nach der Wahl andere Töne an: Mit „großer Demut“ nehme er das Ergebnis an. Seine unmittelbaren Ziele seien eine umfassende Verfassungsreform hin zu einem parlamentarischen, föderalen Regierungssystem. Ob Dutertes Ankündigungen aus dem zurückliegenden Wahlkampf wörtlich zu nehmen sind und seine Präsidentschaft einen Rückschritt für Demokratie und Freiheitsrechte bedeuten wird, bleibt abzuwarten. Gleiches gilt für seine Reformabsichten. Sollten sie in Sachen Verfassungsreform ernsthaft und umsetzbar sein und rechtsstaatliche Prinzipien unangetastet bleiben, muss eine Duterte-Präsidentschaft kein Rückschritt für die Philippinen sein.

Hintergrund

Wahlen finden auf den Philippinen alle drei Jahre statt. Die Amtszeit des Präsidenten, des Vizepräsidenten und der Senatoren beträgt sechs Jahre. 2016 wurden nun der Präsident, der Vizepräsident, die Hälfte des Senats, alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses, alle Provinzgouverneure sowie Bürgermeister und Kommunalparlamente gewählt.

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