Nach der eröffnenden Dinner Speech des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof, folgten am zweiten Tag Diskussionsrunden, die sich Fragen nach den Vorgaben des Rechts für den demographischen Wandel und Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung auf die Rechtsordnung aus unterschiedlichen Perspektiven näherten.
Zu den Aufgaben der neuen Bundesregierung, Weichen für den demographischen Wandel zu stellen, sagte der Rechtspolitiker Prof. Dr. Günter Krings in seiner Begrüßungsrede, es sei das Dilemma unserer Demokratie, dass ein Koalitionsvertrag nur auf die Dauer von vier Jahren angelegt sei, Schrumpfung und Alterung der Gesellschaft die Politik jedoch längerfristig vor große Herausforderungen stellten (die Audio-Mitschnitt der Rede von Prof. Dr. Günter Krings finden Sie in der rechten Spalte) . „Einzelmaßnahmen wie die Einführung einer Schuldenbremse sollen zum nötigen Maß langfristiger Verantwortung beitragen”, so der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Aber es gebe kein generelles Patentrezept für die Bewältigung der demographischen Entwicklung. “Letztlich ist Alltagspolitik gefragt, das Prinzip der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen zu entfalten.” Als wichtige Politikfelder, auf denen dies zu geschehen habe, nannte Krings die Energiewende, Investitionen in Forschung und Bildung und die Entwicklung der Europäischen Union.
Menschen würden sich nicht wegen finanzieller Leistungen für Kinder entscheiden. Auch das Kindergeld habe keine signifikante Steigerung der Geburtenrate bewirkt, konstatierte Krings. „Viel Einfluss auf die Entscheidung für oder gegen Kinder hat das gesellschaftliche Klima. Daher hat die große Koalition Familienfreundlichkeit als Leitprinzip im Koalitionsvertrag festgeschrieben.“
Die Rente mit 67 sei ein wichtiger Schritt gewesen, um auf demographische Veränderungen zu reagieren, auch wenn die Verlängerung der Lebensarbeitszeit in der Öffentlichkeit noch immer unbeliebt sei, so Krings. „Längere Arbeitszeiten könnten auch in Zukunft wieder zur Debatte stehen. Politik ist dann in der Pflicht dafür Lösungen zu entwickeln.“
Recht und Rechtspolitik könnten Instrumente der Abmilderung und Anpassung an demographische Veränderungen sein. Bislang bilde die Rechtsordnung die demographische Entwicklung hin zu einer alternden und geringer werdenden Bevölkerung jedoch nur unzureichend ab, bemerkte der Rechtspolitiker selbstkritisch.
Regionale Verschiebungen und Ungleichheiten
„Die neuen Bundesländer haben in den vergangenen 20 Jahren durchgemacht, was Deutschland insgesamt beim Bevölkerungsrückgang noch bevorsteht“, sagte der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Wolfgang Böhmer. Zur Anpassung an die neuen Realitäten sei eine Strukturreform der Gemeinden und Verwaltung erforderlich, auch wenn die praktische Umsetzung schwierig sei. Da die Verkehrsanbindung und Versorgungsinfrastruktur auf dem Land mit mehr Aufwand und Kosten pro Kopf verbunden sei, müsse über einen demographischen Entlastungsfaktor für ländliche Regionen nachgedacht werden, forderte Böhmer. Ähnlich äußerte sich Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, geschäftsführendes Präsidialmitglied des deutschen Landkreistages: “Gebiete mit herausgehobenen Zukunftsherausforderungen müssen besonders unterstützt werden.”
Das Grundgesetz enthalte allerdings kein Gebot, bundesweit gleichwertige oder gar einheitliche Verhältnisse herzustellen, stellte Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Michael Eichberger klar. Wenn in Art. 72 Abs.2 GG im Zusammenhang mit dem Gesetzgebungsrecht des Bundes von der “Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse” die Rede sei, so handle es sich um eine Zielvorgabe, bei deren Verwirklichung dem Gesetzgeber und den politischen Entscheidungsträgern ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zuzubilligen sei. Bei der Sicherung einer ausreichenden Daseinsvorsorge in Zeiten besonderer Herausforderungen, wie sie die demographische Entwicklung erwarten lasse, sei der Spielraum der Politik insgesamt sehr groß. “Dies ist keine Banalität”, betonte Eichberger und erinnerte an Kritik, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu stark einschränke.
Staatsaufgabe Bevölkerungspolitik?
Aber was darf oder muss der Staat tun, wenn die Bevölkerung altert und schrumpft? Zur Sicherung von Infrastruktur und sozialer Stabilität habe der Staat ein legitimes Interesse, eine bestimmte demographische Schichtung zu sichern, argumentierte Böhmer. Finanzielle Anreize zur Familienbildung sind nach Überzeugung des früheren Ministerpräsidenten und Facharztes für Gynäkologie allerdings “kein zukunftsweisender Weg”. Maßgebliche Bedeutung habe die familienfreundliche Gestaltung von Arbeitszeiten. Wahrscheinlich müsse hier der Gesetzgeber eingreifen.
Eine weitere große Herausforderung sei die Binnenmigration, ergänzte Prof. Dr. Hans Bertram. Sachsen investiere etwa 100.000 Euro in die Ausbildung eines Akademikers, der dann aber vielleicht nach Baden-Württemberg ziehe und in seinem Leben ein Vielfaches dessen erwirtschafte, was Sachsen in ihn investiert habe, ohne dass es seinem Heimatbundesland zugutekomme. „Um dieser Ungleichheit entgegenzuwirken, muss der Länderfinanzausgleich neu geregelt werden“, forderte der Mikrosoziologe von der Humboldt-Universität zu Berlin.
Ein Gerechtigkeitsproblem, das man auch aus demographischen Gründen anpacken müsse, sieht Bertram ferner darin, dass staatliche Förderung von Familien hierzulande stark an die Ehe gekoppelt ist, etwa in Form des Ehegattensplittings. “Alleinerziehende haben davon nichts.” Hinzu komme, dass Frauen besondere Lasten bei der Bewältigung des demographischen Wandels trügen. So werde von Müttern verstärkt Erwerbstätigkeit gefordert, zugleich übernähmen sie jedoch weiterhin vielfach den Hauptteil der Kindererziehung, ohne dass dieser Zeitaufwand gebührend bei der Finanzierung sozialer Sicherung berücksichtigt werde. Problematisch sei unter Gleichheitsaspekten auch, dass im gegenwärtigen System der sozialen Sicherung Erziehungsleistungen unzureichend berücksichtigt würden. Zu überlegen sei deshalb, ob man in das Arbeitsleben Fürsorgeleistungen für jene einbaue, die keine Zukunftsinvestitionen in Form von Kindererziehung tätigten.
Der Staat habe “ein elementares Interesse daran, dass Familie gelingt”, betonte Prof. Dr. Winfried Kluth. Völlig zu Recht habe John Rawls die Familie als “öffentliche Institution” bezeichnet. Nach Art. 6 GG sei der Staat nicht nur gehalten, bestehende Ehen und Familien zu schützen, er habe auch den Auftrag, die Entscheidung für Kinder zu fördern. Dies dürfe nicht durch Maßnahmen geschehen, die Kinderlose diskriminierten. “Aber da, wo erhöhter Aufwand für Kinder besteht, darf dieser Mehraufwand vom Staat honoriert werden”, erläuterte der Staatsrechtslehrer von der Universität Halle-Wittenberg. Noch diene allerdings ein großer Teil staatlicher Transferleistungen für Familien dazu, überhaupt erst eine Gleichstellung von Familien mit Kinderlosen zu erreichen. Wichtig sei, Transparen zu schaffen, wer für wen welche Leistungen erbringe.
Herkulesaufgabe Alterssicherung
Zu den größten Herausforderungen, Änderungen des Bevölkerungsaufbaus durch Recht und Gesetz zu verarbeiten, gehört die Sicherung der Altersversorgung. Maßgebliche Vorhaben, die dazu im Koalitionsvertrag vereinbart wurden, weisen nach Überzeugung des Sozialrechtlers Prof. Dr. Ulrich Becker allerdings in die falsche Richtung. Die geplante Mindestsicherung sei “verfassungsrechtlich nicht notwendig und im übrigen sozialpolitische zweifelhaft”, kritisierte der Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik in München. Zu den geplanten Mütterrenten und abschlagsfreien Renten für langjährig Versicherte bemerkte Becker, diese Maßnahmen mögen “verdient” erscheinen- sie bleiben aber Wohltaten, die viel Geld kosten und zudem ein falsches Signal setzen, da an einer Erhöhung der Regelaltersgrenze rechtlich wie faktisch kein Weg vorbei führe.
Zur Stärkung der Alterssicherung empfahl der Arbeits- und Wirtschaftsrechtler Prof. Dr. Markus Roth von der Universität Marburg bei der zweiten Säule, den Betriebsrenten, anzusetzen. Dafür biete sich “sanfter Paternalismus” in Gestalt eines “automatic enrollment” an, das sich im Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder im Arbeitsvertrag regeln lasse.
Staatsziel Generationengerechtigkeit?
Zum besseren Schutz künftiger Generationen plädierten der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jens Spahn MdB und der Heidelberger Staatsrechtler Wolfgang Kahl dafür, einen neuen Artikel 20b mit den Staatszielen Generationengerechtigkeit beziehungsweise Nachhaltigkeit in das Grundgesetz aufzunehmen. “Am Ende geht es um die Verknüpfung von Wünschen der heutigen mit den Chancen der künftigen Generationen“, warb Spahn, der 2006 Mitinitiator der fraktionsübergreifenden Initiative „Generationengerechtigkeit ins Grundgesetz“ war. Es sei ein Strukturproblem von Politik, dass Lasten heutiger Entscheidungen auf die Zukunft verschoben würden, Ressourcen nicht ausreichend geschont und notwendige Investitionen in die Zukunft zugunsten gegenwärtigen Konsums unterblieben. Deshalb seien die Interessen künftiger Generationen unter anderem durch Verankerung eines entsprechenden Staatsziels zu schützen.
Aktuellen Anlass dafür sehen Spahn und Kahl auch wegen der im Koalitionsvertrag vereinbarten Rentenpläne und den damit verbundenen Belastungen für die Jungen. Fast ware es deshalb wert, es noch einmal mit einem Antrag zur Verankerung von Generationengerechtigkeit im Grundgesetz zu versuchen, bemerkte Spahn. Er wolle seine ehemaligen Mitstreiter an das gemeinsame Ziel von damals erinnern. Der CDU-Politiker befürwortet außerdem ein Wahlrecht von Geburt an, das zunächst die Eltern für ihre Kinder ausüben sollten. “Der politische Focus wird sich dann stärker auf die jüngere Generation richten”. Kahl warb dafür, das Staatsziel Generationengerechtigkeit durch institutionell-prozedurale Rahmenregelungen zu flankieren. Er schlägt unter anderem vor, einen unabhängigen Expertenrat für Nachhaltigkeit zu schaffen.
Die Vorschläge von Spahn und Kahl stießen bei Tagungsteilnehmern wie Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof und dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Hans Hugo Klein allerdings auf große Skepsis. Ein Wahlrecht, bei dem Eltern für ihre Kinder stimmten, begegne erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken; letztlich wählten die Eltern doch “ihre” Partei, erhielten also ein mehrfaches Stimmrecht. Auch gegen die grundrechtliche Verankerung eines Staatsziels Generationengerechtigkeit erhoben Kirchhof und Klein Einwände. Entweder erschöpfe sich die Bedeutung eines Grundgesetzartikels zum Schutz künftiger Generationen in Symbolik oder die Staatszielbestimmung führe dazu, dass Streitigkeiten über Generationengerechtigkeit von den Gerichten entschieden würden. “Das bedeutet weniger Demokratie und mehr Richterstaat, prophezeite Kirchhof. Ein Tagungsteilnehmer fasste pointiert zusammen: “Zukunftsvergessene Politik gehört abgewählt.”
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